Blastern statt träumen. Als luzides Träumen. Nachteil: Augen tun weh. Fingerknöchel knacken. Zwei Drachen umschlingen sich. Unangenehm tiefe Töne durchdringen die Zimmerwand.
Köpfe aus Ton? Hmm.
Also gut. Ein Wald. Es ist dunkel. Was suche ich in dem Wald? Es ist ein Zauberwald. Er liegt in ChatCity. Ein Stadtwald. Durch den Wald führt ein schmaler Pfad. Der Mond scheint, aber er ist sehr schmal. Ich gehe in den Wald hinein. Es ist sehr finster. Ich bin auch etwas Nachtblind. Und Kurzsichtig. Ich bräuchte eigentlich eine Brille, oder Kontaktlinsen. Aber es ist mit einiger Überwindung verbunden, sich die Linsen in die Augen zu setzen. Die irrationale Angst, die Augen könnten dabei kaputtgehen. Freilich hat auch eine Brille ihre Nachteile. Das Gewicht und auch der Anblick ist nicht jedermanns Sache. Anfangs habe ich noch etwas Licht hinter mir, das dann weniger wird. Schnell bekomme ich es mit der Angst zu tun. Das Rufen nachtaktiver Vögel. Rascheln und Knacken in den Sträuchern. Ebenfalls Vögel vielleicht, oder andere Waldbewohner. Es könnte theoretisch auch, obwohl das sehr unwahrscheinlich ist, ein Mensch sein, der auf mich lauert. Verrückte gibt es viele, nicht alle sind gewalttätig. Die Banalität des Bösen. Andererseits bin es vielleicht eher ich, vor dem Menschen Angst haben. Ich frage mich, ob ich vielleicht besser umkehren sollte. Bevor ich mich noch verlaufe und die Morgendämmerung abwarten muss.
Da der Wald innerhalb der Stadt liegt, darf man allerdings annehmen, dasz er nicht allzu groß ist. Wilde Tiere sind auch nicht zu erwarten. Diese wurden schon lange ausgerottet. Abgesehen von den wenigen eingewanderten Bären und Wölfen, von denen man gelegentlich in der Zeitung liest. Und die wohl eher scheu sind. Dennoch hat der Wald etwas Bedrohliches. Und die Nacht. Die Sinneswahrnehmung ist eingeschränkt. Es knackt schon wieder im Gehölz.
Wenn ich nachts ins Badezimmer gehe und von dort aus, allein, in mein Zimmer, ist mir auch unbehaglich zumute. Ich stelle mir vor, daß, wenn ich nun plötzlich wahnsinnig würde, all die verrückten Dinge die ich mir ausmale gewissermaßen tatsächlich geschehen würden. Geister, Kobolde, Tiger die nach den, über die Bettdecke hinausragenden, Füßen greifen. Langatmige Erzählungen. Ironiezwang.
In einem Film, dessen Name ich vergessen habe, gibt es einen Geist der gleichzeitig eine verführerische weibliche Radiostimme ist. Sie nennt sich 'die Nachteule', oder ähnlich. Möglicherweise eine Anspielung auf Lilith. Sie zieht Männer in ihren Bann und tötet sie, bzw. läßt sie sich selbst töten. Die Titelfigur (ein Saxophonspieler?) wird 'natürlich', typischerweise, durch die Liebe seiner Partnerin gerettet.
In diesem Wald gibt es allerdings wohl nichts dergleichen. Außer kleineren Tieren und mir gibt es wohl überhaupt nichts. Hm. Es existieren natürlich Dinge in mir. Dinge, die auf die schwarze Fläche der Nacht projeziert werden. Wie dieses Mädchen das nun, in einiger Entfernung, vor mir steht. Sie strahlt ein schwaches, weißes Licht aus. Bewegt sich nicht. Es ist vielleicht ein Irrtum, zu glauben, aus dem Nichts heraus eine interessante Geschichte schreiben zu können. Wie viele Möglichkeiten gibt es schon? Da sich die Erscheinung nicht bewegt, muß ich mich wohl bewegen. Oder fliehen. Für das Mädchen ist die Situation womöglich auch nicht so angenehm. Allein im Wald zu stehen. Auch Geister haben schließlich Gefühle. Möglicherweise. Normalerweise würde man sie allerdings eher in Häusern erwarten, bestenfalls auf einem Schiff. Wälder sind eher das Zuhause von... hm... Trollen, Feen, Elfen usw. Oder Räubern. Aber während ich diese Überlegungen anstelle, lasse ich das Mädchen unhöflicherweise warten. Ich gehe also einige Schritte in seine Richtung. Noch etwas näher. Ich beobachte, ob sie auf meine Bewegungen reagiert. Ihr Gesicht... das Mädchen hat langes Haar. Sie trägt ein altmodisches Kleid. Ein etwas unpraktisches Kleid. Coco Chanel hätte so etwas nicht entworfen. Unter dem Kleid liegt ein Geheimnis, aber sie ist so jung und halb durchsichtig. Selbst ein Fan der Band Placebo hätte in dieser Situation andere Gedanken. Ich starre das zarte Geschöpf an. Bin ich es, der etwas sagen sollte? Kann sie mich überhaupt wahrnehmen, oder schwingt sie auf einer anderen Ebene? Das hatte ich in einem Buch gelesen. Daß Geister in einer anderen, wohl höheren Frequenz schwingen. So können mehrere Welten am gleichen Ort existieren. Ich bin mir nicht sicher, ob das eine sehr überzeugende Erklärung ist. Im Traum braucht es freilich keine. Träumte ich? Daß man träumt merkt man zum Beispiel daran, daß man pinkelt und sich hinterher nicht erleichtert fühlt. Oder, daß man plötzlich fliegen kann.
'Hallo', sage ich vorsichtig, aber es ist kaum zu verstehen. Das Mädchen scheint... es bemerkt mich anscheinend. Es sieht in meine Richtung. Ich habe aber Angst? Warum laufe ich dann nicht weg? Umdrehen und laufen. In einem Computerspiel der einfacher gestrickten Art, müßte ich jetzt wohl eine Waffe ziehen und schießen. Seltsamer Gedanke. Ich nehme an, sie möchte mir etwas mitteilen. Warum sollte sie sonst hier sein? Am unteren Rand eines Bildschirms den es in dieser Geschichte nicht gibt ist eine Rune die wahrscheinlich Berkano heißt, irgendwas mit B jedenflls. Ich fürchte, ich spreche keine Geistersprache. In Internetsprache kann ein x einen Kuss darstellen. Ein x und ein o. Es hat nicht direkt mit der Geschichte zu tun, aber ich werde nun schnell die Toilette aufsuchen, etwas, das ich in der Geschichte nicht tun würde. Ich erwarte, daß in der zwischenzeit der Computer explodiert und ein Mitarbeiter des FBI an der Wohnungstür klopft.
Unsere Geschichte scheint ein wenig ins Stocken zu geraten. Vielleicht sollte ich in ein neues Szenario springen. Aber die Geschichte hat ja noch gar nicht richtig begonnen. Was immer das Flackern der Gestalt des Geistermädchens mir mitteilte, ich war, bzw. bin, ich komme mit den Zeiten durcheinander, mir sicher, daß es mein Verhalten beeinflussen wird. Ich gehe noch einen Schritt auf das Mädchen zu und berühre es vorsichtig.
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