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® schrieb am 7.9. 2010 um 06:10:25 Uhr über

wille

Ist der Wille frei?
Florian Rötzer 06.09.2010

Ulmer Hirnforscher wollen einen Beweis dafür gefunden haben, überzeugend ist er nicht
Philosophen setzen sich schon lange damit auseinander, ob es so etwas wie Willensfreiheit, Voraussetzung von vielen Religionen, allen Rechtssystemen und zwischenmenschlichen Beziehungen, überhaupt gibt oder welche Voraussetzungen dafür erforderlich sind. Zwar haben moderne Gesellschaften und ihre Religionen auf Willensfreiheit gesetzt und so (persönliche) Verantwortung mit allen Konsequenzen von der Wirtschaft über das Seelenheil bis zum Strafrecht bevorzugt.


Willensfreiheit würde aber bedeuten, wenn diese Voraussetzung wäre, einen Menschen zur Verantwortung für seine Entscheidungen zu ziehen, dass diese bewusst getroffen werden. Nun deuten manche neurowissenschaftliche Untersuchungen wie die von Libet aber darauf hin, dass das Gehirn neuronal Entscheidungen trifft, die erst verzögert bewusst zu werden scheinen (Die Hirnforschung und die Mär von der Willensfreiheit). Wir könnten also gut in der Illusion leben, dass wir bewusst Entscheidungen treffen, die aber in Wirklichkeit schon gefallen sind. Wobei das bewusste Ich sich nur selbst diese Entscheidungen zurechnet.

Allerdings wäre hier zu fragen, warum unsere Gehirne evolutionär diese Illusion der Willensfreiheit ausgebrütet haben. Würde man »rational« argumentieren, hätte dies vor allem den Vorteil, den Anderen durch die Gruppe disziplinieren zu können, während es gleichzeitig den für die »Erfolgreichen« schlagenden Vorteil gibt, dass jeder für sein Leben selbst verantwortlich ist. Das dürfte im Übergang vom Feudalismus zum protestantischen Kapitalismus bis heute für das Selbstverständnis der Eliten bedeutsam sein, nämlich dass sie angeblich aus eigener Kraft zu Recht reicher, mächtiger oder erfolgreicher sind, während die da Unten versagt haben. Daher wäre aus dieser Sicht alles in Ordnung und kann auch so bleiben, man könnte nur den Versagern zur Selbstverbesserung ein wenig mehr Zwang angedeihen lassen, um die Kräfte der Selbstbestimmung zu entfaltenund das betrifft dann, wie uns Propheten wie Sarrazin versichern – nicht nur Individuen, sondern auch Gruppen, Völker und Staaten. Weil alles selbstbestimmt ist, trägt eben jeder auch Verantwortung beispielsweise auch dafür, dass er sich mit Hartz IV gesund und ausreichend ernährt oder mit steigender Kälte und sinkender Raumtemperatur desto dickere Pullover anzieht.

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Wie man sieht, ist Willensfreiheit beileibe kein akademisches oder philosophisches ThemaDer freie Wille ist eine Illusion«). Je nachdem, wie man die Frage beantwortet, ist man für Knast und Todesstrafe oder Resozialisierung, für Kürzung der Sozialhilfe oder für Hilfe, für den freien Markt oder für Unterstützung der Chancengleichheit etc.


Lässt sich Willensfreiheit durch ein EEG beweisen? Bild: Uni Ulm

Ulmer Gehirnforscher wollen nun herausgefunden haben, dass zumindest bewusste Entscheidungen (Top-down) nicht nur ideologische Einbettungen sind, sondern tatsächlich etwas bewirken können, also nicht alles neuronal und basisdemokratisch bottom-up passiert. Die Hirnforscher gehen davon aus, ihre Versuche würden zeigen, dass das »Bewusstsein unbewusste Prozesse im Gehirn« kontrolliert. Das hätte, gesellschaftlich gesehen, aber auch zur Konsequenz, dass »Eliten« die Entscheidungen des Kollektivs, das ein einzelnes Gehirn ist, entscheidend beeinflussen und es neuronal keine Demokratie von gleichberechtigten Individuen gibt.

Das sind große Thesen. In der Studie selbst, die im Journal of Experimental Psychology: General veröffentlich wurde, wurden die Gehirnströme von Versuchspersonen beim Lesen von sichtbaren Worten gemessen, um so die Auswirkung von Absichten zu erfassen: »Zuvor wurden andere Worte, so genannte Bahnungsreize, für eine ganz kurze Zeit eingeblendet, so dass sie nicht bewusst wahrnehmbar waren. Bedeutungsmäßig verwandte unbewusste Bahnungsreize beschleunigten die Erkennenszeiten der nachfolgend gezeigten kritischen Wörter (z.B. Tisch-Stuhl, Henne-Ei) nur dann, wenn die Probanden zuvor die Absicht hatten, die Bedeutung von Wörtern zu verstehen. Hatten die Probanden dagegen die Absicht, auf die Form von Buchstaben zu achten und die Wortbedeutung zu ignorieren, hatten die unbewussten Bahnungsreize keinen Einfluss auf die Erkennenszeiten der sichtbaren Worte

Danach würde die gerichtete Aufmerksamkeit der Versuchspersonen die Wahrnehmung von Wörtern entscheidend beeinflussen. Unklar bleibt dabei jedoch, wie die Aufmerksamkeit gesteuert wird. Das ist nicht einfach. Schließlich wird Aufmerksamkeit wohl nicht nur bewusst gesteuert. Wenn wir hungrig oder durstig sind, wenn wir sexuell aufgeladen sind, wenn wir deprimiert sind, dann werden wir auch stärker auf die entsprechenden Reize ansprechen. Das kann ein solcher Test, wie ihn die Hirnforscher angelegt haben, aber gar nicht messen, weil die unbewussten Reize äußerlich vorgegeben werden und nicht intrinsisch sind.

Gleichwohl will Markus Kiefer, Sprecher des deutschlandweiten Projektnetzwerkes zur Bewusstseinsforschung und Mitautor der Studie, deren durchaus interessante Ergebnisse über Gebühr verallgemeinern: »Unser Wille ist freier als gedachtSie hätten gezeigt, dass die »Vorstellung des chaotischen und unkontrollierbaren Unbewussten« falsch sei: »Unsere Befunde widerlegen diese Lehrmeinung. Sie zeigen eindeutig, dass unser Bewusstsein zu den Absichten passende unbewusste Vorgänge in unserem Gehirn verstärkt, nicht passende dagegen abschwächt«. Und Kiefer geht noch weiter. Es sei gewährleistet, dass unser bewusstes »Ich« Herr im Haus bleibt und nicht durch eine Vielzahl unbewusster Tendenzen beeinflusst wird.

Als Beispiel führt der Hirnforscher einen alltäglichen Gang in den Supermarkt an, was er wohl besser unterlassen hätte. Wenn man nämlich, was meist der Fall sein dürfte, in den Supermarkt geht, um etwas Bestimmtes zu kaufen, z.B. ein Spülmittel, dann sei man »wenig empfänglich für die Schokolade im Süßwarenregal«. Das ist sicher richtig und müsste auch gar nicht von einem aufwändigen Versuch bestätigt werdenauch wenn dies nicht schadet -, aber es klärt in keiner Weise, wie die Präferenzen der Aufmerksamkeit zustande kommen. Der Hirnforscher will aber gleich aus der Aufmerksamkeitssteuerung ableiten, dass wir diese völlig unter unserer Kontrolle haben: »Die bewussten Absichten und Einstellungen entscheiden somit darüber, ob ein unbewusster Prozess in unserem Gehirn überhaupt ablaufen kann. Die Aussage 'Ich konnte nicht anders, ich hatte einen inneren Drang so zu handeln' sollte von daher in der Regel ehrlicherweise lauten 'ich wollte nicht anders'.« So bestätigt anscheinend Wissenschaft die Ideologie, während in Wirklichkeit die Ideologie oder unkritisch übernommene Vorurteile die Interpretation von Forschungsergebnissen prägen.




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