Ich habe gestern etwas krasses erlebt. Ich war auf dem Heimweg und kam über ein kurzes Stück Feldweg zwischen zwei Stadtteilen. Es war alles nass und links und rechts des Weges lag Schnee. Die Schlaglöcher auf dem Weg standen voller Wasser vom geschmolzenen Schnee und ich versuchte meine Schuhe darin vom Lehm zu befreien, in den ich vorher getreten war. Ich trat danach in den Schnee und hinterließ Lehmspuren meines Profils darauf.
Ich wollte gerade weiter, als mir eine junge Frau entgegen kam. Sie hatte ein iPhone in der Hand und die weißen Kopfhörer im Ohr. Unsere Blicke kreuzten sich für Sekundenbruchteile als sie an mir vorüber ging.
Sie trug mittelhohe Turnschuhe von Adidas. Ich fuhr weiter, sah mich noch einmal um und erhaschte einen Blick auf ihre Sohlen. Sie waren pink. Nicht rosa, sondern viel dunkler, fast rot, aber nicht ganz. Ich fuhr weiter, irgendetwas tickte in meinem Kopf. Ich wendete mein Fahrrad und fuhr in ihre Richtung, sie war schon nicht mehr zu sehen. Nur ein paar Meter, bevor der Feldweg die befestigte Straße des nächsten Wohnblocks erreichte, holte ich sie ein. Ich fuhr an ihr vorbei, hielt, sprach sie an: »Hallo, können Sie mir sagen, welches Schuhmodell Sie da tragen?«
Leicht belustigt erklärte Sie mir, dass sie den Namen nicht wüsste. »Gibt's aber bei Footlocker.« Ich fragte: »Sind die neu?« - »Ja.«
Es waren knöchelhohe Turnschuhe mit schwarzem, glänzenden Obermaterial, die drei gezackten Streifen leuchteten weiß darüber, das Innenfutter war pink ebenso wie ein Streifen, der um die Knöchel führte. Die Sohle war von einem breiten weißen Streifen umrandet, wie bei Chucks, so dass man das pinke Profil nicht sah, als sie so fest auf der feuchten Erde standen. Der senkrechte Sohlenrand, der sich in stets gleicher Höhe um den ganzen Schuh zog, hatte nur eine leichte Prägung, die den Vorfuß gegen den Mittelteil und den Absatz trennte.
Ich fragte: »Wo haben Sie die gekauft? Oder darf ich Du sagen?« Sie nickte. »Wo hast Du die gekauft?« - »In den Rom-Arkaden. Gibt's aber auch im POP.« Ich sah sie an. Sie hatte braune Haare und tiefbraune Augen und lächelte ein wenig belustigt. »Darf ich die Sohlen sehen?« - »Na klar.« Sie stellte einen Fuß auf die Spitze und drehte die Sohle zu mir.
»Ich würde jetzt gerne ein Foto machen, aber leider hab ich nichts dafür dabei.« Sie antwortete nichts, ich sah die Sohle, die ein klassisches Fischgrätprofil hatte, das von drei geschwungen Linien durchzogen war und in der Mitte ein rechteckiges Feld hatte, das das Adidas-Dreiblatt und den Markenschriftzug trug. In meinem Kopf tickte es.
»Wenn ich Dir zwanzig Euro gebe, dürfte ich dann was total stranges machen?« höre ich mich sagen. »Äh, ja was denn?«. Ich höre mich wieder sagen: »Ich würde gerne Deine Schuhe ablecken.« - »Ähh, wieso?«. »Ähm, manchmal, wenn ich morgens aufwache, hab ich eine total merkwürdige Idee und muss was total krasses machen.« - »Ja das kenn ich. Zum Beispiel?«. »Ähm, ich mach oft verrückte Sachen, meine Freunde übel verarschen, was kaputt machen. Und darf ich?« Sie machte eine kurze Pause. »Ok, wenn ich sie danach wieder kriege?«
Ich sagte: »Du musst sie gar nicht ausziehen. Ich mach's direkt hier. Ok?« - »Ja, ok, prima.«
Ich blickte mich suchen um und murmelte: »wie machen wir das am besten - vielleicht setze ich mich da hin« und deutete auf einen Betonring am Straßenrand, in dem Unkraut wuchs. Ich setzte mich und sie streckte mir sofort ihren linken Schuh hin, wie wenn sie nur darauf gewartet hätte. Ich sah, dass sie etwas wackelig stand und meinte: »Vielleicht setzt besser Du Dich hin.« - »OK, gerne«. Kaum saß sie, streckte sie schon wieder ihr linkes Bein nach vorne und wartete, bis ich mich vor ihr hingekniet hatte. Sie hielt ihre Sohle direkt vor mein Gesicht und ich konnte die Schmutzkrümel und den feinen Schlamm sehen, der unter dem glitzernden Wasserfilm lag, der die Sohle bedeckte. Die Beine, die in den Schuhen steckten waren in eine hautenge feuerrote Hose gehüllt und führten geradewegs in eine braune Jacke. Darüber hielten zwei zierliche Hände ein iPhone und ein bildhübsches Gesicht lächelte mich erwartungsvoll an.
Ich legte meine Hände um den Schuh und streckte meine Zunge aus.
Durch die Nähe begann ich das Profil unscharf zu sehen, dann berührte meine Zunge das kalte nasse Profil. Sofort spürte ich die Krümel des Straßenschmutzes und roch den feuchten Boden, der sich in die Rillen des Profils gedrängt hatte. Dazu mischte sich der Geruch des Turnschuhs, ein wenig Gummi, etwas Plastik und andere feine Nuancen. Ich fing an zu lecken. Das Fischgrätprofil rieb über meine Zunge. Es war rau aber nicht scharfkantig. Ich schob meine Zungenspitze an den Rillen entlang, aber die waren so schmal, dass ich nur schwer darin eindringen konnte. Trotzdem sammelte sich Erde und Sand auf meiner Zunge. »Und, wie schmeckt's?« fragte Sie. »Naja, so lala.« Antwortete ich.
Ich begann die Sohle von oben nach unten abzulecken, bemerkte, dass der Schmutz auch die Sohlenränder hochgekrochen war und das Weiß abgestumpft hatte. Ich leckte den Rand und sagte: »jetzt werden die mal richtig sauber«.
An der Fußmitte führte ich dann meine Zunge an den drei Streifen entlang nach oben. Ich drehte dafür den Schuh und sie ließ es geschehen. Ich wandte mich der anderen Seite des Schuhs zu und bearbeitete die kleinen Rillen an der Sohlenseite, bevor ich meine Zunge wieder zur Ferse rutschen ließ und dort eine dicke Lehmspur entfernte. Ich pausierte, und fragte, ob ihr sowas schon mal passiert wäre, sie bejahte, ich fragte ungläubig nach und sie korrigierte sich: »nein andere Sachen.« Ich fragte, was sie für Dinge tue, wenn sie morgens mit einer absurden Idee aufwache. »Ach mit den Schuhen, weißt schon mit den Stahlkappen, die Punks so tragen, hab ich schon öfter was kaputt getreten, Plastik, Flaschen und so. Ist total cool, man spürt überhaupt nix.« Ich antwortete: »wär das nicht auch cool, was mit den Turnschuhen zu zertreten und genau zu spüren, wie es darunter kaputt geht?« - »Doch das wär cool.«
Ich leckte weiter und kam an eine Stelle, an der der Schmutz nur schwer aus dem Profil kam, aber dann war ich mit dem Schuh fertig. Ich setzte ihn ab und fragte, ob sie so etwas wieder machen würde. »Warum nicht« antwortete sie. Sie hob den rechten Fuß und ich machte mich daran, ihn zu reinigen.
In meinem Kopf fühlte ich das Blut pulsieren und rauschen. So etwas hatte ich noch nie erlebt.
Ich spürte den Sand zwischen meinen Zähnen, roch den Gummi und die Erde, fühlte den schönen Schuh mit dem Fuß des Mädchens darin in meinen Händen und sah, wie sie mein Tun interessiert beobachtete.
Als ich auch den zweiten Schuh gründlich geleckt hatte, fühlte sich meine Zungenspitze wund an und ich schmeckte eine Menge Erde.
Ich stand auf, angelte nach meinem Geldbeutel, hiel inne. »Würdest Du noch eine Süßigkeit zertreten, die ich dann von den Sohlen lecke? Ich leg fünf Euro drauf.« - »Tut mir leid, ich muss mich schon in vier Minuten mit einem Freund treffen. Vielleicht ein anderes Mal.« Ich gab ihr die 20 Euro. »Man sieht sich« sagte sie mit einem Lächeln und ging.
Die Schuhe habe ich im Internet gefunden. Adidas Hard Court Mid. Bei footlocker.
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