Die Kunst des Stänkerns in einem Internetforum
Um in einem Internetforum erfolgreich zu stänkern, sind einige Grundsätze zu beachten. Ansonsten wird ein Stänkerer schnell entlarvt und geächtet. Unerkannt kann ein Stänkerer die Szene jahrelang heimsuchen, ohne sein Pseudonym wechseln zu müssen. Er beherrscht die Kunst, zu beleidigen, ohne dass man es ihm wirklich nachweisen kann.
Die Taktik des Stänkerns
In einem Forum treffen sich Leute, die etwas gemeinsam haben. Zunächst stellt der Stänkerer fest, in welchen Punkten ein Konsens herrscht. Er vertritt dann am liebsten eine gegenteilige Meinung.
Ein guter Stänkerbeitrag wird folgende Punkte enthalten: Allgemeinplätze, Provokationen und Selbstabsicherung. Je geschickter sich Allgemeinplätze und Provokationen abwechseln, um so eher ist der Leser bereit, den angedeuteten Bezug zwischen den einzelnen Aussagen selbst herzustellen.
Als Allgemeinplatz eignen sich für die ADS-Selbsthilfe-Foren Aussagen wie »Der Ritalinkonsum ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen« oder »Eltern greifen immer öfter zu Medikamenten für ihre Kinder« oder »Ritalin wird viel zu häufig und vorschnell verordnet«. Je schwammiger die Aussage ist, um so unangreifbarer wird sie.
Die geschickte Provokation verwendet Übertreibungen, Unterstellungen, Halbwahrheiten und Anspielungen. Unbedingt vermeiden wird ein geschickter Stänkerer die Wörter »ich«, »du«, »wir«, »ihr«, denn das macht seine Aussagen angreifbarer. Damit eine Provokation als solche nicht zu schnell entlarvt wird, taucht sie oft nicht als ganzer Satz auf, sondern wird nur nebenbei hingeworfen.
Die Selbstabsicherung mit Aussagen wie: »es geht hier um die Gesundheit der Kinder« oder »in diesem Forum darf man nicht die Wahrheit sagen« bringt den Stänkerer in eine sicherere Position und läßt jeden, der widerspricht, von vornherein schlecht aussehen.
Eine solide Beweisführung ist für einen Stänkerbeitrag unnötig wenn nicht sogar gefährlich. Hier sind pseudowissenschaftliche Methoden besser geeignet, zum Beispiel Zitate, die aus dem Zusammenhang gerissen werden, Beweis durch ständiges Wiederholen, Beweis durch langes Drumherumreden, Beweis durch Verwendung von seltenen Fremdwörtern/Fachbegriffen, ... Im Übrigen liebt der Stänkerer es, seine Meinung als allgemeingültige Erkenntnis darzustellen.
Der Stänkerer hat auch keine Scheu, sich einige passende Links zu besorgen. Es gibt für jeden Mist geeignete Seiten im Internet. Am liebsten sucht er sich solche Beiträge aus, die der Stänkertaktik am ehesten entsprechen.
Es ist gefährlich für den Stänkerer, sich im Verlauf einer Diskussion auf die Argumentationsebene herabziehen zu lassen oder womöglich auf Fragen direkt zu antworten. Er bevorzugt es, stur bei den bisher vertretenen Allgemeinplätzen zu bleiben und die Provokationen ein wenig zu variieren. Er orientiert sich gern an Reden und Interviews von Politikern. Sie sind eine gute Vorlage für eine redegewandte Nicht-Antwort.
Persönliche Angriffe, wie die Verballhorung von Namen und mokante Äußerungen über Grammatik oder Rechtschreibung der Diskussionsgegner wird der geschickte Stänkerer vermeiden. Damit würde er seine Absichten zu schnell offenbaren. Hingegen ist es durchaus möglich, dass ein Stänkerer seine eigene Grammatik und Rechtschreibung vernachlässigt.
Die Motive des Stänkerns
Das Streben des Menschen gilt der Aufmerksamkeit, vor allem der positiven Aufmerksamkeit in den Abstufungen Liebe, Anerkennung, Kommunikation. Bekommt er nicht genug positive Aufmerksamkeit, dann sucht er negative, als da wären Diskussion, Auseinandersetzung, Streit, Beleidigungen. Negative Aufmerksamkeit ist allemal besser, als gar keine zu bekommen.
Warum tut der Mensch ein solches? Nun, meistens ist es ihm gar nicht bewußt, dass ihn dieses umtreibt. Aber wenn jemand den subjektiven Eindruck hat, er bekommt zu wenig Aufmerksamkeit, dann holt er sich eben welche, notfalls die negative.
Und ein Stänkerer sucht zu diesem Zweck die Internetforen heim.
Die Reaktion auf Stänkern
Ein Forum und eine Kneipe haben manches gemeinsam, es gibt einen Gastwirt (Forummaster), Bedienung (Moderatoren), Stammgäste und Leute, die gelegentlich vorbeikommen. Ebenso, wie nur der Wirt das Hausrecht hat, obliegt es in erster Linie dem Betreiber und den Moderatoren eines Forums, den Stänkerer in seine Schranken zu weisen. Wenn Gäste meinen, dem Stänkerer Paroli bieten zu müssen, dann sollten sie das nur im Sinne des Gastgebers tun und die allgemeinen Gepflogenheiten dieses Treffpunktes beachten. Ansonsten kann es schnell zu einer »Schlägerei« kommen ...
Es ist keine Schande, wenn man eine Stänkerei nicht auf Anhieb erkennt. Schließlich verfügt der Stänkerer über ausgefeilte Techniken (siehe oben), um seine wahren Absichten zu verschleiern. Aber wer einen Verdacht hegt, wird vorsichtig mit seinen Antworten.
Es ist voreilig, aus einem oder zwei Stänkerbeiträgen gleich auf die Persönlichkeit des Urhebers zu schließen. Jedem kann mal ein Mißgriff passieren. Hier helfen Recherchen, auch in anderen Foren, um sich mehr Klarheit zu verschaffen.
Hat der kluge Leser einen Beitrag auf die Punkte Allgemeinplätze, Provokation und Selbstabsicherung hin untersucht und festgestellt, dass es sich um einen mehr oder minder gut gemachten Stänkerbeitrag handelt, dann wird er unbedingt sein Temperament zügeln und sich die Motive für Stänkern bewußt machen. Jede Reaktion auf eine Stänkerei bedient den Urheber in seinem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und macht ihn ein wenig zufriedener. Bekommmt der Stänkerer gar keine Antwort, dann ist er am meisten enttäuscht. Fast genauso ärgert es ihn, wenn seine Beiträge verschwinden oder er sogar Hausverbot bekommt. Aber diese Maßnahmen haben den Haken, dass sie ihm Argumente liefern, anderswo über dieses Forum weiterzustänkern.
Sollte man wirklich gar nicht auf den Stänkerer eingehen? - Im Zweifelsfall lieber nicht!
Wenn die erste Empörung groß ist, spricht nichts dagegen, eine flammende Antwort zu schreiben. Aber sie darf nicht abgeschickt werden. Wer sein hitziges Temperament kennt, wird aus Prinzip eine Nacht darüber schlafen und abwarten, bis der erste Ärger kühler Überlegung Platz gemacht hat. Danach ist es nicht mehr so wichtig, zu antworten. Stattdessen wendet sich der empörte Gast an den Betreiber des Forums (per Email) und entlarvt den Stänkerer. Der Rest ist dann Sache des Hausherrn. Auch in einer Kneipe wendet sich der friedfertige Gast ab (keine Antwort im Forum), tuschelt höchstens noch über den Stänkerer (Privatmail) und verläßt notfalls das Lokal.
Falls jemand dennoch meint, etwas gegen den Stänkerer unternehmen zu müssen, dann ist Kreativität, Witz und Humor gefordert. Ein Posting gegen einen Stänkerer sollte das Forum unterhalten. Es kommt darauf an, die Lacher auf seiner Seite zu haben. Aber man darf den Stänkerer nicht unterschätzen. Er hat viel Geschick (siehe oben) und der Disput mit einem Stänkerer kann zu einem Abenteuer werden, dessen Ausgang ungewiss ist. Verloren hat derjenige, der zuerst in Wut gerät. Falls dem Mutigen die Sache über den Kopf wächst, hat er immer noch die Möglichkeit, abzubrechen, indem er keine weiteren Antworten mehr gibt. Das ist nicht peinlich, sondern klug!
Randerscheinungen des Stänkerns
... sind schlecht recherchierte Berichte in Presse und Fernsehen, aber auch Werbung für dubiose Mittel. Hier sind die Motive der Urheber nicht Aufmerksamkeit sondern Geld.
Es ist kein Problem, wenn ein Forum sich über Presse- oder Fernsehberichte austauscht, denn der Urheber ist im Forum nicht zugegen. Aber Achtung, solche Diskussionen locken gerne Stänkerer an!
Offensichtliche Werbung für dubiose Mittel ist in den meisten Foren verboten. Aber oft kommen als Erfahrungsberichte getarnte Postings. Hier genügt es, um den Proporz wieder herzustellen, einige seriöse Links zu erwidern, ohne jeglichen weiteren Kommentar.
weiterführende Links
Mobbing im Usenet oder Wie diskreditiere ich meine Mitposter im Usenet richtig
März 2002 | Sabine Hinkel | Home
http://www-public.tu-bs.de:8080/~c0033007/adler/start/staenkern.htm
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