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wuming schrieb am 10.3. 2003 um 05:00:26 Uhr über

traum




Die erotischen
Probleme der
Menschen im
Weltraum sind nicht
das Thema







Astronautisches Traummaterial der anderen Art

Peter V. Brinkemper 10.03.2003

»Solaris«: synthetischer Hoffnungsschimmer für Hollywood

Steven Soderberghs »Solaris« ist ein kleines synthetisches Meisterstück. Nicht mehr,
und nicht weniger. Es geht bei diesem Kino der kleinen und großen Diebereien nicht
darum, woher es stammt, und ob es alles richtig übernimmt. Vergessen wir die übliche
Buch-Verfilmungs- und Film-Remake-Kritik. Wer so argumentiert, verliert aus dem
Blick, wozu der Film sein reiches Material punktgenau benutzt. »Solaris« ist keine
einfache Verfilmung des großartigen Werks von Lem (vgl. Die erotischen Probleme
der Menschen im Weltraum sind nicht das Thema), auch kein bloßes Remake von Andrej
Tarkowsijs Film, sondern ein independent gecoverter Edelstein von exakt 90 Minuten
wohltuender meditativer Spannung, ein Kammerspiel, wie damals "Sex, Lügen und
Video" über Identitätsverlust und Selbstbewusstsein.









Vergessen wir die Kritik an der Buch-Verfilmung

Der neue »Solaris« entfaltet die Majestät ruhiger Bilder und Einstellungen, die einen an die
Aufnahmetechniken der 60er Jahre und an konstruierte Bildlösungen von »2001« erinnern. Der
Soundtrack von Cliff Martinez, ist bis auf den Trance-Trommelsound des Anfangs, durch und
durch bei György Ligeti gecovert (der wegen den Bezügen zu »Lontano« und »Atmosphères«
hoffentlich an den Tantiemen beteiligt wird). Auch die Kostümdesignerin Milena Canonero
hat schon bei Kubricks »Barry Lyndon« Pate gestanden. Wenn man jetzt noch die unerledigten
depressiven Drehbuchprobleme der virtuellen Existenz und künstlichen Intelligenz seit
»Sophies Welt« und »A.Iin einer neuen Story nach vorne bringen könnte. Dann wäre
Produzent Cameron und »Lightstorm Entertainment« zufrieden. Und siehe da: Steven
Soderbergh scheut vor nichts zurück: Er hat einen neuen Einfall: Sein Lieblingsfilm
»Hiroshima Mon Amour« wird ihm weiterhelfen können. Duras und Resnais sei Dank.




Schnitt ins Fleisch der Sehnsüchte

Am Anfang war Gott. Und Gott war George Clooney. Und der stand in der Küche, passte
einen Moment lang nicht auf und schnitt sich, wie im Sündenfall, ins eigene Fleisch der
Sehnsüchte. Um es gleich vorweg zu sagen. Alle diese Bilder werden zu konsequenten
Replacements umgeschnitten. Es gibt beinah nichts in diesem Film, was nicht »virtuell«, von
Bild zu Bild relativiert wäre. Eine Aufnahme schaut die andere an. Und zwar in beide
Richtungen. Soderbergh wurde in Susan Vahabzadehs SZ-Interview zur Berlinale zwar
gegenüber dem schwermütig daherkommenden Tarkowskij als Leichtgewicht befunden. Aber
der hatte wiederum den verrückten diskursiven Sprachwitz zwischen subjektiver
Selbstentfremdung und akribischer Selbstuntersuchung, den Lem seinen Solaristen-Gralsrittern
im Orbit genial verpasst hatte, so einseitig ausgefiltert, dass nur noch übrig blieb, mit der
Autorität Bachscher Orgelmusik seine sakrale Transformation der Raumfahrt als einen
Abstieg in die Hölle der eigenen Beziehungsunfähigkeit zu feiern.

Tarkowskis »Solaris« ist großartig, wie eine Beerdigung bei Kasachstan oder Tschernobyl,
gewiss. Und dennoch war diesem Werk der Höhepunkt visueller Opulenz in der filmischen
Montage wie in »Der Spiegel« oder »Nostalghia« versagt, in denen sich das Reale und
Phantastische, Vergangenheit und Gegenwart in gegenseitig spiegelnden Schnittsequenzen
reflexiv verzahnten. Den Höhepunkt hatte »Solaris« allein in der endlosen Wiederkehr jener
zur verzweifelten Harey stilisierten Liebe, einer Art Personifikation der Philosophie, die
gequält wurde von sinnverlorenen Sternenjägern, Forschern und Psychonauten, weil ihnen vor
lauter faustischem Männerstarrsinn jedes utopische Glücksgefühl im All abhanden gekommen
war. Und wenn am Schluss das Visualisierungspotential des dampfenden Plasma-Planeten
eben den irdischen Garten von Chris als eine letzte heimatlose Insel des vergangenen
Ursprungs hervortrieb, dann hatte man das Gefühl, eigentlich einen »Stalker« gesehen zu
haben, gespickt mit Familiengesprächen aus einem Bergmann-Film. Einen endlosen
Plattenbau-Tunnel durch das Unglück der sowjetischen Raumfahrt-Revolutions-Nation, ein
Stück kleinbürgerliches, Pasternacksches Glück in den Gärten eines Riesenreiches, ein
endloses Präludium ohne Hauptstück, ein Auftakt zu etwas, was nicht weiter entwickeln
wollte. Dass die Clint-Eastwood- und die Harrison-Ford-Synchronstimmen bei Tarkowskijs
deutscher Filmfassung wichtige Hauptrollen spielen, sei fürs kundige Ohr nur nebenbei
angemerkt.






Ein Konstruktionsgitter, das Erinnerungen und Visionen aneinander
spiegelt

Der quecksilbrige Soderbergh hat es verstanden, die synthetische Quintessenz zu ziehen:
Wenn bei ihm der Psychologe Chris Kelvin (George Clooney) den Auftrag der Firma erhält,
die letzte Rettungsreise zur nutzlos gewordenen Station über dem plasmatischen Gestirn
»Solaris« anzutreten, um Mission und Mannschaft zu retten, dann hat man das Gefühl, für ein
weiteres Alien-Abenteuer gebrieft zu werden. Doch die Ruhe der Bilder und der
weitestgehend sparsam eingesetzten Musik spricht dagegen. Jeder in der Station hat seinen
Widergänger bereits im Nest und verheimlicht etwas. Und die schwarze Kollegin hat einen
Jungen zu verbergen, der sich doch in dem metallischen Ambiente der Raumstation immer
wieder davonmacht. Kelvins Vision seiner verstorbenen Frau und Geliebten Rheya (Natascha
McElhone) beginnt im Schlaf mit einer Erinnerung an die Erde, einem Stück Plot fast wie aus
»Hiroshima Mon Amour«.

Denn durch die Implantation der visuell reinszenierten Vergangenheit lädt Soderbergh die
Erscheinung von Rheya so auf, dass der Zuschauer das Drama der im folgenden verlangten
Einschätzung und Zuschreibung der Bilder und Perspektiven als Visionen, Realitäten oder
Fantasmen erst richtig nachvollziehen und miterleben kann. Soderberghs Kunstgriff besteht
darin: Die aus Lems »Solaris« bekannten Emanationen des Planeten, der sich dabei der
Erinnerungen und Projektionen der irdischen Astronauten bedient, werden bei Tarkowskij als
solche fast nur behauptet. Erst Soderbergh gleicht mit der Rückblende, der filmischen
Inszenierung der Erinnerungen, das Bildpotential der Visionen visuell ab. Und dies ist ein
riskanter, aber gelungener Kunstgriff. Und zwar gerade deshalb, weil der Regisseur nicht der
Versuchung verfällt, diese Rückblenden auf der Erde so realistisch und mechanisch
durchzuführen wie die spießigen Gartenparties am Anfang von »Apollo 13« oder "Mission to
Mars», oder die Soap-Einschnitte in «Deep impact".

Sondern er zeigt, wie die Liebe auf der Erde zu einem astronautischen Traummaterial der
anderen Art führt, das der Vision, die im All erscheint, entspricht. Und so kann Soderbergh in
einem transparenten Prozess Erinnerungen und Visionen aneinander abarbeiten. Die
Erscheinungen werden zu Personen mit reflexiver Identität und Selbstbewusstsein, und die
Erinnerungen werden im Verarbeitungsprozess dynamisch, offen und revidierbar gehalten.
Dabei zieht er die beiden Prozesse, die Beglaubigung des fantastischen Bildes und der
irrealisierten Realität, immer enger zusammen, indem er Kubricks
Personen-Raum-Spiegelungen von »Bowman« aus der Schlussszene von »2001« und
Tarkowskijs Poetik der gespiegelten Handlungs-Zeit-Achse zu einem Prozess verdichtet, der
den ganzen Film mit einem Konstruktionsgitter überzieht.

Verdopplungen mit Eigensinn

Die Visionen, in denen Rheya vor Chris erscheint, sind daher immer mit bestimmten Phasen
und Ausschnitten der Erinnerung von Chris an die Begegnung und die sich entwickelnde
Beziehung der zwei Liebenden gekoppelt. Rheya tritt zunächst als rein äußerlicher
Doppelgänger der toten Geliebten auf, als von Chris kognitiv und emotional abhängige
Projektion. Sie ist eine qua Solarischer Energie emanierte Gestalt des männlichen
Unbewussten und hat noch kein Selbstbewusstsein. Aber indem sie sich in Chris' Nähe als
schnell aufnahmefähig erweist und die Details aus Chris' Erinnerung sofort auf sich bezieht,
trägt sie die Erinnerung in die Gegenwart fort, verdoppelt sie eigensinnig und eigenwillig das
Spiel der Begegnung, setzt es jenseits von Leben und Tod, jenseits von schicksalhaftem
Wiederholungszwang und hoffnungsvollem Freiheitsdrang erneut in Gang.. Auf diese Weise
erhält die vergegenwärtigte Erinnerung, sowohl in den irdischen Rückblenden wie auch in den
Verhandlungen im All eine ungeahnte Interaktivität.

Diese Offenheit überträgt sich in den besten Passagen auf die Filmsprache. Die Erscheinungen
laden sich mehrdeutig auf. Chris' Erinnerungen werden zu Bildbeschwörungen, von denen die
immer bewusster werdende Rheya argwöhnt, dass es nicht die eigenen Erinnerungen und
Wahrnehmungen sein könnten, sondern nur solche aus zweiter Hand, wie sie ein
Kinozuschauer erhält: zur Einsicht freigegebene Bewusstseinsimplantate und
Gehirnkino-Stücke einer Traumfabrik, deren Träume nicht lebbar sind. Und so gibt es auch
genügend gehirnphysiologische Bildmetaphern in diesem Film einschließlich dem
»Solaris«-Planeten mit seinen synaptischen Energieströmen, die immer wieder zueinander
finden. So reflektiert sie auch ist, die Filmsprache tritt einmal mehr unterhaltsam und beiläufig
auf, spielt mit den Errungenschaften des modernen Kinos des 60er Jahre, den artifiziellen
Übungen des Nouveau Roman und seiner filmischen Pendants. Dramaturgisch wirksam
werden Blick, Bild, Ton und Aktion getrennt und schaffen damit mehr Stil, Sound und
Wirkung, als jedes Action-wütige Handlungsdrama oder ausgetrocknete Reflexionskino.






Liebe zwischen Verrat und Treue

Es war in Margerite Duras »Hiroshima Mon Amour« und der Verfilmung durch Alain Resnais,
dass die französische Heldin in den kleinen Gesprächen am Rande einer erneuten
Liebesbeziehung zu einem Japaner in Hiroshima dazu verführt wurde, ein Gerede darüber zu
beginnen, wie ihre erste große Jugendliebe zu einem deutschen Besatzungssoldaten in Nevers
unglücklich verlaufen war. Die Heldin »verriet« sich selbst, ihre Existenz, durch ihre
Erzählung dem japanischen Geliebten. Sie opferte ihre frühere Liebe durch die Preisgabe der
Geschichte. Und nachdem sie dies getan hatte, konnte sie sich nur vor sich selbst retten, indem
sie sich dem zweiten Geliebten entzog. Diese tragische Geschichte einer doppelten Liebe
wendet Soderbergh bei allen Anklängen der Trauer ins Positiv-Narzisstische. Im
»Solaris«-Kammerspiel wird die Dynamik von Ich und Anderem, von Innen und Außen, von
Unbewusstem und Bewusstsein, von Schicksal und Wiederholung so heilsam umstrukturiert,
dass die Personen darum kämpfen, nicht länger zum Unglück verdammt zu sein.

Liebe ist: Nicht mehr wissen wollen, wie es weitergeht

Auf diese Weise werden die Szenen und Konstellationen zu einer mehrsinnig lesbaren
Partitur, die dem aus einem Buch herausgerissenen, todesmelancholischen Gedichtblatt
gleichen, das die scheinbar innige und doch auch von Unwahrheit durchzogene Liebe der
beiden Hauptfiguren als kunstvollen Augenblick bekräftigt und dementiert. Es gehört zu der
mindestens aus »Sex, Lügen und Video« und »Traffic« bekannten eleganten Tristesse des
Dramaturgen Steven Soderbergh, dass die Momente der Verzweifelung eher eine Depression
des Zugewinns an Selbsterkenntnis und Selbstgefühl darstellen - statt Momente der
unumkehrbaren Verzweiflung zu bieten. Wenn die Heldin sagt, dass sie nicht mehr wisse, wie
die Geschichte weitergehe, so ist dies ein scheinbar untröstlicher und doch - bezogen auf die
Unumkehrbarkeit von Kino, Erfahrung und Erinnerung - ein versöhnender Satz. Kino mit
Bildern, bei denen man nicht mehr darauf lauert, wie es weitergeht, weil man gebannt ist vom
spannungsgeladenen Moment der Eindrücke, ohne von billigen Effekten betäubt zu sein, das
ist das, was uns derzeit all zu oft fehlt.

Und wenn sich die Projektionsgestalt an nichts mehr erinnert als an den Geliebten, und sich
danach erkundigt, wo sie selbst herkomme, wenn sie sich als einen gefallenen plasmatischen
Engel, eine Art Sophie, ein vom »Solaris«-Gestirn losgelöster Gedanke versteht, der ohne
eine Eingebung über die eigene Existenz dasteht, dann ist der Umkehrpunkt für die Liebe und
für die Philo-Sophie erreicht: Für einen Neueinsatz einer Wiederholung, die keine mehr ist.
Denn das Wiederholte, das Abbild hat längst dagegen zu rebellieren begonnen, ein bloßes
Abbild, eine bloße Rippe des projizierenden Raumfahrer-Adams zu sein. Mit
dramaturgischem Humor schneidet Soderbergh aus den Tiefen des Seelen-Alls auf die
verflachte Abenddebatte über Anmaßung und Einzigartigkeit des Menschen, in der sich Chris
und seine Gäste über Rheyas Träume über die Erhabenheit des Menschen mokieren. Wenn
Rheya ihre Exstenz negativ bestimmt als eine, an die sie sich nicht erinnert, und ihre
Erinnerungen als das, was mit ihrer eigenen Existenz nichts zu tun hat, kommt sie der
dualistischen Metaphorik von Erhebung und Verdammnis, von Seele und Leib angesichts des
»Solaris«-Gestirns sehr nahe, einer postromantischen Dimension der Liebe, die man im
Schwerkraftfeld der Erde all zu leicht verfehlt.

Todesarten und Überlebensformen

Die Symmetrien zwischen Vergangenheit und Gegenwart wiederholen sich in den
Entsprechungen der Vorgänge in der Orbitalstation. Trennte sich Chris von Rheya zunächst
gewaltsam körperlich durch einen Kapsel-Abwurf, so bedeutet das beim zweiten Anlauf der
Vision gegebene Versprechen von Chris, Rheya nun mit auf die Erde zu nehmen, eine andere,
seelische Art der Beseitigung und Tötung des liebenden Subjektes. Die Loops der Emanation
werden streng parallel ausgeführt. Und so wird der zweite Loop mit einem erneuten, quasi
kopierten Selbstmordversuch vollendet, der aber zugleich die Verbringung auf die Erde
blockiert. Die visionäre Figur Rheya stabilisiert sich, es folgt die Ausheilung der Wunde und
eine geradezu epileptische Gesundung.






Der Weg wird frei, für eine dritte Richtung, jenseits von Mord und Selbstmord, Unterwerfung
und Selbstaufgabe. Die Grenzen zwischen Realität und Fantastik werden eingezogen, nun ist
es Chris, der zu einer Figur der Solarischen Emanation wird. Die einsame Rückkehr auf die
Erde versetzt uns in einen Anfang, der keine Wiederholung sein will und von dem wir nicht
wissen, ob er Erinnerung war, ist oder sein wird: Am Anfang war Gott. Und Gott war George
Clooney. Und er stand in der Küche, blickte auf ein Bild von einer Frau, die ihn anblickte, und
schnitt sich, wie im Sündenfall, dabei ins eigene Fleisch der Sehnsüchte. Doch das Fleisch
wuchs zusammen. Wie bei der emanierten Geliebten im All. Und so ist es vor allem die
kunstvolle Bild- und Montagesprache dieses Film, der die Liebenden im astralen Nirgendwo
eines Hoffnungsschimmers, synthetisch zusammenclippt. In einer philosophischen Liebe zu
einem sanfteren, intelligenteren Kino, als es zur Zeit über die Leinwände wütet und kriegt.

















Kommentare:
alle achtung (frajo rolofs, 10.3.2003 0:39)











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