Von ehrbaren,
höflichen und holdseligen Sitten
Aus italienischer Sprach
verteutscht,
Frankfurt 1597
Es ist eine ungereimte Gewohnheit
etlicher Leute,
mit ihren Händen,
an welchen Ort des Leibes sie gelüstet,
öffentlich auch unter die Kleider
zu greifen.
Überdies stehet es einem sittsamen,
ehrbaren Menschen nicht an,
dass er sich zu natürlicher Notdurft
in anderer Leute Gegenwärtigkeit rüste
und vorbereite,
oder nachdem er solches verrichtet,
sich in ihrer Gegenwärtigkeit
wiederum nestle
und bekleide.
Es soll sich auch einer vorsehen,
dass er nicht leichtlich singe,
zumal alleine,
wenn er noch dazu
eine übellautende
und unliebliche Stimme hat.
Davor hüten sich aber gar wenige;
ja, es läßet sich ansehen,
dass einer dasjenige
am meisten und liebsten tue,
dazu er von Natur
am wenigsten geschickt ist.
Auch findet man manchen,
der im Gähnen
gleich ein Wolfsheulen oder Eselgeschrei macht.
Ein anderer hält allezeit
das Maul offen
und will auch unter dem Gähnen
seine Rede vollführen
und bringet also eine Stimme
oder vielmehr ein Geheul hervor
wie ein Stammelnder.
Ja,
es soll sich ein sittsamer Mensch enthalten,
dass er auch darum nicht viel gähne;
dieweil sich's ansehen läßt,
es komme solch Gähnen
von einem Missfallen
und Verdruss,
das nämlich einer,
der so oft gähnet,
lieber an einem andern Ort sein wollte,
denn er da ist,
und dass die Gesellschaft,
dabei er ist,
samt derselbigen Unterredung und Weise
ihm zuwider und verdrießlich sei.
Es gehöret sich auch nicht,
wenn du die Nase gewischet hast,
dass du das Schnupftuch
voneinander ziehest und hineinguckst,
gleich als ob dir Perlen
oder Rubinen
vom Gehirn hätten abfallen mögen.
Was soll man von denen sagen,
die wir bisweilen sehen wie die Säue
mit dem Rüssel in der Suppe liegen
und ihr Gesicht
nicht einmal aufheben und ihre Augen,
viel weniger die Hände,
nimmermehr von der Speise abwenden?
Die alle beide Backen aufblasen,
gleich als ob sie in die Trompete bliesen
oder ein Feuer aufblasen wollten,
die nicht essen,
sondern fressen
und die Kost einschlingen,
die ihre Hände beinahe
bis an den Ellenbogen beschmutzen?
Man soll sich auch
von der Sitten enthalten,
die da etliche gebrauchen:
als die da zwischen den Zähnen singen,
oder mit den Fingern die Trommel schlagen,
oder die Schenkel hin und wider schlenkern.
Denn hiermit zeiget einer an,
dass er nach dem andern,
die allda zugegen sind,
gar nichts frage.
Überdies soll einer nicht so sitzen,
dass er einem andern den Rücken
oder Hinter zukehre;
noch einen Schenkel so hoch erheben,
dass etwa die Glieder des menschlichen Leibs,
so billig allezeit mit Kleider bedeckt
bleiben sollen,
möchten entblößet und gesehen werden.
Du sollst auch wissen,
obgleich zwei oder mehr Wörter
bisweilen ein Ding bedeuten,
wird doch das eine mehr Ehrbarkeit haben,
das andere weniger.
Als es läßet sich wohl reden:
»Er hat bei dem Weibe gelegen.«
Wenn man aber dieselbige Meinung
mit anderen deutlicheren Wörtern
würde hervorbringen,
würde dasselbe
unehrbar anzuhören sein.
So stehet es auch besser,
man sage:
»Diese oder jene Konkubine oder Buhlschaft«,
als »Beischläferin oder Hur«.
Doch stehet es einem Weibsbild
und einem sittsamen Mann wohl an,
wenn von losen Weiber zu reden ist,
dass sie die liebe Mariae Magdalenae Schwestern
als »lose Schandsäcke«,
»Mähren«
oder »Huren« nennen.
Deine Kleider sollen sein
nach dem Gebrauch der Kleidung,
die zu dieser Zeit
die Leute tragen
auch deinem Stand gemäß,
weil es in unserer Macht
nicht stehet,
die gemeinen Landsgebräuche
zu ändern;
sintemal dieselbigen mit der Zeit entstehen
und wiederum vergehen.
Wenn man vom Tisch aufstehet,
alsdann den Zahnstocher im Mund wegtragen
wie ein Vogel,
der ein Nest setzen will
oder ihn wie ein Balbierer
hinter die Ohren stecken,
ist kein höflicher Gebrauch.
Und was soll ich denn nun
von denen sagen;
die da aus ihrem Schreibstüblein hervortreten
mit der Schreibfeder hinterm Ohr?
Oder von denen,
die ihre Füße und Schenkel
auf den Tisch legen
und ausstrecken?
So sind da gar noch unzählige
Übelstände,
die von mir nicht alle können ausgeforschet,
viel weniger erzählet werden.
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