»Eine Folge der Digitalisierung von Schrift- und Schreibkultur sind grundlegende Veränderungen im Diskurs kritischer Theorien und ihrer Institutionen - so lautet die These meines heutigen Vortrags. [...] Ich hoffe, heute einige der Probleme, um die es in solchen Wandlungsprozessen geht, erläutern zu önnen. Freilich bin ich dabei mit einer besonderen Schwierigkeit konfrontiert, denn ich bediene mich hier einer vor-digitalen Form der Präsentation: eines mündlichen Formats, das auf einem Kontakt von Angesicht zu Angesicht beruht. Dennoch wurde dieser Vortrag auf einem Computer geschrieben, so daß das Input der tastatur einer Vermittlung durch einen binären Code unterlag, bevor jeder die graphische, alphabetische Repräsentation in Gestalt von Bildschirmpunkten, sodann von Tintenmarkierungen auf dem Papier annahm. Gleichwohl vollzog sich die Aneignung des Maschinenproduktes durch herkömmliche, also ’analoge’ Appaaraturen der Autorschaft. [...] Meine Argumentation wäre viel überzeugender, und meine Beispiele hätten eine viel größere Wirkung, könnten Sie diesen Vortrag mit Hilfe eines Browsers auf ihrem Computer lesen, der Ihnen Zugang zu einer Internetseite verschafft, auf der dieses Werk etwa im Format des Hypertextes positioniert hat. Stattdessen agiere ich hier wie ein Reporter, der von einer fremden Kultur nach Hause zurückkehrt, um über exotische entdeckungen zu berichten: Die fremde Kultur freilich, die digitale Autorschaft, befindet sich genau unter uns - in dem Maß, wie der Cyberspace überall ist. Ich bin folglich kein Auslandsreporter, sondern ein ’local informant’; und vielleicht werden auch Sie, die Zuhörer oder Leser, sofern Sie nicht schon längst meine erfahrung geteilt haben, zu ’anderen’, zu distanzierten innerhalb ihres eigenen diskursiven Zuhauses, so wie es allen Vertretern analoger Autorschaft ergeht.«
(Mark Poster: ’digitale’ versus ’analoge’ Autorschaft (What’s the Matter with the Internet), in: Hermann Herlinghaus; Utz Riese (Hg.): Heterotopien der Identität. Literatur in interamerkansichen Kontaktzonen, Heidelberg 1999, S. 261-265, hier S. 261-262)
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