armen Staaten nicht nur einen materiellen Mangel an Lebensmöglichkeiten. »Auch die soziale Einbindung, die Möglichkeit, sich in Staat und Gesellschaft Gehör zu verschaffen, sind unter den Bedingungen der Armut eingeschränkt.«6
Diese Darstellung der globalen Armut hat sich weltweit eingebürgert, ist aber höchst fragwürdig. Erstens wird hier so getan, als gebe es in den reichen Industrieländem keine Armut. Die Armut in Deutschland beispielsweise, wie sie im Bericht der Bundesregierung so minutiös beschrieben wird, bleibt in den Berichten von Weltbank und UNO völlig unberücksichtigt. Sollte dies nicht erstaunen? Denn die Regierungen alter reichen Industriestaaten führen seit Jahrzehnten genaue Armutsstatistiken. Die USA und Kanada etwa tun dies genauso wie die Mitgüedsstaaten der »Europäischen Union«. Danach beträgt der An-
teil der Armen an der Bevölkerung in Deutschland 13 Prozent, in
den USA 13,7 Prozent, in Kanada 17,8 Prozent, in Großbritan-
nien 20 Prozent, in Italien 17 Prozent und in Frankreich eben-
falls 17 Prozent. 7 Beim Blick auf die Armut in der Welt wird also
von den bestimmenden Organisationen die Armut in den reichen
Staaten ausgebtendet. Hier herrscht ein gespattener Blick.
Das pauschale Zweitens ist das Armutskriterium für die Entwicklungsländer,
1-$-Einkommen also das Pro-Kopf-Einkommen von einem bzw. zwei Dollar pro
als untaugliches Tag, willkürlich und reaätätsuntauglich. Es wird nicht gefragt,
Maß was die armen Menschen in so verschiedenen Ländern und Städ-
ten wie Bangladesch, Indien, Niger und Buenos Aires für Essen,
Wohnen und soziale Dienste ausgeben müssen und wie die Le-
bensbedingungen in verarmten Dörfern und städtischen Stums
aussehen. Gerade bei so minimalen Einkommen von ein paar
hundert Dollar pro Jahr können konkrete Umstände wie Gemü-
sepreise und Erreichbarkeit eines Arztes schon den Unterschied
zwischen Tod und Leben ausmachen. Und selbstverständlich ist
es ein Hohn, wenn Menschen mit einem Tageseinkommen ab
2,01 Dollar nicht mehr als arm bezeichnet werden. Eine sichere
Behausung, ausreichende Ernährung und Kleidung, Strom, sau-
beres Trinkwasser, Anschluss an Kanalisation und Internet, eine
Kühlantage für Lebensmittel, Busfährten, Schulbesuch, eine re-
gelmäßige Informationsquelle, medizinische Versorgung - sol-
6 Ebd., S. 21
7 Michel Chossudovsky: Gtobal brutal. Der entfesselte Wetthandet, die
Armut, der Krieg, Frankfurt/Main 2002, S. 53
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che elementaren, minimalen Voraussetzungen würdigen Lebe sind auch für 900 Dollar im Jahr wohl nirgends zu haben.
Der gespaltene Blick auf die globale Armut mit Hilfe des E und Zwei-Dollar-Kriteriums erweist sich drittens dadurch, dass auf einer ganz anderen Methode der Armutserfässung beruht, a sie für die reichen Staaten gilt. Das Kriterium gilt ohne B auf den Lebensstandard des jeweiligen Landes. In Deuts dagegen gilt eine Person als arm, wenn sie weniger als die H des erreichten Durchschnittseinkommens von Lohn- und G hattsempfängem zur Verfügung hat. Das sind gegenwärtig 50 Euro pro Monat.8 Armut wird hier am Lebensniveau der übn'ge Bevölkerung gemessen. Nach dieser Messmethode wird in de reichen Industriestaaten insgesamt verfahren. So lag Mitte de 1990er Jahre in den USA die Armutsschwelle bei einem Jahres einkommen von 16.036 Dollar für eine vierköpfige Familie, als 11 Dollar pro Tag und Person.9
Würden die Messmethoden"', die in den reichen Staaten fü die Erfassung und Definition der eigenen Armut gelten, auch au die Entwicklungsländer angewandt, »müsste die überwältigend Mehrzahl der Weltbevölkerung als arm eingestuft werden.«' Aber das Ausmaß der Armut wird >heruntergespielt<. Die metho disch-definitorische Ebene spiegelt dabei die politische Eben wider, auf der der Mehrheit der Menschen die vollen Menschen rechte verweigert werden. Das bedeutet gleichzeitig, dass es de Menschheit unmöglich gemacht wird, sich ein wahrheitsgemäßes Bild von sich selbst zu machen.
in unserer Welt muss aus universellem, menschenrechtlichem Anspruch ohnehin ein einziges Annutskriterium gebildet werden. Erst dann wird das wirkliche Ausmaß der Armut deutlich; aber das wollen die Globalisten, die die gegenwärtig vorherrschende Form der kapitalorientierten Globatisierung vorantreiben, Oberhaupt nicht.
8 1 Walter Hanesch u.a.: Armut und Ungleichheit in Deutschland, Reinbek 2000
9 1 US Bureau of the Census: Poverty in the United States 1996, Washington 1997, S. 7
10 1 Zum Problem des Messens Oberhaupt siehe Band 2 der »Bibliothek dialektischer Grundbegriffe«, Renate Wahsner: Naturwissenschaft, Bielefeld '2002, S. 17 ff.
11 1 Michel Chossudovsky: Gtobal brutal, a.a.O., S. 57
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