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mcnep schrieb am 16.1. 2005 um 13:15:41 Uhr über

schmelzen

Falls ich da nicht einer gezielten Mythenbildung eines ihrer in Indien nach Millionen zählenden Anhänger aufgesessen bin, wurde die Gesangsstimme der indischen Sängerin Lata Mangeshkar in der Royal Albert Hall aufgezeichnet und computertechnisch archiviert, da eine wie auch immer zusammengesetzte Kommission entschieden hat, daß ihre Stimme als die perfekteste der Welt zu gelten hat. Das betrifft Aspekte wie Intonationssicherheit, Skalentreue, Phrasierung, Tempo und Taktmaß, kurz, das Handwerk des Gesangs. Aber es geht eben auch über das Handwerk hinaus, da könnte es jetzt diffus neoplatonisch werden, aber ihr Gesang hat auch eine seelische Dimension. Von all diesen Informationen war ich unberührt, als ich auf einem Langstreckenflug mangels vernünftiger Alternativen den indischen Radiokanal einschaltete, ich war der Inkaflöten herzlich müde. Ziemlich zu Anfang spielte die Moderatorin zwei Stücke, gesungen von Lata Mangeshkar. Ich konnte weder diesen Namen verstehen, geschweige denn den Titel der Stücke, das Englisch der Ansagerin war gewöhnungsbedürftig. Aber daß es Musik aus einem Film namens Pakeezah war, das hatte ich verstanden. Ich war schlagartig dieser Stimme verfallen, nun ist indische Musik ohnehin ein ausgesprochen süßer Seim, das geht ja meistens runter wie Lassi, das hängt auch mit dem Fehlen von Polyphonie und vertikaler Harmonik zusammen, hier spielen eben Zählmaße und Tonskalen die wichtige Rolle, aber das zum Beispiel von vielen Klassikhassern als so schwer nachzuvollziehend empfundene Nebeneinander verschiedener Stimmen fehlt. Aber da war noch mehr in dieser Stimme, das war ein ähnlicher Schock wie damals meine erste Begegnung mit Karl Erb. Ich habe 14 Stunden lang nur dieses indische Musikprogramm gehört, das in einer zweistündigen Schleife lief, irgendwann wußte ich ungefähr, um welche Uhrzeit Lata zu hören sein würde, so daß ich zwischendrin mal Pause machen konnte, aber auch nur eine Wiederholung zu verpassen, der Gedanke wäre mir schrecklich gewesen. Akustischer Crack war das, einmal gehört, abhängig, zack, so schnell geht das. Nach einigen Schwierigkeiten, die von meiner rein phonetischen Kenntnis des Films Pakeezah herrührten, gelang es mir, ihn ausfindig zu machen, gerade mal 18 Euro bei ebay UK. Ich hätte auch das zigfache dafür bezahlt. Dadurch weiß ich jetzt also, daß diese Frau, diese Nachtigall, die mich längst verhärteten Mandarin zum Weinen gebracht hat, Lata Mangeshkar heißt, und sollte ich in der Stunde meines Todes mehr Callasals Mangeshkarplatten besitzen, ich verließe die Erde mit dem Gefühl, als schwuler Mann etwas falsch gemacht zu haben.


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