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copyriot schrieb am 16.9. 2012 um 18:30:37 Uhr über

musicanegativa

Vordenker der »Musica negativa«
Zum Tod des Musiktheoretikers Heinz-Klaus Metzger
Raoul Mörchen im Gespräch mit Stefan Koldehoff
Heinz-Klaus Metzger habe im Alleingang den amerikanischen Komponisten John Cage nach Europa geholt. Das ist nach Ansicht von Musikkritiker Raoul Mörchen der »musikhistorisch größte Verdienst« des am Wochenende verstorbenen Musikwissenschaftlers.

Helmut Lachenmann: Er war ein absolut auch mit sich selbst kritisch umgehender Geist und diese Auseinandersetzungen, die waren ja alle echt, damals den Trägern dieser Polemik ging es um eine Sache und nicht um ihre eigene Profilierung. Und was da an Spannungen - das gehört irgendwie zur Freundschaft, hätte ich fast gesagt, dass die entstanden waren und auch, dass die ausgetragen wurden.

Stefan Koldehoff: Sagt der Komponist Helmut Lachenmann über den Musikwissenschaftler Heinz-Klaus Metzger, der am Wochenende in Berlin gestorben ist. Metzger, 1932 in Konstanz geboren, galt als einer der führenden Theoretiker der Neuen Musik nach 1945. Wollte man all seine Tätigkeiten als Theoretiker, als Lehrer, als Herausgeber bedeutendster Musikschriftreihen würdigen, würde das wahrscheinlich Stunden dauern. Metzgers Briefwechsel mit Theodor W. Adorno wird in Kürze erst der Suhrkamp Verlag veröffentlichen. Ich bitte deshalb meinen Kollegen, den Musikkritiker Raoul Mörchen, bevor wir zu den Spannungen jener Zeit kommen und zur Polemik, von der gerade schon die Rede war - sagen Sie doch bitte erst noch einmal, in welche Zeit und in welche Musikkultur Metzgers Einsatz für die Neue Musik fiel. Was konnte, was musste er als neu empfinden?

Raoul Mörchen: Ja, Metzger ist ja 1932 geboren, hat also den Untergang Deutschlands noch miterlebt und auch den kulturellen Untergang und hat sich dann drangemacht, mit vielen anderen natürlich, nach dem Krieg zu sondieren: Was ist übrig geblieben von der deutschen Avantgarde oder von der europäisch-musikalischen Avantgarde? Das war vor allen Dingen die Zweite Wiener Schule um Arnold Schönberg, und man hat dann mit einem unglaublichen Enthusiasmus, aber auch mit Aggressivität dann versucht, genau diese Strömung auch auf das leere Podest dieser Musikkultur draufzuhieven und hat wirklich die Ellbogen ausgefahren und alles zur Seite gestoßen, weil man da was anderes draufstellen wollte.

Koldehoff: Und wenn von Spannungen, von Polemik die Rede ist, wie Helmut Lachenmann das gerade beschrieben hat, dann heißt es: Es gab auch die, die das Andere, die das Ältere wollten?

Mörchen: Ja, aber es gab sogar innerhalb der Avantgarde zum Teil Schlachten um Details, wo Außenstehende wirklich verständnislos eigentlich nur noch gestaunt haben. Da konnte ein falscher Akkord wirklich das Ende einer Freundschaft bedeuten, und das ist dann bei Metzger auch oft gewesen, also der sich zum Beispiel mit dem Komponisten Luigi Nono zunächst angefreundet hat und dann ihn einen seriellen Pfitzner genannt hat, also den Kommunisten Nono verglichen hat mit Hans Pfitzner, einem erklärten Antisemiten und Nazisympathisanten. Also, das ist wirklich ... Die sind wirklich mit großen Kanonen aufeinander zugegangen. Andere Leute haben auch zurückgeschossen. Gleichzeitig muss man sagen: Metzger hat nicht nur Angst und Schrecken verbreitet, sondern eben auch Ehrfurcht aufgrund seiner unglaublich früh entwickelten, hohen intellektuellen Brillanz. Er hat schon als 25-Jähriger fast auf gleichem Niveau mit Adorno gestritten.

Koldehoff: Das muss man dann in der Tat mal erst schaffen. Was für ein Wesen wird er gehabt haben? Sie haben ihn mal selbst erlebt. Gerade im O-Ton von Lachenmann hieß es, das kam alles aus der Sache heraus, nicht aus Eitelkeit, nicht aus Geltungsdrang.

Mörchen: Na ja, das weiß ich nicht genau. Ich hab ihn dann in den späten Jahren, ab den 90er-Jahren erlebt. Da ist er schon doch ziemlich milde und, ja, weise geworden, ein betont umständlich und ein bisschen altmodisch auftretender Mann, der sich an die alten Zeiten durchaus noch erinnert hat und auch ein Thema bis in die letzten Jahre verfolgt hat, was er letzten Endes mit erfunden hat, nämlich die Frage nach dem musikalischen Fortschritt in der Musik. Nun hat er den letzten Endes nicht mehr so, na ja, letzten Endes so demagogisch auch beantwortet. Er hat selbst durch eine zunächst einmal gelungene Operation festgestellt - und das hat er immer wieder thematisiert zum Schluss -, dass es Fortschritt gibt und wenn es nur medizinischer Fortschritt ist. Und das hat ihm in den letzten Lebensjahren doch wirklich imponiert, also, dass da so ein ganz bisschen doch das Licht noch an war am Ende des Tunnels.

Koldehoff: Wenn man mit der ganz großen Flinte schießt, dann geht viel vom Schrot auch daneben. Hat er das eingestehen können, hat er sich selbst korrigieren können?

Mörchen: Ja, zum Beispiel im Falle von Luigi Nono, den er Ende der 50er-Jahre verdammt hat, da ist er wieder zurückgerudert Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre. Gerade als Nono sich weggekehrt hat vom Politischen, was Metzger eigentlich hätte interessieren müssen, hin zu einer Innerlichkeit, die Metzger eigentlich nicht hätte interessieren dürfen von seiner von Hegel her kommenden eher marxistischen Ideologie, da hat er auf einmal angebissen und ist zu einem sehr großen Anwalt geworden auch dieser Musik, auch anderer Musiken, vor allen Dingen in den 60er-, 70er-Jahren von John Cage. Seine Idee der herrschaftsfreien Musik ist für ihn zu einem Politikum geworden. Der Metzger hat wirklich als Ein-Mann-Unternehmen Cage nach Europa gebracht, hat für ihn die Lanze gebrochen, als Cage nur ausgelacht wurde, da hat er sicherlich auch sein musikhistorisch größtes Verdienst, würde ich sagen.

Koldehoff: Wäre so was eigentlich heute noch denkbar? Gibt es heute noch Figuren von einer solchen Wirkungsmächtigkeit, wie Heinz-Klaus Metzger sie wohl gehabt hat?

Mörchen: Schwer zu sagen. Ich glaube, vielleicht gibt es sie, es gibt sicherlich diese Intelligenz auch noch heute, aber ich glaube, es gibt nicht mehr diesen Freiraum, oder dieser Freiraum wird nicht mehr gewährt, sich so zu entfalten. Und es gibt auch nicht mehr diese eine Avantgarde, an der man sich abarbeiten könnte, die einfach auch, wenn man ein Stichwort sagte, Nono, Henze oder später Lachenmann oder so was, dann ist eben sofort das ... wussten die Leute, worum es geht. Das ist heute eben nicht mehr der Fall, das heißt, dieses wirklich eine Schlaglicht auf einen einzigen Punkt, wo dann auch ein einziger stehen konnte, das gibt es heute nicht mehr. Das zerstreut sich eher und es ist ein bisschen schade natürlich auch, weil eben der Metzger ein Zugpferd war für einen ganz, ganz großen Karren und auch wenn es heute viele Karren sind, aber so ein Zugpferd könnte man noch mal vertragen.

Koldehoff: Eine singuläre Figur offensichtlich. Raoul Mörchen, der Musikkritiker, zum Tod des Musikwissenschaftlers Heinz-Klaus Metzger. Herzlichen Dank!




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