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voice recorder schrieb am 22.1. 2003 um 17:44:32 Uhr über

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Zuschauer in ihr Spiel aufzunehmen. Dieses denkbare Eingreifen mu , soweit möglich, während der Proben vorausgesehen und berücksichtigt werden, sozusagen als wahlfreier Text. Das Unsichtbare Theater ist Kunst, da es eine bestimmte Erkenntnis der Wirklichkeit sinnlich ausdrückt. Es will eine Erfahrung vermitteln, es will etwas anschaulich machen und rekurriert dazu auf sinnliche Mittel. Im Gegensatz zum Happening beharrt es auf einer strukturierten Deutung der Realität. Es verfolgt nicht die Freisetzung von Energie als Selbstzweck, sondern um sie auf bestimmte Ziele zu lenken.
Das Unsichtbare Theater muß sich an einem Ort mit vielen Menschen entladen. Der Schock dieser Explosion wirkt oft lange nach.
Wie das Unsichtbare Theater funktioniert, veranschaulichen am besten einige Beispiele.


Premierenabend @Die Ohnmacht@

Ein hagerer Schauspieler, bescheiden gekleidet, geht langsam durchs Foyer und schaut die eleganten Damen und Herren traurig an. Andere Schauspieler stehen unauffällig dabei.

Kurz vor Beginn der Vorstellung, wenn sich das Premierenpublikum zu den Logen in Bewegung setzt, bricht der hagere Mann zusammen. Die Ohnmacht ereignet sich in Zeitlupe: Der Schauspieler mimt Unwohlsein, tut ein paar unsichere Schritte, sucht Halt an der Wand, bittet eine Dame um Hilfe, und erst nachdem er die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen hat, sinkt er gelassen in Ohnmacht. (Stanislawski's Konzept hat nichts an Gülti 9

keit verloren.) Natüriich werden ihm einige Zuschauer, vielleicht sogar der Portier, zu Hilfe eilen. Stimmengewirr.
Ein »Arzt« ist zur Stelle. Während andere Schauspieler sich über Elendsreportagen unterhalten, die sie in den Tageszeitungen gelesen haben, über Hungersnöte in Afrika und die UNESCO in Paris, stellt der »Arzt« seine Diagnose: »Das ist bloß ein Schwächeanfall. Der Mann hat wohl tagelang nichts gegessenSofort bitten einige Schauspieler die Umstehenden, ihre Eintrittskarten zur Verfügung zu stellen, damit dem armen Mann etwas zu essen gekauft werden könne. Sie zählen auf, was man für eine Premierenkarte alles kaufen kann, wieviel Fleisch, Salat, Eier,

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Milch usw. Einige Schauspieler bieten ihre Karten an. Es werden Eintrittskarten oder Geld zum Kauf von Lebensmitteln gesammelt. jeder einzelne Zuschauer wird gefragt, ob er wirklich meint, daß sein Vergnügen, zum hundertsten Male dieselben Arien zu hören, soundsoviel Kilo Mehl, Eier usw. aufwiege, die einen Armen und seine Familie, ja, zehn Familien ernähren könnten. Es muß erreicht werden, daß jeder einzelne den Preis einer Premierenkarte in Mehl, Eier und Fleisch umrechnet. Eine Dame bietet ihr Perlenkollier an. Es wird laut berechnet, wie viele Säcke Reis man dafür kaufen kann. Die Mehrzahl der Anwesenden spenden nichts, aber wenigstens sehen sie sich bloßgestellt.
Es ist wichtig, den Preis für eine Eintrittskarte, d. h. den Preis für zwei Stunden »kolonisiertes« und ästhetisch fragwürdiges Vergnügen, in einen Zusammenhang zu bringen mit dem Preis für eine Mahlzeit, mit dem Lohn eines Arbeiters. Wie viele Stunden harter Arbeit wiegen die Arien der Traviata auf? Wie viele Eintrittskarten können vom Lohn des Portiers gekauft werden? Oder vom Gehalt eines Polizisten? Oder dem des Chauffeurs der gnädigen Frau?


>Wer ist schuld<

Die Schauspieler betreten ein großes Zugabteil und setzen sich auf auseinander liegende Plätze. Der Zug fährt ab. Bis er die zweite Station erreicht, kümmern sich die Schauspieler um die Vorbereitung der Aktion. Sie schließen die Fenster und treffen Sicherheitsvorkehrungen (in Ländern mit massiver Polizeigewalt muß man auch mit unsichtbaren Polizisten rechnen). Dann beginnen sie ein Gespräch mit den Fahrgästen, sozusagen zum »Aufwärmen«. Sobald die richtigen Bedingungen geschaffen sind, tut einer der Schauspieler so, als hätte er einen Bekannten entdeckt. Es entspannt sich eine freundschaftliche Unterhaltung über Familie, Beruf usw. Der erste Schauspieler erzählt, daß er bei der Standard Oil arbeite; er habe um Lohnerhöhung gebeten und sie auch gewährt bekommen. Das Leben werde aber von Tag zu Tag teurer. Man müsse sich fragen, wer schuld ist an diesem endlosen Wettlauf zwischen Lebenshaltungskosten und Lohnerhöhung. Der erste meint: die Gemüsehändler, man lebe ja in einem fleischexportierenden Land (Argentinien), doch da man kein

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