Der Tod und der Schriftsteller (Autor : Myron Bünnagel)
Der Herbst kam und mit ihm der Tod.
Als sich die Blätter in ihrem Farbenwechsel vom Sommer verabschiedeten,
die Luft nicht mehr sonnenwarm, sondern windkühl war, trat der Tod aus dem
Schatten, in dem er so manches Jahr gewartet hatte.
Er durchschritt den großen Wald und hinter ihm glitt braun das Blattwerk auf
den duftig feuchten Boden.
Bald klopfte er hier und da und nahm seine bleiche Kundschaft unter seine
niemals wärmende Kutte.
Endlich kam er an das Haus des Schriftstellers und klopfte.
Niemand öffnete, obwohl der Tod darin das Kratzen der Feder auf geduldigem
Papier vernehmen konnte.
Er schlug erneut gegen die Tür, kräftiger nun. Im Haus erklang ein Husten,
dann schlurfte jemand zum Eingang, öffnete aber nicht.
„Wer ist dort?“, fragte die zittrige Stimme des Schreiberlings.
„Ich bin es, der Tod. Öffne mir. Ich bin gekommen, dich unter meinen Mantel
zu betten“, rief da der Tod.
„Ich habe dich nicht erwartet. Nicht so früh“, warf die zitternde Stimme hinter
der Tür ein.
„Wer erwartet mich schon? Dennoch hast du gewusst, dass dieser Moment
kommt. In ihm seid ihr Menschen alle gleich“, erwiderte der Tod sanft.
„Bitte, Herr Tod, gebt mir noch etwas Zeit, diese meine letzte Geschichte zu
schreiben“, bettelte der Schriftsteller.
Der Tod mochte an diesem Tag die schönen Künste und so sprach er: „Diese
eine Geschichte noch, Mensch. Wenn ihr letztes Wort geschrieben ist, bist du mein.“
Und der Tod ging fort.
Ein weiteres Jahr verstrich und es wurde wieder Herbst, ohne dass die
Geschichte des Schriftstellers zu einem Ende gelangt wäre.
Der Tod, dessen Arbeit nie ruhte und dessen Zeitplan knapp bemessen war,
erschien am Morgen eines kalten Herbsttages. Raureif schimmerte auf dem
verlebten Laub, während die Sonne müde am Horizont erschien.
„Deine Zeit ist um!“ rief er, als er an der Tür stand und laut dagegen schlug.
Der Schreiberling blickte mit trüben Augen aus dem Fenster, den weißen
Vorhang wie ein Leichenhemd über der eingefallenen Brust. Er antwortete: „Aber
nicht doch, Herr Tod. Ihr verspracht mir mein Leben, solange ich an dieser
Geschichte schreibe.“
„Du schreibst nun schon sehr lange daran, Mensch“, erwiderte der Tod.
„Fertig bin ich dennoch nicht“, gab der Schriftsteller zurück.
Der Tod seufzte ganz leise und ging davon, um im folgenden Jahr
wiederzukommen.
Auch dieses Mal war die Geschichte nicht beendet und der Schreiber
erinnerte den Gevatter wiederum an dessen Versprechen: „Ihr dürft mich nicht holen,
solange ich an diesen Zeilen arbeite!“
„So versprach ich es. Aber höre Mensch: Der Tod verschont niemanden. Er
lässt sich vielleicht auf ein Jahr oder auch mehr vertrösten, aber er kennt keine
Gnade. Darum sollst du nur noch leben, solange du die Feder über das Papier führst.
Solange du wirklich schreibst. Wenn deine Feder nicht mehr das Papier benetzt, ist
deine Zeit gekommen“, sagte der Tod und trat ein.
Der Schriftsteller flehte und bettelte, aber der Tod wies stumm auf den
Schreibtisch.
Mit zitternden Fingern ergriff der Mensch sein Schreibgerät und schrieb.
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