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Theater schrieb am 6.10. 2001 um 12:07:32 Uhr über

blutsauger

Quintett der Quälgeister und Blutsauger

Das Deutsche Schauspielhaus Hamburg bringt Marius von Mayenburgs
»Parasiten« auf die Bühne - Und wieder einmal zeigt sich: Die junge
deutsche Dramatik ist erbarmungslos

Von Dietmar Kanthak

Bonn. Marius von Mayenburg ist 28 und hat das Gesicht eines Sonnyboys.
Keine Spur von den Dämonen, die in dem jungen Mann schlummern. Im Theater
lässt er sie heraus. Der Autor der Stücke »Haarmann« (Serienkiller aus Hannover)
und »Psychopathen« (nach Hitchcock) erwarb sich vor zwei Jahren
überregionalen Ruhm mit seinem an den Münchner Kammerspielen erstmals
aufgeführten Werk »Feuergesicht«. Darin tritt der pubertierende Pyromane Kurt
auf. Er legt Brände, praktiziert Inzest mit seiner Schwester, erschlägt seine
Eltern und bringt sich schließlich um; der Pyromane fackelt sich selber ab.

Szene einer Ehe: »Parasiten«
in der Halle Beuel. Foto: Arno
Declair

Auch das von Thomas
Ostermeier inszenierte Stück
»Parasiten«, mit dem das
Deutsche Schauspielhaus
Hamburg in der Halle Beuel zu
sehen war, erforscht die
dunklen Bezirke der Existenz.
Fünf Leute treten den Beweis
an, dass, wie es früher hieß,
der Mensch des Menschen
Wolf sei. Hier ist jeder des
anderen Parasit, sie brauchen
und zerstören einander: ein
Quintett der Quälgeister und
Blutsauger.

Die schwangere Friderike ist
psychisch labil und kündigt
immer wieder an, sie wolle
sichaus dem Fenster stürzen.
Ihr Mann Petrik erweist sich
nicht gerade als eheliche Stütze. "Wenn du dich umbringst, piss ich auf dein
Grab", mit Sätzen wie diesen begegnet er dem selbstzerstörerischen Furor der
Frau. Petrik zieht es vor, mit seiner Schlange zu schmusen. Der biegsame
Statist im Alten Malersaal, arttypisch züngelnd, genoss seinen kurzen Auftritt so
sehr, dass er wenig Anstalten machte, wieder im Terrarium zu verschwinden.

Friderikes Schwester Betsi versorgt ihren seit einem Unfall gelähmten Mann
Ringo. Auf ihre Fürsorge reagiert er mit dem Terror eines Opfers, das Leiden in
aggressive Energie verwandelt. Mark Waschke als Ringo setzte Akzente von
gespenstischer Intensität. Der Autor gibt dem Schauspieler viele Möglichkeiten
zu glänzen, vor allem in den Szenen mit Werner Rehm. Er spielt Multscher,
einen Biedermann in Rentner-Beige, der Ringo einst zum Krüppel gefahren hat
und nun sein schlechtes Gewissen ausschwitzt. Wie der Täter sein Opfer unter
aller schleimigen Fürsorge gleichsam noch einmal erledigt ("Junger Mann, Sie
werden nie wieder vögeln, Sie sind ein Krüppel, Sie können nicht mal Auto
fahren"), wie das Opfer dem Alten mit perfider Rachlust jede Entlastung
verweigert, das ist glänzend dargestellt - und schwer zu ertragen.

Es ist eine Welt ohne Sympathie, Liebe und Mitleid, mit der Ostermeiers
packende Inszenierung das Publikum konfrontiert. Es saß mittendrin, war mehr
als nur distanzierter Zeuge des in einer halbmondförmigen Arena ablaufenden
Dramas. Den emotionalen Mitvollzug zwangen die Akteure den Zuschauern
regelrecht auf: mit fast schon hypnotischem Blickkontakt. Auch kam es vor,
dass einer der Spieler den Leuten etwas von den Speisen anbot, die so freigiebig
durch den Raum geworfen oder gespuckt wurden.

Marius von Mayenburg steigt hinab in ein Milieu, das er vermutlich nur vom
Hörensagen kennt. Es dient ihm lediglich als Rahmen, in dem sich ein
archetypisches menschliches Drama entfaltet, an einer Sozialstudie ist der Autor
nicht interessiert. Die allgegenwärtige Aggression kontrastiert er mit
Sehnsuchtsanfällen; sie formuliert er im gehobenen Fassbinder-Ton. Die Sprache
nobilitiert und rechtfertigt das dargestellte szenische Elend; erträglich wurde es
aber erst durch das fabelhafte Ensemble. Dessen Figuren verweigert der Autor
Erlösung und Happy End. Die junge deutsche Dramatik ist erbarmungslos.


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