Wer kennt es nicht, jenes schwungvolle rheinische Stimmungslied mit dem »Müllemer Böötche«, das zu Köln gehört wie vielleicht sonst nur noch der Dom? Aber, seien wir ehrlich: Wer hat sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, was dieses »Heidewitzka« wirklich bedeutet? Was oder besser gefragt, wer steckt dahinter? Sollte nicht auch hier, wie etwa unlängst bei dem Begriff Ziegenpeter nachgewiesen, eine Person dahinterstecken? Wenn es im Mittelalter Herr Peter Ziegen war, der als erster einen dicken Hals bekam, warum sollte der erste Kapitän des Mülheimer Schiffleins nicht Frau Heide Witzka gewesen sein? Aus Lüneburg vielleicht? Ein weiblicher Kapitän käme der heutigen emanzipierten Weiblichkeit sehr entgegen. Ist aber leider unwahrscheinlich, da es ja bekanntlich weiter heißt: Herr Kapitän!
Schauen wir lieber in die Geschichte des Rheinlandes. In Köln, das weiß man inzwischen, hat alles etwas früher angefangen als anderswo, warum nicht also auch die Personenschifffahrt? Für die exakte Interpretation von »Heidewitzka, Herr Kapitän!« bedeutet dies folgendes:
Der erste Kapitän des Mülheimer Schiffchens hieß Witzka und war vermutlich Heide. So wurden, wie jeder weiß, von der Kirche zwei Gruppen der Germanen bezeichnet. Zum einen die Christenanwärter und zum andern die, die kein Interesse an einer Befreiung von ihrem Irrglauben zeigten. Vor den letzteren hatte man eine Riesenangst, Heidenangst! Während das linksrheinische, römische Köln schon früh zu einem Bollwerk des christlichen Glaubens wurde, war das rechtsrheinische Gebiet, auf dem die erst 1914 eingemeindete Stadt Mülheim lag, noch lange von »Heiden« bewohnt. Die Heiden verehrten zwar viele Götter und trauten ihnen allerhand zu, aber dass die in Menschengestalt wie Jesus über das Wasser laufen würden, daran mochten sie nun nicht glauben. Erst recht würden das keine wirkliche Menschen können, und mochten sie auch noch so überzeugte Christen sein. Für Heiden war das unvorstellbar, ohne dass man bei dem Versuch spätestens in Rheinmitte ertrank. Wenn auch die Christen zunächst jede Hilfe bei der Flussüberquerung ablehnten, war die Fährschifffahrt durch den neuen Glauben auf Dauer nicht ernsthaft gefährdet.
Das erkannte messerscharf ein Mann aus dem Bergischen. Es war der Heide Witzka (gewitzt = schlau), der damals in weiser Voraussicht die Beförderungsrechte für das Mülheimer Bötchen erwarb und damit zum Gründervater der Kölner Personenschifffahrt wurde. Es ist davon auszugehen, dass er und seine Nachfahren mit dem Bötchen ein Heidengeld verdienten. Denn die linksrheinischen Christen, die nach den neuem Glauben leben mussten, unternahmen »su jän« eine Nostalgietour auf die urwüchsige rechte Rheinseite, was ihnen immer einen Heidenspaß machte.
Nun behaupten einige Kölnexperten in Unkenntnis der wahren Geschichte, Karl Berbuer habe 1936 mit „Heidewitzka“ den Hitlergruß karikieren wollen. Eine Beleidigung für den tüchtigen Musiker und Komponisten, denn es ist eine Silbe zu viel da. Es hieß ja nicht „Heile Hitler!“, was vielleicht vernünftiger gewesen wäre. Ebenso abwegig erscheint mir die Annahme, es könne sich um einen hybriden Anglizismus handeln, mit dem dazu aufgerufen wurde, einen Sozialdemokraten namens Witzka vor den Nazis zu verstecken: „Hide-a-Witzka!“
Da gefällt mir schon eher die Auskunft des Sprachwissenschaftlers Prof. Dr. Lingus, „Heidewitzka“ sei eine onomatopoetische Interjektion, die die antizipierte Rasanz einer Rheinfahrt zum Ausdruck bringe: „Hei! wie der Blitz!“
Der Heide Witzka hätte gegen solch göttliches Bild sicher nichts einzuwenden gehabt.
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