Fraglos war die Autofahrt der gestrigen Nacht eine der schwierigsten der vergangenen Jahre. Es goß wie aus Eimern, als ich Onkel Leo und Tante Charlotte spät abends nach E. zurückfuhr. Die beiden 80jährigen waren aufgekratzt vom ungewohnten Grappa und das Navigationssystem des neuen Autos versetzte sie in ein ähnliches Erstaunen, wie es Catweazle bei einer Glühbirne empfunden hätte. Für mich war es die erste Schwerwetterfahrt mit der Kiste, und neben anderem bemerkte ich eine ungute Rechtstendenz des Wagens, die ich auch spätestens morgen reklamatorisch beim Autoverkäufer anzumahnen gedenke. Trotzdem, die Hinfahrt ging gerade noch so, aber zurück wurde es ein echter Stress, selbst 110 Kilometer schienen noch zu schnell. Und im Radio, auf WDR3 Klassik, erscholl ein ausgesprochen unangenehmes Stück einer zeitgenössischen Hörinstallationskomponistin, es war nicht zum aushalten. Also auf WDR1, den angeblich so frischen Sender gewechselt, und die erste Minute eines extrem modernen House-, Hiphop-, Techno-, Schranz-, oder wie immer diese Stilrichtung gerade heißen mag, faszinierte ob der hochwertigen Bosebeschallung doch ungemein. Irgendwie kam mir das Stück sogar bekannt vor, und irgendwann merkte ich, daß es sich um den Remix eines Erfolges der 80er - Jahre-Ikone Ann Clarke handelte: 'Sleeper in Metropolis'. Nach kurzer Zeit des Hörens merkte ich jedoch, daß ich weder für klimatische Ausnahmesituation noch die Extremformen der zeitgenössischen Tanzmusik geschaffen bin, insbesondere nicht in der Kombination beider Gegebenheiten. Die kalte, kalkulierte und knallharte Musik kontrastierte extrem zu meinem überforderten Geist, dem das Graben nach optischen Orientierungen auf der regenschlierenvergitterten Fahrtroute zunehmend Probleme bereitete. Ich meine sogar, begünstigt durch die Musik einen Blutdruckanstieg wahrgenommen zu haben. Sicher ein erstrebenswerter Effekt in einer exstasydurchschüttelten Nacht inmitten zuckender Leiber, doch an Bord eines Geschoßes der mittleren Oberklasse, sei es auch noch so airbagunterfüttert, verstärkte es das zunehmende Gefühl einer platzängstlichen Panik auf das Unguteste. Auch das Umherschalten zwischen WDR2, -4 und dem Deutschlandradio erzielte nur unbefriedigende Resultate, bis mich schließlich nach panischem Kramen im Handschuhfach das Violinkonzert op. 77 von Johannes Brahms, dargeboten vom späten David Oistrach, erlöste und schlußendlich sicher nach Hause geleitete. Dort angekommen habe ich zur Vermeidung ähnlicher Rückkopplungseffekte umgehen EinsLive aus unserem Senderspeicher gelöscht.
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