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p|usp|us schrieb am 1.4. 2002 um 16:06:51 Uhr über

schrödinger

Über Schrödingers Katze, geeignet auch für Nichtphysiker...

(von Douglas Adams)
....
»Habe ich, frage ich dich - und ich stelle die Frage für dich, weil ich weiß, daß du weißt, ich hasse es, unterbrochen zu werden -, habe ich einen einzigen Fall, der auch nur das winzigste Teilchen meines Intellekts beschäftigt, der, wie du mir kaum zu erklären brauchst, erstaunlich ist? Nein. Aber verzweifle ich deswegen? Bin ich niedergeschlagen? Ja. Bis«, setzte er hinzu, »heute
»Oh, schön das freut mich«, sagte Richard, »aber was sollte der Quatsch über Katzen und Quantenmechanik
Seufzend klappte Dirk mit einem einzigen Ruck seiner geübten Finger den Deckel der Pizza auf. Geradezu traurig betrachtete er das kalte runde Ding, dann riß er sich ein großes Stück davon ab. Pepperoni- und Anchovistückchen verteilten sich über seinen Schreibtisch.
»Ich bin sicher, Richard«, sagte er, »dir ist der Begriff 'Schrödingers Katze' bekannt« und stopfte sich den größeren Teil des Pizzastücks in den Mund.
»Natürlich«, sagte Richard. »Na ja, ziemlich bekannt
»Worum geht'ssagte Dirk mit vollem Mund.
Richard rutschte nervös auf seinem Platz herum. »Sie ist ein Beispiel«, sagte er, »für das Prinzip, daß auf einem Quantenniveau alle Vorgänge von Wahrscheinlichkeiten bestimmt sind...«
»Auf einem Quantenniveau, und darum auf allen«, unterbrach Dirk. »Allerdings ist auf jedem Niveau, das höher als das subatomare ist, die Gesamtwirkung dieser Wahrscheinlichkeiten im Normalverlauf der Vorgänge ununterscheidbar von der Wirkung unumstößlicher und fester physikalischer Gesetze. Fahre fort
Er steckte sich noch mehr kalte Pizza ins Gesicht.
Richard dachte, in Dirks Gesicht sei wirklich schon allzuviel hineingesteckt worden. Teils dadurch, teils durch die Mengen, die er redete, herrschte fast Dauerbetrieb in seinem Mund. Seine Ohren dagegen blieben bei einer normalen Unterhaltung fast völlig unbenutzt.
Richard kam der Gedanke, wenn Lamarck recht hätte und man nähme in Dirks Verhalten über mehrere Generationen ein durchgehendes Prinzip an, dann bestünde die Aussicht, daß schließlich eine radikale Umorganisation im Innern des menschlichen Schädels eintrete.
Richar fuhr fort: »Nicht nur sind die Vorgänge auf einem Quantenniveau durch Wahrscheinlichkeiten bestimmt, sondern diese Wahrscheinlichkeiten lösen sich auch solange nicht in Vorgänge auf, bis sie gemessen werden. Oder um eine Formulierung zu benutzen, die ich dich eben in einem ziemlich bizarren Zusammenhang verwenden hörte, der Akt des Messens bringt die Wahrscheinlichkeits-Wellenform zum Zusammenbrechen. Bis zu diesem Punkt bestehen alle möglichen Handlungsweisen, die einem, sagen wir mal, Elektron offenstehen, als Wahrscheinlichkeits-Wellenformen gleichzeitig nebeneinander. Nichts ist entschieden. Bis es gemessen wird
Dirk nickte. »Mehr oder weniger«, sagte er und nahm noch einen Happen. »Aber was ist mir der Katze
Richard kam zu dem Schluß, es gebe nur eine Möglichkeit, nicht zusehen zu müssen, wie Dirk sich durch den ganzen Rest der Pizza durchfräße, und die war, selber den Rest zu essen. Er rollte ihn zusammen und knabberte andeutungsweise an dessen Ende. Die Pizza war ziemlich gut. Er biß noch einmal ab. Dirk beobachtete das überrascht und erschrocken.
»Also«, sagte Richard, »die Idee hinter Schrödingers Katze war, daß man sich eine Möglichkeit vorzustellen versuchte, in der die Auswirkungen eines wahrscheinlichen Verhaltens auch auf einer makroskopischen Ebene nachvollziehbar wären. Oder sagen wir mal: auf einer alltäglichen Ebene
»Ja, sagen wir das mal«, meinte Dirk, der dem Rest der Pizza einen verzweifelten Blick hinterherschickte. Richard biß noch mal ab und redete fröhlich weiter.
"Man stelle sich also vor, man nimmt eine Katze und setzt sie in eine Kiste, die man dicht verschließen kann. In die Kiste tut man außerdem einen kleinen Brocken radioaktives Material und ein Fläschchen Giftgas. Man richtet alles so ein, daß innerhalb einer bestimmten Zeitspanne die Chance genau fünfzig zu fünfzig steht, daß in dem radioaktiven Stoff ein Atom zerfällt und ein Elektron aussendet. Wenn es zerfällt, setzt es das Gas frei und tötet die Katze. Wenn nicht, bleibt die Katze am Leben. Fünfzig zu Fünfzig. Abhängig von der fünfzig zu fünfzig stehenden Möglichkeit, daß ein einzelnes Atom zerfällt.
Der springende Punkt, so wie ich ihn sehe, ist folgender. Da der Zerfall eines einzelnen Atoms ein Vorfall auf einem Quantenniveau ist, der weder auf die eine noch auf die andere Weise zu analysieren ist, solange er nicht beobachtet wurde, und da man die Beobachtung erst machen kann, wenn man die Kiste öffnet und nachsieht, ob die Katze noch lebt oder tot ist, ergibt sich daraus eine recht ungewöhnliche Konsequenz.
Bis man die Kiste öffnet, befindet sich die Katze selbst in einem unbestimmten Zustand. Die Möglichkeit, daß sie noch lebt, und die Möglichkeit, daß sie tot ist, sind zwei verschiedene Wellenformen, die sich in der Kiste überlagern. Schrödinger kam auf diesen Gedanken, um zu illustrieren, was ihm an der Quantentheorie absurd erschien."
Dirk stand auf und latschte zum Fenster hinüber, wahrscheinlich weniger wegen der kümmerlichen Aussicht, die es auf ein altes Lagerhaus bot, in dem ein alternativer Schauspieler seine ungeheuren Honorare, die er für Bierreklamen bezog, in Luxuswohnungen verwandelte, als wegen der fehlenden Aussicht, die es auf das letzte verschwindende Stück Pizza bot.
»Genau«, sagte Dirk, »bravo
»Aber was hat das alles mit diesem - Detektivbüro zu tun
»Ach, das. Also, ein paar Wissenschaftler führten einmal so ein Experiment durch, aber als sie die Kiste aufmachten, war die Katze weder am Leben noch tot, sondern sie war einfach nicht da, und sie riefen mich, um sie zu suchen. Es gelang mir herauszubekommmen, daß gar nichts sehr Dramatisches geschehen war. Die Katze hatte es bloß satt gehabt, immer wieder in eine Kiste gesperrt und gelegentlich vergast zu werden, und hatte die erstbeste Gelegenheit ergriffen, sich durchs Fenster abzusetzen. Für mich war es die Arbeit einer Minute, ein Schälchen Milch an das Fenster zu stellen und mit Lockstimme 'Berenice' zu rufen - die Katze hieß nämlich Berenice, verstehst du
»Halt, Moment mal -«, sagte Richard.
»- und wenig später war die Katze wieder da. Eine ganz simple Geschichte, aber auf gewisse Kreise machte sie offenbar gehörigen Eindruck, und bald führte eins zum anderen, wie das so ist, und alles gipfelte schließlich in der blühenden Karriere, die du vor dir siehst
»Moment mal, Moment mal«, beharrte Richard und schlug mit der Hand auf denTisch.
»Jafragte Dirk harmlos.
»Also, was redest du da eigentlich Dirk
»Hast du Probleme mit dem, was ich dir erzählt habe
»Mann, ich weiß kaum, wo ich anfangen soll«, protestierte Richard. »Okay. Du hast gesagt, ein paar Leute hätten das Experiment durchgeführt. Das ist doch Unsinn. Schrödingers Katze ist kein richtiges Experiment. Sie ist nur ein Denkmodell, damit man über die Idee diskutieren kann. Man tut das nicht wirklich
Dirk betrachtete ihn mit merkwürdiger Aufmerksamkeit.
»Ach, tatsächlichsagte er schließlich. »Und warum nicht
»Na ja, es gibt nichts daran zu experimentieren. Der ganze Zweck dieser Idee ist, darüber nachzudenken, was geschieht, ehe man seine Beobachtung macht. Man kann nicht wissen, was in der Kiste passiert, ohne daß man nachsieht, und im selben Moment, wo man nachsieht, bricht das Wellenbündel zusammen, und die Wahrscheinlichkeiten lösen sich auf. Damit fällt man sich selber in den Arm. Es ist völlig sinnlos
»Was das angeht, hast du natürlich vollkommen recht«, erwiderte Dirk, der sich wieder auf seinen Stuhl setzte. Er holte eine Zigarette aus dem Päckchen, tippte damit mehrere Male auf den Schreibtisch, lehnte sich dann nach vorn und streckte Richard den Filter entgegen.
»Aber überleg mal«, fuhr er fort. »Angenommen, du führtest ein Medium, jemanden mit hellseherischen Fähigkeiten , in das Experiment ein - jemanden, der, ohne die Kiste zu öffnen, genau vorhersagen kann, in welchem Zustand sich die Katze befindet. Jemand, der vielleicht ein geradezu gespenstisches Mitgefühl mit Katzen hat. Was dann? Könnte das nicht zusätzliche Aufschlüsse über das Problem der Quantenphysik liefern
»Wollten sie das tun
»Das haben sie getan
»Dirk, das ist kompletter Blödsinn
Dirk zog provozierend die Augenbrauen hoch.
»Okay, in Ordnung«, sagte Richard und hielt die geöffneten Hände in die Höhe, »gehen wir die Sache einfach ganz bis zum Ende durch. Selbst wenn ich akzeptiere - was ich keine Sekunde lang tue -, daß es irgendeine Grundlage für die Hellseherei gibt, sie würde nichts an der fundamentalen Nichtausführbarkeit des Experiments ändern. Wie ich bereits sagte, die ganze Geschichte dreht sich darum, was in der Kiste passiert, ehe man es sich ansieht. Es ist egal, wie man es sich ansieht, ob man mit seinen Augen in die Kiste guckt oder - na ja, mit dem Geist, wenn du so willst. Wenn die Hellseherei funktioniert, dann ist sie bloß eine andere Art, in die Kiste zu gucken, und wenn nicht, dann ist es natürlich sowieso unerheblich
»Das könnte selbstverständlich von der Einstellung abhängen, die man zur Hellseherei hat...«
»Ach ja? Und welche Einstellung hast du zur Hellseherei? Das würde ich wirklich sehr gerne wissen, angesichts deiner Geschichte
Dirk tippte mit der Zigarette wieder auf den Schreibtisch und blickte Richard mit zusammengekniffenen Augen an.
Es trat ein langes, tiefes Schweigen ein, das nur durch weit entferntes Geschrei auf französisch gestört wurde.
»Ich habe die Einstellung, die ich schon immer dazu hatte«, sagte Dirk schließlich.
...



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