Wahrheit ist eine Eigenschaft, die irgendwelchen Aussagen zugesprochen wird, oder auch nicht. Soweit es nur um mathematischen Formelkram geht, ist das ja in Ordnung. Schlimm wird es, wenn es um komplexere Thesen geht, die in nicht absolut eindeutigen Ausdrücken und Begriffen formuliert sind - in der »normalen« Sprache. Dann geht es um Begriffsgebäude wie den Marxismus-Leninismus, wissenschaftliche Erkenntnisse, Menschenrechte und so'n Kram.
Weil: Wahrheit erhebt den Anspruch auf unbedingte Gefolgschaft. Man kann über etwas, was wahr ist, nicht mehr geteilter Meinung sein:
"Wer das Leben beleidigt,
ist dumm oder schlecht !
Wer die Wahrheit verteidigt,
hat immer recht!"
(Louis Fülberth - Das Lied der Partei)
Wahrheit ist dementsprechend politisch im Sinne von Carl Schmitt: sie trennt Freund und Feind voneinander am schmalen Grad der Erkenntnis. Wer die Wahrheit erkennt bzw. anerkennt ist Freund, wer sie leugnet ist: Feind - und dessen Bekämpfung mit allen zu Gebote stehenden Mitteln ist nicht nur legitim, sondern sogar geboten !
Für Solche, die ihr Leben an sozialethischen Konzepten ausrichten müssen, um nicht aus der Bahn zu geraten, ist Wahrheit doppelt verführerisch: denn nun können sie genau das tun, wofür sie ansonsten zu feige sind: andere herumkommandieren, diffamieren, erpressen, foltern, berauben, töten - gerne auch massenweise: »Hier bin ich gewalttätig und blutrünstig - hier darf ich's sein!«
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