Austerität (engl. austerity, von lat. austeritas „Herbheit“, „Strenge“, „dunkler Farbton“) bedeutet „Disziplin“, „Entbehrung“ oder „Sparsamkeit“. Es wird heute vor allem in ökonomischen Zusammenhängen gebraucht und bezeichnet dann eine staatliche Haushaltspolitik, die einen ausgeglichenen Staatshaushalt über den Konjunkturzyklus ohne Neuverschuldung anstrebt (Austeritätspolitik).[1]
Inhaltsverzeichnis
[Verbergen] 1 Ökonomisch 1.1 Mögliche Wirkungen
2 Andere Bedeutungen
3 Weblinks
4 Siehe auch
5 Anmerkungen
Ökonomisch [Bearbeiten]
Der Begriff austerity wurde in dieser Bedeutung zuerst im Vereinigten Königreich während der Zeit des Zweiten Weltkriegs verwendet. Charakterisiert wurden damit die Sparmaßnahmen des Schatzkanzlers und Handelsministers Stafford Cripps, die eine ausgeglichene Zahlungsbilanz, Vollbeschäftigung und die Aufbringung ausreichender Mittel für die Kriegskosten erreichen sollten. England stand nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs am Rande der Zahlungsunfähigkeit.
Für Sparprogramme wurde das englische Wort später ins Deutsche entlehnt und zunächst in Wortverbindungen wie Austerity-Politik, Austerity-Maßnahmen oder Austerity-Programm, sowie später dann auch in der relatinisierten Form Austerität (Austeritätspolitik) gebraucht.[2]
Die aus restriktiver Fiskalpolitik und administrativer Lohnsenkung bestehende Wirtschaftspolitik des Reichskanzlers Heinrich Brüning in den Jahren 1930–1932 (zu Beginn der Weltwirtschaftskrise) gilt als eine Politik, die Austerität über alle anderen politischen Ziele stellte.[3][4]
Mögliche Wirkungen [Bearbeiten]
Es gilt bei Experten als umstritten, ob die Ausgabendisziplin eines Staates tatsächlich geeignet ist, besonders in Krisenzeiten wirtschaftliche Stabilität herzustellen und die nationale Handlungsfähigkeit nachhaltig zu erhöhen, oder ob sie eher die Souveränität und die Steuerungsfähigkeit eines Staates einschränkt,[5] Belastungen ungerecht verteilt[6] und durch die Einschnitte in den Sozialhaushalt und in das Investitionsbudget letztlich die Wirtschaftskraft eines Landes schwächt[7][8]. Der Grund liegt unter anderem darin, dass die Wirkungen einer staatlichen Sparpolitik von der (insbesondere konjunkturellen) Situation abhängen. Während das Betreiben einer Antizyklischen Finanzpolitik (also dem Sparen während des Aufschwungs und einer lockeren Finanzpolitik während des Abschwungs) zumindest theoretisch breite Zustimmung findet, wird eine Austeritätspolitik in Krisenzeiten weitaus kritischer bewertet. Austeritätspolitik erfolgt jedoch häufig in Reaktion auf Überschuldung des Staatshaushalts zur Verhinderung eines Staatsbankrotts. Hier stellt sich die Alternative der Weiterführung der Schuldenpolitik nicht, da die Kreditgeber nicht bereit sind, weitere Kredite bereitzustellen.
Die positiven Wirkungen einer nachhaltigen Haushaltspolitik ergeben sich vor allem aus den Auswirkungen auf den Zinssatz. Das Vertrauen in die Solidität des Staates und die geringere Nachfrage des Staates nach Kredit senkt tendenziell die Kreditzinsen. Dies senkt nicht nur die Refinanzierungskosten des Staates und senkt dadurch dessen Ausgaben weiter, sondern erleichtert auch die Investitionen der Unternehmen und fördert dadurch das Wirtschaftswachstum.[1]
Eine Gegenposition nimmt der Keynesianismus ein. Danach führt eine Kürzung der Staatsausgaben zu einem Rückgang des Wirtschaftswachstums – zu einem Teufelskreis aus privatem Sparbedürfnis (Vorsichtskasse), zurückgehenden Staatseinnahmen und zusätzlichem Sparbedarf des betroffenen Staatshaushalts.
→ Hauptartikel: Deficit spending
Eine IMF-Studie von 2012 zeigt, dass Austeritätsprogramme das Wirtschaftswachstum in hohem Maße reduzieren können. Es sei zu beachten, dass sich durch ein Sparprogramm der Schuldenstand im ersten Jahr erhöht und erst später zurückgeht. Daher dürfe man nicht in den jeweiligen Folgejahren weitere Sparprogramme durchführen, weil jedes dieser Sparprogramme zunächst das Wachstum reduziere und den Schuldenstand erhöhe.[9][10] Zudem spreche gegen eine exzessive Austeritätspolitik, dass sie vor allem die Armen treffe und IMF-unterstützte Programme beeinträchtige.[11] Paul Krugman kritisierte Empfehlungen der OECD, die in Richtung Austeritätspolitik gehen, obwohl sie durch deren eigene Prognosen nicht fundiert würden.[12] Als politisches Schlagwort hierfür wird Totsparen verwendet.
Andere Bedeutungen [Bearbeiten]
In älterer Zeit war Austerität als Fremdwort der gehobenen deutschen Literatur- und Wissenschaftssprache auch noch in anderen Bedeutungen geläufig, so als ethisch-philosophischer Begriff für „Strenge, unbiegsame Hartnäckigkeit (der Tugend und Moral)“,[13] für die in der lateinischen Tradition besonders die Unbeugsamkeit Catos d. J. als virtus austera Catonis sprichwörtlich war,[14] oder als ästhetisch-kunstwissenschaftlicher Begriff für eine prunklos sparsame, auf das Nötigste beschränkte Gestaltungs- oder Ausstattungsweise, wie sie zum Beispiel dem mittelalterlichen Baustil der Zisterzienser zugeschrieben wird (zisterziensische Austerität).[15]
Weblinks [Bearbeiten]
Wolfgang Streeck, Daniel Mertens: Austerität als fiskalpolitisches Regime (PDF; 1,3 MB) MPIfG Discussion Paper 10/5. Mai 2010, ISSN 0944-2073 (Print) ISSN 1864-4325 (Internet). Abgerufen am 15. Januar 2013.
Joseph Stiglitz: L’austérité mène au désastre, Le Monde, Mai 2010. Abgerufen am 15 Januar 2013.
Internationaler Währungsfonds (IWF): Expansionary Austerity New International Evidence (PDF; 1,3 MB) Working Paper, Juli 2011. Abgerufen am 15. Januar 2013.
Olivier Blanchard: An amazing mea culpa from the IMF’s chief economist on austerity, Washington Post, 3. Januar 2013. Abgerufen am 15. Januar 2013.
Siehe auch [Bearbeiten]
Deflationspolitik
Anmerkungen [Bearbeiten]
1.↑ a b Ferry Stocker: Moderne Volkswirtschaftslehre: Logik der Marktwirtschaft, Lehrbuch zur Mikro- und Makroökonomik, 6. Auflage, 2009, ISBN 978-3-486-58576-6, S. 321
2.↑ Broder Carstensen, fortgeführt von Ulrich Busse: Anglizismenwörterbuch: Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945, Band 1, Walter de Gruyter, Berlin u. a. 1993, Nachdr. 2001, S. 65–66.
3.↑ Paul Krugman: That ’30s Feeling. The New York Times, 17. Juni 2010.
4.↑ Albrecht Ritschl, Deutschlands Krise und Konjunktur 1924-1934, Oldenbourg Akademieverlag, 2002, ISBN 978-3-05-003650-2, Seite 201
5.↑ Wolfgang Streeck, Jens Beckert: Die Fiskalkrise und die Einheit Europas. In: Bundeszentrale für politische Bildung online 17. Januar 2012, abgerufen am 16. Februar 2013
6.↑ Artur P. Schmidt: Austerität ist das Gegenteil von Solidarität. In: Telepolis, 2. Januar 2013, abgerufen am 16. Februar 2013
7.↑ Andreas Uhlig: Langsames Auftauchen aus einer Traumwelt. In: NZZ online 1. Oktober 2012, abgerufen am 16. Februar 2013
8.↑ Claus Offe: Europa in der Falle. In: Blätter für deutsche und internationale Politik online Januar 2013, abgerufen am 16. Februar 2013
9.↑ World Economic Outlook 2012. Coping with High Debt and Sluggish Growth (PDF; 10,5 MB), International Monetary Fund, abgerufen am 29. März 2013 (englisch)
10.↑ Wolfgang Münchau: Das große Einmaleins. In: Spiegel Online, 31. Oktober 2012, abgerufen am 29. März 2013
11.↑ Fiscal Adjustment in IMF-Supported Programs. (PDF; 536 kB) International Monetary Fund, 2003.
12.↑ Paul Krugman: The Pain Caucus. The New York Times, 30. Mai 2010.
13.↑ Friedrich Kirchner: Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe, 5. Aufl., bearb. von Carl Michaëlis, Verlag der Dürr'schen Buchhandlung, Leipzig 1907, S. 79
14.↑ Friedrich Kirchner, Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe, 2. Aufl., Georg Weiss Verlag, Heidelberg 1890 (= Philosophische Bibliothek, 24), S. 46
15.↑ Adolf Reinle: Die Kunst der Renaissance, des Barock und des Klassizismus, Huber Verlag, Frauenfeld 1956 (= Joseph Gantner u. a., Kunstgeschichte der Schweiz, Band III), S. 36, vgl. S. 25
Kategorien: Wirtschaftspolitik
Staatsverschuldung
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