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© Grafshop schrieb am 15.12. 2019 um 11:04:57 Uhr über

vernetzungsstelle25

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»Ich respektiere ja deine Leidenschaft«, sagte Onkel Frank, »aber das, wonach du dich sehnst, gibt es für Männer wie dich schon lange nicht mehr. Das Zeitalter der Entdeckungen ist lange vorbei. Selbst der Mond war gut kartographiert als die Apollo-Mission dort eintraff«. Ich seufzte.
»Wenn du wirklich etwas völlig neues erleben willst, dorthingehen willst, wo noch kein Mensch zuvor war, dann geh in die Forschung. MINT-Fächer. Das heißt 'Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik'«, schluss er. Ich versuchte ihn irgendwas entgegen zu setzen: »Technik entdeckt doch nichts neues, sondern baut selbst etwas. Die Mathematik ist doch nur ein bloßer Formalismus. Eine Konvention über den Gebrauch gewisser Zeichen. Was sollte es da schon neues zu entdecken gebenFrank nippte an seinen Weinglas. Gott weiß, was für hartes Zeug er sich dort wieder reingepantscht hatte. »Das ist alles Schwachsinn«, gab er zur Antwort. Tja, bei soviel unwiderleglicher Logik musste ich mich geschlagen geben. Ich sank zurück in meinen Stuhl. Nun erhob auch Tante Betty das Wort, »das kann doch nicht dein Bild von der Zukunft sein, sich in ein Einmach-Glas tiefkühlen zu lassen und sich auf den Weg zu den Zentauren zu machen«. »Schon gut«, ich wollte dieses leidige Gespräch abschneiden, »ich werde ja eh nicht genommen«. Eine junge, asiatische Frau, offenbar eingeladen von der Seite der Braut sah auf mich herab. Automatisch nahm ich eine männlichere Haltung an. Sie stand in einer Warteschlange und wollte zum Buffet. Schon um Onkel Frank auszuweichen beschloss ich nun, mich mit in die Schlange zu stellen. Mir war plötzlich nach einem Stück Küchen.
Die junge Frau nahm mich zur Kenntnis und grinste. Als wir weit genug von Onkel Frank weg waren wagte ich sie anzusprechen, »Hallo, mein Name ist Paul, und deiner«? Die junge Asiatin lächelte. Das war wohl ein Kulturding, das Freude, Verlegenheit oder die Tatsache ausdrücken konnte, dass ihr die Situation unangenehm war. Ich hasse es, unangenehm zu sein, aber das war immer noch besser als Onkel Frank, der mich überreden will, doch etwas ordentliches aus meinem Leben zu machen. Mit der Andeutung einer Verneigung stellte auch sie sich vor, »Hallo Paul, mein Name ist Suthida«. Ich glaube bis heute, dass ich aus der Stimme hören konnte wie sie gefallen daran fand.
Langsam bewegten wir uns weiter, ich hatte nicht mehr viel Zeit. »Zum ersten Mal auf einer christlichen Hochzeit?«, versuchte ich verzweifelt das Gespräch am Laufen zu halten. »Wir sind katholisch«, war die Antwort. Aua, da hatte ich mich richtig ins Fettnäpfchen gesetzt. Zu meinen Glück hatte Suthida offenbar auch Lust, sich mit mir zu unterhalten und setzte das Gespräch ihrerseits fort: »Ich bin eine Freundin der Braut. Und du«? »Ich«, mir blieb fast die Stimme weg, »ich bin der Bruder des Bräutigams. Dann heiratet deine Freundin meinen Bruder«. Das war selten dämlich von mir. Dieser Sachverhalt musste ihr natürlich auch klar gewesen sein, das war Mansplaining des untersten Niveaus.
Wir kamen zu den Kuchen. Mein Impuls damals war es, mir irgendwas von dem Süsskram zu schaffen und schnell wieder zu Onkel Frank und Tante Betty zu verschwinden. Dort würde Onkel Frank wahrscheinlich gleich anfangen einer seiner kleinen Vorträge über »die Musik der jungen Leute« zu halten oder sich mit einem anderen älteren Herren über die Vorzüge verschiedener Alkoholika zu unterhalten, aber das war immer noch besser als sich hier vor Suthida weiterhin zu blamieren und als Sexist, möglicherweise Rassist dazustehen. Nun, auf der anderen Seite brauchte ich einen Drink und das würde Tante Betty empören. Mit prüfenden Blick suchte ich einen Ort, an dem ich mich absetzen konnte.
Suthida hatte anders für den Abend entschieden. »Also Paul«, sagte sie mit einem Muffin auf den Teller, »willst du vielleicht...«? Ich nahm mir das selbe Teil, hielt meinen Teller wie eine Eintrittskarte und sagte, »Ja«. Sie hätte mich in dem Moment auch fragen können, ob ich eine Niere spenden will und ich hätte nur gemurmelt »verdammt ja«. Sie führte mich zu einen Tisch, den ich zuvor schon zur Kenntnis genommen hatte. Es war ein Tisch, auf den bis vor einigen Minuten nur Frauen saßen. Alles junge, gutaussehende Frauen in verschiedenen, aufwändigen Kleidern. Eine Hochzeit ist natürlich genug Anlass, um sich so herauszuputzen. Zudem waren alle diese Frauen ebenfalls Asiatinnen, offenbar von Brautseite. Mir war unwohl bei dem Gedanken unter lauter sexy Mädchen meines Alters zu sein, die sich gemeinsam in einer fremden Sprache unterhalten konnten, die ich nich im Ansatz verstand. Zu meinen Glück waren die anderen Mädels grade weg. Es wurde »Candy Shop« von 50C gespielt und offenbar waren die Damen auf der Tanzfläche. Ich konnte Onkel Frank mit meinen inneren Ohr schon hören, wie er das alles verurteilte. Am Liebsten hätte ich Suthida auch bei der Hand genommen und hätte mit ihr getanzt, aber ich war kein guter Tänzer und sie wollte wohl ihr Muffin. Ich warf einen Blick rüber. Onkel Frank hatte nun meinen zwölfjährigen Cousin David erwischt und hielt ihn eine Predigt. Ich konnte mir ungefähr denken, was er da sagte, »in deinem Alter ist das wichtigste Sport, hörst du, Sport. Das hält dich von dummen Gedanken ab und fördert die Konzentration. Dabei lernt man auch wertvolle Freunde kennen. Weißt du, woran man wertvolle Freundschaften erkennt? Hmm. Wenn du keine hattest, ist erst Mal jede Freundschaft wertvoll«. Scheinheiliger und selbstgerechneter alter Mann. Er hat Tante Betty doch selbst mit nicht mal Zwanzig geschwängert und sie dann geheiratet. Zudem noch in Amerika, wo er als Musiker groß rauskommen wollte. Wenn er sich auch nur an einen Vorschlag gehalten hätte, den er anderen Leuten aufdrängt, wäre er weder Teil dieser Familie, noch hätte er das Leben geführt, das er bisher geführt hat.
Naja, natürlich war es auch möglich, dass er den grade 12 Jahre alten Jungen die hintersinnige Bedeutung des Liedtextes aufschlüsselte. Sowas hatte er auch drauf. Doch in dem Fall wäre Tante Betty schon wütend dazwischengegangen. Oder er schlüpfte in die Rolle des Kulturkritikers und klärte über den schädlichen Einfluss des Hip Hop auf. Tante Betty sprach grade mit Mutter. Plötzlich kam mir ein Gedanke, »wo waren eigentlich die anderen hübschen Asiatinnen, die offenbar grade tanzten«? Der Anblick würde mich natürlich sehr freuen und ich suchte den Raum ab.
»Du hast deinen ja gar nicht angerührt«. Während ich mit meinen Gedanken grade bei Mutter war oder den Raum nach ihren Freundinnen absuchte, hatte Suthida bereits den größten Teil ihres Muffins gegessen. Tja, junge Männer können schon Idioten sein, heute ist es mir unbegreiflich, wieso ich den Raum absuchte, während sie doch in unmittelbarer Nähe zu mir sass. »Oh«, entfuhr es mir. Verlegen sah ich sie an, »du kannst meinen auch haben«. »Soso«, ich konnte sie kaum verstehen, »du schenkst mir Süssigkeit«. Das war wieder so ein Kulturding und es fiel mir erst in dem Augenblick ein. Traditionell war das in der Region, aus der die Braut und deshalb auch ihre Freundin Suthida kam, teil der Werbung um eine Frau, ihr Süssigkeiten zu schenken.
Zudem muss sie ihre eigenen Schlussfolgerungen aus der Tatsache gezogen haben, dass ich mich extra zu ihr in die Schlange gestellt habe, um das Muffin zu holen und ihn ihr nun abgab. Ich war überfallen von einer Mischung der Gefühle, Scham, Fluchtimpuls, erotisches Verlangen, Freude und alkoholbedingte Enthemmung. Einerseits käme es ein bisschen komisch rüber, wenn der jüngere Bruder des frisch vermählten Ehemanns während der Hochzeitsnacht etwas mit der Freundin der Braut anfängt. Andererseits war das doch mein Leben und offenbar hatte ich bei Suthida schon ein paar Pluspunkte gemacht. Zudem, wir hoch war schon die Wahrscheinlichkeit, dass aus uns beiden was ernstes wird? Ich selbst war damals 20 und noch an Eroberungen und Abenteuern interessiert, ich dachte gar nicht ans Heiraten. Wieso auch, wollte ich in 20 Jahren wie Onkel Frank auf Hochzeiten sitzen, mich besinnungslos Saufen und dabei als leuchtendes moralisches Vorbild auftreten? Bestimmt nicht.
Wenn Suthida mich wollte, dann, ja verdammt!, wäre ich mitgegangen und ES wäre passiert. Punkt. Ich war jung, ich war betrunken und ich war vor allen Dingen -- ein Mann.
»Und was macht der Bruder des Ehemanns meiner besten Freundin so?«, erkundigte sich Suthida bei mir. Klar, mit einer Karriere wie mein Bruder konnte ich nicht aufwarten. Ich hatte weder einen soliden Job wie unsere Schwester, noch verdiente ich Geld mit Mash-WLANs über Drohnen. Ich überlegte zu studieren. In dem Augenblick dachte ich, »Mist, bei der Frage kann ich nur verlieren. Sollte ich sagen, dass ich Student bin? Einfach Lügen? Wer weiß, vielleicht schreibe ich mich zwischenzeitlich noch ein, dann wäre meine Lügen nachträglich geadelt. Aber würde ein Student Suthida wirklich imponieren? Sollte ich sagen, ich bin Programmierer? Oder die Wahrheit sagen, dass ich ein Praktikum beendet habe«?
Ich fand einen guten Kompromiss, ich sagte, »ich bewerbe mich grade als Astronaut beim Proxima Centauri-Programm der Vereinten Nationen«. Es war wahrscheinlicher, dass ich vom Blitz getroffen wurde als dass die Bewerbung erfolgreich sein würde, aber ich hatte immerhin nicht gelogen. Suthida musterte mich nun. Sie müsste gedacht haben, dass ich sie belüge und nichts weiter. »Äh«, sagte ich, um die Situation zu retten, »jedenfalls versuche ich es... Vorbreitung und so... Und was machst du«? Sie nahm zunächst meienen Muffin und legte ihn auf ihren Teller. »Ich bin Masseurin im 'Thai Palace'«, sagte sie ungerührt und begann zu essen. Ihr schien gar nicht klar zu sein, welche Wirkung diese Offenbarung auf mich hatte. »Thai Palace«? Davon hatte ich noch nie etwas gehört. Die Gedanken in meinen Kopf überlagerten sich. Hatte mein Bruder seine Ehefrau dort kennengelernt, waren die beiden Arbeitskolleginnen? Wie alt war Suthida ausgehend von dieser Information eigentlich? Steigerte oder senkte das meine Chancen? Mein Kopf füllte sich mit dubiosen Vorstellungen über diese Massagen. In meinen bisherigen Leben war ich mit so etwas niemals in Kontakt gekommen, woher sollte ich also eine klare Vorstellung davon haben?
»Cool«, antwortete ich. Sie unterbrach ihr Essen nicht. »Candy Shop« war zuende und der DJ sprach ein wenig. Ich befürchtete, dass die anderen Mädels nun zurückkehren würden und die Zweisamkeit zwischen Suthida und mir beendeten. Eine herannahende Katastrophe, auf die ich mit einer Mischung von Vorfreude und Angst reagierte. Nun startete der nächste Song. Zu meinen Glück hielt das die Mädels auf der Tanzfläche, ich hatte sie nun gefunden und konnte sie beobachten.
»Nun, Suthida«, setzte ich das Gespräch fort, »als Masseurin kommst du sicherlich ganz schön rum, wasEine selten dämliche Frage, die Suthida auch mit einem irritierten Gesichtsausdruck quittierte. Nach einem Augenblick antwortete sie doch: »Nein, eigentlich nicht. Als Masseurin arbeite ich vor allen Dingen Indoor. Ich komme morgens um 9 Uhr zur Arbeit und komme um 18 Uhr wieder. Eigentlich habe ich Hamburg seit Jahren nicht mehr verlassen«.
Ich entschuldigte mich und begab mich auf die Suche nach einem Drink. An diesen Abend sollte zwischen Suthida und mir nichts mehr laufen, das war mir in diesem Augenblick nicht mal klar, aber sie bestätigte es nachträglich, als ich es dann doch geschafft hatte."

© Grafshop 15.12.2019
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