»Auf einem PC (worauf sonst in den späten neunziger Jahren?) schreibt eine Heildelberger Studentin ihre Magisterarbeit über die postfeministische Theoretikerin Judith Butler. [...] In der Fülle der Publikationen zum Thema Postfeminismus drohte die androgyne Protagonistin zu ertrinken, wen sie sich nicht darauf verstünde, so durch die Textmassen zu surfen und so mit Textteilen umzugehen wie ein Diskjokey mit Platten. Die Studentin auf der Suche nach ihrer Geschlechtsidentität und bei ihrer vor weiten Textdiebstählen nicht zurückscheuenden Arbeit über die Theorie der n-Geschlechter hat in den neuen Medien ihr Element gefunden. Dabei ist sie eine übereifige Leserin. Theoriebücher (von Freud und Weininger über Lukács und Bloch, Lacan und Irigaray bis Luhmann und Butler) aber liest sie, wie man fernsieht: zappend. Meineckes mäandernde Theorieprosa berichtet von einer Theorie- und Mediensozialisation, die ganz im Zeichen der Multimedialität und der dadurch freigesetzten Multiidentität steht. [...] Nach «zwei, drei Stunden in einem gut sortierten Plattenladen, wo Vivian ihr gesamtes Bargeld ausgab» und einer Ladendiebstahlstour, die sie zusammen mit ihrem Freund [...] absolviert hat, breitet sie das «diverse, nicht allzu teure Zubehör für ihr elektronisches Texas Instrument, welches zu Hause längst über dem Namen Lukács eingeschlummert war» (Thomas Meinecke: Tomboy, 181), vor ihren Augen aus. Und es beginnt ein Assoziationsfluß, der über Lukács zu Bloch, nach Ludwigshafen und zum Rhein [...] führt. Meineckes Prosa ist auch deshlab so gescheit, weil sie präzise den Zusammenhängen zwischen neuer Multimediensozialisation, postmoderner Theoriebildung und Multiidentitäten nachgeht. Und auch diese Prosa variiert das Motiv, daß von spätmodernen Zeiten elementare Natur und (Medien-)Technik ineinandergeblendet sind.«
(Jochen Hörisch: Ende der Vorstellung. Die Poesie der Medien, Frankfurt am Main 1999, 148-149)
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