Deutschlands Vertrauen schafft sich ab
Das der Landtagswahl in Thüringen war nicht überraschend: Wie in Sachsen und Brandenburg wurde die Partei des amtierenden Ministerpräsidenten zur stärksten Kraft – das begünstigte in Sachsen die CDU, in Brandenburg die SPD und in Thüringen die Linke –, und in allen drei Ländern wurde die AfD mit rund einem Viertel der Stimmen die zweitstärkste Kraft. Überall stieg die Wahlbeteiligung stark an.
Der Wahlkampf und das begleitende Medienecho erweckten den Eindruck, als ginge es nicht um eine Landtagswahl, sondern um eine Grundsatzentscheidung zwischen dem moralisch Guten und dem Bösen – letzteres repräsentiert durch die AfD.
Leider ist es richtig, dass aus der AfD immer wieder nationalistische und fremdenfeindliche Äußerungen kommen, die ganz offenbar im Trüben fischen. Insbesondere der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke fällt regelmäßig durch radikale Sprüche auf, die sich unverhohlen an sprachliche Bilder anlehnen, wie sie im Nationalsozialismus üblich waren.
Da es sich bei Björn Höcke um einen akademisch ausgebildeten Studienrat für Geschichte handelt, muss man unterstellen, dass er genau weiß, was er tut und exakt die Wirkung beabsichtigt, die er erzielt. Höcke ist in Thüringen nicht sehr beliebt. In seinem eigenen Wahlkreis verfehlte er das Direktmandat schmählich und blieb hinter dem Gesamtergebnis der AfD zurück. Offenbar wählten viele Wähler die AfD trotz und nicht wegen Höcke. Mit einem freundlichen Landesvorsitzenden, der seine Worte zu wägen weiß, hätte die AfD in Thüringen möglicherweise noch besser abgeschnitten.
Kein Bewusstsein für deutsche Schuld
Im Durchschnitt sind die Stimmergebnisse der AfD in Ostdeutschland etwa doppelt so hoch wie in Westdeutschland. Dieser überdurchschnittliche Erfolg erklärt sich für mich teilweise daraus, dass in der DDR 45 Jahre westlicher Umerziehung ausgefallen sind: In der ostdeutschen Diktatur dampfte sich alles auf den Unterschied zwischen Kapitalismus und Kommunismus ein. Ein spezifisches kollektives Bewusstsein für deutsche Schuld wurde nicht entwickelt und vom Staat auch nicht gefördert. Wenn es deutsche Bösewichte gab, so saßen diese gemäß der herrschenden Ideologie der DDR allesamt im kapitalistischen Westdeutschland und arbeiteten am Untergang der DDR.
Quasi als Antithese zur herrschenden SED-Diktatur wurde so in Ostdeutschland ein deutsches Nationalbewusstsein zur Quelle des Widerstandes gegen die herrschende Diktatur und zur Stütze der eigenen Identität. Solche Gefühlslagen wirken nach. Aus diesem Grund reagieren die Ostdeutschen auch dreißig Jahre nach dem Mauerfall viel sensibler als die Westdeutschen auf tatsächliche und vermeintliche Bedrohungslagen für Deutschland und die deutsche Identität. An diese spezifisch ostdeutsche Gemütslage knüpft jemand wie Björn Höcke mit seinen radikalen Sprüchen an.
Die Gründe für den Erfolg der AfD würde man aber missverstehen und in gewissem Sinn auch verharmlosen, wenn man sie in die Ecke ostdeutscher Sozialpathologie verschöbe. Bundesweit liegt die AfD in Umfragen stabil bei 12 bis 15 Prozent und überflügelt zumeist die SPD. Keineswegs ist sie die Partei der Alten und zu kurz Gekommenen. Dass ihre Wählerschaft überdurchschnittlich jung ist, müsste alle anderen Parteien nachdenklich stimmen. Dass sie unter Arbeitern vor der SPD die beliebteste Partei ist, sollte vor allem die SPD alarmieren.
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