Das hat mein Mütterlein mir beigebracht
Daß ich gehorsam bin und so bescheiden
und immer aufsteh' in der Straßenbahn,
und laß mir wöchentlich die Haare schneiden:
Das hat mein Mütterlein mir angetan!
Daß ich vor Vorgesetzten mich verneige,
nie in der Kneipe sitz' bis in die Nacht,
dem Alter mich in tiefer Ehrfurcht beuge:
Das hat mein Mütterlein aus mir gemacht!
Daß ich die Mädchen nicht am Busen fasse
und warte bis ich drankomm' in Geduld
und mich von meinem Chef beschimpfen lasse:
Das ist mein liebes Mütterlein dran schuld!
Daß ich zur Kirche geh, die Hände falte,
den Katechismus rauf- und runterbet'
und was der Pfarrer sagt, für heilig halte:
Das hat mein Mütterlein so hingedreht!
Daß ich mich morgens auch da unten wasche,
weil Sauberkeit zu frohem Herzen führt
und nehme hübsch die Hände aus der Tasche:
Das hat mein Mütterlein mir andressiert!
Daß ich mich um die Nieren warm anziehe
und nie was trinke, was betrunken macht,
ein frohes Liedchen flöte in der Frühe:
Das hat mein Mütterlein mir beigebracht!
Daß Neger riechen, Italiener klauen
(den besten Kaffee kochen doch nur wir)
daß alle Türken hauen ihre Frauen:
Mein liebes Mütterlein, verdank ich dir!
Daß jeder Polizist grundsätzlich recht hat
und daß man sparsam ist und sich nichts borgt,
daß der Verbrecher es im Knast nicht schlecht hat:
Da hat mein Mütterlein schon für gesorgt!
O, Mütterlein, du weißt es doch: ich habe
Gehorsam dir erwiesen so viel Jahr'.
Nun steh' ich weinend hier an deinem Grabe:
Nur weil ich bis zuletzt gehorsam war!
Mit hocherhobnem Eisenhammer stand ich.
Und du, mein Mütterlein, was sagtest du?
»O, untersteh dich!«- Und ich unterstand mich:
Mein armes Mütterlein, da schlug ich zu!
Was ich auch ganz bestimmt nicht wieder tu...
(Hans Scheibner)
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