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mcnep schrieb am 28.12. 2005 um 10:52:38 Uhr über

stempeln

Mein wiedergefundener Reisepass gab mir Anlass, recht spekulativ über den Unterschied zwischen nationalstolzen und patriotisch zurückgenommeneren Ländern zu sinnieren, da sich zwei Formen des Stempelns abzeichnen: Da ist auf der einen Seite ein Land wie Myanmar, dessen prahlerischer Stempel größer zu sein scheint als der Wohnraum eines durchschnittlichen Wellblechhüttenbewohners in der zerfasernden Randzone Yangons; oder die etwas versnobten Seychellen, deren ganzseitigen Stempel die latent anzügliche Coco de Mer ziert, was in meinem Fall gänzlich unberechtigte Anklänge an Sextourismus weckt - Jamaica in seiner britischen Tradition kommt immerhin mit einer halben Seite aus, wobei den Inhalt des Stempels ein halber Code Civil ausmacht, der mich belehrt, dass ich keinerlei Berechtigung hätte, in Jamaica irgendeiner Arbeit nachzugehen. Mal ehrlich, dafür ist Jamaica nun auch weniger bekannt. Indien kommt sehr prahlerisch daher, nicht nur, dass eine ganze Seite im Pass für das martialische Visum draufgeht, Cochin, Mumbai und die Nikobaren (ein Sammlerstück inzwischen!) benötigen jeweils eigene Stempel, was mit den Gepflogenheiten der örtlichen Zollbehörden zusammenhängt, die an jedem Hafen im Dutzend auf dem Schiff einschwärmten, wobei zwei Beamte mit wichtiger Miene die Pässe der Reisenden kontrollierten, während es sich die ranghöheren in den Speiseräumen und Bars gemütlich machten und, wie mir ein erfahrener Schiffsoffizier erzählte, mindestens ein weiterer Adlatus mit der, hm, 'Besichtigung' der Pantry und anderer Lagerräume befasst blieb. Die Akkuratesse des Stempels Singapurs spiegelt etwas von der konfuzianischen Korinthenkackerei dieses Zwergstaats wieder, in dem ja bekanntermaßen bereits das unschöne, aber doch harmlose Ausspucken auf der Straße mit Bastonade und Bußgeld in Millionenhöhe geahndet wird. Zu den eher entspannteren Ländern zähle ich die, welche ihren Stempel aus Bequemlichkeit unter andere Stempel auf den sich als erstes öffnenden Seiten zwängen, so finden sich etwa Chile, die Malediven, Australien und die Türkei auf einer einzigen Seite wieder, Thailand hat sich die bequem zu öffnende Mittelseite ausgesucht, die es sich mit dem Oman, den Emiraten und Ungarn teilt. Israel kommt zwar sehr amtlich auf einer Einzelseite daher, der Inhalt des nicht sehr großen Stempels scheint jedoch bewusst ein wenig kryptisch gehalten zu sein, da es sich bekanntermaßen sogar empfiehlt, für dieses Land einen zweiten Reisepass zu beantragen, weil dieser Stempel in einigen Ländern zumeist islamischer Ausrichtung schnell zum Kainsmal werden kann. Alles in allem ist noch genug Platz im Pass für einige Jahre stempelhortenden Reisens, wenn nicht meine zunehmende Entfremdung von meinem 2000er Gesicht oder die um sich greifende RFIDGeilheit der Behörden weltweit ohnehin in Kürze eine Neuausstellung erforderlich machen.


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