>Info zum Stichwort primus | >diskutieren | >Permalink 
Freno schrieb am 15.12. 2020 um 21:03:34 Uhr über

primus

9. Klasse Gymnasium. Ein wegen seines autoritären Gebarens und seiner hohen Ansprüche allgemein verhasster Mathe-Lehrer gibt eine Klassenarbeit zurück. Die Stimmung im Klassenzimmer entspricht dem Führerbunker am 30.4.45. Zuerst der »Klassenspiegel«:

»Eine Eins, keine Zwei, keine Drei, zwei Vierer - der Rest Fünfer und Sechser ... die Arbeit wird selbstverständlich wiederholt. Freno - wenn Du keine Lust hast, brauchst Du die Wiederholung natürlich nicht mitzuschreiben.«

Die einzige Eins, das war ich. Ich schrieb immer nur Einsen - auch bei den schlimmsten Lehrern und in den ekligsten Fächern. Meine Zeugnisse bestanden seit dem Jahreszeugnis der 7. Klasse nur aus Einsern - nur in Sport hatte ich als Asthmatiker ne Sechs, aber die zählte ja nicht für den Schnitt: Eins Komma Null.

»Ey Freno - machst Du eigentlich noch was anderes, ausser lernen ?!« furzte mich mal einer der grenzdebilen Arschlöcher an, die von allen ausser mir »meine Mitschüler« genannt wurden. Ich hatte keine Mitschüler - nur Gegenschüler. »Ich lerne nichtsagte ich tonlos. Der Typ zeigte mir den Vogel und wandte sich ab.

In einer dieser furchtbaren Mathe-Klassenarbeiten stand mal »Genialmit Rotstift am Rand. Jener gefürchtete Lehrer erklärte vor der Klasse, daß Freno irgendeinen »Satz« der sphärischen Trigonometrie in einer Weise bewiesen hätte, die ihm selbst unbekannt gewesen wäre. Er hätte in der Fachliteratur nachschlagen müssen. Daran sollten sich die Idioten mal ein Beispiel nehmen !

Wozu sollte ich den Beweis aus dem Schulbuch auswendig lernen sollen ? Dazu war ich viel zu faul - aber mein Intellekt hatte eben 400 PS im Alltagsmodus, wenn ich mich für was interessierte, schaltete der Kompressor zu und dann drückte ich 600 PS und 480 Nm auf die Straße bzw in die Klassenarbeit. Beweise von »Sätzen« in Mathe konnte ich jederzeit führen, Vokabeln in »Late« (für Subabiturienten: Latein), die ich nicht kannte, konnte ich mir aus dem Zusammenhang ausrechnen.

Der Hormonschub der Pubertät fand den »Normalkanal der Sexualität verschlossen« (Freud) und schuf sich Entladung in der Intellektualität, die - ebenfalls nach Freud - ein »parasexueller Reiz« ist. Das wußte ich natürlich damals nicht. Ich wußte selbst nicht richtig, wie mir geschah, irgendwie war es »normal« für mich. Und mit jenem Anti-Pädagogen in Mathe war ich mir über meine »Mitschüler« einig: das waren nichts als Deppen. Und meine Lehrer waren meine einzigen Gesprächspartner gewesen, die halbwegs mit mir mithalten konnten ... wenngleich sie zuweilen in ihrer Fachliteratur nachschlagen mußten.

Um mich herum lag eine Eiswüste - ich war der einsamste Mensch der ganzen Schule, der »Jahrgangs-Primus«. Es half nichts, daß ich »sozial« war: jeder konnte meine Hausaufgaben abschreiben, die Sitzenbleiber durften von mir bei Klassenarbeiten abschreiben - wenn es von den Paukern, oftmals augenzwinkernd, geduldet wurde. Andere, wie jener Mathe-Anti-Lehrer, setzten mich bei Klassenarbeiten in eine einzelne Bank direkt vor ihm. Eine Klassenarbeit dauert 45 Minuten. Nach 20 Minuten gab ich regelmässig ab und musste dann rausgehen. Das war damals Vorschrift. Die anderen schwitzten Blut und Wasser, wurden nicht fertig, und Freno spazierte draussen auf dem Hof rum. Freno »an sich« hielt ihnen unbarmherzig den Spiegel vor: »Wir sind doofund deswegen hassten sie mich. Als in der Oberstufe das Kurssystem begann, wurde ich in jedem neuen Kurs mit »Oh Gott ! Nein ! Freno ! Verpiss Dichbegrüßt.

Ich hätte auf ein Hochbegabten-Gymnasium gehört. Nicht um noch schlauer zu werden - sondern um Mitschüler zu haben, Menschen zum reden, »was unternehmen zusammen«, kuscheln, liebhaben. Statt dessen gab es für mich nur feindseelige Halbaffen, wie die Römer im Asterix-Heft: bösartig, aber doof - doof, aber bösartig.

Das war Frenos Jugend - die Schlimmste Zeit meines bewußt erinnerten Lebens. Das es eine noch viel schlimmere Kindheit gab, in der jener »Hauptkanal der Sexualität« vernagelt worden war, habe ich erst 40 Jahre später in der Psychoanalyse wieder erinnert. Tja - »Schicksal - wohin man auch blickthat der Helmut Mischurke aus Schmalkaden immer gesagt.


   User-Bewertung: /
Erfahrungsgemäß zeigt sich, dass Assoziationen, die aus ganzen Sätzen bestehen und ohne Zuhilfenahme eines anderen Textes verständlich sind, besser bewertet werden.

Dein Name:
Deine Assoziationen zu »primus«:
Hier nichts eingeben, sonst wird der Text nicht gespeichert:
Hier das stehen lassen, sonst wird der Text nicht gespeichert:
 Konfiguration | Web-Blaster | Statistik | »primus« | Hilfe | Startseite 
0.0090 (0.0017, 0.0060) sek. –– 850382014