Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath
Dreimal träumte Randolph Carter von der wunderbaren Stadt, und dreimal wurde er fortgerissen, als er noch auf der hohen Terrasse über ihr verweilte. Ganz golden und lieblich glänzte sie im Sonnenuntergang, mit Mauern, Tempeln, Kolonnaden und Bogenbrücken aus geädertem Marmor, Fontänen prismatischen Sprühregens in silbernen Bassins auf weiten Plätzen und inmitten duftender Gärten und breiten Straßen, die zwischen köstlichen Bäumen, blütenüberladenen Urnen und glühenden Reihen elfenbeinerner Statuen verliefen, während an schroffen Nordhängen Zeilen roter Dächer und alter, spitzer Giebel emporklommen und kleine grasüberwucherte Pflastersträßchen beherbergten. Sie war ein Fieber der Götter, eine Fanfare himmlischer Trompeten und ein Geschmetter unvergänglicher Zimbeln. Geheimnis umlagerte sie wie Wolken einen sagenhaften unbestiegenen Berg, und als Carter atemlos und erwartungsvoll auf jener Brustwehr mit dem steinernen Geländer ringsum stand, da schwemmten zu ihm herauf Bitternis und Zweifel fast versunkener Erinnerung, der Schmerz über verlorene Dinge und das rasende Bedürfnis, sich wieder dessen zu entsinnen, was einst eine ehrfurchtgebietende und wichtige Stätte gewesen war.
Er wußte, daß sie für ihn einst von höchster Bedeutung gewesen sein mußte; doch in welchem Zyklus oder welcher Inkarnation er sie gekannt hatte, und ob im Traum oder im Wachen konnte er nicht sagen. Vage rief sie schwache Erinnerungen an eine längst vergessene, früheste Jugend herauf, als das Mysterium der Tage Staunen und Wonne barg, und Morgengrauen und Abenddämmer zum lebhaften Klang von Lauten und Liedern gleichermaßen prophetisch voranschritten und feurige Tore zu weiteren, überraschenden Wundem eröffneten. Doch jede Nacht, wenn er auf dieser hohen Marmorterrasse mit den seltsamen Urnen und dem gemeißelten Geländer stand und über die stille, abendliche Stadt der Schönheit und überirdischen Immanenz hinblickte, fühlte er die Knechtschaft der tyrannischen Traumgötter; denn auf keine Weise vermochte er diesen luftigen Ort zu verlassen, oder die breiten, marmornen Treppenfluchten hinabzusteigen, die endlos nach unten eilten, wo jene Straßen früherer Bezauberung weit und auffordernd lagen. Als er zum drittenmal erwachte, ohne diese Treppenfluchten hinabgestiegen zu sein und ohne diese Straßen überquert zu haben, betete er lange und ernsthaft zu den verborgenen Göttern des Traums, die launisch über den Wolken auf dem unbekannten Kadath brüten, in der kalten Öde, die keines Menschen Fuß betritt. Aber die Götter gaben keine Antwort und zeigten weder Nachsicht, noch gewährten sie ein günstiges Zeichen, als er im Traum zu ihnen betete und sie durch Opfergaben der bärtigen Priester von Nasht und Kaman-Thah anrief, deren Höhlentempel mit seiner Flammensäule nicht weit von den Toren der wachen Welt liegt. Es schien indes, daß seine Gebete ungünstig aufgenommen worden sein mußten, denn bereits nach der ersten Anrufung hörte er gänzlich auf, die wunderbare Stadt zu schauen; als wären seine drei flüchtigen Blicke aus der Ferne nichts als reine Zufälle oder Versehen gewesen; und entgegen einem verborgenen Plan oder Wunsch der Götter. Krank vor Sehnsucht nach diesen im Sonnenuntergang glitzernden Straßen und den kryptischen Hügelgassen zwischen alten Ziegeldächern, und unfähig, sie im Schlafen oder Wachen aus seinem Geist zu bannen, beschloß Carter, mit seinem dreisten Gesuch dorthin zu gehen, wo noch kein Mensch zuvor gewesen war, und sich durch die Eiswüsten im Dunkel zu wagen, dorthin, wo der unbekannte Kadath, wolkenverhüllt und von ungeahnten Sternen gekrönt, das Onyxschloß der Großen geheim und noc-tum bewacht.
Im leichten Schlummer stieg er die siebzig Stufen zur Kaverne der Flamme hinab und sprach den bärtigen Priestern von Nasht und Kaman-Thah von diesem Vorhaben. Und die Priester schüttelten ihre pshent-tragenden Häupter und erklärten feierlich, dies bedeute den Tod seiner Seele. Sie wiesen daraufhin, daß die Großen ihren Willen bereits kundgetan hätten, und daß es ihnen nicht angenehm sei, durch beharrliches Bitten belästigt zu werden. Sie erinnerten ihn auch daran, daß nicht nur kein Mensch jemals am Kadath gewesen wäre, sondern daß auch nie ein Mensch geahnt hätte, in welchem Teil des Raumes er liegen könnte; ob in den Traumländern um unsere eigene Welt herum oder in jenen, die irgendeinen unvermuteten Begleiter von Formalhaut oder Aldebaran umgeben. Falls in unserem Traumland, ließe er sich möglicherweise erreichen, doch hätten seit Anbeginn der Zeiten nur drei menschliche Seelen die schwarzen, gottvergessenen Abgründe zu anderen Traumländern hin und zurück überquert, und von diesen drei wären zwei total wahnsinnig wiedergekehrt. Es bergen solche Reisen unberechenbare lokale Gefahren; sowie jenes abstoßende, endgültige Verderben, das außerhalb des geordneten Universums, wohin keine Träume reichen, unnennbar schnattert; dieser letzte amorphe Pesthauch heillosester Verwirrung, der im Zentrum aller Unendlichkeit lästert und brodelt - der grenzenlose Dämonen-Sultan Azathoth, dessen Namen laut zu nennen kein Mund wagt, und der in unfaßbaren, lichtlosen Kammern jenseits der Zeit hungrig nagt, inmitten des gedämpften, rasendmachenden Schlags nichtswürdiger Trommeln und des dünnen, monotonen Gewinsels verwünschter Flöten; und zu diesem abscheulichen Stampfen und Pfeifen tanzen langsam, plump und absurd die gigantischen Ultimaten Götter, die blinden, stummen, finsteren, irrsinnigen Anderen Götter, deren Seele und Bote das kriechende Chaos Nyarlathotep ist.
Vor diesen Dingen wurde Carter von den Priestern von Nasht und Kaman-Thah in der Kaverne der Flamme gewarnt, aber dennoch blieb er bei seinem Entschluß, die Götter auf dem unbekannten Kadath in der kalten Öde, wo immer das sein mochte, zu finden, und ihnen den Anblick, die Erinnerung und den Schutz der wunderbaren Stadt im Sonnenuntergang abzugewinnen. Er wußte, daß seine Reise seltsam und lange sein würde, und daß die Großen dagegen wären; aber da er im Land der Träume erfahren war, verfügte er über viele nützliche Erinnerungen und Listen, um sich fortzuhelfen. Nachdem er also die Priester um einen förmlichen Segen gebeten und sein weiteres Vorgehen genau bedacht hatte, schritt er kühn die siebenhundert Stufen zum Tor des Tieferen Schlummers hinunter, und begab sich auf den Weg durch den Verwunschenen Wald.
In den unterirdischen Tunnels dieses verschlungenen Waldes, dessen ungeheure Eichen ihr tastendes Astwerk ineinander verflechten und in der Phosphoreszenz sonderbarer Schwämme trübe leuchten, hausen die verstohlenen und heimlichen Zoogs; sie wissen um viele obskure Geheimnisse der Traumwelt und um einige der wachen Welt, denn an zwei Stellen rührt der Wald an die Länder der Menschen, doch zu sagen wo, wäre verheerend. Gewisse ungeklärte Geräusche, Vorkommnisse und Fälle von Verschwinden ereignen sich unter den Menschen dort, wo die Zoogs Zugang haben, und es ist gut, daß sie außerhalb der Welt des Traums nicht allzuweit reisen können. Doch in den Teilen, die der Traumwelt naheliegen, bewegen sie sich ungehindert, huschen klein und braun und ungesehen umher und bringen pikante Geschichten mit zurück, um sich damit an ihren Feuerstellen in dem Wald, den sie lieben, die Zeit zu kürzen. Die Mehrzahl von ihnen lebt in Erdhöhlen, obschon einige auch die Stämme der großen Bäume bewohnen; trotzdem sie sich in der Hauptsache von Pilzschwämmen ernähren, munkelt man doch davon, daß sie auch an Fleisch ein wenig Geschmack finden, entweder körperlich oder geistig, denn gewiß haben zahlreiche Träumer diesen Wald betreten, die nicht wieder herausgekommen sind. Carter jedoch empfand keine Angst; schließlich war er ein erfahrener Träumer, der ihre flatternde Sprache erlernt und so manche Verhandlung mit ihnen geführt hatte; durch ihre Hilfe hatte er die prächtige Stadt Celephais in Ooth- Nargai hinter den Tanarischen Bergen gefunden, wo das halbe Jahr über der große König Kuranes regiert, ein Mann, den er im Leben unter einem anderen Namen gekannt hatte. Kuranes war der Eine, der an den Stemenschlünden gestanden hatte und frei von Wahnsinn zurückgekehrt war.
Als er sich jetzt durch die fahl phosphoreszierenden Gänge zwischen den gigantischen Stämmen wand, gab Carter die flatternden Geräusche der Zoogs von sich und horchte dann und wann auf eine Antwort. Er erinnerte sich, daß ein besonderes Dorf dieser Geschöpfe im Zentrum des Waldes lag, wo auf einer ehemaligen Lichtung ein Zirkel großer moosiger Steine von älteren und schlimmeren, längst vergessenen Bewohnern zeugt, und diesem Ort eilte er zu. Er folgte auf seinem Weg den grotesken Schwämmen, die immer wohlgenährter scheinen, je dichter man dem furchtbaren Zirkel kommt, wo ältere Wesenheiten tanzten und opferten. Endlich enthüllte der starke Schein jener feisteren Schwämme eine sinister grüngraue Ungeheuerlichkeit, die das Dach des Waldes durchbrach und dem Blick entschwand. Es war der nahegelegenste Stein aus dem großen Ring, und Carter wußte, daß das Zoog-Dorf nicht mehr weit entfernt lag. Er wiederholte seine flatternden Geräusche und wartete dann geduldig ab; schließlich wurde er durch den Eindruck belohnt, daß ihn viele Augen beobachteten. Es waren die Zoogs, denn ihre unheimlichen Augen sieht man lange bevor man ihre kleinen, schlüpfrigen, braunen Umrisse ausmachen kann. Aus verborgener Grube und hohlem Baum schwärmten sie, bis die ganze matterleuchtete Gegend von ihnen wimmelte. Einige der wilderen streiften Carter unsanft, und einer knabberte sogar ekelerregend an seinem Ohr; doch diese zügellosen Gesellen wurden rasch von den Älteren in ihre Schranken verwiesen. Der Rat der Weisen, der den Besucher erkannte, offerierte eine Kürbisflasche mit dem fermentierten Saft eines verwunschenen Baumes, der anders aussah als die übrigen, und aus einem Samen gewachsen war, den jemand auf dem Mond fallengelassen hatte;
und als Carter zeremoniell davon trank, begann ein wunderliches Gespräch. Die Zoogs wußten bedauerlicherweise nicht, wo der Gipfel des Kadath liegt, ja, sie vermochten nicht einmal zu sagen, ob die kalte Öde zu unserer Traumwelt oder einer anderen gehört. Gerüchte über die Großen kämen von überall gleichermaßen; und es ließe sich nur feststellen, daß es wahrscheinlicher sei, sie auf hohen Berggipfeln als in Tälern zu sehen, denn auf solchen Gipfeln tanzen sie erinnerungsvoll, wenn oben der Mond steht und unten die Wolken ziehen.
Dann erinnerte sich ein sehr alter Zoog an etwas, von dem die anderen nichts wußten; und sagte, in Ulthar, jenseits des Flusses Skai, vergilbe noch immer die letzte Abschrift jener unvorstellbar alten Pnakotischen Manuskripte, die von wachen Menschen in vergessenen borealen Königreichen angefertigt und ins Land der Träume verbracht worden seien, als der haarige Kannibale Gnophkehs das vieltemplige Olathoe überwand und alle Helden des Landes Lomar erschlug. Diese Manuskripte, sägte er, erzählten viel von den Göttern, und außerdem gäbe es in Ulthar Leute, die die Zeichen der Götter gesehen hätten und sogar einen alten Priester, der auf einen hohen Berg gestiegen sei, um sie im Mondschein tanzen zu sehen. Er selbst wäre gescheitert, aber sein Gefährte hätte es geschafft und wäre namenlos umgekommen.
Randolph Carter dankte den Zoogs, die liebenswürdig flatterten und ihm noch eine Kürbisflasche voll Mondwein mitgaben, und setzte sich durch den phosphoreszierenden Wald zur anderen Seite hin in Marsch, wo der rasende Skai die Hänge Lerions herabströmt und Hatheg und Nir und Ulthar in der Ebene verstreut liegen. Hinter ihm krochen, verstohlen und unsichtbar, mehrere neugierige Zoogs; denn sie wollten in Erfahrung bringen, wie es ihm ergehen würde, um die Legende dann heim zu ihrem Volk zu tragen. Die gewaltigen Eichen drängten sich dichter, als das Dorf hinter ihm zurückblieb, und er hielt scharf nach einer bestimmten Stelle Ausschau, an der sie etwas aufgelockerter wuchsen, und schon völlig abgestorben oder noch absterbend inmitten der unnatürlich dichten Schwämme, der modernden Erde und der teigigen Stämme ihrer gestürzten Brüder standen. Dort würde er dann scharf abbiegen, denn an diesem Ort ruht eine mächtige Steinplatte auf dem Waldboden;
und diejenigen, die es gewagt haben näherzutreten, sagen, daß in sie ein Eisenring eingelassen ist, mit einem Durchmesser von drei Fuß. Eingedenk des archaischen Zirkels aus riesenhaften, bemoosten Felsen und des Zwecks, zu dem er möglicherweise errichtet worden war, halten die Zoogs in der Umgebung jener umfangreichen Platte mit dem gewaltigen Ring nicht inne; denn sie sind sich bewußt, daß nicht alles, was vergessen ist, notwendigerweise auch tot sein muß, und es wäre ihnen nicht angenehm, mitanzusehen, wie sich die Platte langsam und bedächtig hebt.
Carter wich an der richtigen Stelle aus und hörte hinter sich das ängstliche Geflatter einiger mehr furchtsamer Zoogs. Er hatte gewußt, sie würden ihm folgen und war deswegen nicht beunruhigt; denn man gewöhnt sich an die Anomalien dieser neugierigen Geschöpfe. Dämmerung herrschte, als er den Waldsaum erreichte, und der zunehmende Glanz verriet ihm, daß es die Morgendämmerung war. Über fruchtbaren Ebenen, die sich bis hinab zum Skai entrollten, sah er den Rauch aus den Kaminen von Cottages aufsteigen, und überall gab es die Hecken und gepflügten Felder und Strohdächer eines friedvollen Landes. Einmal rastete er an einem Farmhausbrunnen, um einen Becher Wasser zu trinken, und alle Hunde bellten verschreckt die unbemerkbaren Zoogs aus, die hinter ihm durchs Gras krochen. Bei einem anderen Haus, wo sich Leute regten, stellte er Fragen über die Götter und ob sie oft auf dem Lerion tanzten, doch der Farmer und seine Frau machten nur das Zeichen der Alten und wiesen ihm den Weg nach Nir und Ulthar.
Mittags schritt er auf der einzigen breiten Hauptstraße Nirs; er kannte sie von einem früheren Besuch, und sie markierte die vorgeschobendste Grenze seiner vormaligen Reisen in dieser Richtung; und bald darauf gelangte er an die große Steinbrücke über den Skai, in deren Mittelpfeiler die Maurer ein lebendiges Menschenopfer eingegossen hatten, als sie sie vor dreizehnhundert Jahren erbauten. Einmal auf der anderen Seite, enthüllte die häufige Gegenwart von Katzen (die vor den dahinkriechenden Zoogs alle den Buckel krümmten) die nahe Nachbarschaft Ulthars; denn in Ulthar darf, nach einem alten und ausdrücklichen Gesetz, niemand eine Katze töten. Sehr hübsch war sie, die Umgebung von Ulthar mit ihren kleinen, grünen Cottages und den ordentlich eingezäunten Farmen; und noch hübscher war die schmucke Stadt selbst mit ihren altmodisch spitzen Dächern, den vorkragenden Obergeschossen, den unzähligen Kaminkappen und den engen Hügelsträßchen, auf denen alte Pflastersteine zum Vorschein kommen, wann immer die grazilen Katzen Platz genug dafür lassen. Die Katzen hatten sich wegen der halbwahrgenommenen Zoogs zerstreut, und Carter fand seinen Weg direkt zum bescheidenen Tempel der Alten, wo die Priester und alten Papiere angeblich zu finden waren; und nachdem er den ehrwürdigen, kreisrunden, efeuüberrankten Felsturm - der Ulthars höchsten Hügel krönt - betreten hatte, suchte er den Patriarchen Atal auf, der den verbotenen Gipfel Hatheg-Kla in der Steinwüste erstiegen hatte und lebendig wieder heruntergekommen war.
Atal, der auf einer Elfenbeinestrade in einem bekränzten Schrein in der Spitze des Tempels thronte, zählte volle drei Jahrhunderte, gebot aber noch immer über einen scharfen Verstand und ein ebensolches Gedächtnis. Von ihm erfuhr Carter vieles über die Götter, hauptsächlich jedoch, daß sie wahrhaftig nur Götter der Erde sind, die unser eigenes Traumland schwach regieren und anderswo weder Macht noch Wohnung haben. Bei guter Laune, so sagte Atal, könnten sie das Gebet eines Menschen durchaus erhören; aber man sollte es sich nicht einfallen lassen, zu ihrer Onyxfeste oben auf dem Kadath in der kalten Öde hinaufsteigen zu wollen. Zum Glück wüßte niemand, wo sich der Kadath auftürme, denn die Folgen seiner Besteigung wären sehr ernst. Atals Gefährte, Barzai der Weise, wäre schon schreiend in den Himmel gezogen worden, nur weil er den bekannten Gipfel des Hatheg-Kla erstiegen habe. Bei dem unbekannten Kadath, sollte er jemals gefunden werden, müßte man sich auf noch bedeutend Schlimmeres gefaßt halten; denn obwohl es einem klugen Sterblichen manchmal gelänge, die Erdgötter zu überwinden, stünden sie doch unter dem Schutz der Anderen Götter des Außenraumes, von denen man besser nicht spräche. Wenigstens zweimal in der Geschichte der Welt hätten die Anderen Götter dem Urgranit der Erde ihr Siegel aufgedrückt; einmal in vorsintflutlichen Zeiten, wie sich einer Zeichnung in jenen Partien der Pnakotischen Manuskripte entnehmen lasse, die zu alt seien, um sie entziffern zu können, und dann auf Hatheg-Kla, als Barzai der Weise versuchte, die Götter der Erde im Mondschein tanzen zu sehen. Deshalb, sagte Atal, wäre es auch viel klüger, man ließe alle Götter bis auf taktvolle Gebete unbehelligt.
Obgleich Carter von Atals entmutigendem Ratschlag und der mageren Hilfe, die ihm aus den Pnakotischen Manuskripten und den Sieben Kryptischen Büchern von Hsan zuwuchs, enttäuscht war, verzweifelte er doch nicht völlig. Zuerst befragte er den alten Priester über jene wunderbare Stadt im Sonnenuntergang, die er von der Terrasse mit der Balustrade aus geschaut hatte, in dem Glauben, er könne sie vielleicht auch ohne die Unterstützung der Götter finden; aber darüber wußte Atal nichts. Womöglich, meinte Atal, gehöre der Ort zu seiner speziellen Traumwelt und nicht zum allgemeinen Reich der Vision, das vielen bekannt sei; und ebensogut könnte er auf einem anderen Planeten liegen. In diesem Fall vermöchten ihn die Erdgötter nicht zu leiten, selbst wenn sie dies wollten. Doch letzteres schien nicht wahrscheinlich, denn das Aufhören der Träume zeige recht deutlich, daß es sich um etwas handele, was die Großen vor ihm zu verbergen wünschten.
Und dann verfiel Carter auf eine Gemeinheit: Er nötigte seinen arglosen Gastgeber zu so vielen Schlucken vom Mondwein der Zoogs, daß der alte Mann davon unverantwortlich geschwätzig wurde. Seiner Zurückhaltung beraubt, plauderte der arme Atal nun ganz freimütig von verbotenen Dingen; er erzählte von einem großen Bildnis, das nach Berichten von Reisenden in den soliden Fels des Berges Ngranek auf der Insel Oriab im Süd-Meer eingemeißelt sein soll, und deutete an, es könnte sich um ein Ebenbild handeln, das die Erdgötter einst nach ihren eigenen Zügen modellierten, in jenen Tagen, da sie bei Mondschein auf diesem Berge tanzten. Und er lallte weiterhin, daß die Züge dieses Bildnisses sehr fremdartig seien, so daß man sie leicht erkennen könnte, und daß sie sichere Merkmale der authentischen Rasse der Götter wären. Der Nutzen, der sich aus all dem für seine Suche nach den Göttern ziehen ließ, wurde Carter augenblicklich klar. Es ist bekannt, daß sich die jüngeren von den Großen oft unter der Maske einer Verkleidung mit den Menschentöchtem vermählen, deshalb mußten alle Bauern, entlang der Grenzen zur kalten Öde, in der der Kadath steht, ihr Blut in sich tragen. Dies vorausgesetzt, galt es nun zur Auffindung besagter Wüste folgendermaßen vorzugehen: das Steingesicht auf dem Ngranek ansehen und sich die Züge einprägen; sodann diese Züge, nachdem man sie sich sorgfältig gemerkt hatte, bei lebenden Menschen zu suchen. Wo sie am ausgeprägtesten und häufigsten hervortraten, da mußten die Götter am nächsten wohnen; und welche Steinöde auch immer hinter den Dörfern dort lag, mußte diejenige sein, in der der Kadath sich erhob.
In solchen Gegenden ließe sich viel über die Großen erfahren, und jene, die ihr Blut trugen, mochten kleine Erinnerungen bewahren, die einem Suchenden sehr nützlich wären. Sie ahnten vielleicht nichts von ihrer Herkunft, denn so sehr verabscheuen es die Götter, von den Menschen erkannt zu werden, daß sich niemand finden läßt, der ihre Gesichter wissentlich geschaut hat;
und obwohl sich Carter dieser Tatsache bewußt war, trachtete er danach, den Kadath zu erklimmen. Doch sie würden wunderliche, hochfahrende Gedanken haben, die ihre Kameraden mißverstanden, und sie würden von fernen Stätten und Gärten singen, die sogar im Traumland ihresgleichen suchten, so daß das gewöhnliche Volk sie Narren heißen würde; und aus alledem ließen sich vielleicht alte Geheimnisse über den Kadath erfahren, oder Hinweise auf die wunderbare Stadt im Sonnenuntergang gewinnen, die die Götter verborgen hielten. Und überdies könnte man in bestimmten Fällen das inniggeliebte Kind eines Gottes als Geisel nehmen, oder gar einen jungen Gott selbst gefangen setzen, der verkleidet und mit einem hübschen Bauernmädchen zur Braut unter den Menschen wohnte.
Atal jedoch wußte nicht, wie der Ngranek auf seiner Insel Oriab zu finden war, und er empfahl Carter, dem singenden Skai unter den Brücken hindurch zum Süd-Meer hinab zu folgen, wo noch kein Bürger Ulthars jemals gewesen ist, von woher aber die Händler mit Booten oder langen Maultierkarawanen und zweirädrigen Karren kommen. Es gibt dort eine große Stadt, Dylath-Leen, doch wegen der schwarzen, dreiruderigen Galeeren, die mit Rubinen einer nicht genau benannten Küste zu ihr segeln, genießt sie in Ulthar einen schlechten Ruf. Die Händler, die von diesen Galeeren kommen, um mit den Juwelieren Geschäfte zu schließen, sind menschlich, oder doch beinahe, die Ruderer hingegen bekommt man nie zu Gesicht; und in Ulthar hält man es nicht für heilsam, wenn Kaufleute mit schwarzen Schiffen Handel treiben, deren Herkunft unbekannt ist und deren Ruderer nicht vorgezeigt werden können.
Nachdem er diese Information preisgegeben hatte, wurde Atal sehr schläfrig, und Carter bettete ihn behutsam auf eine getäfelte Ebenholzcouch und drapierte den wallenden Bart dekorativ auf der Brust. Als er sich zum Gehen wandte, stellte er fest, daß ihm kein unterdrücktes Geflattere folgte, und er wunderte sich, warum die Zoogs in ihrer neugierigen Verfolgung so nachlässig geworden waren. Dann bemerkte er all die geschmeidigen, selbstzufriedenen Katzen von Ulthar, die sich mit ungewöhnlichem Gusto die Mäuler leckten, und er entsann sich des Fauchens und Miauens, das aus den unteren Geschossen des Tempels schwach heraufgeklungen war, während er von der Erzählung des alten Priesters ganz in Anspruch genommen wurde. Und er entsann sich ebenfalls der boshaften, hungrigen Art, mit der ein besonders unverschämter junger Zoog ein kleines schwarzes Kätzchen auf der gepflasterten Straße draußen betrachtet hatte. Und weil er auf Erden nichts so sehr liebte wie kleine schwarze Kätzchen, beugte er sich nieder und streichelte die geschmeidigen Katzen von Ulthar, wie sie ihre Mäuler leckten und grämte sich nicht, daß ihn die wißbegierigen Zoogs nun nicht weiter eskortieren würden.
Eben ging die Sonne unter, und so nahm Carter bei einem alten Gasthof Quartier, der in einem steilen Gäßchen lag, das die untere Stadt überblickte. Und als er auf den Balkon seines Zimmers trat und unter sich das Meer von roten Ziegeldächern und Pflasterwegen und die anmutigen Felder dahinter schaute, alles mild und magisch im sinkenden Licht, da schwor er, daß Ulthar ein sehr angenehmer Ort wäre, um für immer darin zu wohnen, triebe einen nicht die Erinnerung an eine noch großartigere Stadt im Sonnenuntergang immerfort unbekannten Gefahren zu. Dann brach die Dämmerung herein, und die blaßroten Wände der getünchten Giebel färbten sich violett und mystisch, und kleine gelbe Lichter schienen eines nach dem anderen in alten Gitterfenstern auf. Und liebliche Glocken läuteten im Tempel oben, und der erste Stern blinkte sanft über den Wiesen jenseits des Skai. Mit der Nacht kamen die Lieder, und Carter nickte, als die Lautenspieler auf den filigranverzierten Baikonen und in den mosaikgeschmückten Höfen des bescheidenen Ulthar die alten Zeiten priesen. Und vielleicht hätten sogar die Stimmen von Ulthars zahlreichen Katzen süß geklungen, wären sie nicht zum Großteil träge und still von einem sonderbaren Schmaus gewesen. Einige stahlen sich in jene kryptischen Bereiche davon, um die nur die Katzen wissen und die, wie die Bewohner behaupten, auf der Rückseite des Mondes liegen, wohin die Katzen von hohen Hausdächern springen; aber ein kleines schwarzes Kätzchen schlich die Treppe hoch und sprang auf Carters Schoß, um zu schnurren und zu spielen, und es rollte sich an seinen Füßen zusammen, als er sich schließlich auf das kleine Lager streckte, dessen Kissen mit duftenden, einschläfernden Kräutern gefüllt waren.
Am Morgen schloß sich Carter einer Karawane von Kaufleuten an, die mit Ulthars gesponnener Wolle und dem Kohl seiner geschäftigen Farmen nach Dylath-Leen unterwegs war. Und sechs Tage lang ritten sie mit klingenden Glöckchen auf der ebenen Straße neben dem Skai; manche Nächte schliefen sie in den Wirtshäusern kleiner, schmucker Fischerstädtchen, und andere wieder kampierten sie unter den Sternen, während vom glatten Fluß bruchstückhaft die Lieder der Schiffer erklangen. Die Landschaft war überaus reizvoll, mit grünen Hecken und Hainen und malerisch spitzzulaufenden Cottages und achteckigen Windmühlen.
Am siebten Tag erhoben sich voraus am Horizont Dampfschwaden, und dann die hohen, schwarzen Türme von Dylath-Leen, das überwiegend aus Basalt erbaut ist. Von der Ferne wirkt die Stadt Dylath-Leen mit ihren dünnen, kantigen Türmen wie ein Teil des Giant's Causeway*, und ihre Straßen sind dunkel und wenig einladend. Zahllose verkommene Hafentavemen liegen in der Nähe der myriadenfachen Kais, und in der ganzen Stadt drängen sich sonderbare Seeleute aus allen Ländern der Erde und aus einigen, von denen es heißt, daß sie nicht zur Erde
A.d.U. Eine Felsstrandbildung an der Nordspitze Irlands, aus von der Brandung abgeschliffenen Basaltsäulen gebildet, 30-60 m breit, fast 5 km lang.
gehören. Carter fragte die in wunderliche Roben gekleideten Männer dieser Stadt nach dem Gipfel Ngranek auf der Insel Oriab und erfuhr, daß sie sehr wohl davon wußten. Aus Bahama, das auf besagter Insel liegt, kämen Schiffe, und eines sollte binnen Monatsfrist dorthin zurücksegeln, und der Ngranek erhöbe sich nur zwei Zebra-Tagesritte von diesem Hafen entfernt. Aber das Steingesicht des Gottes hätten nur wenige gesehen, denn es befände sich auf einer sehr schwer zugänglichen Seite des Ngranek, die nichts anderes als Klippen und ein finsteres Lavatal überschaue. Einstmals hätten sich die Götter über die Menschen auf dieser Seite erzürnt und den Anderen Göttern davon gesprochen.
Es war schwierig, diese Informationen von den Händlern und Seeleuten in den Hafenkaschemmen von Dylath-Leen zu erhalten, denn zumeist zogen sie es vor, über die schwarzen Galeeren zu flüstern. Eine wurde nächste Woche mit Rubinen von der unbekannten Küste erwartet, und die Stadtbewohner fürchteten ihren Anblick am Dock. Die Münder der Männer, die von Bord gingen, um Handel zu treiben, seien zu breit, und die Art wie sich ihre Turbane über der Stirn zu zwei Höckern aufwölbten, besonders geschmacklos. Und ihre Schuhe wären die kürzesten und fragwürdigsten, die die Sechs Königreiche je gesehen hätten. Doch am allerschlimmsten sei die Angelegenheit mit den unsichtbaren Ruderern. Die drei Ruderbänke bewegten sich zu flink und akkurat und kraftvoll, um sich dabei wohlzubefinden, und es schicke sich auch nicht für ein Schiff, wochenlang im Hafen vor Anker zu gehen, während die Kaufleute Geschäfte machten, von seiner Mannschaft aber nicht das geringste sehen zu lassen. Das sei weder den Tavernenbesitzem von Dylath-Leen, noch den Krämern und Fleischern gegenüber fair; denn nie würde auch nur ein Krümelchen Proviant an Bord geschickt. Die Kaufleute nähmen nur Gold und gedrungene, schwarze Sklaven aus Parg jenseits des Flusses. Das wäre alles, was sie wollten, diese unerfreulich anzusehenden Kaufleute und ihre unsichtbaren Ruderer; niemals etwas von den Fleischern und Krämern, sondern nur Gold und die fetten, schwarzen Männer aus Parg, die sie pfundweise kauften. Und die Ausdünstungen dieser Galeeren, die der Südwind von den Kais herüberwehe, seien nicht zu beschreiben. Selbst der hartgesottenste Bewohner der alten Hafentavernen vermöchte sie nur durch das ständige Rauchendes starken Thag-Tabaks zu ertragen. Dylath-Leen würde die schwarzen Galeeren nie geduldet haben, wären solche Rubine anderswo zu bekommen gewesen, aber nirgends im ganzen Traumland der Erde sei eine Mine bekannt, die ihresgleichen hervorbrächte.
Von solcherlei Dingen schwatzte die kosmopolitische Bevölkerung Dylath-Leens, während Carter geduldig auf das Schiff von Bahama wartete, das ihn vielleicht zu der Insel tragen würde, wo der behauene Ngranek erhaben und kahl ragt. Inzwischen versäumte er es nicht, die Treffpunkte weitgereister Leute aufzusuchen, um sich bei ihnen nach Geschichten umzuhören, die möglicherweise den Kadath in der kalten Öde betrafen oder eine wunderbare Stadt mit Marmormauem und Silberfontänen, die man von Terrassen aus im Sonnenuntergang liegen sieht. Von diesen Dingen jedoch erfuhr er nichts; obwohl es ihm einmal so schien, daß ein bestimmter alter, schieläugiger Kaufmann ein merkwürdig wissendes Gesicht aufsetzte, als von der kalten öde die Rede war. Dieser Mann stand in dem Ruf, mit den schrecklichen Steindörfern auf dem Eiswüstenplateau von Leng Handel zu treiben, welche kein getroster Mensch besucht, und deren schlimme Feuer man nachts von ferne sieht. Es kursierten sogar Gerüchte, er habe mit jenem unsäglichen Hohepriester Geschäfte gemacht, der eine gelbe Seidenmaske vor dem Gesicht trägt und ganz allein in einem prähistorischen Steinkloster lebt. Daß eine derartige Person sehr wohl zaghaften Handel mit solchen Wesenheiten getrieben haben mochte, die unter Umständen in der kalten Öde hausten, stand außer Zweifel, aber Carter stellte bald fest, daß es sinnlos war, ihn danach zu fragen.
Dann glitt die schwarze Galeere in den Hafen, vorbei an dem Basaltwall und dem hohen Leuchtturm, still und fremd, und mit einem seltsamen Gestank, den der Südwind in die Stadt brachte. Unbehagen breitete sich in den Tavernen entlang dieses Uferbezirks aus, und nach einer Weile tappten die dunklen, breitmundigen Kaufleute mit den gebuckelten Turbanen und den kurzen Füßen schwerfällig an Land, um die Basare der Juweliere zu besuchen. Carter beobachtete sie eingehend, und je länger er sie betrachtete, desto weniger gefielen sie ihm. Dann sah er, wie sie die gedrungenen, schwarzen Männer aus Parg grunzend und schwitzend die Laufplanke hinauf in jene eigentümliche Galeere trieben, und er wunderte sich, in welchen Ländern - oder ob überhaupt in irgendwelchen Ländern - es diesen fetten, pathetischen Kreaturen wohl bestimmt war, zu dienen.
Und am Abend des dritten Ankertages jener Galeere, sprach ihn einer der unerfreulichen Kaufleute an, grinste anzüglich und erging sich in Andeutungen über das, was er in den Kaschemmen von Carters Suche gehört hatte. Er schien Kunde von Dingen zu besitzen, die zu geheim waren, um sie öffentlich preiszugeben;
und obgleich seine Stimme unerträglich haßerfüllt klang, meinte Carter doch, daß die Kenntnisse eines so weitgereisten Mannes keinesfalls ignoriert werden dürften. Er lud ihn daher ein, oben hinter verschlossenen Türen sein Gast zu sein und holte den Rest vom Mondwein der Zoogs, um ihm die Zunge zu lösen. Der fremdartige Kaufmann trank sehr viel, grinste aber trotzdem unverwandt weiter. Dann zog er eine merkwürdige Flasche mit seinem eigenen Wein hervor, und Carter stellte fest, daß die Rasche aus einem einzigen ausgehöhlten Rubin bestand, grotesk mit Mustern verziert, die zu unglaublich waren, um sie begreifen zu können. Er bot seinem Gastgeber von dem Wein an, und obwohl Carter nur einen winzigen Schluck nahm, fühlte er den Schwindel des Alls und das Fieber ungeahnter Dschungel. Indessen hatte der Gast immer breiter gelächelt, und als Carter in die Leere entglitt, sah er zuletzt noch, wie sich das dunkle, widerliche Gesicht zu einem bösartigen Lachen verzerrte und noch etwas ganz und gar Unaussprechliches dort, wo sich der eine der beiden Stirnhöcker des orangenen Turbans durch die Zuckungen dieser epileptischen Heiterkeit verschoben hatte.
In fürchterlichen Gerüchen erlangte Carter unter einer zeltartigen Plane auf Deck eines Schiffes sein Bewußtsein zurück; und an ihm vorüber flogen, mit unnatürlicher Geschwindigkeit, die wundervollen Küsten des Süd-Meers. Er lag nicht in Ketten, aber drei der dunklen, sardonischen Kaufleute standen grinsend in der Nähe, und der Anblick jener Höcker auf ihren Turbanen raubte ihm fast ebenso die Kraft wie der Gestank, der aus den finsteren Luken heraufdrang. Er sah die glorreichen Länder und Städte an sich vorübergleiten, über die ein Traumgefährte von der Erde, ein Leuchtturmwärter im alten Kingsport, in vergangenen Tagen oft gesprochen hatte, und er erkannte die Tempelterrassen von Zar, dem Aufenthaltsort vergessener Träume; die Spitztürme des schändlichen Thalarion, jener Dämonenstadt der Tausend Wunder, in der das Eidolon Lathi regiert; die Begräbnisgärten von Xura, dem Land Unerreichter Wonnen, und die kristallenen Zwillingsvorgebirge, die sich am Himmel zu einem funkelnden Bogen vereinigen und den Hafen von Sona-Nyl, dem gesegneten Land der Phantasie, bewachen.
An all diesen prächtigen Ländern flog das stinkende Schiff verderblich vorbei, getrieben von den abnormen Ruderschlägen der unsichtbaren Ruderer in seinem Bauch. Und ehe der Tag zu Ende ging, wußte Carter, daß der Steuermann kein anderes Ziel haben konnte, als die Basaltsäulen des Westens, hinter denen das glänzende Cathuria liegt, wie die einfachen Leute behaupten;
doch weise Träumer wissen sehr gut, daß es die Tore eines monströsen Kataraktes sind, in dem die Ozeane des Traumlandes der Erde ins bodenlose Nichts stürzten und durch die Räume zu anderen Welten und anderen Sternen und zu den schrecklichen Leeren außerhalb des geordneten Universums schießen, wo der Dämonen-Sultan Azathoth hungrig im Chaos nagt inmitten von Getrommel und Gepfeif und dem höllischen Tanz der Anderen Götter, blind, stumm, finster und irrsinnig, mit ihrer Seele und ihrem'Boten Nyarlathotep.
Währenddem verrieten die drei sardonischen Kaufleute mit keinem Wort ihre Absichten, obwohl Carter sicher war, daß sie mit jenen im Bunde sein mußten, die ihn von seiner Suche abhalten wollten. Im Land der Träume ist es eine unausgesprochene Tatsache, daß die Anderen Götter viele Handlanger unter den Menschen haben; und alle diese Handlanger, seien sie nun völlig menschlich oder nicht mehr so ganz, sind eifrig darum bemüht, den Willen dieser blinden und irrsinnigen Wesen zu erfüllen, als Dank für die Gunst ihrer gräßlichen Seele und ihres Boten, des kriechenden Chaos Nyarlathotep. Hieraus folgerte Carter, daß die Kaufleute mit den Höckerturbanen, als sie von seiner dreisten Suche nach den Großen in ihrem Schloß auf dem Kadath erfuhren, beschlossen hatten, ihn gefangen zu nehmen und an Nyarlathotep auszuliefern, gleichgültig für welch namenlose Prämie, die auf eine solche Prise ausgesetzt sein mochte. Aus welchem Land unseres bekannten Universums oder der schauerlichen Räume draußen diese Kaufleute stammten, vermochte Carter nicht zu erraten;
er konnte sich auch nicht vorstellen, an was für einem höllischen Zusammenkunftsort sie das kriechende Chaos treffen würden, um ihn zu übergeben und ihre Belohnung zu fordern.Er wußte indes, daß so fast menschliche Wesen wie diese hier es nicht wagen würden, sich dem Ultimaten, umnachteten Thron des Dämons Azathoth in der formlosen Zentralleere zu nahem.
Bei Sonnenuntergang leckten sich die Kaufleute ihre ungeheuer breiten Lippen und glotzten hungrig, und einer von ihnen verschwand nach unten und kam aus irgendeiner verborgenen und ekelhaften Kabine mit einem Topf und einem Korb voller Teller zurück. Dann kauerten sie sich dicht nebeneinander unter die Plane und aßen das dampfende Fleisch, das herumging. Doch als sie Carter einen Brocken reichten, da entdeckte er in der Größe und Form davon etwas sehr Schreckliches; und er erbleichte noch mehr als zuvor und schleuderte den Brocken in einem unbeobachteten Moment ins Meer. Und wieder dachte er an jene unsichtbaren Ruderer in den Eingeweiden des Schiffes und an die verdächtige Nahrung, aus der sie ihre allzu mechanischen Kräfte bezogen.
Es war dunkel, als die Galeere die Basaltsäulen des Westens passierte, und das Geräusch des Ultimaten Kataraktes schwoll unheilverkündend an. Die Gischt dieses Kataraktes spritzte auf und verdunkelte die Sterne, das Deck wurde feucht, und das Schiff taumelte im wogenden Sog des Abgrunds. Dann erfolgte unter eigentümlichem Pfeifen und mit einem jähen Fall der Sprung, und Carter fühlte die Schrecken des Alptraums, als die Erde wegstürzte und das große Boot stumm und kometenhaft in den planetaren Raum schoß. Er hatte vorher nie geahnt, was für gestaltlose, schwarze Dinge überall im Äther lauem und torkeln und zappeln, nach eventuellen Reisenden schielen und sie angrinsen und manchmal mit schleimigen Pfoten umhertasten, wenn irgendein sich bewegendes Objekt ihre Neugier erregt. Dies sind die namenlosen Larven der Anderen Götter, und genau wie jene, sind auch sie blind und ohne Hirn und von wunderlichen Hunger- und Durstgelüsten besessen. Aber das Ziel dieser abstoßenden Galeere lag nicht so fern, wie Carter befürchtet hatte, denn bald sah er, daß der Rudergänger direkten Kurs auf den Mond nahm. Der Mond glich einer leuchtenden Sichel, die beim Näherkommen immer größer wurde und ihre sonderbaren Krater und Gipfel unangenehm deutlich zeigte. Das Schiff steuerte auf den Rand zu, und bald wurde klar, daß sein Bestimmungsort auf der verborgenen und mysteriösen Seite lag, die der Erde immerzu abgewandt ist, und die kein rein menschliches Wesen, den Träumer Snireth-Ko vielleicht ausgenommen, je geschaut hat. Der nahe Anblick des Mondes wirkte auf Carter beunruhigend, und es behagten ihm weder Form noch Größe der Ruinen, die hier und dort zerfielen. Die toten Tempel auf den Bergen waren so plaziert, daß sie keine ziemlichen oder heilsamen Götter verherrlicht haben konnten, und den Symmetrien der geborstenen Säulen schien eine dunkle und verborgene Bedeutung innezuwohnen, die wenig zur Entdeckung einlud. Und wie die Beschaffenheit und das Aussehen dieser früheren Anbeter gewesen sein mochte, darüber weigerte sich Carter beharrlich, Vermutungen anzustellen.
Als das Schiff um den Mondrand gebogen war und über die von Menschen nie gesehenen Länder segelte, offenbarte die lunare Landschaft gewisse Anzeichen von Leben, und Carter erspähte viele niedrige, breite, runde Behausungen inmitten von Feldern grotesk weißlicher Pilze. Er bemerkte, daß diese Behausungen fensterlos waren, und dachte, daß ihre Form an die Iglus der Eskimos erinnerte. Dann sah er auf einmal die öligen Wellen einer trägen See, und wußte, daß die Reise erneut durch Wasser gehen würde - oder zumindest doch durch eine Flüssigkeit. Die Galeere schlug mit einem absonderlichen Geräusch auf die Oberfläche, und die merkwürdige Elastizität, mit der sie die Wellen aufnahmen, verwirrte Carter beträchtlich. Sie glitten nun mit hoher Geschwindigkeit dahin, passierten einmal eine andere Galeere ähnlichen Aussehens, die sie anriefen, sahen aber ansonsten nur jenes seltsame Meer und einen schwarzen und sternübersäten Himmel, obwohl die Sonne sengend darin brannte.
Gleich erhoben sich voraus die Bergzacken einer leprösen Küste, und Carter machte die dicken, unschön grauen Türme einer Stadt aus. Die Art, wie sie sich neigten und bogen, und die Weise, wie sie in Gruppen zusammenstanden, sowie die Tatsache, daß sie überhaupt keine Fenster aufwiesen, verstörte den Gefangenen sehr; und bitter bereute er den Leichtsinn, der ihn vom wunderlichen Wein jenes Kaufmanns mit dem höckerigen Turban hatte kosten lassen.
Carter konnte jetzt auf den vorausliegenden, ekelhaften Kais sich bewegende Gestalten erkennen, und je deutlicher er sie wahrnahm, um so mehr begann er sie zu fürchten und zu verabscheuen. Denn das waren keine Menschen mehr, nicht einmal annähernd, sondern große, grauweiße, schlüpfrige Dinger, die sich nach Belieben ausdehnen und zusammenziehen konnten. Ihre eigentliche Gestalt glich - obschon sie häufig wechselte - einer Art Kröte, die keine Augen, dafür aber eine sonderbar vibrierende Masse blaßroter Tentakel am Ende ihres stumpfen, vagen Mauls besaß. Diese Objekte watschelten geschäftig die Kais entlang, verluden mit übernatürlicher Kraft Ballen, Lattenkisten und Behälter und sprangen gelegentlich mit langen Rüdem in den Vorderpfoten an oder von Bord einer ankernden Galeere. Und hin und wieder tauchte eines auf, das eine Schar zusammengepferchter Sklaven trieb, die eigentlich beinahe menschliche Wesen mit breiten Mündern waren, wie jene Kaufleute, die in Dylath-Leen Handel trieben; nur wirkten die Sklaven ohne Turbane, Schuhe und Kleidung nicht mehr ganz so menschlich. Einige der Sklaven - die fetteren, die eine Art Aufseher prüfend kniff - wurden aus Schiffen entladen, in Lattenkisten genagelt, und dann von Arbeitern entweder in die flachen Lagerhallen geschoben oder auf große rumpelnde Wagen verfrachtet.
Einmal wurde ein Wagen angespannt und weggefahren, und das Ding, das ihn zog, war so unglaublich, daß Carter nach Luft rang, obwohl er die anderen Monstrositäten dieses verhaßten Ortes bereits gesehen hatte. Dann und wann wurde eine kleine Schar Sklaven, bekleidet und beturbant wie die dunklen Händler, an Bord einer Galeere getrieben; ihr folgte eine große Gruppe der glitschigen Krötenwesen als Offiziere, Navigatoren und Ruderer. Und Carter fand heraus, daß die fastmenschlichen Kreaturen dazu ausersehen waren, die gemeineren, weniger Kraft erfordernden Arbeiten zu tun, z. B. das Steuern und Kochen, die Zuträgerdienste und den Handel mit den Menschen auf der Erde oder auf anderen Planeten, wo sie Geschäfte machten. Diese Geschöpfe mußten auf der Erde von Nutzen gewesen sein, denn wenn sie angezogen und sorgfältig beschuht und beturbant waren, sahen sie den Menschen wahrhaftig nicht unähnlich und konnten in den Läden der Händler ungehindert und ohne sonderliche Erklärungen feilschen. Doch die meisten von ihnen wurden, wenn sie nicht mager oder mißgebildet waren, entkleidet, in Lattenkisten gezwängt und auf holpernden Wagen von ungeheuren Wesen davongezogen. Manchmal lud man auch andere Geschöpfe aus und steckte sie in Kisten; einige davonsahen jenen halbmenschlichen sehr ähnlich, andere schon wieder weniger und manche überhaupt nicht. Und Carter fragte sich, ob wohl noch einige der armen, gedrungenen, schwarzen Männer aus Parg übriggeblieben waren, um entladen, verstaut und auf diesen abscheulichen Karren ins Landesinnere verbracht zu werden.
Als die Galeere an einem schmierigen Kai aus porösem Fels anlegte, quoll eine alptraumhafte Horde der Krötenwesen aus den Luken, und zwei von ihnen packten Carter und schleppten ihn an Land. Der Geruch und der Anblick der Stadt waren über alle Beschreibung, und Carter behielt nur fragmentarische Eindrücke von geziegelten Straßen, schwarzen Torwegen und endlosen Klippen vertikaler, grauer Mauern ohne Fenster. Zuletzt wurde er in einen niedrigen Toreingang gezerrt und gezwungen, im Stockdunkel unendliche Treppen hinaufzusteigen. Offenbar war es den Krötenwesen ganz einerlei, ob Licht oder Finsternis herrschte. Der Ort stank unerträglich, und als man Carter in eine Kammer sperrte und allein ließ, besaß er kaum die Kraft, herumzukriechen, um sich über ihre Form und Ausmaße klar zu werden. Sie war rund, und ihr Durchmesser lag bei etwa zwanzig Fuß.
Von da an hörte die Zeit auf zu existieren. In Abständen wurde Essen hereingeschoben, aber Carter rührte es nicht an. Was sein Schicksal sein würde, wußte er nicht; doch er fühlte, daß er für das Kommen der gräßlichen Seele und des Boten der Anderen Götter der Unendlichkeit, das kriechende Chaos Nyarlathotep, gefangen gehalten wurde. Endlich, nach einer unbemessenen Spanne von Stunden oder Tagen, schwang die große Steintür wieder auf, und Carter wurde die Treppe hinunter und hinaus auf die roterleuchteten Straßen dieser furchtbaren Stadt gestoßen. Nacht regierte auf dem Mond, und überall in der Stadt waren fackeltragende Sklaven postiert.
Auf einem abscheulichen Platz formierte sich so etwas wie eine Prozession; zehn Krötenwesen und vierundzwanzig fastmenschliche Fackelträger, zu jeder Seite elf und jeweils einer an der Spitze und am Schluß. Sie nahmen Carter in die Mitte; fünf Krötenwesen vor, und fünf hinter ihm, und links und rechts ein fastmenschlicher Fackelträger. Manche der Krötenwesen brachten widerliche geschnitzte Flöten aus Elfenbein zum Vorschein und erzeugten ekelhafte Töne darauf. Zu diesem höllischen Gepfeif bewegte sich die Kolonne durch die geziegelten Straßen, hinaus in nachtschwarze Ebenen obszöner Pilze, und begann bald einen der flacheren und weniger steilen Berge zu ersteigen, die sich hinter der Stadt erhoben. Daß auf irgendeinem entsetzlichen Abhang oder gottlosen Plateau das kriechende Chaos wartete, daran durfte Carter nicht zweifeln; und er hoffte nur, daß die Ungewißheit bald vorüber sein würde. Das Winseln dieser blasphemischen Röten war schockierend, und er hätte Welten für ein halbwegs normales Geräusch gegeben; doch die Krötenwesen besaßen keine Stimmen, und die Sklaven sprachen nicht.
Dann drang ein normales Geräusch durch die stemfleckige Dunkelheit. Es rollte die höheren Berge hinab, wurde von allen schrundigen Gipfeln ringsum aufgenommen und in einem anschwellenden, pandämonischen Chor zurückgeworfen. Es war der mitternächtliche Schrei der Katze, und nun wußte Carter, daß die alten Stadtbewohner zu Recht ihre leisen Mutmaßungen über jene kryptischen Bereiche anstellten, die nur den Katzen bekannt sind, und in die sich des Nachts die älteren Katzen heimlich begeben, indem sie von hohen Hausgiebeln springen. Es ist tatsächlich die Rückseite des Mondes, die sie aufsuchen, um dort auf den Bergen zu hüpfen und zu tollen und mit alten Schatten zu verkehren; und hier, inmitten dieser Kolonne fötaler Wesen, vernahm Carter ihren vertrauten, freundlichen Ruf, und er dachte an die steilen Dächer, die warmen Herdstellen und die kleinen, erleuchteten Fenster zu Hause.
Carter verstand viel von der Katzensprache, und an diesem fernen und schrecklichen Ort stieß er den entsprechenden Schrei aus. Doch das hätte er gar nicht zu tun brauchen, denn gerade als sich seine Lippen öffneten, hörte er den Chor anwachsen und näherkommen und sah flinke Schatten gegen die Sterne, als kleine anmutige Gestalten von Berg zu Berg sprangen. Der Ruf des Clans war ergangen, und ehe die widerwärtige Prozession noch Zeit zur Furcht fand, brach auch schon eine erstickende Fellwolke und eine Phalanx mörderischer Klauen wie eine Sturzflut und ein Sturm über sie herein. Die Flöten verstummten, und Schreie hallten durch die Nacht. Sterbende Fastmenschliche kreischten, und Katzen fauchten und jaulten und brüllten, nur die Krötenwesen gaben keinen Laut von sich, als ihr stinkendes, grünes Blutwasser fatal auf den porösen Boden mit den obszönen Pilzen niedertropfte.
Solange die Fackeln brannten, bot sich ein erstaunliches Bild, und nie zuvor hatte Carter so viele Katzen gesehen. Schwarze, graue und weiße; gelbe, getigerte und bunte; gewöhnliche Hauskatzen, Perser- und Manx-, Tibet-, Angora- und Ägypterkatzen, alle waren sie da in der Raserei der Schlacht, und über ihnen schwebte ein Hauch jener profunden und unentweihten Heiligkeit, die ihre Gottheit in den Tempeln von Bubastis groß machte. Zu siebt fuhren sie einem Fastmenschlichen an die Kehle oder sprangen einem Krötenwesen ans blaßrote Tentakelmaul und zerrten es reißend zu Boden, wo eine Myriade ihrer Gefährten mit den wahnsinnigen Zähnen und Krallen einer göttlichen Schlachtenfurie darüber herfiel. Carter hatte einem niedergestreckten Sklaven die Fackel abgenommen, wurde jedoch bald von den wogenden Wellen seiner getreuen Verteidiger überwältigt. Dann lag er in völliger Finsternis und hörte den Kriegslärm und die Rufe der Sieger, und spürte die sanften Pfoten seiner Freunde, als sie im Kampfgetümmel kreuz und quer über ihn hineilten.
Zuletzt verschlossen ihm Scheu und Erschöpfung die Augen, und als er sie wieder aufschlug, erblickte er eine wunderliche Szenerie. Der gewaltige, leuchtende Diskus der Erde, dreizehnfach größer als sich uns Menschen die Scheibe des Mondes darbietet, war mit geisterhaften Lichtfluten über der lunaren Landschaft aufgegangen; und auf den meilenweiten, öden Plateaus und zerklüfteten Bergkämmen kauerte ein endloses Meer von Katzen in wohlgeordneter Schlachtreihe. Ring schloß sich an Ring, und zwei oder drei der Heerführer leckten sein Gesicht und schnurrten ihm tröstend zu. Von den toten Sklaven und den Krötenwesen fehlte beinahe jede Spur, aber Carter glaubte ein wenig abseits, in dem freien Raum zwischen sich und den Kriegern, einen Knochen zu sehen.
Carter redete jetzt mit den Anführern in der weichen Sprache der Katzen und erfuhr, daß seine alte Freundschaft mit der Rasse wohlbekannt war und an den Versammlungsplätzen der Katzen oft erwähnt wurde. Er war nicht unbemerkt geblieben, als er durch Ulthar ging, und die geschmeidigen alten Katzen hatten sich erinnert, wie er sie streichelte, nachdem sie sich der hungrigen Zoogs angenommen hatten, die ein kleines schwarzes Kätzchen boshaft ansahen. Und sie entsannen sich auch daran, wie er eben dies kleine Kätzchen, das ihn im Gasthof besuchen kam, aufgenommen und ihm morgens, bevor er aufbrach, ein Schälchen fetter Sahne hingestellt hatte. Der Großvater besagten ganz winzigen Kätzchens war der Anführer der jetzt versammelten Armee, denn er hatte die schlimme Prozession von einem fernen Berg aus entdeckt und in dem Gefangenen den eingeschworenen Freund seiner Rasse auf der Erde und im Land des Traums erkannt.
Von einem entfernten Gipfel ertönte jetzt ein Geheul, und der alte Anführer hielt abrupt in seiner Rede inne. Es war einer der Vorposten der Armee, auf dem höchsten Berg stationiert, um nach dem einzigen Feind Ausschau zu halten, den die Katzen der Erde fürchten: die sehr großen und sonderbaren Katzen vom Saturn, die aus irgendeinem Grund den Zauber der Nachtseite unseres Mondes nicht vergessen haben. Sie sind durch einen Vertrag mit den bösen Krötenwesen verbündet und unseren Erdenkatzen notorisch feindlich gesinnt; sodaß zu diesem kritischen Zeitpunkt ein Treffen eine sehr ernste Angelegenheit gewesen wäre.
Nach einer knappen Beratung der Generäle erhoben sich die Katzen und bildeten eine dichtere Formation, indem sie sich schützend um Carter sammelten und sich auf den weiten Sprung durch das All, zurück auf die Hausdächer unserer Erde und ihres Traumlandes, vorbereiteten. Der alte Feldmarschall riet Carter, sich von den massierten Reihen pelziger Springer sanft und passiv mittragen zu lassen und erklärte ihm, wie er mit den übrigen abspringen und mit ihnen zusammen wieder landen sollte. Er bot ihm auch an, ihn an jedem gewünschten Ort abzusetzen, und Carter entschied sich für die Stadt Dylath-Leen, von wo die schwarze Galeere ausgelaufen war; denn von dort wollte er nach Oriab und dem behauenen Gipfel des Ngranek segeln, und zudem die Leute der Stadt vor weiterem Handel mit den schwarzen Galeeren warnen, falls es überhaupt möglich sein sollte, diese Geschäfte taktvoll und besonnen abzubrechen. Dann sprangen auf ein Signal hin alle Katzen, den Freund in ihrer Mitte sicher geborgen, los; während in einer schwarzen Höhle auf einem ruchlosen Gipfel der Mondberge das kriechende Chaos Nyarlathotep immer noch vergeblich wartete.
Der Sprung der Katzen durch das All verlief sehr rasch; und da ihn seine Gefährten umgaben, sah Carter diesmal die riesigen schwarzen Unförmlichkeiten nicht, die in dem Abgrund lauem und torkeln und zappeln. Ehe er noch ganz begriff, was geschehen war, befand er sich wieder in seinem vertrauten Zimmer im Gasthof zu Dylath-Leen, und die heimlichen, freundlichen Katzen ergossen sich in Strömen aus dem Fenster. Der alte Anführer aus Ulthar ging als letzter, und als ihm Carter die Pfote drückte, meinte er, er könne mit dem Hahnenschrei wieder zu Hause sein. Als die Morgendämmerung anbrach, begab Carter sich nach unten und erfuhr, daß seit seiner Gefangennahme und seinem Verschwinden eine Woche verstrichen war. Es galt also noch beinahe zwei Wochen auf das Schiff nach Oriab zu warten, und in dieser Zeit sagte Carter gegen die schwarzen Galeeren und ihre fürchterlichen Reisen was er nur konnte. Die meisten Bürger glaubten ihm; und doch schätzten die Juweliere große Rubine so sehr, daß keiner von ihnen endgültig versprechen wollte, den Handel mit den breitmundigen Kaufleuten einzustellen. Sollte Dylath-Leen jemals ein Übel aus solchem Handel erwachsen, wird er keine Schuld daran tragen.
Nach einer Woche etwa passierte das ersehnte Schiff den schwarzen Wall und den hohen Leuchtturm, und Carter sah erleichtert, daß es ein Boot mit gesunder Besatzung, bemalten Flanken, gelben Lateinsegeln und einem grauhaarigen, in seidene Roben gehüllten Kapitän war. Als Fracht führte es das duftende Harz aus Oriabs verborgenen Hainen"die delikaten Töpferwaren, die die Künstler von Baharna gebrannt hatten und die seltsamen kleinen Figuren, die aus der alten Lava des Ngranek gemeißelt waren. Sie bekamen dafür Wolle aus Ulthar, schillernde Stoffe aus Hatheg und das Elfenbein, das die schwarzen Menschen in Parg jenseits des Flusses schnitzten. Carter vereinbarte mit dem Kapitän eine Passage nach Baharna, und man unterrichtete ihn davon, daß die Reise zehn Tage dauern würde. Und während der Woche, die er wartete, sprach er viel mit diesem Kapitän über den Ngranek und erfuhr, daß nur sehr wenige das dort in den Fels gehauene Gesicht gesehen hätten; die meisten Reisenden gäben sich damit zufrieden, den Legenden der alten Leute, der Lavasammler und der Steinbildner in Baharna zu lauschen und behaupteten dann später in ihrer weitentfernten Heimat, sie hätten es mit eigenen Augen geschaut. Der Kapitän war sich nicht einmal sicher, ob überhaupt irgendein jetzt Lebender das steinerne Gesicht erblickt hatte, denn diese Seite des Ngranek sei sehr schwer zugänglich, kahl und finster, und außerdem gäbe es Gerüchte über gipfelnahe Höhlen, worin die Dunkel-Dürren hausten. Doch beschreiben wollte der Kapitän das mögliche Aussehen eines Dunkel-Dürren nicht, denn von diesem Geschmeiß wisse man, daß es ganz hartnäckig die Träume jener verfolge, die zu oft daran dachten. Dann fragte Carter den Kapitän nach dem unbekannten Kadath in der kalten Öde und nach der wunderbaren Stadt im Sonnenuntergang, aber hierüber wußte der gute Mann wirklich nichts zu berichten.
Eines Frühmorgens segelte Carter mit Wechsel der Flut aus dem Hafen von Dylath-Leen und beobachtete die ersten Strahlen des Sonnenaufgangs auf den dünnen, kantigen Türmen jener dunklen Basaltstadt. Zwei Tage segelten sie ostwärts entlang der grünen Küsten und entdeckten oftmals hübsche Fischerstädtchen, deren rote Dächer und Kaminkappen sich steil über alten, verträumten Kaianlagen und Stranden erhoben, auf denen Netze zum Trocknen auslagen. Doch am dritten Tag steuerten sie hart nach Süden, wo die See schwerer rollte, und schon bald sahen sie gar kein Land mehr. Am fünften Tag breitete sich Unruhe unter den Matrosen aus, doch der Kapitän entschuldigte ihre Furcht, indem er erklärte, das Schiff werde bald über den tangbewachsenen Mauern und zerbrochenen Säulen einer versunkenen Stadt, älter als jede Erinnerung, hinfahren, und bei klarem Wasser könne man an diesem Ort so viele schwebende Schatten ausmachen, daß schlichte Gemüter Anstoß daran nähmen. Er gestand überdies, daß in diesem Teil der See viele Schiffe verschollen wären; ganz in der Nähe der versunkenen Stadt seien sie noch angerufen worden, aber dann hätte man nie wieder etwas von ihnen gesehen.
In jener Nacht schien der Mond hell, und man konnte eine weite Strecke ins Wasser hinabschauen. Es kam so wenig Wind auf, daß das Schiff sich kaum bewegte und der Ozean ganz still lag. Carter beugte sich über die Reling und erblickte viele Faden tief den Dom des großen Tempels und davor eine von unnatürlichen Sphinxen gesäumte Allee, die auf einen ehemaligen öffentlichen Platz zuführte. Delphine spielten ausgelassen zwischen den Ruinen; hier und da tollten plumpe Tümmler, die manchmal an die Oberfläche schwammen und sich hoch aus dem Meer schnellten. Als das Schiff ein wenig weiterdriftete, stieg der Meeresboden in Hügeln an, und deutlich ließen sich die Linien alter, steiler Straßen und die niedergewaschenen Mauern von Myriaden kleiner Häuser erkennen.
Dann glitten die Vororte in den Blick und schließlich auf einem Berg ein großes, einsames Bauwerk von einfacherer Architektur und in wesentlich besser erhaltenem Zustand. Es war dunkel und flach und nahm die vier Seiten eines Quadrats ein, mit je einem Turm in den Ecken, einem Pflasterhof im Zentrum und kleinen, merkwürdig runden Fenstern. Möglicherweise bestand es aus Basalt, doch jetzt deckte es der Seetang fast völlig zu; und nach seinem einsamen und impressiven Standort auf jenem abgelegenen Hügel zu urteilen, hätte es ein Tempel oder Kloster sein können. Ein Schwarm phosphoreszierender Fische im Innern verlieh den kleinen runden Fenstern den Anschein, erleuchtet zu sein, und Carter nahm den Seeleuten ihre Angst nicht weiter übel. Dann bemerkte er im wässerigen Mondlicht einen sonderbar hohen Monolithen in der Mitte des Zentralhofes und sah, daß irgend etwas daran festgebunden war. Und als er, nachdem er sich aus der Kajüte des Kapitäns ein Teleskop besorgt hatte, entdeckte, daß es sich bei dem angebundenen Ding um einen in die Seidenroben Oriabs gekleideten Seemann handelte, den augenlosen Kopf nach unten, war er froh, daß eine schwellende Brise das Schiff bald in gesündere Meeresbreiten vorantrieb.
Den nächsten Tag trafen sie ein Schiff unter violetten Segeln, das mit einer Ladung wunderlich gefärbter Lilienknollen nach Zar im Land der vergessenen Träume unterwegs war. Und am Abend des elften Tages kam die Insel Oriab mit dem in der Feme aufragenden, zerrissenen und schneegekrönten Ngranek in Sicht. Oriab ist eine sehr große Insel und ihr Hafen Bahama eine mächtige Stadt. Die Kais von Bahama sind aus Porphyr, und hinter ihnen erhebt sich in gewaltigen Steinterrassen die Stadt mit Stufenstraßen, die häufig von Gebäuden und den Brücken zwischen Gebäuden überwölbt werden. In einem Tunnel mit Granittoren fließt ein immenser Kanal unter der gesamten Stadt hindurch und mündet in den Binnensee Yath, an dessen entfernten Gestaden die ausgedehnten Lehmsteinruinen einer uranfänglichen Stadt liegen, deren Name vergessen ist. Als das Schiff am Abend in den Hafen lief, blinkten die Zwillingssignalfeuer Thonund Thai einen Willkommensgruß, und in der Million Fenster auf Bahamas Terrassen schienen milde Lampen auf, still und allmählich wie die Sterne am Dämmerlümmel, bis zuletzt der steile und ansteigende Seehafen als glitzerndes Sternbild zwischen den Himmelslichtem und den Spiegelungen eben dieser Lichter im stillen Hafenbecken hing.
Nach dem Anlegen lud der Kapitän Carter als Gast in sein eigenes kleines Haus an den Ufern des Yath-Sees, dort wo sich die Ausläufer der Stadt bis zu ihm hinunterziehen; und seine Frau und seine Diener tischten zum Entzücken des Reisenden fremdartige, schmackhafte Speisen auf. In den folgenden Tagen fragte Carter in allen Tavernen und auf den öffentlichen Plätzen, wo sich die Lavasammler und Steinbildner treffen, nach Gerüchten und Legenden über den Ngranek, aber es gelang ihm nicht, jemanden zu finden, der auf den höhergelegenen Hängen gewesen war oder das herausgemeißelte Gesicht gesehen hatte. Der Ngranek sei ein schwieriger Berg, hinter dem nur ein verfluchtes Tal liege, und außerdem könne man sich nie mit Gewißheit darauf verlassen, daß die Dunkel-Dürren ausschließlich in der Fabel existierten.
Als der Kapitän nach Dylath-Leen zurücksegelte, quartierte sich Carter in einem alten Wirtshof ein, der auf ein Treppengäßchen in der Altstadt hinausführte, die aus Ziegeln gebaut ist und den Ruinen am entfernten Ufer des Yath-Sees ähnelt. Hier schmiedete er Pläne für die Besteigung des Ngranek und trug alles zusammen, was er von den Lavasammlern über den Weg dorthin erfahren hatte. Der Besitzer der Taverne war ein sehr alter Mann und hatte so viele Legenden gehört, daß er eine große Hilfe bedeutete. Er führte Carter sogar in einen Raum im Obergeschoß des alten Hauses und zeigte ihm ein krudes Bild, das ein Reisender in jenen verflossenen Tagen in die Lehmwand geritzt hatte, als sich die Menschen noch kühner und weniger abgeneigt zeigten, die hochgelegenen Ranken des Ngranek aufzusuchen. Der Urgroßvater des alten Tavernenbesitzers hatte von seinem Urgroßvater erzählt bekommen, daß der Reisende, der besagtes Bild einritzte, den Ngranek bestiegen, das gemeißelte Gesicht gesehen und es anschließend hier aufgezeichnet hatte, damit andere es betrachten konnten; doch daran hegte Carter starke Zweifel, denn die großen, rohen Züge auf der Wand waren hastig und sorglos hingeworfen und zudem völlig mit einer Unmenge kleiner, äußerst geschmackloser Begleitfigürchen mit Hörnern, Flügeln, Klauen und Ringelschwänzchen bedeckt.
Nachdem er zuletzt alle Informationen eingesammelt hatte, die es in den Tavernen und auf den öffentlichen Plätzen von Bahama einzusammeln gab, mietete Carter ein Zebra und brach eines Morgens entlang der Straße am Ufer des Yath-Sees zu jenem Gebiet des Landesinnern auf, in dem sich der steinige Ngranek türmt. Zu seiner Rechten wellten sich Hügel, gefällige Obstgärten und blitzblanke, kleine Steinfarmhäuser, und dieser Anblick erinnerte ihn eindringlich an die fruchtbaren Felder, die den Skai flankieren. Gegen Abend befand er sich nahe der namenlosen, antiken Ruinen am jenseitigen Ufer des Yath-Sees, und obwohl ihn erfahrene Lavasammler davor gewarnt hatten, hier nachts zu kampieren, band er sein Zebra an einer merkwürdigen Säule vor einer zerbröckelnden Mauer an und breitete seine Decke in einem geschützten Winkel unter irgendwelchen Steingravuren aus, deren Bedeutung niemand entziffern konnte. Er wickelte sich in eine zweite Decke, denn die Nächte Oriabs sind kalt; und als er beim Aufwachen einmal glaubte, die Flügel eines Insektes zu spüren, das sein Gesicht streifte, zog er den Kopf ganz unter die Decke und schlief friedlich weiter, bis ihn die Magahvögel in den fernen Harzwäldchen weckten.
Die Sonne war eben erst über dem großen Abhang aufgegangen, von dem sich meilenweit uralte Ziegelfundamente, abgetragene Mauern und dazwischen geborstene Säulen und Piedestale desolat bis ans Ufer des Yath-Sees zogen, und Carter blickte sich nach seinem Zebra um. Groß war seine Bestürzung, als er das zahme Tier neben der merkwürdigen Säule, an der er es angeleint hatte, niedergestreckt fand, und seine Verwirrung wuchs noch, als er feststellte, daß das Reittier tot und bis auf den letzten Blutstropfen ausgesaugt war, und zwar durch eine einzige Wunde am Hals. Sein Gepäck hatte man durchwühlt und einigen glitzernden Schnickschnack mitgenommen, und ringsum auf der staubigen Erde entdeckte er die großen Abdrücke von Schwimmfüßen, für die er sich keine Erklärung wußte. Die Legenden und Warnungen der Lavasammler fielen ihm ein, und er dachte an das, was nachts sein Gesicht gestreift hatte. Dann schulterte er sein Gepäck und marschierte dem Ngranek zu, doch nicht ohne leises Schaudern, als dicht an der durch die Ruinen verlaufenden Straße tief in der Mauer eines alten Tempels ein Gewölbe gähnte, dessen Stufen weiter in die Dunkelheit hinabführten, als er spähen konnte.
Sein Weg stieg jetzt bergan durch eine wildere und teilweise waldige Landschaft, und er traf nur auf Köhlerhütten und die Lager derjenigen, die in den Hainen das Harz sammelten. Die Luft duftete balsamisch, und alle Magahvögel zwitscherten vergnügt, als sie ihr siebenfarbiges Gefieder in der Sonne strahlen ließen. Kurz vor Sonnenuntergang erreichte er ein neuerrichtetes Lager der Lavasammler, die mit prallgefüllten Säcken von den unteren Hängen des Ngranek zurückkehrten; und hier kampierte auch er, vernahm die Lieder und Geschichten der Männer und belauschte, was sie über einen Gefährten flüsterten, den sie verloren hatten. Er war hoch hinaufgeklettert, um an einen Brocken feinster Lava heranzukommen, und bei Einbruch der Nacht nicht zu seinen Kameraden zurückgekommen. Als sie ihn am nächsten Tag suchten, fanden sie nur seinen Turban, und auch unten zwischen den Klippen fehlte jedes Anzeichen dafür, daß er abgestürzt war. Sie forschten nicht weiter nach ihm, denn ein alter Mann aus ihrer Mitte meinte, es wäre zwecklos. Keiner würde je das finden, was die Dunkel-Dürren holten, obwohl diese Bestien selbst so zweifelhaft seien, daß sie fast schon fabulös wären. Carter erkundigte sich bei ihnen, ob Dunkel-Dürre Blut saugten, glitzernde Sachen liebten und Abdrücke von Schwimmfüßen hinterließen, aber alle schüttelten verneinend die Köpfe und schienen von seiner Nachforschung erschreckt. Als er merkte, wie wortkarg sie geworden waren, gab er es auf, weitere Fragen zu stellen und legte sich unter seiner Decke schlafen.
Am nächsten Tag stand er mit den Lavasammlern auf und tauschte Abschiedswünsche mit ihnen, als sie nach Westen ritten, und er, auf einem Zebra, das er ihnen abkaufte, gen Osten. Die alten Männer erteilten ihm ihren Segen und ihre Ermahnungen und rieten ihm, besser nicht zu hoch auf den Ngranek zu klimmen, aber obwohl er sich herzlich bei ihnen bedankte, wurde er in seinem Entschluß doch kein bißchen wankelmütig. Denn er fühlte noch immer, daß er die Götter auf dem unbekannten Kadath finden und ihnen einen Weg zu jener bezaubernden und wunderbaren Stadt im Sonnenuntergang abgewinnen mußte. Nach einem ausgedehnten Ritt bergan gelangte er mittags zu mehreren verlassenen Ziegeldörfem der Hügelleute, die einst so dicht am Ngranek gelebt und aus seiner glatten Lava Figuren gebildet hatten. Bis in die Tage des Großvaters des alten Tavernenbesitzers hatten sie hier gewohnt, doch etwa um diese Zeit spürten sie, daß ihre Gegenwart unerwünscht war. Ihre Häuser waren sogar den Berghang hochgekrochen, und je höher hinauf sie bauten, desto mehr Leute vermißten sie wenn die Sonne aufging. Und endlich beschlossen sie, es wäre besser, überhaupt wegzuziehen, denn manchmal sah man im Dunkeln flüchtig Dinge, die keiner vorteilhaft auszulegen vermochte;
deshalb zogen sie schließlich alle hinunter ans Meer und lebten in Bahama, wo sie ein sehr altes Viertel bewohnten und ihren Söhnen die überlieferte Kunst der Steinbildnerei lehrten, die sie bis auf den heutigen Tag ausüben. Von diesen Kindern der ausgewanderten Hügelleute hatte Carter bei seinen Streifzügen durch Bahamas alte Tavernen die besten Geschichten über den Ngranek gehört.
Inzwischen ragte die gewaltige, kahle Flanke des Ngranek immer höher auf, je mehr sich ihr Carter näherte. Die unteren Abhänge waren spärlich von Bäumen bestanden, darüber wuchsen dürre Büsche, und dann erhob sich das bare, gräßliche Gestein gespenstisch in den Himmel, um sich mit Frost und Eis und ewigem Schnee zu mischen. Carter konnte die Ritzen und Schrunde im düsteren Fels erkennen, und die Aussicht, dort hinaufzusteigen, behagte ihm nicht. Mancherorts, traten solide Lavaströme hervor, und Schlackehaufen übersäten Hänge und Grate. Vor neunzig Äonen, ehe sogar die Götter noch auf seinem spitzen Gipfel tanzten, hatte dieser Berg mit Feuer gesprochen und mit den Stimmen des Erddonners geröhrt. Nun türmte er sich ganz stumm und sinister und trug auf seiner verborgenen Seite das geheime, titanische Bildnis, von dem Gerüchte erzählten. Und es gab in diesem Berg Höhlen, die leer und allein mit vorzeitlicher Finsternis sein mochten, oder vielleicht - wenn die Legenden der Wahrheit entsprachen - Schrecken von ungeahnten Ausmaßen bargen.
Das Gelände stieg schräg zum Fuße des Ngranek an, dünn mit Zwergeichen und Eschen bewachsen und bestreut mit Felsgeröll, Lava, und altem Zinder. Neben den verkohlten Ascheresten zahlreicher Lagerplätze, an denen die Lavasammler zu rasten pflegten, standen mehrere kunstlose Altäre, die sie entweder zur Huldigung der Großen errichtet hatten, oder um das abzuwehren, was sie in den Hochpässen und Labyrinthhöhlen des Ngranek vermuteten. Abends erreichte Carter die vorgeschobenste Feuerstelle; hier schlug er sein Camp für die Nacht auf, band sein Zebra an einen jungen Baum und wickelte sich vor dem Einschlafen fest in seine Decken. Die ganze Nacht hindurch heulte ein ferner Voonith am Ufer eines versteckten Teichs, aber Carter fürchtete diesen amphibischen Schrecken nicht, denn man hatte ihm mit Bestimmtheit versichert, daß es kein Voonith wagen würde, sich den Hängen des Ngranek auch nur zu nahem. Im klaren Sonnenlicht des Morgens begann Carter den langen Aufstieg; er führte sein Zebra so weit mit, wie das nützliche Tier gehen konnte, doch als der Boden des lichten Waldes zu steil wurde, leinte er es an einer verkrüppelten Esche fest. Danach kletterte er allein weiter; zuerst durch den Wald mit seinen Ruinen antiker Dörfer auf zugewucherten Lichtungen, und dann über das feste Gras, wo ab und zu anämische Büsche wuchsen. Er bedauerte es, den Wald verlassen zu müssen, denn die Berglehne stieg ziemlich jäh an, und das Ganze wirkte einigermaßen schwindelerregend. Nach und nach begann er immer mehr Einzelheiten der unter ihm ausgebreiteten Landschaft zu erkennen, wenn er sich einmal umdrehte; die verlassenen Hütten der Steinbildner, die Haine mit den Harzbäumen und die Lagerstätten derer, die darin sammelten, die Wälder wo die prismatischen Magahs nisten und singen, und ganz weit entfernt sogar eine Andeutung der Ufer des Yath-Sees und jener abstoßenden, uralten Ruinen, deren Name vergessen ist. Er erachtete es für ratsamer, sich nicht umzuschauen und kletterte solange weiter, bis die Büsche nur noch sehr vereinzelt gediehen und oft bloß das feste Gras Halt gewährte.
Dann wurde die Humusschicht kärglich, und große Flächen schieren Felsgesteins brachen durch, hier und da klebte in einer Spalte der Horst eines Kondors. Zuletzt gab es nur noch den blanken Fels, und wäre er nicht so rissig und verwittert gewesen, hätte Carter kaum höher klimmen können. Buckel, Simse und Vorsprünge halfen ihm indes weiter; und es war ermutigend für ihn, hin und wieder das Zeichen eines Lavasammlers unbeholfen in den bröckeligen Stein eingekratzt zu finden und zu wissen, daß gesunde, menschliche Wesen vor ihm hier gewesen waren. Ab einer gewissen Höhe zeugten nach Bedarf eingeschlagene Hand- und Fußlöcher ebenso von menschlicher Gegenwart wie kleinere Steinbrüche und Ausgrabungen dort, wo man auf eine reiche Lavaader oder gar einen Strom gestoßen war. An einer Stelle hatte man kunstvoll einen schmalen Sims ausgehauen, über den man zu einem besonders reichen Vorkommen rechts der Hauptaufstiegsroute gelangte. Ein- oder zweimal wagte es Carter, sich umzuschauen und wurde fast von der ausgebreiteten Landschaft überwältigt. Der gesamte Inselstreifen zwischen ihm und der Küste lag offen vor seinem Blick, mit Bahamas Steinterrassen und dem Rauch seiner Schornsteine mystisch im Hintergrund. Und jenseits davon das grenzenlose Süd-Meer mit all seinen wunderlichen Geheimnissen.
Bis jetzt hatte sich der Weg dicht am Berg entlanggewunden, sodaß die abgelegene und behauene Flanke noch immer verborgen blieb. Carter entdeckte nun einen nach links aufsteigenden Sims, der in die gewünschte Richtung zu führen schien, und diesen Pfad schlug er in der Hoffnung ein, daß er sich als kontinuierlich erwies. Nach zehn Minuten erkannte er, daß er wirklich keine Sackgasse gewählt hatte, sondern daß der Weg in einem steilen Bogen weiterlief und ihn - endete er nicht unvermittelt oder wechselte seinen bisherigen Verlauf - nach einer Stunde Kletterei zu jenem unbekannten Südhang bringen mußte, der nur die desolaten Klippen und das verfluchte Lavatal überschaute. Als unter ihm neues Land auftauchte, sah er, daß es kahler und wilder war, als die seewärts liegenden Landstriche, die er durchquert hatte. Auch die Berghalde bot ein etwas anderes Bild; sie war hier von merkwürdigen Höhlen und Spalten durchsetzt, die auf dem direkten Weg, den er verlassen hatte, fehlten. Einige lagen über und einige unter ihm, alle öffneten sich auf schiere, lotrechte Kliffe und waren für Menschen unerreichbar. Die eiskalte Luft störte Carter nicht, denn das Klettern strengte sehr an. Nur daß sie immer dünner wurde, bereitete ihm Sorge, und er überlegte, ob hierin nicht vielleicht die Ursache für die Schwindelanfälle anderer Reisender und die daraus erwachsenden, absurden Geschichten über die Dunkel-Dürren zu sehen war, mit denen sie das Verschwinden jener Kletterer erklärten, die von diesen gefahrvollen Pfaden abstürzten. Die Erzählungen der Reisenden beeindruckten ihn nicht sonderlich, und für den Fall, daß es Schwierigkeiten geben sollte, trug er einen guten Krummsäbel bei sich. Alle nebensächlichen Gedanken verloren sich in dem Wunsch, jenes gemeißelte Gesicht zu sehen, das ihn möglicherweise auf die Spur der Götter oben auf dem unbekannten Kadath setzte.
In der furchtbaren Kälte der oberen Bergregion schließlich fand er sich der geheimnisumwitterten Seite des Ngranek gegenüber, und sah in unendlichen Abgründen unter sich die kleinen Klippen und sterilen Lavaschlünde, die vom alten Zorn der Großen kündeten. Nach Süden zu dehnte sich eine gewaltige Landfläche; aber die Gegend war wüst und ohne freundliche Felder oder Cottagekamine, und sie schien kein Ende nehmen zu wollen. In dieser Richtung fehlte jede Spur vom Meer, denn Oriab ist eine große Insel. In den fast vertikalen Abstürzen gähnten weiterhin zahllose schwarze Kavernen und unheimliche Spalten, aber für einen Kletterer waren sie unerreichbar. Oben ragte jetzt ein mächtiger Felsüberhang, der den Blick versperrte, und Carter wurde einen Moment lang von der Furcht befallen, daß er unüberwindlich sei. In dieser windgepeitschten Ungewißheit, Meilen über der Erde, mit nichts als leerem Raum und Tod auf einer und glatten Felswänden auf der anderen Seite, durchlebte er für Augenblicke die Angst, die die Menschen die verborgene Seite des Ngranek meiden läßt. Umkehren konnte er nicht, denn die Sonne stand bereits tief am Horizont. Führte kein Weg hinauf, würde ihn die Nacht noch immer hier kauern finden und die Morgenfrühe gar nicht mehr.
Aber es gab einen Weg, und er entdeckte ihn rechtzeitig. Nur ein äußerst erfahrener Träumer hätte diese unmerklichen Felsvorsprünge zu nutzen verstanden, doch für Carter reichten sie aus. Nachdem er den überhängenden Felsen bezwungen hatte, stellte er fest, daß der darüberliegende Hang wesentlich leichter war, als der untere, denn das Abschmelzen eines großen Gletschers hatte einen großzügig bemessenen, von Simsen überzogenen Lehmbodenstreifen zurückgelassen. Linkerhand fiel eine Steilklippe aus unabsehbaren Höhen senkrecht in unabsehbare Tiefen; der schwarze Mund ihrer Höhle lag über ihm und außer Reichweite. An anderen Stellen jedoch wich der Berg stark zurück und ließ Carter sogar Platz, um sich anzulehnen und auszuruhen.
Der Frost bewies ihm, daß er sich dicht unterhalb der Schneegrenze befinden mußte, und er blickte nach oben, um zu sehen, welche glitzernden Gipfelzinnen im späten, rotgoldenen Sonnenlicht leuchten würden. Richtig, dort oben erstreckten sich die Schneefelder unzählige tausend Fuß weit, und unter ihnen klebte eine ebensolche große, vorspringende Klippe, wie er sie gerade überstiegen hatte; mit kühn geschwungenen Umrissen hing sie dort für alle Zeiten. Und als er die Klippe sah, keuchte er und schrie laut auf und klammerte sich in Schrecken an den zerklüfteten Felsen; denn die titanische Ausbuchtung hatte nicht die Form bewahrt, die sie im Anfang der Erde erhalten hatte, sondern glühte im Sonnenuntergang rot und bestürzend mit den gemeißelten und polierten Zügen eines Gottes.
Streng und entsetzlich leuchtete das Gesicht, über das der Sonnenuntergang sein Feuer goß. Wie riesig es war, wird nie jemand ermessen können, doch Carter wußte sofort, daß es niemals von Menschenhand geformt sein konnte. Es war ein Gott, von den Händen der Götter gemeißelt, und er blickte erhaben und majestätisch auf den Sucher herab. Die Gerüchte hatten es als fremdartig und unverwechselbar beschrieben, und Carter erkannte, daß dies tatsächlich stimmte; denn die engen Augen, die großen Ohrläppchen, die schmalrückige Nase und das spitze Kinn, all dies deutete nicht auf eine Rasse von Menschen, sondern von Göttern hin.
Furchtgepackt hing er nun in dieser luftigen und gefahrvollen Höhe, obwohl ihm nur das begegnete, was er erwartet hatte und zu finden gekommen war; denn das Gesicht eines Gottes birgt mehr Wunder als sich prophezeien läßt, und ist dies Gesicht gewaltiger als ein Tempel und blickt bei Sonnenuntergang in der scyptischen Stille der Hochregion, aus deren schwarzer Lava es ehedem divin gemeißelt wurde, auf einen hernieder, dann ist das Wunder so mächtig, daß sich ihm niemand entziehen kann.
Hinzu trat noch das Wunder des Wiedererkennens; denn obwohl er geplant hatte, das ganze Traumland nach jenen zu durchforschen, deren Ähnlichkeit mit diesem Gesicht sie vielleicht als die Kinder der Götter auswies, wußte er doch, daß das unnötig geworden war. Das große, in den Berg gehauene Gesicht war ihm nämlich nicht unbekannt, sondern ähnelte solchen Gesichtern, wie er sie oft in den Tavernen des Seehafens Celephais gesehen hatte, der in Ooth-Nargai hinter den Tanarischen Bergen liegt und von jenem König Kuranes regiert wird, den Carter früher einmal im wachen Leben kannte. Jedes Jahr kamen Seeleute mit solchen Gesichtern in dunklen Schiffen ausdem Norden, um ihr Onyx gegen die bearbeitete Jade, das gesponnene Gold und die kleinen roten Singvögel von Celephais einzutauschen, und es lag auf der Hand, daß nur sie die Halbgötter sein konnten, die er suchte. Wo sie wohnten, mußte die kalte Öde nahe sein und in ihr der unbekannte Kadath und sein Onyxschloß für die Großen. Also nach dem soweit von der Insel Oriab entfernten Celephais mußte er, und zwar auf einer Route, die ihn nach Dylath-Leen zurück, den Skai aufwärts bis zur Brücke bei Nir und wieder in den verwunschenen Wald der Zoogs brachte, dort würde der Weg dann nach Norden schwenken, durch die Gartenlandschaften beim Oukranos, hin zu den vergoldeten Spitztürmen von Thran, wo er vielleicht eine Gallone fand, die über die Cerenäische See segelte. Doch jetzt herrschte tiefstes Zwielicht, und im Schattenriß blickte das große, gemeißelte Gesicht noch strenger herab. Auf diesen Sims gekauert traf die Nacht den Suchenden an; und in der Schwärze konnte er weder auf- noch absteigen, nur stehen bleiben, sich anklammem, vor Kälte zittern bis der Tag anbrach und darum beten wachzubleiben, damit der Schlaf nicht seinen Griff lockerte, und ihn die schwindelnden Meilen hinunter auf die Klippen und Felsnadeln des verfluchten Tales sandte. Die Sterne erschienen am Himmel, doch außer ihnen spiegelte sich nur das schwarze Nichts in seinen Augen; Nichts im Bund mit dem Tod, dessen Ruf er sich einzig dadurch widersetzen konnte, daß er sich am Felsen festkrallte und nach hinten lehnte, weg von einer unsichtbaren Kante. Das letzte, was er in der Dämmerung von der Erde sah, war ein Kondor, der dicht an dem westlichen Absturz neben ihm entlangsegelte und schreiend davonschoß, als er in die Nähe der Höhle kam, deren Maul unerreichbar gähnte. Plötzlich, ohne Warngeräusch im Dunkeln, fühlte Carter, wie ihm sein Krummmsäbel heimlich von unsichtbarer Hand aus dem Gürtel gezogen wurde. Dann hörte er ihn die Felsen hinabklappern. Und zwischen sich und der Milchstraße glaubte er das ganz entsetzliche Schemen eines verderblich dürren, gehörnten, geschwänzten und fledermausgeflügelten Etwas zu erkennen. Noch mehr Gestalten hatten begonnen, die Sternflecken zu verfinstern, und es schien, als flattere eine Herde vager Wesenheiten dichtgedrängt und stumm aus der unerreichbaren Höhle in der Felswand. Dann packte ein kalter, gummiartiger Arm sein Genick und irgend etwas anderes seine Füße, und er wurde rücksichtslos hochgerissen und herumgewirbelt. Noch eine Minute, und die Sterne waren verschwunden, und Carter wußte, daß ihn die Dunkel-Dürren geholt hatten.
In atemloser Stille trugen sie ihn in die Felsenhöhle und durch monströse Labyrinthe dahinter. Als er versuchte sich loszumachen, was er instinktiv gleich zu Anfang probiert hatte, kitzelten sie ihn mit Bedacht. Sie selbst verursachten keinerlei Geräusch, sogar ihre Membranflügel blieben stumm. Sie fühlten sich gräßlich kalt, feucht und glitschig an, und mit ihren Klauen kneteten sie einen abscheulich. Bald stürzten sie in einem wirbelnden, schwindelerregenden, krankmachenden Rausch klammer Grabesluft durch unabsehbare Schlünde hinab; und Carter spürte, daß sie in den Ultimaten Strudel des Gekreisches und dämonischen Irrsinns hineinschossen. Er schrie immer wieder, doch jedesmal kitzelten ihn die schwarzen Klauen nur noch subtiler. Dann nahm er eine graue Phosphoreszenz um sich herum wahr und vermutete, daß sie nun sogar zu jener inneren Welt subterranen Horrors gelangten, von der trübe Legenden erzählen, und die einzig von dem fahlen Irrlicht erleuchtet wird, das die ghoulische Luft und die uranfänglichen Nebel der Gruben in den Eingeweiden der Erde durchsetzt.
Zuletzt sah er tief unter sich die schwachen Umrisse grauer und ominöser Gipfel, die, wie er wußte, nur die sagenumwobenen Hörner von Throk sein konnten. Furchtbar und sinister stehen sie auf der heimgesuchten Rundebene sonnloser und ewiger Tiefen; ihre Höhe übersteigt die menschliche Vorstellungskraft, und sie bewachen schreckliche Täler, wo die Dhole kriechen und schändlich wühlen. Doch Carter blickte lieber auf die gewaltigen Bergspitzen als auf seine Überwältiger, diese wahrhaft schockierenden und unheimlichen schwarzen Wesen mit glatter, öliger, Walfischhaut, widerlich nach innen aufeinanderzugekrümmten Hörnem, Fledermausflügeln, deren Schlag kein Geräusch machte, häßlichen Greifklauen und stachelbewehrten Schwänzen, die grundlos und beunruhigend peitschten. Am schlimmsten war, daß sie nie sprachen oder lachten und nie lächelten, weil sie überhaupt kein Gesicht besaßen, um damit zu lächeln, nur eine suggestive Leere dort wo ein Gesicht sein sollte. Außer festkrallen, fliegen und kitzeln taten sie nichts; das war die Art der Dunkel-Dürren.
Als die Schar tiefer flog, türmten sich die Homer von Throk grau und gewaltig zu allen Seiten, und man konnte deutlich sehen, daß auf diesem rauhen und eindrucksvollen Granit des endlosen Zwielichts nichts gedieh. Noch weiter unten erloschen die Irrlichter in der Luft, und außer den dünnen Gipfeln, die sich oben gnomenhaft abzeichneten, umfing ihn nur die vorzeitliche Schwärze der Leere. Bald lagen die Gipfel sehr weit zurück, und es gab nichts als mächtig rauschende Winde, die die Klammheit der alleruntersten Grotten mit sich führten. Schließlich landeten die Dunkel-Dürren auf einem Boden voller unsichtbarer Dinge, der sich wie eine Knochenschicht anfühlte, und ließen Carter in dem schwarzen Tal allein. Ihn hierher zu bringen, darin bestand die Aufgabe der Dunkel-Dürren, die den Ngranek bewachen; und als dies getan war, flatterten sie stumm davon. Carter versuchte ihrem Flug zu folgen, doch es gelang ihm nicht, denn selbst die Homer von Throk ließen sich nicht mehr ausmachen. Ringsum existierten nur Schwärze, Entsetzen, Stille und Gebeine.
Nun wußte Carter zwar aus einer gewissen Quelle, daß er sich im Tal von Pnoth befand, wo die enormen Dhole kriechen und wühlen; aber was ihn erwartete ahnte er nicht, denn keiner hat je einen Dhole gesehen oder sich vorzustellen versucht, wie so ein Wesen wohl aussehen mochte. Dhole verraten ihre Gegenwart einzig durch gedämpfte Geräusche, durch das Geraschel, das sie zwischen den Knochenbergen anrichten und durch die schleimige Berührung, wenn sie sich an einem entlangwinden. Sehen kann man sie nicht, denn sie kriechen nur im Dunkel. Carter wollte keinem Dhole begegnen und horchte deshalb auf jedes Geräusch in den unbekannten Tiefen der Gebeine ringsum. Selbst an diesem furchterregenden Ort fehlte ihm weder Plan noch Ziel, denn Zuraunungen über Pnoth waren einer bestimmten Person, mit der er in vergangenen Tagen viel geredet hatte, nicht unbekannt. Kurzgesagt, es schien ihm mehr als wahrscheinlich, daß dies hier der Ort war, wohin alle Ghoule der wachen Welt die Abfälle ihrer Festgelage warfen; und daß er mit ein wenig Glück auf jenen mächtigen Felsen stoßen würde, der sogar die Zinnen Throks noch überragte und die Grenze ihres Gebietes markierte; Sturzbäche von Knochen würden ihm den Weg weisen, und hatte er die Stelle erst einmal gefunden, konnte er einen Ghoul rufen und ihn bitten, eine Leiter hinabzulassen; denn, so seltsam es auch klingt, Carter besaß eine höchst eigentümliche Verbindungzu diesen schrecklichen Kreaturen.
Ein Bekannter in Boston - ein Maler seltsamer Bilder mit einem geheimen Studio in einer alten und unheiligen Allee nahe eines Friedhofs - hatte sich tatsächlich mit den Ghoulen angefreundet und ihm beigebracht, die einfacheren Passagen ihres abstoßenden Gefiepes und Geplappers zu verstehen. Dieser Mann war zu guter Letzt verschwunden, und Carter war sich nicht so ganz sicher, ob er ihn nicht jetzt vielleicht wiederfinden und sich zum erstenmal im Traumland des so fernen Englisch seines undeutlich wachen Lebens bedienen würde. Auf jeden Fall glaubte er, einen Ghoul überreden zu können, ihn aus Pnoth hinauszuführen; und die Begegnung mit einem Ghoul, den man sehen kann, war derjenigen mit einem Dhole, den man nicht sehen kann, allemal vorzuziehen.
So schritt Carter durch das Dunkel und rannte los, wenn sich etwas zwischen den Knochen unter ihm regte. Einmal versperrte ein steiniger Hang den Weg, und er wußte, dies mußte der Fuß von einem der Gipfel Throks sein. Schließlich hörte er hoch oben in der Luft ein monströses Rasseln und Klappern, und dies verschaffte ihm die Gewißheit, daß er die Nähe des Ghoul-Felsens erreicht hatte. Anfangs bezweifelte er, ob man ihn aus diesem meilentiefen Tal hören würde, doch dann entsann er sich der eigentümlichen Gesetze der inneren Welt. Als er noch überlegte, traf ihn ein fallender Knochen mit solcher Wucht, daß es nur ein Schädel gewesen sein konnte, und weil ihm dies seine Nähe zu dem verhängnisvollen Felsen anzeigte, sandte er nach besten Kräften jenen fiependen Schrei hinauf, den man den Ruf des Ghouls nennt.
Der Schall reist langsam, deshalb dauerte es geraume Zeit, bis Carter eine geplapperte Antwort erhielt. Doch endlich kam sie, und bald schon sagte man ihm, daß eine Strickleiter herabgelassen werde. Das Warten zerrte an den Nerven, denn mit seinem Rufen konnte er zwischen all diesen Knochen alles mögliche aufgeschreckt haben. Und wirklich dauerte es nicht lange, da hörte er in einiger Entfernung ein vages Raschem. Als es zielstrebig näherkam, wurde ihm immer unbehaglicher; denn keinesfalls wollte er die Stelle verlassen, an der die Strickleiter herabkäme. Schließlich wuchs die Spannung ins Unerträgliche, und er wollte eben schon in Panik fliehen, als ihn der dumpfe Aufprall eines Gegenstandes auf die jüngst übereinandergetürmten Knochen von dem anderen Geräusch ablenkte. Es war die Leite», und nachdem er eine Minute umhergetastet hatte, hielt er sie fest in den Händen. Aber das andere Geräusch verstummte nicht und folgte ihm sogar beim Hinaufsteigen. Er befand sich ganze fünf Fuß hoch über dem Boden, als sich das Rascheln zunehmend verstärkte, und gute zehn Fuß hoch, als irgend etwas unter ihm die Strickleiter hin und her schwang. In einer Höhe von fünfzehn oder zwanzig Fuß fühlte er, wie sein ganzer Körper von einem langen, schlüpfrigen Etwas gestreift wurde, das durch seine Schlängelbewegungen abwechselnd konvexe und konkave Form annahm; und nach diesem Zwischenfall kletterte er verweifelt weiter, um der unerträglichen Beschnüffelung dieses ekelhaften und vollgefressenen Dholes zu entkommen, dessen Gestalt kein Mensch sehen kann.
Er kletterte stundenlang mit schmerzenden und blasigen Händen und begegnete erneut dem grauen Irrlicht und Throks unerfreulichen Gipfeln. Endlich erkannte er über sich die vorspringende Kante des großen Felsens der Ghoule, dessen vertikale Seite jedoch verborgen blieb; und Stunden später sah er ein merkwürdiges Gesicht, das so über den Rand zu ihm herablugte, wie ein fratzenhafter Wasserspeier über die Brustwehr von Notre Dame. Der Ohnmachtsanfall, den dieser Anblick auslöste, hätte ihn beinahe den Halt verlieren lassen, doch bereits nach einer Minute hatte er sich wieder gefangen; denn sein verschwundener Freund Richard Pickman hatte ihn einst einem Ghoul vorgestellt, und er kannte ihre hundeartigen Gesichter, vornübergebeugten Gestalten und unnennbaren Idiosynkrasien nur zu gut. Deshalb hielt er sich auch fest in der Gewalt, als ihn dies gräßliche Wesen aus der schwindelnden Leere über den Felsrand hievte, und weder die halbverzehrten Überbleibsel, die sich auf einer Seite häuften, noch der kauernde Kreis von Ghoulen, die nagten und neugierig schauten, ließen ihn aufschreien.
Er stand jetzt auf einer düster erleuchteten Ebene, die als einzige topographische Merkmale große Steinbrocken und Grubeneingänge aufwies. Die Ghoule verhielten sich überwiegend respektvoll, obwohl einer ihn zu zwicken versuchte, während mehrere andere seine Magerkeit prüfend beäugten. Mit geduldigem Plappern stellte er Nachforschungen über seinen verschwundenen Freund an und fand heraus, daß dieser ein recht prominenter Ghoul in jenen Abgründen geworden war, die näher an derwachen Welt lagen. Ein alter, grünlicher Ghoul erbot sich, ihn an Pickmans derzeitigen Aufenthaltsort zu führen, und so folgte er der Kreatur trotz eines natürlichen Widerwillens in eine geräumige Grube und kroch ihr stundenlang in der Schwärze modriger Erde hinterher. Sie kamen auf einer trüben Ebene heraus, die mit sonderbaren Relikten von der Erde übersät war - alte Grabsteine, geborstene Urnen und groteske Fragmente von Denkmälern - und Carter fühlte mit innerer Bewegung, daß er sich vermutlich näher an der wachen Welt befand als jemals zuvor, seit er die siebenhundert Stufen von der Kaverne der Flamme zum Tor des Tieferen Schlummers hinabgestiegen war.
Dort hockte, auf einem Grabstein des Jahres 1768, den man vom Granary-Kirchhof in Boston gestohlen hatte, ein Ghoul, der einstmals der Künstler Richard Upton Pickman war. Er war nackt und gummiartig und hatte so sehr die ghoulische Physionogmie angenommen, daß es seine menschliche Abkunft schon verdunkelte. Aber er sprach noch immer ein wenig Englisch und konnte sich durch Grunzen und einsilbige Worte mit Carter verständigen, wobei er sich manchmal auch mit der Plappersprache der Ghoule aushalf. Als er erfuhr, daß Carter zum Verwunschenen Wald wollte und von dort weiter zu der Stadt Celephais in Ooth-Nargai hinter den Tanarischen Bergen, schien er ziemlich besorgt; denn die Ghoule der wachen Welt machen sich auf den Friedhöfen des oberen Traumlandes nicht zu schaffen, (das überlassen sie den rotfüßigen Wamps, deren Brutplätze in toten Städten liegen) und vielerlei trennt ihren Abgrund vom Verwunschenen Wald, nicht zuletzt das schreckliche Königreich der Gugs.
Die gigantischen und haarigen Gugs hatten in diesem Wald früher Steinzirkel errichtet und den Anderen Göttern und dem kriechenden Chaos Nyarlathotep solange seltsame Opfer dargebracht, bis den Erdgöttern eines Nachts eine ihrer Greueltaten zu Ohren kam und sie in tiefergelegene Kavernen verbannt wurden. Den Abgrund der Erden-Ghoule und den Verwunschenen Wald verbindet nur eine große, steinerne Falltür mit einem eingelassenen Eisenring, und diese wagen es die Gugs wegen eines Fluches nicht zu öffnen. Daß ein sterblicher Träumer ihr Höhlenreich durchqueren und durch diese Tür verlassen könnte, ist undenkbar; denn vormals haben sie sich von sterblichen Träumern ernährt, und noch sind bei ihnen Legenden über die Schmackhaftigkeit solcher Träumer in Umlauf, obwohl ihre Kost durch die Verbannung auf die Ghasts beschränkt wurde, jene widerwärtigen Wesen, die im Licht sterben, in den Gewölben von Zin hausen und wie Känguruhs auf langen Hinterbeinen springen.
Deshalb riet der Ghoul, der Pickman war, Carter, den Abgrund entweder bei Sarkomand zu verlassen, der Ruinenstadt im Tal unterhalb von Leng, wo schwarze, salpetrige Treppenfluchten, von geflügelten dioritenen Löwen bewacht, vom Traumland hinunter zu den tiefen Schlünden führen, oder über einen Kirchhof die wache Welt wiederzugewinnen, und die Suche aufs neue zu beginnen, die siebzig Stufen des leichten Schlummers hinab zur Kaverne der Ramme und die siebenhundert Stufen hinunter zum Tor des Tieferen Schlummers und zum Verwunschenen Wald. Davon jedoch hielt der Sucher nichts; denn einerseits war ihm über den Weg von Leng nach Ooth-Nargai nicht das geringste bekannt, und andererseits widerstrebte es ihm, aufzuwachen, weil er dann befürchten mußte, alles zu vergessen, was er bis jetzt in diesem Traum erreicht hatte. Es hätte verheerende Wirkungen für seine Suche, vergäße er die erhabenen und göttlichen Gesichter jener Seeleute aus dem Norden, die in Celephais mit Onyx handelten und die, als Söhne der Götter, den Weg zur kalten Öde weisen mußten und damit auch zum Kadath, wo die Großen Wohnung haben.
Nach langen Überredungsversuchen willigte der Ghoul ein, seinen Gast in die mächtigen Mauern des Königreiches der Gugs zu führen. Es bestand die Chance, daß sich Carter durch die Zwielichtzone der runden Steintürme zu einer Zeit würde stehlen können, da die Riesen übersättigt in ihren Häusern schnarchten, um dann den zentralen Turm zu erreichen, der das Zeichen von Koth trägt und die Treppen birgt, die hinauf zur steinernen Falltür im Verwunschenen Wald führen. Pickman stimmte sogar zu, drei Ghoule abzustellen, die mit einem Grabstein als Hebel helfen sollten, die Steintür aufzudrücken; denn vor Ghoulen fürchten sich die Gugs ein wenig, und oft fliehen sie von ihren eigenen kolossalen Friedhöfen, wenn sie sie dort beim Schmaus antreffen.
Er riet Carter weiterhin, sich als Ghoul zu verkleiden; den Bart abzurasieren, den er sich hatte wachsen lassen (denn Ghoule haben keinen), sich nackt im Schlamm zu wälzen, um das richtige Äußere zu bekommen, in der typischen, vornübergebeugten Gangart dahinzutrotten und sein Kleiderbündel wie einen Leckerbissen aus einem Grab zu tragen. Durch die entsprechenden Grubengänge würden sie in die Stadt der Gugs - die gleichzeitig das ganze Königreich umfaßt - gelangen und auf einem Friedhof unweit des treppenbergenden Turmes von Koth herauskommen. Sie mußten sich allerdings vor einer großen Höhle nahe des Friedhofs hüten; denn dies ist der Eingang zu den Gewölben von Zin, und die rachelüstemen Ghasts lauem immer blutgierig jenen Bewohnern des oberen Abgrundes auf, von denen sie gejagt und verspeist werden. Wenn die Gugs schlafen, wagen sich die Ghasts hervor und greifen gleichermaßen Ghoule und Gugs an, denn sie können sie nicht von einander unterscheiden. Sie sind äußerst primitiv und fressen sich gegenseitig. An einer Engstelle in den Gewölben von Zin hält ein Gug Wache, doch er ist oft sehr schläfrig und wird daher manchmal von einer Horde Ghasts überrumpelt. Können die Ghasts im richtigen Licht auch nicht existieren, so ertragen sie doch das graue Zwielicht des Abgrunds für einige Stunden.
Zuletzt kroch Carter also durch endlose Gruben, zusammen mit drei hilfreichen Ghoulen, die den flachen Grabstein des Col. Nepemiah Derby, gest. 1719, vom Charter Street Kirchhof in Salem trugen. Als sie wieder ans Zwielicht drangen, befanden sie sich in einem Wald aus riesigen, flechtenbedeckten Monolithen, die fast so hoch aufragten wie der Blick reichte und die nichts anderes darstellten als die bescheidenen Grabsteine der Gugs. Rechts des Loches, aus dem sie krabbelten, gewährten Monolithenhallen eine bestürzende Durchsicht auf zyklopische Rundtürme, die grenzenlos in die graue Luft der inneren Erde stiegen. Dies war die große Stadt der Gugs, deren Torwege dreißig Fuß hoch sind. Die Ghoule kommen oft hierher, denn von einem beerdigten Gug kann sich eine Gemeinde beinahe ein Jahr lang ernähren, und trotz der erhöhten Gefahr ist es besser nach Gugs zu graben, als sich mit den Gräbern der Menschen abzugeben. Carter begriff jetzt, wie es sich mit den titanischen Knochen verhielt, die er im Tal von Pnoth manchmal unter sich gespürt hatte.
Geradeaus, genau vor dem Friedhof, erhob sich ein steiles, senkrechtes Kliff, an dessen Basis eine immense und abstoßende Höhle gähnte. Diese empfahlen die Ghoule Carter weitgehend zu meiden, denn es handele sich um den Eingang zu den ruchlosen Gewölben von Zin, wo Gugs im Finstem Ghasts jagten. Und tatsächlich erwies sich diese Warnung schon bald als sehr berechtigt; denn in dem Moment, als sich ein Ghoul anschickte, zu den Türmen hinüberzukriechen, um herauszufinden, ob man die Stunde der Ruhezeit der Gugs richtig berechnet hatte, da glühte in dem großen Höhlenmaul zuerst ein gelblichrotes Augenpaar auf und dann ein zweites, und dies bedeutete, daß die Gugs um eine Wache ärmer waren und die Ghasts wirklich über einen ausgezeichneten Geruchssinn verfügten. Deshalb schlich der Ghoul zur Grube zurück und ermahnte seine Gefährten, still zu bleiben. Man überließe die Ghasts am besten sich selbst, und außerdem bestehe die Möglichkeit, daß sie sich vielleicht bald zurückzogen, denn der Kampf mit einem Gug in den schwarzen Gewölben von Zin mußte sie natürlich ziemlich erschöpft haben. Kurz darauf hüpfte etwas von der Größe eines kleinen Pferdes in das graue Zwielicht; und bei dem Anblick dieses geschuppten, widerlichen Biestes, dessen Gesicht trotz des Fehlens von Nase, Stirn und anderer wichtiger Einzelheiten so sonderbar menschlich wirkte, wurde Carter übel.
Gleich hüpften noch drei Ghasts heraus, um sich ihren Kameraden anzuschließen, und ein Ghoul plapperte Carter leise zu, die nicht vorhandenen Narben seien ein schlechtes Zeichen. Das beweise, daß sie mit der Gug-Wache gar nicht gekämpft hatten, sondern nur an ihr vorbeigeschlüpft waren, als sie schlief, sodaß ihre Kraft und Wildheit noch ungebrochen sei und dies auch bleibe, bis sie ein Opfer gefunden und zur Strecke gebracht hätten. Es war sehr unerquicklich, diese gemeinen und mißgebildeten Tiere, deren Zahl sich binnen kurzem auf etwa fünfzehn belief, dabei zu beobachten, wie sie herumstöberten und ihre Känguruhsprünge vollführten, wo titanische Türme und Monolithen aufstrebten, aber weit unangenehmer war es, wenn sie sich in der keuchenden Gutturalsprache der Ghasts unterhielten. Und dennoch wirkten sie bei all ihrer Schrecklichkeit doch nicht so schrecklich wie das, was mit überraschender Plötzlichkeit unmittelbar nach ihnen aus der Höhle kam.
Es war eine Pranke, volle zweieinhalb Fuß breit, und mit formidablen Krallen bewehrt. Auf sie folgte eine zweite Pranke und dann ein großer, schwarzbepelzter Arm, mit dem beide Pranken durch kurze Vorderarme verbunden waren. Nun leuchteten zwei rosa Augen, und der Schädel des erwachten Gug-Posten wackelte ins Blickfeld. Von struppigen Haaren bewachsene Knochenwülste überschatteten die beiderseits zwei Zoll herausquellenden Augen. Doch das eigentlich Entsetzliche des Schädels blieb das Maul. Dies Maul zeigte lange, gelbe Fangzähne und verlief der Länge des Schädels nach, öffnete sich also vertikal statt horizontal.
Aber bevor sich der bedauernswerte Gug aus der Höhle gezwängt und zu seiner vollen Größe von zwanzig Fuß aufgerichtet hatte, waren die rachgierigen Ghasts über ihm. Carter befürchtete sekundenlang, er würde Alarm geben und sein ganzes Volk hochschrecken, bis ihm ein Ghoul gedämpft zuplapperte, daß Gugs keine Stimme besäßen und sich nur durch Mienenspiel verständigten. Die nun folgende Schlacht tobte wahrhaft fürchterlich. Die boshaften Ghasts stürmten von allen Seiten heftig auf den kriechenden Gug ein, bissen und rissen mit ihren Schnauzen und keilten mörderisch mit den harten, spitzen Hufen. Sie keuchten die ganze Zeit aufgeregt und schrien, wenn das große vertikale Maul des Gug einmal in einen der ihren fuhr, und der Kampfeslärm würde bestimmt die schlafende Stadt geweckt haben, hätte sich das Geschehen durch den nachlassenden Widerstand des Wachpostens nicht immer tiefer ins Höhleninnere verlagert. So kam es, daß sich der Tumult in der Schwärze der Beobachtung bald völlig entzog, und nur noch gelegentlich schlimme Echos seine Fortdauer bezeugten.
Dann gab der flinkste Ghoul das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch, und Carter folgte den drei trottenden Gestalten aus dem Monolithenwald heraus und hinein in die dunklen, stinkenden Straßen der entsetzlichen Stadt, deren runde Türme aus zyklopischem Stein höher aufschossen, als das Auge sah. Verschwiegen watschelten sie über das rauhe Felspflaster und vernahmen voll Ekel aus großen, schwarzen Torwegen ein abscheuliches, unterdrücktes Geschnarche, das vom Schlummer der Gugs kündete. Weil sie das Ende der Ruhezeit fürchteten, schlugen die Ghoule ein etwas rascheres Tempo an; trotzdem wurde es keine kurze Reise, denn in jener Stadt der Riesen haben Entfernungen einen großen Maßstab. Endlich jedoch betraten sie einen freien Platz vor einem Turm, der noch gewaltiger aussah als die übrigen. Es war der zentrale Turm mit dem Zeichen von Koth, und die hohen Steinstufen, die man eben noch im Dämmerschein innen erkannte, bildeten den Anfang der großen Treppenflucht, die zum oberen Traumland und dem Verwunschenen Wald führte.
Jetzt begann ein unermeßlicher langer Aufstieg in Pechschwärze: die monströsen Abmessungen der für Gugs angelegten und deshalb fast yardhohen Stufen machte ihn schier unmöglich. Ihre Anzahl vermochte Carter nicht genau zu schätzen, denn binnen kurzem fühlte er sich so stark ermattet, daß die unermüdlichen und elastischen Ghoule gezwungen waren, ihm zu helfen. Während des ganzen endlosen Anstiegs lauerte die Gefahr der Entdeckung und Verfolgung; denn obwohl es wegen des Fluches der Großen kein Gug wagt, die Steintür zum Wald zu öffnen, unterliegt der Turm mit seinen Treppen keiner solchen Beschränkung, und flüchtige Ghasts werden oft bis zur Spitze verfolgt. Die Ohren der Gugs sind so scharf, daß das Geräusch von den bloßen Händen und Füßen der Kletterer womöglich gleich mit dem Erwachen der Stadt gehört wurde; und die mächtig ausschreitenden Riesen, durch ihre Ghastjagden in den Gewölben von Zin an das Sehen im Dunkeln gewöhnt, würden natürlich nicht lange brauchen, um ihre kleinere und langsamere Beute auf diesen Zyklopenstufen einzuholen. Der Gedanke, daß man die stumm verfolgenden Gugs überhaupt nicht hören könnte, daß sie vielmehr urplötzlich und schockierend im Finstern über die Kletterer herfallen würden, war niederschmetternd. Auch auf die traditionelle Furcht der Gugs vor Ghoulen durfte man an diesem besonderen Ort, wo alle Vorteile bei den Gugs lagen, nicht bauen. Gefahr drohte ebenfalls von den verstohlenen und bösartigen Ghasts, die in der Ruhezeit der Gugs häufig den Turm hinaufhüpften. Schliefen die Gugs lange, und kehrten die Ghasts bald von ihrem Treiben in der Kaverne zurück, konnten diese widerwärtigen und übelgesinnten Wesen leicht die Witterung der Kletterer aufnehmen; in welchem Falle es fast noch besser wäre, von einem Gug gefressen zu werden.
Dann, nach äonenlangem Steigen, drang ein Keuchen aus dem Dunkel oben; und die Dinge nahmen eine sehr ernste und unvermutete Wendung. Es war klar, daß sich ein Ghast, wenn nicht gar mehrere, vor der Ankunft Carters und seiner Führer in diesem Turm verirrt hatte, und genauso klar war, daß diese Gefahr greifbar vor ihnen lag. Nach einer atemlosen Sekunde stieß der führende Ghoul Carter an die Wand und postierte seine Gefährten so gut als möglich, den Grabstein zum zermalmenden Hieb bereit, wann immer sich der Feind würde blicken lassen. Ghoule können im Finstem sehen, deswegen war die Gruppe nicht so übel dran als es Carter allein gewesen wäre. Im nächsten Moment verriet Hufgeklapper, daß zumindest ein Ghast heruntergehüpft kam, und die grabsteintragenden Ghoule hoben ihre Waffe zu einem verzweifelten Schlag. Jetzt blitzten zwei gelblichrote Augen auf, und das Keuchen des Ghasts übertönte seinen Hufschlag. Als er auf die Stufe direkt über den Ghoulen hinabsprang, schwangen sie den alten Grabstein mit solch ungeheurer Wucht, daß nur noch ein Schnauben und Röcheln erfolgte, ehe das Opfer in einen verderblichen Haufen zusammenbrach. Es schien nur dies eine Tier gewesen zu sein, und nach einem Augenblick des Lauschens tippten die Ghoule Carter zum Zeichen an, daß es weitergehe. Wie zuvor mußten sie ihm helfen;
und er war froh, diesen Schlachtplatz zu verlassen, wo die unheimlichen Überreste des Ghasts unsichtbar in der Schwärze zuckten.
Schließlich geboten die Ghoule ihrem Begleiter Halt; und als er den Raum über sich abtastete, wußte Carter, daß sie die große Steintür endlich erreicht hatten. An das vollständige Öffnen eines so gewaltigen Dinges war nicht zu denken, doch die Ghoule hofften, die Steintür weit genug hochdrücken zu können, um den Grabstein als Keil darunterzuschieben, und es Carter auf diese Art zu ermöglichen, durch den Spalt zu schlüpfen. Sie selbst planten wieder hinabzusteigen und durch die Stadt der Gugs zurückzukehren, denn zum einen verstanden sie sich sehr gut aufs Ausweichen, und zum anderen kannten sie den Überlandweg nach dem gespenstischen Sarkomand mit seinem löwenbewachten Tor zum Abgrund nicht.
Mächtig stemmten sich die drei Ghoule gegen die Steintür über ihnen, und Carter unterstützte sie dabei so gut er konnte. Die Ecke, die dem Treppenende am nächsten lag, schien ihnen die richtige zu sein, und dorthin lenkten sie ihre ganze, so schändlich zustande kommende Muskelkraft. Nach wenigen Augenblicken zeigte sich ein Lichtspalt; und Carter, der mit dieser Aufgabe betraut worden war, schob die Spitze des alten Grabsteins in den Schlitz. Nun folgte ein gewaltiges Hebeln; doch sie kamen nur langsam voran und mußten natürlich jedesmal auf ihre ursprüngliche Position zurück, wenn es ihnen mißlang, die Platte zu drehen und das Portal aufzudrücken. Plötzlich wurde ihre Verzweiflung durch ein Geräusch auf den tiefergelegenen Treppen tausendfach gesteigert. Es war nur das Poltern und Klappern des Ghastkadavers, der weiter hinabrollte; doch keiner der möglichen Gründe für das in-Bewegung-Geraten und Hinunterrumpeln des Körpers war im geringsten beruhigend. Und weil sie das Vorgehen der Gugs kannten, gingen die Ghoule wie rasend ans Werk; und in verblüffend kurzer Zeit hatten sie die Tür so weit aufgestemmt, daß sie sie festhalten konnten, während Carter die Grabplatte drehte und eine großzügige Öffnung schuf. Sie halfen Carter nun hindurch, ließen ihn auf ihre gummiartigen Schultern steigen und stützten anschließend seine Füße, als er sich draußen in der gesegneten Erde des oberen Traumlandes festkrallte. Noch eine Sekunde, und sie selbst waren hinausgeschlüpft, stießen den Grabstein weg und verschlossen die große Falltür, während darunter ein Schnaufen erklang. Wegen des Fluches der Großen darf kein Gug jemals dieses Portal benutzen, und deshalb streckte sich Carter mit ziemlicher Erleichterung und einem Gefühl der Ruhe still auf den dicken, grotesken Schwämmen des Verwunschenen Waldes aus, während sich seine Führer nahebei in der Stellung hinkauerten in der Ghoule ausruhen.
Unheimlich wie dieser Verwunschene Wald war, den er vor so langem durchstreift hatte, bedeutete er doch nach jenen Schlünden, die nun hinter ihm lagen, einen echten Zufluchtsort und eine Wonne. Es ließ sich kein lebender Bewohner Nicken, denn die Zoogs meiden die mysteriöse Tür furchtsam, und Carter beriet mit seinen Ghoulen sogleich ihr weiteres Vorgehen. Die Rückkehr durch den Turm wagten sie nicht länger, und die wache Welt behagte ihnen nicht, als sie erfuhren, daß sie die Priester von Nasht und Kaman-Thah in der Kaverne der Flamme passieren mußten. So entschieden sie sich zu guter Letzt dafür, den Rückweg durch Sarkomand und sein Tor zum Abgrund zu nehmen, obwohl sie nicht wußten, wie man dorthin gelangte. Carter erinnerte sich, daß es im Tal unter Leng lag, und er entsann sich weiterhin, daß er in Dylath-Leen einen sinistren, schlitzäugigen, alten Kaufmann gesehen hatte, dem nachgesagt wurde, er treibe Handel auf dem Plateau von Leng, deshalb empfahl er den Ghoulen, gen Dylath-Leen aufzubrechen, quer durch die Felder nach Nir und zum Skai, und dann den Strom entlang bis zur Mündung. Dies beschlossen sie gleich zu tun und sie beeilten sich loszutrotten, denn die wachsende Dämmerung verhieß eine ganze Nacht zum Reisen. Und Carter schüttelte den abstoßenden Bestien die Pfoten, bedankte sich für ihre Hilfe und ließ seine Verbundenheit der Bestie übermitteln, die einst Pickman war; doch als sie aufbrachen seufzte er nichtsdestoweniger befreit auf. Denn ein Ghoul ist ein Ghoul und bestenfalls ein unangenehmer Gefährte für einen Menschen. Danach suchte Carter einen Waldsee auf, reinigte sich vom Schlamm der unteren Erde und legte anschließend die Kleider wieder an, die er so sorgsam transportiert hatte.
Nacht regierte jetzt diesen furchtbaren Wald monströser Bäume, doch die Phosphoreszenz erlaubte es so gut wie bei Tage zu reisen; deshalb schlug Carter die wohlbekannte Route nach Celephais in Ooth-Nargai hinter den Tanarischen Bergen ein. Und unterwegs dachte er an das Zebra, das er vor so langen Äonen im weitentfemten Oriab auf dem Ngranek an einer Esche angeleint zurückgelassen hatte, und er fragte sich, ob es wohl von Lavasammlern gefüttert und befreit worden war. Und er fragte sich auch, ob er jemals nach Bahama zurückkehren würde, um das Zebra zu bezahlen, das in jener Nacht zwischen den antiken Ruinen am Ufer des Yath-Sees erschlagen worden war, und ob sich der alte Tavemenwirt seiner erinnern würde. Diese Gedanken beschäftigten ihn in der Luft des wiedergewonnenen oberen Traumlandes.
Doch bald geriet sein Weitermarsch durch ein Geräusch ins Stocken, das aus einem mächtigen, hohlen Baum drang. Er hatte den gewaltigen Kreis aus Steinen umgangen, weil ihm im Augenblick an einer Unterhaltung mit den Zoogs nichts lag; aber wie das wunderliche Geflatter in dem dicken Baum bewies, wurden anderswo wichtige Beratungen abgehalten. Beim Näherkommen vernahm er die Laute einer erbitterten und hitzigen Diskussion;
und nicht lange, da kamen ihm Dinge zu Ohren, die ihn zutiefst betroffen machten. Denn in dieser vornehmen Versammlung der Zoogs stand ein Feldzug gegen die Katzen zur Debatte. Alles rührte vom Verlust jenes Trupps her, der Carter bis nach Ulthar nachgeschlichen war, und von den Katzen wegen seiner ungebührlichen Absichten die gerechte Strafe empfangen hatte. Die Sache hatte lange geschwelt, und jetzt, oder wenigstens binnen Monatsfrist, wollten die gerüsteten Zoogs die ganze Katzensippe mit einer Serie von Überraschungsangriffen treffen, einzelne Katzen oder Gruppen im Handstreich erledigen und nicht einmal den Myriaden Katzen von Ulthar eine echte Chance zum Exerzieren und Mobilisieren lassen. So lautete der Plan der Zoogs, und Carter begriff, daß er ihn vereiteln mußte, ehe er sich auf seine ungeheure Suche begab.
Ganz leise stahl sich Carter deswegen zum Waldrand und schickte den Schrei der Katze über die sternhellen Felder. Und eine große, alte Kätzin in einem nahegelegenen Cottage nahm die Botschaft auf und leitete sie über Meilen welliger Wiesen weiter an große und kleine, schwarze, graue, getigerte, weiße und bunte Krieger; und sie hallte durch Nir und über den Skai, ja sogar bis nach Ulthar hinein, und Ulthars zahllose Katzen fielen im Chor ein und formierten sich in Marschlinie. Es war ein Glück, daß der Mond nicht am Himmel stand, denn so weilten alle Katzen auf der Erde. In geschwinden und stillen Sätzen sprangen sie von jedem Herd und Dach und ergoßen sich in einem riesigen, pelzigen Meer über die Ebenen bis zum Waldrand. Dort hieß sie Carter willkommen, und der Anblick wohlgestalteter, gesunder Katzen tat seinen Augen wirklich wohl nach jenen Wesen, die ihm begegnet waren und mit denen er den Abgrund durchwandert hatte. Erfreut bemerkte er, daß sein venerabler Freund und vormaliger Retter die Abteilung Ulthars anführte, ein Rangabzeichen um den Hals und mit martialisch gesträubten Schnurrhaaren. Es kam noch besser, denn als Unterleutnant diente in dieser Armee ein lebhafter junger Bursche, der sich als niemand anders entpuppte, als das winzig kleine Kätzchen aus dem Gasthof, dem Carter an jenem lang entschwundenen Morgen in Ulthar ein Schälchen mit fetter Sahne hingestellt hatte. Jetzt war es ein stämmiger und vielversprechender Kater, und als er seinem Freund die Hand schüttelte, schnurrte er. Sein Großvater sagte, er mache sich in der Armee ausgezeichnet und dürfe nach dem nächsten Feldzug wohl auf den Kapitänsrang hoffen.
Carter umriß jetzt die Gefahr, in der der Katzenstamm schwebte, und wurde dafür durch ein tiefkehliges, dankbares Geschnurr belohnt. Er beriet mit den Generälen einen sofortigen Aktionsplan, der vorsah, unverzüglich auf den Versammlungsplatz der Zoogs und andere bekannte Zoogfestungen loszumarschieren, ihren Überraschungsattacken zuvorzukommen und ihnen Bedingungen aufzuzwingen, ehe sie ihre Invasionsarmee mobilisierten. Daraufhin überflutete das große Katzenmeer im Nu den Verwunschenen Wald und brandete um den Ratsbaum und den gewaltigen Steinzirkel. Flatterlaute steigerten sich ins Panische, als der Feind die Neuankömmlinge bemerkte, und die verstohlenen und neugierigen, braunen Zoogs leisteten wenig Widerstand. Sie sahen, daß sie im voraus geschlagen waren und gaben die Rachegedanken zugunsten von Überlegungen zur augenblicklichen Selbsterhaltung auf.
Die Hälfte der Katzen setzte sich nun in Kreisformation um die gefangenen Zoogs, wobei sie einen Gang für die zusätzlichen Gefangenen freiließen, die von anderen Katzen in anderen Teilen des Waldes aufgebracht wurden. Bei der langen Diskussion der Abmachungen wirkte Carter als Dolmetscher, und man beschloß, daß die Zoogs ein freier Stamm bleiben sollten unter der Bedingung, daß sie an die Katzen einen reichen Tribut von Waldhühnern, Wachteln und Fasanen aus den weniger fabulösen Gebieten des Waldes entrichteten. Zwölf junge Zoogs wollte man als Geisern im Tempel der Katzen in Ulthar halten, und die Sieger ließen keinen Zweifel daran, daß jedes Verschwinden von Katzen entlang der Grenzen der Zoogdomäne äußerst verheerende Folgen für sie nach sich ziehen würde. Als diese Angelegenheiten geregelt waren, lösten die versammelten Katzen ihre Reihen auf und erlaubten es den Zoogs, sich in ihre jeweiligen Behausungen davonzumachen, was diese dann auch unter manch feindseligem, rückwärts gerichteten Blick eilends taten.
Der alte Katzengeneral bot Carter eine Eskorte durch den Wald an, egal zu welchem Saum, denn er hielt es für wahrscheinlich, daß die Zoogs einen bitteren Groll gegen Carter hegten, weil er ihr kriegerisches Vorhaben durchkreuzt hatte. Dies Angebot nahm er dankend an; nicht nur wegen der Sicherheit, die es ihm verschaffte, sondern weil er die grazile Gesellschaft der Katzen schätzte. So schritt Randolph Carter inmitten eines schmucken und ausgelassenen Regiments, entspannt nach erfolgreicher Pflichterfüllung, würdevoll durch jenen verwunschenen und phosphoreszierenden Wald aus titanischen Bäumen und sprach mit dem alten General und dessen Enkelsohn über seine Suche, während sich andere aus dem Zug in fantastischen Luftsprüngen ergingen oder gefallenen Blättern nachjagten, die der Wind über die Pilze dieses vorzeitlichen Bodens trieb. Und der alte General meinte, er habe viel über den unbekannten Kadath in der kalten Öde gehört, wisse aber nicht, wo er zu finden sei. Was die wunderbare Stadt im Sonnenuntergang betreffe, so hätte er davon nicht einmal gehört, wolle aber gern alles übermitteln, was er in Zukunft vielleicht noch darüber erfahren würde. Er vertraute dem Sucher ein sehr wertvolles Losungswort der Katzen vom Traumland an und verwies ihn ausdrücklich an den alten Führer der Katzen in Celephais, wohin sein Weg ja führe. Dieser alte Führer, den Carter schon flüchtig kannte, sei eine ehrwürdige Malteserkatze, die sich bei jeglicher Unternehmung als höchst einflußreich erweisen würde. Es dämmerte, als sie den Waldrand erreichten, und Carter verabschiedete sich widerstrebend von seinen Freunden. Der junge Unterleutnant, den er als kleines Kätzchen kennengelernt hatte, wäre ihm gern weiter gefolgt, hätte es der alte General nicht verboten; doch der gestrenge Patriarch beharrte darauf, daß seine Pflichten beim Stamm und der Armee lagen. Deshalb zog Carter allein über die goldenen Felder, die sich geheimnisvoll entlang eines weidengesäumten Flusses dehnten, und die Katzen kehrten in den Wald zurück.
Wohlbekannt waren dem Reisenden jene Gartenländer zwischen dem Wald und der Cerenäischen See, und vergnügt folgte er dem singenden Fluß Oukranos, der ihm den Weg wies. Die Sonne stieg höher über sanft gewellte Haine und Rasenflächen und kräftigte die Farben der abertausend Blumen, die jede Hügelkuppe und waldige Schlucht schmückten. Ein segensreicher Dunst deckt dies ganze Gebiet, worin die Sonne ein klein wenig mehr scheint als anderswo, und wo die schwirrende Sommermusik von Vögeln und Bienen ein klein wenig lauter erklingt; und deshalb schreiten die Menschen hier hindurch wie durch ein Feenreich und empfinden größere Freude und Verwunderung als sie sich später erinnern können. Mittags gelangte Carter zu den Jaspisterrassen von Kiran, die zum Flußufer hin abfallen und jenen lieblichen Tempel tragen, zu dem der König von Ilek-Vad aus seinem fernen Reich am Dämmermeer einmal im Jahr in einem goldenen Palankin kommt, um zum Gott des Oukranos zu beten, der für ihn in seiner Jugend sang, als er in einem Landhaus an seinen Ufern lebte. Ganz aus Jaspis ist dieser Tempel, und er nimmt einen Morgen Land ein, mit seinen Mauern und Höfen und sieben Zinnentürmen und dem inneren Schrein, wo der Fluß durchverborgene Kanäle eintritt, und der Gott süß in der Nacht singt. Viele Male hört der Mond sonderbare Musik, wenn er auf jene Höfe und Terrassen und Zinnen scheint, doch ob diese Musik das Lied des Gottes ist oder der Gesang der kryptischen Priester, weiß nur der König von Ilek-Vad allein; denn nur er hat den Tempel betreten und die Priester gesehen. Jetzt, in der Trägheit des Tages, schwieg das gemeißelte und delikate Heiligtum, und Carter vernahm nur das Murmeln des großen Stromes und das Vogelgezwitscher und Bienengesumm, als er unter der verzauberten Sonne ausschritt.
Den Nachmittag hindurch wanderte der Pilger über duftende Auen und im Schutz lieblicher, flußwärts gelegener Hügel, auf denen friedvolle, strohgedeckte Cottages und die aus Jaspis oder Chrysoberyll gefertigten Schreine liebenswürdiger Götter standen. Manchmal lief er dicht am Ufer des Oukranos und pfiff den munteren und irisierenden Fischen des kristallenen Flusses zu, und andere Male blieb er inmitten der wispernden Binsen stehen und blickte zum großen, schwarzen Wald auf der anderen Seite hinüber, dessen Bäume bis ans Flußufer wuchsen. In früheren Träumen hatte er wunderliche, schwerfällige Buopoths scheu aus dem Wald treten sehen um zu trinken, aber jetzt entdeckte er nicht einen einzigen. Einmal hielt er inne, um einen fleischfressenden Fisch zu beobachten, der einen fischenden Vogel fing, indem er ihn mit seinen in der Sonne glänzenden Schuppen aufs Wasser hinaus lockte, und dann mit seinem enormen Maul am Schnabel packte, als der geflügelte Jäger auf ihn herabstoßen wollte.
Gegen Abend erklomm er eine flache, grasbewachsene Erhebung und sah vor sich, flammend im Sonnenuntergang, die tausend vergoldeten Turmspitzen von Thran. Unvorstellbar luftig streben die Alabasterwälle dieser unglaublichen Stadt auf; sie neigen sich gegen die Mauerkrone zu schräg nach innen und sind aus einem Guß geformt, doch wie weiß kein Mensch, denn sie sind älter als die Erinnerung. Aber so luftig sie mit ihren hundert Toren und zweihundert Türmchen auch sind, die Turmgruppen im Inneren, schneeweiß unter ihren goldenen Helmen, sind noch luftiger; und die Menschen in der umliegenden Ebene sehen sie gen Himmel schießen, manchmal leuchtend klar, manchmal die Spitzen in Wolken- und Nebelgewirr und manchmal weiter unten von Wolken umlagert, die höchsten Zinnen frei über dem Dunststrahlend. Und wo sich Thrans Tore zum Fluß öffnen, liegen große Marmorkais, an denen geschmückte Galionen aus Zedern-und Kalamanderholz ruhig vor Anker schaukeln und fremdartige, bärtige Seeleute auf Fässern und Ballen mit den Hieroglyphen ferner Länder sitzen. Landeinwärts, hinter den Mauern, erstreckt sich das Farmland, wo kleine weiße Cottages zwischen flachen Hügeln träumen und sich enge Straßen mit vielen Steinbrücken anmutig zwischen Flüssen und Gärten winden.
Durch dies grünende Land schritt Carter am Abend und sah wie das Zwielicht vom Strom zu den wundervollen, goldenen Turmspitzen Thrans hochflutete. Und genau zur Stunde der Dämmerung erreichte er das südliche Tor, und eine Wache in roter Robe hielt ihn so lange auf, bis er drei unglaubliche Träume erzählt hatte und sich somit als Träumer auswies, der würdig war, auf Thrans steilen, mysteriösen Straßen zu wandeln und die Bazare zu durchstreifen, wo die Waren der geschmückten Galeeren feilgeboten wurden. Dann betrat er diese unglaubliche Stadt;
durch eine so dicke Mauer, daß das Tor ein Tunnel war, und danach über krumme und gewundene Wege, die sich tief und eng zwischen den himmelstürmenden Türmen schlängelten. Licht fiel aus vergitterten Balkonfenstem, und der Klang von Lauten und Pfeifen stahl sich zaghaft aus Innenhöfen, wo Marmorfontänen sprudelten. Carter kannte seinen Weg und steuerte durch dunklere Straßen zum Fluß hinunter, wo er in einer alten Hafentaveme die Kapitäne und Seemänner traf, die er aus Myriaden anderer Träume kannte. Hier buchte er seine Überfahrt nach Celephais auf einer großen, grünen Galione, und hier blieb er über die Nacht, nachdem er ernsthaft mit der ehrwürdigen Katze dieses Gasthofes gesprochen hatte, die vor einem enormen Herd verschlafen blinzelte und von alten Kriegen und vergessenen Göttern träumte.
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