"Trauer als Maßstab des Glücks
Seit ich denken kann, bin ich glücklich gewesen mit dem Lied: »Zwiscehn Berg unf tiefem, tiefem Tal«: von den zwei Hasen, die sich am Gras gütlich taten, vom Jäger niedergeschossen wurden, und als sie sich besonnen hatten, daß sie noch am Leben waren, von dannen liefen. Aber spät erst habe ich die Lehre darin vertsanden: Vernunft kann es nur in Verzweiflung und Überschwang aushalten; es bedarf des Absurden, um dem objektiven Wahnsinn nicht zu erliegen. Man sollte es den beiden Hasen gleichtun; wenn der Schuß fällt, närrisch für tot hinfallen, sich sammeln und besinnen, und wenn man noch Atem hat, von dannen laufen. Die Kraft zur Angst und zum Glück sind das gleiche, das schrankenlose, bis zur Selbstpreisgabe gesteigerte Ausgeschlossensein für Erfahrung, in der der Erliegende sich wiederfindet. Was wäre Glück, wenn es sich nicht mäße an der unmeßbaren Trauer dessen, was ist?"
aus: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben.
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