In Siegbach, da wohnen schon ganz andere Menschen, das muss ich schon mal sagen. Die ticken ganz anders - wie - das kann ich nicht sagen, jedenfalls haben sie ein ganz anderes Temperament.
Mit ungestümer Energie zupfen sie Blätter vom Baum oder blasen Trompete für den Kaiser Wilhelm. Eine Opfergemeinschaft bilden sie, in dem sie gemeinsam über das irrational Schlechte klagen.
Sie klagen, ohne es zu wagen, zu sagen, warum sie klagen. Schlaganfall, Herzinfarkt das sind alles keine Krankheiten mehr, an denen man stirbt. Heute klagen die Alten über die Heimunterbringung an der sie zugrunde gehen, weil der Familialismus auch auf dem Lande nicht mehr greift.
Längst werden die Alten auch hier nicht mehr gepflegt, institutionalisiert werden sie, sie stinken. Verdrängen muss man in diesem Lande die Vergangenheit um alles Alte neu und immer wieder von Neuem zu reproduzieren.
Man denkt, der Faschismus sei schon längst überwunden, das ist der neue alte Zeitgeist. Dabei sind wir teilweise mittendrin, umhüllt von autoritären Persönlichkeiten, die sich gegenseitig ersticken.
Manchmal ist es bitter sich in Welten in den Welten zu wagen, die nur aus Polaritäten bestehen. Langweilig sind diese Welten, ja sie schmerzen sogar. Man kann es vor Langeweile, Prüderie und Antisinnlichkeit nicht aushalten und greift dann auf andere Ventile zurück. Im positiven Falle kommt aus den Ventilen Kunst, Theater, Kreativität und Ausdruck, ja Subjekthaftigkeit. Im negativen Sinne erhalten wir erneute Monotonie.
Ein jämmerliches Spiel.
Siegbach! Siegbach ist nämlich nicht nur eine Gemeinde Mittelhessens, sondern auch ein Bächlein, welches durch sie hindurch fließt. Das Bächlein plätschert wunderschön, doch auch das Plätschern des Baches ist in den letzten Jahren bedrohlicher geworden.
Die Sinnflut vom Sommer 2007. An diese Sinnkrise wird man sich auch in Jahren noch erinnern können. Vielleicht hat der mephistopholus nun auch uns gepackt, dachten sie.
Eine alte Frau saß auf einem Stuhl an der ehemals gelben Telefonzelle und klagte über die sinnflutartigen Ströme, die ihr Heim durchspülten. Das meinte sie nicht nur sachlich, sondern auch szenisch: Angst hat diese Frau vor ihrer zukünftigen Existenz im Altenheim.
Sie ist so christlich, seltsam geworden im Alter. Nein, sie war schon immer seltsam. Entweder sie werden gaga oder aggressiv, traurig oder oder oder...
In Siegbach werden sie im Alter vor allem zahm und ängstlich. Zum Doktor rennen sie um mal an den Busen gefasst zu bekommen. Sex gestehen sie sich nicht ein und suchen Sinnlichkeit unter dem Deckmantel eines Arztbesuches. Sie haben einen Stock im After sitzen, patent ausgedrückt.
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