Erstmals mehr als 2 Millionen Strafgefangene
Marcus Hammerschmitt 21.04.2003
Warum gibt es in den USA mehr Gefangene als in jedem anderen Land der
Welt, China inbegriffen?
Wenn von der US-amerikanischen Justiz die Rede ist, kommt man hierzulande
schnell auf die Todesstrafe zu sprechen. Weniger bekannt ist die enorme Größe des
amerikanischen Gefängnissystems, die manche schon von einem justiziell-
industriellen Komplex sprechen lässt.
Oder vielleicht auch von einem Staat im Staat. Denn, wie der neue nationale
Gefangenenbericht des US-Justizministeriums bezeugt: Mitte 2002 gab es in den USA
2.019.234 Strafgefangene. Damit ist die US-Gefangenenpopulation größer als die
Gesamtbevölkerung mancher Kleinstaaten (z.B. die Kuweits).
Der Bericht, sowohl als PDF- als auch als
ASCII-Datei verfügbar, listet in einer trockenen Sprache all die
Daten und Fakten auf, die die Zähl- und Rechenkünste des Ministeriums und der
berichterstattenden Behörden hergeben. Man erfährt, wie viele Frauen inhaftiert waren,
wie viele Jugendliche, wie viele Weiße, Schwarze, Hispanics, und wie viele Ausländer
auch. Zuwachsraten und andere statistische Trends sind angegeben.
In vielen Fällen werden Zahlen zusätzlich nach Bundesstaaten oder nach Gefängnisarten
aufgeschlüsselt (die vier wichtigsten: privat organisierte, lokale d.h. städtische oder vom
Landkreis betriebene, bundesstaatliche oder Bundesgefängnisse).
Am Ende des Berichts gibt es, wie sich das für eine wissenschaftliche Arbeit gehört, auch
einen Absatz zur Methodologie, in dem die statistischen Grenzen der National Prisoner
Statistics (NPS), verantwortet vom U.S. Department of Justice, Office of Justice
Programs, Bureau of Justice Statistics dargelegt werden. Immaculate procedure.
Die Zahlen sind bestürzend. Um auf dasselbe Verhältnis von Strafgefangenen zur
Gesamtbevölkerung zu kommen, müssten in Deutschland 570.000 Menschen einsitzen,
tatsächlich sind es fast acht Mal weniger (71765). Zudem weisen die Trends deutlich nach
oben. Zwischen 1995 und 2002 betrug die jährliche Steigerungsrate durchschnittlich 3,8
Prozent, verglichen mit 1990 gab es im Verhältnis der Gefangenen- zur Gesamtpopulation
einen Anstieg um 40 %.
Der Bericht unterscheidet zwischen Haft in »prisons« und Haft in »jails«. Letztere werden
als Gefängnisse definiert, die von lokalen Autoritäten verwaltet werden, und in denen die
Gefangenen höchstens ein Jahr verbringen. Schwarze (was immer die Justizbehörden
darunter verstehen) wurden fünfmal wahrscheinlicher mit dieser Form der Haft bestraft
als Weiße, und noch dreimal öfter als Hispanics. Aber in diesen Gefängnisse werden nicht
nur Straf- oder Untersuchungsgefangene inhaftiert: Sie dienen auch der Inhaftierung von
psychisch Kranken bis zu ihrer Verlegung in »geeignete Unterbringungsmöglichkeiten«.
Kein Wunder, dass auch hier starke Zuwachsraten zu verzeichnen sind, wenn Gefängnisse
gewissermaßen als die billige Alternative zu Psychiatrien begriffen werden.
Warum aber gibt es in den USA mehr Gefangene als in jedem anderen Land der Welt,
China inbegriffen?
Warum, wenn die Anzahl gewalttätiger Verbrechen seit 1991 um 20% gefallen ist?
Zumindest eine Antwort ist die Tatsache, dass mit und in Gefängnissen viel Geld zu
verdienen ist. Nicht nur stellen Gefangene in Gefängnissen zu Minimallöhnen und bei oft
miserablen Arbeitsbedingungen Waren für fast alle
Sektoren der Wirtschaft her; auch privatwirtschaftlich betriebene
Gefängnisse, die per se Profit erwirtschaften müssen, also abhängig davon sind, wie viele
Menschen sie wie lange gefangen halten, sind schon länger in den USA gut im Geschäft.
Firmen wie die Wackenhut Corporation oder die
Corrections Corporation of America deren Websites gespenstisch
der (fiktiven) von »Precrime« ähneln, jener fehlerhaften
Kriminalitätsbekämpfungs-Strategie aus Minority Report, verdienen
sich mit ihren Diensten an der Allgemeinheit eine goldene Nase.
Auch die Bauindustrie profitiert von dem Trend zur Inhaftierung immer größerer
Bevölkerungsanteile, und in manchen strukturschwachen ländlichen oder
deindustrialisierten Gebieten sind die Gefängnisse die größten Arbeitgeber weit und breit.
Die gut geölte Maschinerie des justiziell-industrielle Komplex verspricht reiche Beute für
alle, die sich ihrer zu bedienen wissen.
Wen das alles schockiert, der sollte sich nicht darauf verlassen, dass in Deutschland
alles so bleibt, wie es ist. Auch hier steigen die Gefangenenzahlen stetig an, über die
Privatisierung von Gefängnissen wird bereits laut nachgedacht, und erste Modellprojekte
sind unterwegs (vgl. Knast als Profitquelle).
Kommentare:
Dumm kifft gut (Christian Zalto, 23.4.2003 0:38)
No mercy (Christian Zalto, 23.4.2003 0:23)
Es ist nicht mal so ehrenvoll... (Daniel Kulla, 22.4.2003 20:02)
mehr...
Copyright © 1996-2003. All Rights Reserved. Alle Rechte vorbehalten
Heise Zeitschriften Verlag GmbH & Co.KG
last modified: 21.04.2003
Privacy Policy / Datenschutzhinweis
|