Plötzlich verstummte der Tumult, und ich sah, daß der Tempel taghell erleuchtet war. Mitten darin, wie direkt aus dem Boden gewachsen, saß der Teufel auf fünf
Totenköpfen und schaute mich mit halbgeschlossenen Augen tückisch an. Er war von grünschillernder Farbe, trug als Zeichen göttlicher Offenbarung eine Fackel
zwischen den Hörnern, und aus seinen Augen schossen Feuerflammen. Ich konnte seinem Blick nicht standhalten, ohne mir die Augen zu verbrennen. Ich fühlte, ich
müßte sterben, würde ich es dennoch erzwingen. Er hatte weibliche Brüste und trug die Zeichen der Mutterschaft; doch plötzlich entpuppten die Brüste sich als die
Köpfe zweier Dämonen, Boten aus dem Reich der Toten, nicht Lebensspender, sondern Todesbringer, von denen jeder einen Spiegel in den Händen hielt. Darin sah
ich mein eigenes Gesicht, aber es hatte sich zu einem kleinen feurigen Punkt verkleinert. Dann sah ich ihn wieder leibhaftig vor mir - es war, als ob er zwischen
seinem eigenen und meinem Leib hin- und herpendelte. Mich selbst von außen betrachtend, spürte ich ihn schließlich wie einen Keim in meinem Augeninneren
wachsen. Sein Haupt schrumpfte winzig klein zusammen und zuckte im nächsten Augenblick desto übermächtiger aus seiner eigenen Zwergenhaftigkeit, dehnte,
streckte, wölbte und verwandelte sich in jenen Ziegenkopf, den die alten Mendäer in ihrem Sexualkult als Bocksgott anbeteten, und eine sonore Stimme war zu
vernehmen: "Du, mein Sohn, kannst der Wahrheit begegnen, wenn du erkennst, daß das Spiel des Lebens nur eine Hülle des Wahren und Wirklichen ist, das auf der
Ebene der Zeitlosigkeit existiert. Es wird gesagt, daß alles Lebendige im Netz der Lilith gefangen ist. Nur wen die Göttin liebt und haßt zugleich, dem kann es
gelingen, sich in ihrem Schleier zu erkennen, hinter dem sich die Wahrheit des Lebens verbirgt. Die Sexualität ist das Joch vor dem Triumphwagen der Teufelin, in
das die Menschen eingebunden sind. Es ist die Erinnerung an den Zustand des Paradieses, den sie durch die geschlechtliche Vereinigung wieder zu erreichen suchen,
was aber nicht gelingt, weil die Verbindung immer wieder auseinanderfällt und immer neue Generationen in diesen unerlösten Kreislauf gezwungen werden. Wenn die
Stunde gekommen ist, wird die Teufelin in dich eindringen und jedes Atom in dir entzünden. Du bist in ihr, und sie ist in dir; sie ist die Schlange im Paradies, die ihr
Wort gehalten hat, und du bist das höllische Ego oder der menschgewordene Gott, der sich selbst zerstört. Nicht mehr Gott gebiert den Teufel, sondern der Teufel
erzeugt Gott!"
|