In der zweiten Oktoberhälfte, einige Tage vor Beginn der Vorlesungen, war ich wieder in Göttingen. Ich mietete ein Zimmer in der Schillerstraße, nur um einen Häuserblock von Courants entfernt. Die ganze Straße war neugebaut, das Zimmer modern und geschmackvoll mit weißer Decke, lichtgrauer Tapete und schmaler Goldleiste. Die Wirtsleute gehörten zum guten Mittelstand; Frau Mußmann war weder jung noch hübsch, aber sehr freundlich. Sie versorgte mich, wie ich es bisher gewohnt war, mit Milch zum Frühstück und Tee zum Abendessen. Nach einigen Monaten übernahm sie es auch, mir mittags eine Portion von ihrem Essen zu bringen; damit war ich für wenig Geld viel besser versorgt als in den Gasthäusern. Mein Zimmer lag außerhalb der Wohnung, hatte einen eigenen Eingang vom Treppenhaus; es war im Erdgeschoß, so daß man mir von der Straße mit einem Stock am Fenster klopfen konnte. Richard machte sich manchmal so bemerkbar, wenn er abends aus einem Konzert heimkam und bei mir noch Licht sah. Ich war in diesem Winter sehr einsam. So lange Rose mit mir zusammenlebte, hatten wir beide nichts von Heimweh gespürt. Ich vermißte sie jetzt sehr. Ich vermied es, durch die Lange Geismarstraße zu gehen, weil der Anblick unseres alten Wohnhauses mir zu weh tat. Darum habe ich es auch niemals über mich gebracht, unsere guten früheren Wirtsleute zu besuchen. Der treue Danziger holte mich weiter zu Sonntagsspaziergängen ab. Ich konnte mir nur jetzt nicht mehr so viel Zeit dafür nehmen wie früher, weil ich ganz im Bann meines großen Arbeitsprogramms stand. Außerdem muß ich gestehen, daß der gute Junge mich etwas langweilte.
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