Brunnenfrage
Bewertung: 2 Punkt(e)
Der Wolf und die 7 Geisslein
Es war einmal eine alte Geiß, die hatte sieben junge Geißlein und hatte sie lieb, wie eine Mutter ihre Kinder lieb hat. Eines Tages wollte sie in den Wald gehen und Futter holen; da rief sie alle sieben herbei und sprach: »Liebe Kinder, ich will hinaus in den Wald, seid auf eurer Hut vor dem Wolf; wenn er hereinkommt, so frißt er euch alle mit Haut und Haar. Der Bösewicht verstellt sich oft, aber an seiner rauhen Stimme und an seinen schwarzen Füßen werdet ihr ihn erkennen.« Die Geißlein sagten: »Liebe Mutter, wir wollen uns schon in acht nehmen. Ihr könnt ohne Sorge fortgehen.« Da meckerte die Alte und machte sich getrost auf den Weg. Es dauerte nicht lange, so klopfte jemand an die Haustür und rief: »Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht!« Aber die Geißlein hörten an der rauhen Stimme, daß es der Wolf war. »Wir machen nicht auf!« riefen sie. »Du bist unsre Mutter nicht; die hat eine feine und liebliche Stimme, aber deine Stimme ist rauh; du bist der Wolf!« Da ging der Wolf fort zu einem Krämer und kaufte sich ein großes Stück Kreide; die aß er und machte damit seine Stimme fein. Dann kam er zurück, klopfte an die Haustür und rief: »Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht ! Aber der Wolf hatte seine schwarze Pfote in das Fenster gelegt, das sahen die Kinder und riefen: »Wir machen nicht auf, unsere Mutter hat keinen schwarzen Fuß wie du; du bist der Wolf!«. Da lief der Wolf zu einem Bäcker und sprach: »Ich habe mir den Fuß angestoßen, streich mir Teig darüber.« Und als ihm der Bäcker die Pfote bestrichen hatte, lief er zum Müller und sprach: »Streu mir weißes Mehl auf meine Pfote.« Der Müller dachte: Der will jemanden betrügen und weigerte sich. Aber der Wolf befahl: »Wenn du es nicht tust, so fresse ich dich!« Da fürchtete sich der Müller und machte ihm die Pfote weiß. Nun ging der Bösewicht zum drittenmal zu der Haustür, klopfte an und sprach: »Macht mir auf, Kinder, euer liebes Mütterlein ist heimgekommen und hat jedem von euch etwas aus dem Wald mitgebracht.« Die Geißlein riefen: »Zeig uns erst deine Pfote, damit wir wissen, daß du unser liebes Mütterlein bist!« Da legte er die Pfote ins Fenster, und als sie sahen, daß sie weiß war, glaubten sie, es sei alles wahr, und machten die Tür auf. Wer aber hereinkam, das war der Wolf!
Die Geißlein erschraken und wollten sich verstecken. Das eine sprang unter den Tisch, das zweite ins Bett, das dritte in den Ofen, das vierte in die Küche, das fünfte in den Schrank, das sechste unter die Waschschüssel, das siebente in den Kasten der Wanduhr. Aber der Wolf fand sie alle und machte nicht langes Federlesen; eins nach dem andern schluckte er in seinen Rachen; nur das jüngste in dem Uhrkasten, das fand er nicht. Als der Wolf seinen Hunger gestillt hatte, trollte er sich fort, legte sich auf der grünen Wiese unter einen Baum und begann zu schlafen.
Nicht lange danach kam die Geiß aus dem Walde wieder heim. Ach, was mußte sie da erblicken! Die Haustür stand sperrangelweit offen; Tische, Stühle und Bänke waren umgeworfen, die Waschschüssel lag in Scherben, Decke und Kissen waren aus dem Bett gezogen. Sie suchte ihre Kinder, aber nirgends waren sie zu finden. Sie rief sie nacheinander beim Namen, aber niemand antwortete.
Endlich, als sie das jüngste rief, da antwortete eine feine Stimme: »Liebe Mutter, ich stecke im Uhrkasten!« Sie holte es heraus, und es erzählte ihr, daß der Wolf gekommen sei und die andern alle gefressen habe. Sogleich ging die Mutter in ihrem Jammer hinaus, und das jüngste Geißlein lief mit. Und als sie auf die Wiese kam, lag der Wolf unter dem Baum und schnarchte, daß die Äste zitterten. Sie betrachtete ihn von allen Seiten und sah, daß sich in seinem angefüllten Bauch etwas regte und zappelte. Ach Gott, dachte sie, sollten meine armen Kinder, die er zum Abendbrot hinuntergewürgt hat, noch am Leben sein? Da mußte das Geißlein nach Hause laufen und die Schere, Nadel und Zwirn holen. Dann schnitt sie dem Umgetüm den Wanst auf, und kaum hatte sie einen Schnitt getan, so steckte schon ein Geißlein den Kopf heraus, und als sie weiterschnitt, sprangen nacheinander alle sechse heraus und hatten nicht einmal Schaden gelitten, denn das Raubtier hatte sie in seiner Gier einfach hinuntergeschluckt. Das war eine Freude! Da herzten sie ihre liebe Mutter und hüpften wie ein Schneider, der Hochzeit hält. Die Alte aber sagte: »Jetzt geht und sucht große Steine; damit wollen wir dem wilden Tier den Bauch füllen, solange es noch im Schlaf liegt.« Da schleppten die sieben Geißlein in aller Eile Steine herbei und steckten sie ihm in den Bauch, soviel sie hineinbringen konnten. Dann nähte ihn die Alte in aller Geschwindigkeit wieder zu, daß er nichts merkte und sich nicht einmal regte.
Als der Wolf ausgeschlafen hatte, machte er sich auf die Beine, und weil er großen Durst empfand, wollte er zu einem Brunnen gehen und trinken. Als er aber anfing sich zu bewegen, stießen die Steine in seinem Bauch aneinander und rappelten. Da rief er: »Was rumpelt und pumpelt in meinem Bauch? Ich meinte, es wären sechs Geißelein, so sind's lauter Wackerstein.
Als er an den Brunnen kam und sich über den Rand bückte und trinken wollte, da zogen ihn die schweren Steine in die Tiefe, und er mußte jämmerlich ersaufen. Als die sieben Geißlein das sahen, da kamen sie herbeigelaufen und riefen laut: »Der Wolf ist tot! Der Wolf ist tot!« und tanzten mit ihrer Mutter vor Freude um den Brunnen herum.
Gebrüder Grimm
_____________________________________________
Netzfundstück. Brunnenfrage geklärt.