Ich war vor einigen Jahren bei einem Symposium in Bayern, wo es um diese Freundschaften zwischen Jungen ging. Dort ist eine Schulklasse gewesen, eine Art Vorführklasse, die nach ihrer Meinung gefragt wurde: „Sagt mal, wie seht ihr das, dass sich die zwei Jungen einen Kuss geben?“ Die Jungen reagierten mit Stillschweigen, die Mädchen aber sagten: „Unter uns ist so etwas üblich. Das ist nichts Schlechtes, sondern sogar etwas sehr Schönes.“ Die Jungen blieben weiterhin stumm. Nach mehrmaliger Aufforderung stand dann doch einer auf, das muss der Klassenprimus gewesen sein, und sagte: „So etwas kennen wir nicht.“ Nachfrage: „Warum kennt ihr das nicht? Wollt ihr das nicht?“ „Ha, mögen täten wir schon, aber dann sind wir ja gleich schwul.“ Jungen haben cool zu sein, Zärtlichkeit scheint eben heutzutage in eine Jungenfreundschaft nicht hineinzugehören. Ich kann bestätigen, dass es früher so etwas gab – zu meiner Zeit – auch bei mir. Wir hatten den ganz großen Vorteil, dass wir von Homosexualität keine Ahnung hatten, wir wussten ja gar nicht, was das ist. Ein heutiges Kind von elf Jahren kann mich über Masochismus und was weiß ich nicht alles aufklären, das kennt sich besser aus als ich – das ist heute halt so üblich. Sicherlich ist es nicht schlecht, wenn man Bescheid weiß, aber ich bin mir fast sicher, dass dieses Wissen vieles unmöglich macht und verdirbt. (Aus: Lesezeichen – Mitteilungen des Lesezentrums der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, Heft 9/2001, S. 9–32)
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