Stillstand und
Aussichtslosigkeit
Lesen Sie den CIA-Bericht noch einmal!
Florian Rötzer 10.02.2003
Auch die britischen und amerikanischen Geheimdienste scheinen mit der Politik
ihrer Regierungen und der Konstruktion von Beweisen für einen Irak-Krieg
nicht mehr einverstanden zu sein
Die US-Regierung hat, seitdem Bush erklärte, dass das Spiel aus sei, also der Krieg vor
der Türe steht ( Das Spiel ist aus), das Angriffsrisiko auf die zweithöchste Stufe
heraufgesetzt. Angeblich gebe es Hinweise auf mögliche Anschläge mit biologischen und
chemischen Waffen. In Wirklichkeit zeigt sich daran, wie der Krieg gegen den
Terrorismus, dessen nächstes Ziel der Irak ist, die Gefahren, die er bekämpfen will, nur
weiter anschürt. Selbst ehemalige CIA-Angestellte warnen nun die US-Regierung vor
den wahrscheinlichen Folgen ihres kurzsichtigen Tuns.
Es ist wahrscheinlich schon eine gewisse Premiere, dass Geheimdienste sich ihren
kriegswilligen Regierungen mehr oder weniger offen entgegen setzen. In Großbritannien hat,
sonst ein Vorrecht eher der politischen Instanzen, der Geheimdienst der BBC ein Dokument
des Defence Intelligence Staff (DIS) zukommen lassen, in dem bekräftigt wird, dass es keine
nachweisbaren Verbindungen zwischen dem Irak-Regime und al-Qaida gebe und solche auch
aus ideologischen oder religiösen Gründen nahezu auszuschließen seien. Offenbar widersetzt
man sich dem Ansinnen der Regierung, Fakten zu erfinden, um den Krieg gegen den Irak mit
dem Krieg gegen den Terrorismus zu verbinden.
Die Regierung macht dies dann selbst und gibt einen Bericht heraus, der sich auch auf
Geheimdienstinformationen stützen soll, aber weitgehend von Artikeln im Internet
abgeschrieben wurde, ohne die Quellen des Dokuments zu nennen ( Geheime
Cut-and-Paste-Informationen). Mit dem schlampig zusammengestellten Plagiat hat die
Glaubwürdigkeit der von den Pro-Kriegs-Regierungen beigebrachten »Beweise« gelitten -
oder sollte dies zumindest.
Doch schon Ende des letzten Jahres hatte der amerikanische CIA sich ähnlichen Weisungen
des Weißen Hauses eher widerwillig gebeugt und einen Bericht zur Lage im Irak verfasst,
der zwar auf Drängen des demokratischen Senators Bob Graham, der Vorsitzende des
Geheimdienstausschusses, teilweise veröffentlicht, aber kaum von den patriotisch
eingestellten Medien beachtet wurde ( Sturz Husseins durch Oppositionelle
unwahrscheinlich). Darin nämlich kamen die Behauptungen der Bush-Regierung schlecht weg,
auch wenn in der Zusammenfassung der öffentlichen Version behauptet wird, dass der Irak
weiterhin Massenvernichtungswaffen besitzt und entwickelt. Im Bericht werden diese
Tatsachenbehauptungen aber nur als wahrscheinlich oder möglich bezeichnet. Von einer
unmittelbaren Bedrohung ist jedenfalls nicht die Rede.
Senior members of Iraqi intelligence and al Qaeda have met at least eight times
since the early 1990s. Iraq has sent bomb-making and document forgery experts to
work with al Qaeda. Iraq has also provided al Qaeda with chemical and biological
weapons training. And an al Qaeda operative was sent to Iraq several times in the
late 1990s for help in acquiring poisons and gases. We also know that Iraq is
harboring a terrorist network headed by a senior al Qaeda terrorist planner. This
network runs a poison and explosives training camp in northeast Iraq, and many of
its leaders are known to be in Baghdad.
US-Präsident Bush wendet in seiner Rede vom 8.2. 2003 Vermutungen in
Tatsachenbehauptungen
Das Netzwerk der angeblichen al-Qaida-Gruppe im
Nordirak
Der Sprengstoff aber lag im nicht-öffentlichen Teil des Berichts. Dort heißt es nicht nur, es sei
unwahrscheinlich, dass jemand aus dem inneren Kreis um Hussein sich gegen ihn erheben
würde. Darauf setzte damals noch die US-Regierung, wie sie jetzt offenbar noch immer hofft,
dass Hussein ins Exil gehen könnte, wodurch man einen kampflosen Sieg erreichen würde.
Dass die Gruppe mit angeblichen al-Qaida-Kontakten im von Kurden kontrollierten Nordirak
das Regime direkt mit al-Qaida verbinden würde, sei unwahrscheinlich. Auch für die Lage
einer Nach-Hussein-Regierung hält der Bericht fest, dass es sehr darauf ankommen wird, wie
Saddam »die Bühne verlässt«, aber dass die neue Regierung große Schwierigkeiten
bewältigen müsse, um Stabilität zu erreichen. Nicht nur würden die vielen ethnischen
Gruppen eine größere Autonomie fordern, die Jahrzehnte dauernde Diktatur hätte auch den
Irakern jede Möglichkeit verwehrt, demokratische Traditionen der Konsensbildung
aufzubauen.
Zudem schloss der deswegen offenbar sicherheitshalber verschlossen gehaltene Bericht
damit, dass die CIA die Wahrscheinlichkeit eines Einsatzes von Massenvernichtungswaffen
durch Hussein, sollte er überhaupt welche besitzen, als »sehr gering« für die "vorhersehbare
Zukunft" einschätzte. Nur wenn Hussein angegriffen würde, könne es sein, dass er als letzten
Ausweg solche Waffen verwenden oder sie Terrorgruppen übergeben könnte.
"Nach unserer Ansicht würde eine Invasion des Irak die Ausbildungslager für Terroristen
mit Rekruten für eine unbestimmte Zukunft überfluten. Weit entfernt davon, die Bedrohung
auszulöschen, würde sie diese exponentiell vergrößern."
Dieser durchaus realistischen Einsicht in die US-Politik einer sich selbst erfüllenden
Prophezeiung, die aber möglicherweise innen- und außenpolitisch ihren Zweck erfüllen
könnte, die eigenen Bürger und die Regierungen der anderen Staaten durch Angst zusammen zu
schmieden, haben sich jetzt ehemalige CIA-Mitarbeiter angeschlossen. Sie warnen in einem
Memorandum an den Präsidenten davor, dass ein Krieg den Konflikt zwischen dem Westen
und den islamischen Ländern nur noch vergrößern und auch die Terrorismusgefahr weiter
fördern würde.
"Der Präsentation von Außenminister Powell bei den Vereinten Nationen fehlt der Kontext.
Wir geben ihm eine 1 für das Sammeln und Aufzählen der Anklagepunkte gegen den Irak,
aber nur eine 2- für die Darlegung von Kontext und Perspektive."
Die Bush-Regierung wird aufgefordert, den Bericht noch einmal zu lesen, da deren
militärische Strategie nicht die Quellen des Hasses gegen die USA berücksichtige, weswegen
die hinter dem Terrorismus liegenden Ursachen auch nach einem erfolgreichen Krieg weiter
bestehen blieben. Schon der CIA-Bericht vom letzten Jahr verwies auf eine Umfrage unter
Menschen vieler arabischen Länder, die zeigte, dass die Politik der US-Regierung weitgehend
abgelehnt und als einseitig empfunden wird ( Die meisten Menschen in den arabischen
Ländern haben eine negative Meinung von den USA). Terrorismus gleiche der Malaria, so die
ehemaligen CIA-Mitarbeiter ansteckend:
"Man kann Malaria nicht auslöschen, wenn man die Mücken tötet. Man muss den Sumpf
trocken legen. Mit einer Invasion in den Irak kann die Welt erwarten, mit Schwärmen von
brütenden Terroristen überschwemmt zu werden. Eure Töchter werden in den künftigen
Jahren, um es mit anderen Worten zu sagen, nicht ohne eine Phalanx an Sicherheitspersonal
ins Ausland reisen können."
Das Lager der Ansar al-Islam-Terroristen
Außenminister Powell habe in seiner UN-Präsentation ( Nichts als die Wahrheit oder Onkel
Powells Märchenstunde?) zwar gezeigt, dass der Irak nicht gemäß der Resolution 1441 voll
kooperiert, doch der starre Blick auf ihren Wortlaut habe die Aufmerksamkeit vom großen
Bild abgelenkt. Powell habe die Kernfrage nicht beantwortet, ob die Resolution einen Krieg
rechtfertigt. Schließlich hätte nicht nur der Irak Resolutionen der UN verletzt oder nicht
beachtet. Verwiesen wird beispielsweise auf Israel, das etwa die Resolution 242 aus dem
Jahr 1967, die einen Rückzug aus den besetzten Gebieten verlangt hatte, nicht eingehalten hat.
Und natürlich wird darauf auch von arabischen Kommentatoren, wie beispielsweise in
Axis of Evil: What about evil itself?, als doppelter Maßstab verwiesen. Die von der
US-Regierung unterstützte Politik gegenüber den Palästinensern, die Besetzung arabischer
Gebiete und der präventive Angriff auf den Irak 1981 seien nicht nur eine der Wurzeln des
Terrorismus, sondern auch "des von Saddam Hussein empfundenen Bedürfnisses, Mittel zu
entwickeln, um weitere Angriffe Israels abzuwehren."
Für die sieben mobilen Labors zur Herstellung
biologischer Waffen zeigte Powell schön gefertigte,
aber vermutlich fantasierte Zeichnungen
Die ehemaligen CIA-Mitarbeiter bemerken überdies, dass dann, wenn es zutrifft, was Powell
gesagt hat, nämlich dass Hussein angeblich seine Kommandeure ermächtigt haben soll,
Massenvernichtungswaffen einzusetzen, die Invasion für die schlecht ausgerüsteten Soldaten
kein Spaziergang werden dürfte. Als Wink mit dem Zaunpfahl erwähnen sie, dass ein Drittel
der 600.000 Soldaten, die am ersten Krieg gegen den Irak beteiligt waren, mit Beschwerden
zurückgekehrt seien, und dass die vorangegangenen Regierungen mit diesen
Golfkriegskrankheiten nicht gut umgegangen sind. Wenn es jetzt zu einem Krieg käme, wäre
die Gefahr aber noch größer, weil wahrscheinlich noch mehr chemische Substanzen im
Schlachtfeld enthalten seien.
Die Times zitiert einen veärgerten Geheimdienstmitarbeiter aus den USA, der sagte, dass man
bei einer Nullposition angefangen habe, "auf der Präsidenten sich geweigert haben, genaue
Geheimdienstinformationen zu zitieren, und man jetzt zu dem Punkt gekommen ist, dass
parteipolitische Inhalte offiziell den Geheimdiensten zugeschrieben werden". Ähnlich
verärgert scheint man bei den britischen Geheimdiensten zu sein. Die Times spricht schon von
einer »noch nie dagewesenen verdeckten Rebellion« der Geheimdienstchefs gegen Tony Blair.
Anders sei nicht zu erklären, wie der DIS-Bericht in die Hände von BBC hätte gelangen
sollen.
Kritisiert wird auch die Haltung der US-Regierung, weil sie nichts gegen das Lager
Khurmai der Ansar al-Islam-Terroristen im Nordirak unternommen hat, obwohl bereits
Soldaten im Irak sein sollen und die britischen und amerikanischen Flugzeuge, die die
Flugverbotszone kontrollieren, es leicht bombardieren könnten. Powell wies in seiner
UN-Präsentation wieder darauf hin, dass diese Gruppe, die sich seit 2001 hier angesiedelt hat
und gegen die Kurden kämpft, nicht nur Verbindungen zu al-Qaida haben, sondern auch die
Verbindung zwischen al-Qaida und Bagdad sein soll. In ihrem Lager würden sie den Umgang
mit Sprengstoffen und Giften wie Rizin lehren.
Während einer Sitzung des Ausschusses für auswärtige Beziehungen wurde Powell nach
seiner UN-Präsentation gefragt, warum man gegen diese Bedrohung nichts unternehme und die
Terroristen weiter Gifte herstellen lassen. Powell entgegnete, er könne nicht in einem
öffentlichen Ausschuss darüber sprechen. Ein Geheimdienstmitglied, der laut der Los Angeles
Times nicht genannt werden wollte, kommentierte: "Das ist ihr zwingender Beweis für den
Einsatz von Gewalt. Wenn sie es zerstören, dann können sie es nicht mehr als Rechtfertigung
für einen Krieg verwenden."
Kommentare:
civ 3 ... (gullevek, 11.2.2003 4:33)
konkreter, bitte (absurdistan, 11.2.2003 1:59)
Wohl kaum (Roho, 11.2.2003 1:48)
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