Die Fahrt über die Bundesstrasse war immer nervig gewesen - und so beschloß ich an diesem lauen Abend, mal auf die Karte zu schauen, und irgendwo abzubiegen. Kilometermässig müsste es auch kürzer sein, und spassiger auf jeden Fall mit dem Motorrad: kleine Strassen über Land machen stets mehr Laune, als diese öden Geradeaus-Bundes-Strassen.
Und ich wurde nicht enttäuscht, kam in kurvige Täler und durch kleine Fachwerkdörfer - mittendrinn sogar eine richtige kleine Stadt aus Fachwerk und altem Gemäuer. Die Enduro glitt langsam um die engen Ecken, und einmal kam ich an einem Biergarten vorbei, der so einladend unter blühenden Kastanien lag, daß ich anhielt und umkehrte: Abendessenzeit war es ohnedies, und an einem solchen Abend kann man auch mal die letzten 60 km im Dunkeln fahren.
Der kleine Biergarten schien gut besucht, und es standen auch Autos aus den größeren Städten auf dem Parkplatz - eine Ausflugsgaststätte mit Zielpublikum. Und so sahen die Leute an den Tischen auch weniger nach fränkischen Bauernschaft aus, als nach der Urbanität der Universitätsstadt 30 km südlicher. Sie trugen modischen Fummel über brauner Haut. Nur die Bedienung trug so etwas, was man Wiesn-Mode nennt: modisch aufgemachtes Leinen und ockerfarbenes Leder. Es war eine große, knochige Frau so um die vierzig, die mir »Grüß Gott« wünschte, eine handgeschriebene Speisekarte hinlegte, und nach meinen Getränkewünschen fragte. Die nicht sehr umfangreiche Karte verhieß mediterane Gaumenfreuden: gegrillte Gemüse, Eichblatt-Salat mit überbackenem Ziegenkäse-Schnitten, Lammkotletts in Thymian-Jus, Rosmarinkartoffeln. Das Wasser lief mir im Munde zusammen - erst recht als ich sah, daß die Teller, die jene Frau aus dem Haus zu den Gästen zwei Tische weiter trug, diese Versprechungen einzuhalten vermochten. Motorradfahren ist schön - aber leider ist ein Glas Wein schon zuviel, sagte ich der freundlichen Frau bei meiner Bestellung. Sie lachte, und frug mich nach woher und wohin. Am See von E. war ich gewesen, und auf dem Rückweg nach M. Achja, das ginge ja noch. Und so blieb ich bei der Flasche San Pellegrino - immerhin !
Meinen Salat brachte eine andere Frau aus dem Haus - sehr anders war sie: Ebenfalls eine große Frau, aber eine Walküre mit kurzgeschnittenen Bürstenhaaren. Braungebrannt wie die magere Bedienung auch sie, in schwarz-weiss karierter Küchenhose und weissem, t-shirt. Die Küchenchefin persönlich.
Die Dämmerung fiel ein, noch bevor ich meine Ratatouille mit Polenta-Plätzchen bekam. Eine bunte Lampenkette spendete sanftes Licht, und der Garten leerte sich allmählich - nur noch ein Tisch an einer anderen Ecke war besetzt, als ich um einen Espresso bat, statt eines Desserts. Wieder erschien die stattliche Köchin, doch die Küchenkluft hatte sie schon ausgezogen, in rotem Schlauchkleid, schulterfrei. Auf einem Tablett zwei kleine Esspresso-Tassen und eine Karraffe mit drei Gläsern. Ob sie mir Gesellschaft leisten dürfe, ob ich ihr den Grappa abschlagen könne ? Sie duzte mich wie selbstverständlich. An den muskulösen Oberarmen war sie tätowiert - das indianische Muster, die Frau kam mir irgendwie bekannt vor, und während ich in meinem Gedächtnis kramte, kam auch die schmale Bedienung an unseren Tisch, legte ihre Hände auf die nackten Schultern der starken Köchin. Und da frug mich die Walküre, ob ich sie wirklich nicht erkennen würde - sie hätten mich jedenfalls gleich erkannt. Wie ihr die Kollegin gesagt hätte, da wär der nette Typ gekommen, der am See immer mit dem Ring aus Metall rumläuft, da hätte sie doch gleich mal schaun müssen, sagte die Köchin - und da machte es Klick bei mir. Die Köchin schenkte den Grappa ein, recht großzügig, und während ihre Kollegin am letzten Tisch kassieren ging, raunte sie mir zu: ich könne gerne hier schlafen - in der Gästeritze.
|