Jura - die Rechte, Plural: gemeint sind Weltliches Recht und Kirchenrecht, die beiden großen Rechtsgebiete des vergangenen Jahrtausends. Jus - das (weltliche) Recht ist ungebräuchlich geworden. Gebräuchlich ist »Jura« auch nur noch als Ausdruck für die Ausbildung, das Studium, das etikettenschwindlerisch »Rechtswissenschaft« genannt wird. Tatsächlich gelehrt und betrieben wird Jurisprudenz: Rechtsklugheit: Herstellung und Anwendung von Recht. Rechtswissenschaften wären Rechtssoziologie, -psychologie, Kriminologie, Victimologie, und Rechtsgeschichte. Hilfswissenschaften: Sozialpsychologie, Politikwissenschaften, Ökonomie.
Der Jura-Student war schon immer »was besseres«. Schon der Untertan Dietrich Heßling als einfacher Pharmazeut legte vor seinem Corpsbruder Wiebel, dem vornehmen Juristen, die Hände an die innere Hosennaht. Die Orientierung des Jura-Studenten am Großbürgertum kann man am Schicksal des Markus Gäffgen studieren, daß in der erpresserischen Entführung und Ermordung eines Bankiersohns gipfelte: der arme Gäffgen wollte partout an der Spitze dieser großbürgerlichen Studentenschaft mitspielen dürften; dort fährt man Aston Martin oder wenigstens Porsche, und verbringt die Semesterferien zwischen Korfu und Golfplatz. Aber auch in den tieferen Etagen wird man alsbald durchdrungen vom dem Bewußtsein, zur Herrschaft ausgebildet zu werden: Jurisprudenz ist Herrschaftswissen. Das merkt schon der Student, der auf einmal von allen angesprochen wird: Du, ich hab da so einen Brief bekommen ... wie issen das ? Parallel dazu lernt er die demonstrative Verachtung kennen für die Rechtsverdreher, die man allesamt undsoweiter. Er begreift, daß seine Mitmenschen shizophren sind: die großfressige Verachtung der Jurisprudenz verwandelt sich rasend schnell in unterwürfiges Speichellecken und mitunter enorme Geldbeträge, wenn es drauf ankommt. Und diese Shizophrenie macht schon dem jungen Studenten begreiflich: Der Mensch unterscheidet sich vom »Laien« durch das Staatsexamen !
Das juristische Studium als solches ist indessen von einer schier unvorstellbaren Ödnis. An die Stelle eigenen Denkens tritt das Repetieren auswendig gelernter Texte, Schemata und Strukturen: Büffeln, Büffeln, und nochmals Büffeln. Erst ganz zum Schluß, in dem einen oder anderen Seminar, darf mal ein bischen was gedacht werden, aber besser nicht zu laut, weil die Seminare zur Hälfte aus »Volljuristen« bestehen, die schon alles können und alles wissen. Das sitzt dann stud. jur. unter Anwälten, Ministerialräten, und Richtern am Oberlandesgericht, daneben noch die Assistenten (oftmals schon promoviert) und ein armseeliges Häuflein von Studenten, und soll da seine Theorieen vortragen - viel Spaß !
Mit der Examensvorbereitung wandelt sich nun der Student zum Benediktinereremiten: ora et labora. Das Büffeln ergreift vom ganzen Leben Platz, und nur gelegentlich lugt aus den Gesetzestexten und Skripten noch ein bleichsüchtiges Köpflein hervor, um zu gucken, ob die Welt draussen noch da ist. Das Martyrium des Staatsexamens, das man sich durchaus im Wortsinne als Marter, als Folter vorstellen darf, ist die Feuerprobe des jungen Hexenmeisters, der jungen Hexe. Ist sie bestanden, so erfährt die Initiation in die Bruderschaft der Herrschenden ihren ersten Höhepunkt in der Ableistung des Diensteides als Referendar, hoch vornehm durch einen Präsidenten oder Vizepräsidenten eines hohen Gerichts, und verbunden mit einem erklecklichen Salär, und dem Zugang zu den Maschinenräumen der Staatsmacht. Dem Untertanen streng verschloßene Arkana und Heiligtümer öffenen sich dem jungen Kollegen bereitwillig: »So wird das gemacht !« und weihevoll ist es, mit den Funktionären der Macht in der Kantine am gleichen Tisch sitzen zu dürfen. Man spürt es: man ist ganz weit oben, über dieser Sphäre ist schon »die Politik« handgreiflich spürbar, der »Minister« taucht öfters in Gesprächen auf, und ganz erlaucht wird es, wenn einer beim Löffeln seiner Erbsensuppe davon erzählt, wie er letzte Woche mit Oberstaatsanwalt X und dem Landgerichtspräsidenten »mal wieder« selbst beim Minister war. Sowas kannte man bislang nur aus der Zeitung und dem Fernsehn - jetzt sitzt man selbst auf den Stufen zur Macht, zur Herrschaft, die da einherschwingt mit diesem simpelen zweisilbigen Wort: Jura.
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