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@ schrieb am 16.9. 2010 um 07:38:48 Uhr über

dOCUMENTA13

Documenta 13
»Kassel ist Australien«
Vom Außenrand ins Zentrum der Weltkunst: Das erste große Interview mit der neuen Leiterin der Documenta, Carolyn Christov-Bakargiev

Carolyn Christov-Bakargiev: Bevor wir anfangen, muss ich Ihnen etwas gestehen.

DIE ZEIT: Worum geht es?

Christov-Bakargiev: Ich muss gestehen, dass ich Ihnen nichts verraten kann.

ZEIT: Sie meinen über die Documenta? Hatten Sie nicht gesagt, Sie wollten einige Ihrer Pläne für Kassel erstmals öffentlich diskutieren?

Christov-Bakargiev: Ja das stimmt, Sie erinnern sich richtig, aber ich habe es mir anders überlegt.

ZEIT: Soll ich wieder gehen?

Christov-Bakargiev: Nein, nein, auf keinen Fall. Es ist nur so, dass ich im Moment noch sehr unsicher bin. Ich fahre viel in Kassel herum, schaue mir mögliche Ausstellungsorte an, vertiefe mich in die Stadtgeschichte. Ich habe also noch keinen Plan, ich könnte Ihnen nur Lügen auftischen.

ZEIT: Dann tun Sie das doch.

Christov-Bakargiev: Sie meinen lügen?

ZEIT: Ja, was ist Ihre liebste Documenta-Lüge?

Christov-Bakargiev:(lacht) Dass sie nicht in Kassel stattfindet. Denn was soll so eine große Ausstellung mitten in Europa, wo es ohnehin schon genug Kunst gibt? Die nächste Documenta wird in Anchorage in Alaska stattfinden, in São Paulo und an noch fünf, sechs weiteren Orten auf der Welt.

ZEIT: Und die Deutschen dürfen sich über eine leere Documenta-Halle freuen?

Christov-Bakargiev: Ich werde natürlich einen Sponsor finden, der mir 700.000 Tickets bezahlt, sodass jeder, der will, reisen und die Ausstellung sehen kannund damit endlich den Eurozentrismus ein wenig hinter sich lässt. Sie wissen ja, ich liebe die Peripherie. Ich habe die letzte Biennale in Sydney organisiert, also an einem Ort, der für gewöhnlich nicht auf der Landkarte der Kunst vorkommt.

ZEIT: Aber ist Kassel nicht auch Peripherie?

Christov-Bakargiev: Das stimmt, Kassel ist Australien, so könnte man das sagen. Und wissen Sie was? In den letzten Jahren hat sich das Verhältnis von Zentrum und Peripherie tatsächlich verändert. Lange ging es ja darum, möglichst viele Künstler aus möglichst fernen Ländern zur Documenta einzuladen. Ich glaube, heute hat sich dieses Konzept erübrigt. Jedenfalls kenne ich viele Künstler, zum Beispiel unter den Aborigines, die keinen Wert darauf legen, eingerahmt von einem eurozentristischen System als noneurozentristische Künstler ausgestellt zu werden.

ZEIT: Aber was wäre die Alternative? Keine Künstler aus Togo oder Sri Lanka einzuladen?

Christov-Bakargiev: Ich will nur sagen, dass man sehr aufpassen muss. Die Neugier auf fremde Kultur, der ganze postkoloniale Diskurs bekommt leicht etwas Paternalistisches. Manchmal schlägt das sogar um in Exotismus und Kulturtourismus.

ZEIT: Also muss die Documenta in die Fremde, statt sich das Fremde nach Kassel zu holen?

Christov-Bakargiev: Ja, das wäre schön. Aber leider geht die Idee nicht auf. Das wäre doch nur eine Art globaler Werbung für die Marke Documenta. Wir täten so, als müsste alle Welt von diesem Ausstellungsmodell wissen oder es gar übernehmen.

ZEIT: Die Documenta bleibt in Kassel.

Christov-Bakargiev: Ja, das war nur eine Lüge. Aber seien Sie sich nicht so sicher, vielleicht belüge ich Sie ja, wenn ich sage, es sei eine Lüge. (lacht)

ZEIT: Gibt es für Sie denn noch einen Unterschied zwischen der Documenta und einer Biennale wie der in Sydney?

Christov-Bakargiev: Oh, ja, schon das Wort. Documenta ist die Mehrzahl von documentum, und das heißt Mahnung und Lektion.

ZEIT: Ich dachte immer, es hieße so etwas wie Beweisstück.

Christov-Bakargiev: Für Arnold Bode, den ersten Documenta-Leiter, war eher der mahnende Aspekt wichtig. Die Stadt war damals, 1955, vom Krieg zerstört und befand sich im Wiederaufbau, er zeigte Kunst mitten in den Trümmern. Mir erscheint das schon deshalb wichtig, weil die Documenta damit die einzige internationale Ausstellung ist, die sich nicht aus der Tradition der Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts ableitet. Die Biennale von Venedig war ja anfangs genau das: eine Art Messe, die von den Nationen zur Selbstdarstellung genutzt wurde. In Kassel hingegen ging es nicht um Markt, nicht um Nationenwettstreit. Es ging darum, eine Mahnung auszusprechen. Das gefällt mir.

ZEIT: Sehen Sie sich denn so: als Mahnerin?

Christov-Bakargiev: Nein, überhaupt nicht. Ich finde auch, dass sich Adorno zumindest in dieser Hinsicht irrt: Es gibt keinen Grund, auf die Massen herabzuschauen und sie für dumm und entfremdet zu halten. Auf vielen Ausstellungen erleben Sie aber genau das: Das Publikum wird als dumpfe Masse behandelt, und man schleust es durch wie in einer Shopping-Mall. Ebendeshalb erinnere ich gerne an die erste Documenta.

ZEIT: Sie meinen, früher war alles besser.

Christov-Bakargiev: Schauen Sie sich doch an, was für riesige Maschinen viele heutige Ausstellungen sind. Da geht es nur um Zahlen, um Finanzierung, um Sponsoren, und niemand schert sich um den einzelnen Besucher. Und wie sollte das auch gehen? Auf Bodes erster Documenta waren 150.000 Besucher, zur Documenta 2007 kamen über 700.000!

ZEIT: Heißt das, Sie wollen die Documenta schrumpfen?

Christov-Bakargiev: Ich möchte erst einmal frei über die Ziele einer solchen Veranstaltung nachdenken. Für Bode war das Ziel die Erziehung der Menschen, auch wenn ich das Wort Erziehung hasse. Ich würde eher von der Emanzipation des Einzelnen durch das Medium der Kunst sprechen. Wer etwa Kafka liest, kann befreiter leben. Selbst wenn er in einem Bürogefängnis arbeitet, wird er freier im Kopf und kann vieles anders sehen.

ZEIT: Vielleicht wird er auch noch mehr unter seinem Gefängnisleben leiden.

Christov-Bakargiev: Das mag so sein, aber ich glaube es nicht, und die Sensibilisierung ist natürlich auch ein Ziel, auch der nächsten Documenta. Ich wünsche mir, dass die Menschen die Ausstellung verändert verlassen werden.

ZEIT: Ein ganz schön hehres Ziel.

Christov-Bakargiev: Ich glaube, eine gute, eine intensive Ausstellung kann das leisten: Sie verwirrt die Menschen im positiven Sinne, macht sie empfindsamer, verletzlicher. Am Ende sind sie vielleicht stärker in Kontakt mit sich selbst.

ZEIT: Erleben Sie das denn selber so?

Christov-Bakargiev: Ja, mich berührt die Kunst oft so, als würde ich mich verlieben. Vieles, was einem selbstverständlich vorkam, verändert sich. Das eigene Leben relativiert sich, man schließt sich auf für die Eigenheiten, die Gewohnheiten des anderen.

ZEIT: In welches Kunstwerk haben Sie sich denn zuletzt verliebt?

Christov-Bakargiev: Ach, in ganz viele, das passiert mir immerzu. Ich bin recht romantisch veranlagt.

ZEIT: Nur ein Beispiel.

Christov-Bakargiev: Ein Beispiel? Ich erinnere mich an eine Malewitsch-Ausstellung, die mich tief beeindruckt hat. Dort wurden auch seine späten Werke gezeigt, die gar nicht mehr abstrakt, sondern sehr figürlich sind. Und da wurde mir zum ersten Mal klar, wie ungeheuerlich sein Schwarzes Quadrat eigentlich ist. Er gab damit alles auf, das Ikonische, das Bildhafte, er war bereit, alles Vertraute zurückzulassen. Eine wahre Revolution!

ZEIT: Das klingt aber eher nach einer kunsthistorischen Erkenntnis.

Christov-Bakargiev: Ja und nein, denn natürlich lässt mich Malewitschs Bereitschaft, die Welt neu zu denken, nicht kalt. Das ist schon etwas, das in mein Leben hineinragt.

ZEIT: Könnte es sein, dass die nächste Documenta sehr persönlich und unpolitisch wird?

Christov-Bakargiev: Das hängt natürlich von Ihrem Politikbegriff ab. Ich möchte bestimmt keine Propaganda- und keine Belehrungskunst zeigen. Doch wird die Documenta so wenig unpolitisch sein, wie Courbet oder Manet und überhaupt die Impressionisten unpolitisch sind. Ihre Bilder sind geprägt von einer Politik der Form oder, besser, einer Politik der Formauflösung. Die Wirklichkeit wird bei ihnen flüchtig, beweglich, sie lösen sich von einem statischen Blick auf die Welt. Und natürlich ist das auch eine gesellschaftspolitische Geste.

ZEIT: Warum sind solche Gesten wichtig? Darf Kunst nicht einfach auch mal Kunst sein?

Christov-Bakargiev: Natürlich darf sie das. Doch wird es rasch sehr langweilig, wenn Kunstwerke keine Zweifel säen, wenn sie also nicht über sich selbst hinausweisen. Ich muss gerade an meine Mutter denken, die Archäologin war. Wir hatten daheim in unserem Wohnzimmer immer einen Korb voller Scherben stehen, Scherben von alten römischen Vasen. Lauter Fragmente, die mich schon als Kind fasziniert haben, weil sie in ihrer Zerbrochenheit auf etwas anderes, Größeres verwiesen. Vielleicht kann man es so sagen: Ich verspüre da eine gewisse Negativität in mir. Und die verhindert, dass es zu gemütlich wird.

ZEIT: Was für eine Negativität ist das?

Christov-Bakargiev: Ich bin schon stark von der feministischen Theorie geprägt, von Autorinnen wie Judith Butler, Carla Lonzi oder Luce Irigaray. Und wohl auch von meiner Mutter, die eine Friedensaktivistin war und die mich oft zu Demonstrationen mitgenommen hat. Manchmal erzählten mir meine Eltern auch von meinem italienischen Großvater, der als antifaschistischer Partisan vielen politisch Verfolgten half, über die Alpen zu fliehen.

ZEIT: Sie lebten damals in den USA.

Christov-Bakargiev: Ja, ich bin in New York und Washington aufgewachsen. Mein Vater stammt aus Bulgarien, war nach Italien gekommen, um sein Medizinstudium zu beenden, und lernte dort meine Mutter kennen. Nach dem Studium durfte er aber nicht bleiben, also mussten wir auswandern. Ich bin dann als Studentin wieder nach Italien gegangen, habe aber in New York noch ein Apartment und muss dort ab und zu vorbeischauen, um die Pflanzen zu wässern. Zum Glück sinds nur Kakteen.

ZEIT: Bislang haben Sie mit Ihrer Familie in Rom und Turin gelebt, jetzt werden Sie bald hauptberuflich in Kassel arbeiten. Ein Kulturschock?

Christov-Bakargiev: Ach, wenn man aus Italien kommt, dann weiß man um die Endlichkeit der Dinge und die Vergänglichkeit stabiler Systeme. Und man weiß, dass mit dem Ende eines Systems die Welt keineswegs untergeht.

ZEIT: Das ist jetzt eine sehr diplomatische Antwort.

Christov-Bakargiev: Nein, es ist mir sehr ernst. Ich glaube, dass Orte wichtig sind, aber es zählen immer weniger das Wo und Was und Woher. Viel wichtiger wird das Wie, die Frage des Prozedere.

ZEIT: Wie wird denn das Wie der Documenta 13?

Christov-Bakargiev: Zum Beispiel beobachte ich, dass einige meiner Kollegen, die sich Kuratoren nennenauch so ein Wort, das ich furchtbar finde, denn Kurator kommt ja von curare, von heilen, ganz so, als wäre die Kunst eine KrankheitJedenfalls haben es manche meiner Kollegen so weit getrieben, dass sich noch nicht mal mehr die Künstler auf den Großausstellungen wohlfühlen. Wenn sie eingeladen werden, machen sie zwar mit, doch ist es, als müssten sie zum Zahnarzt. Deshalb wünsche ich mir eine Documenta, die vor allem gastfreundlich ist, für die Künstler und die Besucher. Man soll sich fühlen wie in einer schönen, ruhigen Bibliothek, in der man entspannt ein Buch lesen kann.

ZEIT: Also eine Art Wohlfühl-Documenta?

Christov-Bakargiev:(lacht) Da schätzen Sie mich falsch ein. Ich sagte ja schon, meine Negativität… Ich neige dazu, just das zu vermeiden, was man von mir erwartet. In jedem Fall will ich kein Spektakel.

ZEIT: Eine Documenta ohne Spektakelist das nicht ein Widerspruch in sich?

Christov-Bakargiev: Wissen Sie, viele Ausstellungen und vor allem die Messen basieren heute auf dem YouTube-Prinzip. Dort klickt man sich von einem Video zum nächsten, alles ist ständig verfügbar, so gut wie nichts hat etwas mit dem anderen zu tun. Es ist eine Erfahrung der Omnipotenz und zugleich eine Erfahrung der Beliebigkeit. Gerne würde ich dazu ein Gegenmodell entwickeln.

ZEIT: Indem Sie weniger zeigen? Oder weniger Besucher in die Ausstellung lassen?

Christov-Bakargiev: Ich sehe schon, das wäre Ihre Documenta: eine Schrumpfausstellung. Aber mir geht es nicht um Reduktion, mir geht es um Verwandlung. In Sydney bei der Biennale habe ich viele Lücken gelassen. Ich habe, könnte man sagen, die Ausstellung mit Leere aufgefüllt. Am Ende war sie größer als zuvor, die Menschen mussten weiter laufen und verteilten sich so besser. Außerdem konnte ich in der Ausstellung bewusste Pausen setzen, und das ist wichtig. Stellen Sie sich vor, eine Sinfonie ohne PausenIch bin eben nicht an einer Ausstellung interessiert, in der die Kunst als Ware dargeboten wird. Mir missfällt es, aus der Kunst einen Fetisch zu machen. Mich interessieren Prozesse.

ZEIT: Was heißt das für Ihre Künstlerauswahl?

Christov-Bakargiev: Die Frage musste ja kommen. Aber ich werde Ihnen keine Namen nennen.

ZEIT: Heißt das, Sie machen aus der Künstlerliste einen Fetisch, so wie viele Ihrer Vorgänger?

Christov-Bakargiev:(lacht) Wichtig ist doch auch in dieser Frage nicht das Wer, sondern das Wie. Ich will doch nicht irgendwelche Namen einladen und diesen Namen dann sagen: Liefert ein Werk bis zu dem und dem Datum! Ich arbeite mit Menschen, das ist es, was mich interessiert. Der Austausch, das gemeinsame Nachdenken und Lernen. Und was ich mit der Künstlerliste mache? Vielleicht schicke ich an jede Zeitung eine andere. Oder ich veröffentliche jede Woche neue Listen mit neuen Namen.

ZEIT: Mit anderen Worten, Sie lügen.

Christov-Bakargiev: Ja, die Unwahrheit ist eine meiner großen Leidenschaftenein Ort der eigenen Zerbrechlichkeit. Wahrheiten haben ohnehin viel zu viel Leid hervorgebracht.

Das Gespräch führte Hanno Rauterberg



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