Zugegeben: die Bücher hätten einen Anfang und ein Ende, aber was zwinge uns zur Linearität der Lektüre? Waren es nicht gerade die reputablen Schriften alter Kulturen, die uns aus diesem Zwang entließen, die Zeichen des Lao Tse, die Qumran-Rollen, der Talmud, die Bibel der Christen? Man vergegenwärtige sich nur einen Traktat aus dem Talmud, die Seite kunstvoll gestaltet mit Kopfzeile und Fußnote, mit dem Text der hebräischen Mishnah in der Mitte, eingerahmt vom Kommentar der aramäischen Gemara, erweitert durch erläuternde Haggadah, assoziativ angeschlossene Parabeln und mnemo-technisch hilfreiche Merkworte und Wortspiele, Querverweise auf andere Textstellen, auf die Bibel oder mittelalterliche Schriften, Einschübe, Marginalien, Korrekturen, Kommentare aus Jahrhunderten angelagert - so entstand im Laufe der Zeit »ein dichtes Geflecht von Texten über Texte, mit unzähligen Verweisen und Beweisführungen, das gerade durch die verschiedenen Lesarten, konkretisiert in den zahlreichen Kommentaren, zu immer neuer, 'unendlicher' Interpretationsarbeit auffordert« (Fendt 1995: Ms 93).
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