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copy and paste schrieb am 15.2. 2019 um 00:06:28 Uhr über

Zyankali

Sterbehilfe

Höllische Schmerzen

Zyankali-Verkäufer Atrott auf frischer Tat ertappt, sein Verein hoch verschuldet - liegt die Sterbehilfe-Organisation in den letzten Zügen?


Mit dem weißen Granulat ist, normalerweise, kaum Geld zu verdienen. Ein Gramm der Substanz, die der Produktion von Schädlingsbekämpfungsmitteln dient, kostet gerade mal 40 Pfennig.

In den Händen des prominentesten deutschen Sterbehelfers, Hans Henning Atrott, 49, aber vergoldete sich die Billigware Zyankali. Für jedes Gramm, davon sind Fahnder überzeugt, kassierte er 3000 Mark - eine Gewinnspanne, wie sie selbst im Heroingeschäft nicht erreichbar ist.

Das Supergift, so behauptet Nicht-Mediziner Atrott, verhelfe Lebensmüden zum sanften Tod. Doch Toxikologen haben beklemmende Erfahrungen gemacht: »Zunächst verätzt das . . . Zyankali den Magen, was zu höllischen Schmerzen« führe, dann trete der Tod ein, heißt es in der Fachliteratur: »Im Durchschnitt dauert ein solches Sterben etwa eine Viertelstunde

Jahrelang wies Atrott, Geschäftsführer und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), kategorisch alle Verdächtigungen zurück, er deale mit der Chemikalie Kaliumcyanid (vulgo: Zyankali) und schlage auf diese Weise Profit aus der Not leidender Menschen. Noch Ende des letzten Jahres »amüsierte« er sich »über die andauernde Suche der Polizei nach Zyankalikapseln« und höhnte: »Bei dem rattenhaften Eifer verstärkt sich in mir der Eindruck, als sei man auf der Suche nach der versunkenen Insel Atlantis

Am Montag letzter Woche hat die Polizei Atlantis entdeckt: Unweit vom Hamburger Hotel Atlantic, im Hotel Ibis, nahm die Kripo Atrott fest - nachdem er einer V-Frau zum üblichen Preis Zyankali verkauft hatte. Seine Ausflüchte, die Dame habe die 3000 Mark ihm und somit der DGHS gespendet, verfingen nicht: Die Scheine stammten aus der Staatskasse und waren registriert.

Nun sitzt Atrott im Knast. Ein alter Haftbefehl des Amtsgerichts Augsburg wegen Steuerhinterziehung war auf 87 Verstöße gegen das Chemikaliengesetz erweitert worden; das Paragraphenwerk verbietet unbefugten Personen das »Inverkehrbringen oder das Verwenden« giftiger Stoffe und droht bis zu fünf Jahren Haft an - wenn durch eine solche »Handlung das Leben oder die Gesundheit eines anderen« gefährdet wird.

Mit Hilfe von Zyankali oder anderer DGHS-Rezepturen bringen sich jedes Jahr 2000 bis 3000 Menschen um. Nach deutschem Recht ist die Beihilfe zum Suizid, anders als etwa in Österreich, nicht strafbar.

Zyankali, das Atrott auf noch nicht ermittelte Weise erworben hat, spielt in der kontrovers geführten Diskussion um die Sterbehilfe eine zentrale Rolle. Die Magensäure des Todeskandidaten verwandelt das Kaliumzyanid in Blausäure, die roten Blutkörperchen verlieren die Fähigkeit, Sauerstoff zu transportieren.

Der Vorgang ist nicht reversibel, Auspumpen des Magens oder die Gabe eines Antidots helfen nichts. Juristische Folge: Wer Zyankali verabreicht und beim sterbenden Menschen bleibt, kann nicht wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden.

Rechtlich gesehen könnte ein Zyankaliverkauf auch »Tötung in mittelbarer Täterschaft« sein - dann, wenn ein Lebensmüder nicht zur »frei verantwortlichen Willensentschließung« fähig war. Einen solchen Fall glaubte der Bielefelder Kripo-Hauptkommissar Manfred Hudalla zu bearbeiten.

Am 14. Juli 1991 starb in den Bodelschwinghschen Anstalten der ostwestfälischen Stadt der Rechtsanwalt Klaus-Peter Rudorf. Todesursache: Vergiftung mit DGHS-Zyankali. Rudorf litt an dem Wahn, aidskrank zu sein.

Ein Klinikarzt, der den Juristen eingehend untersucht hatte, gutachtete, der Mann sei nicht zurechnungsfähig gewesen. Atrott wäre demnach drangewesen. Der Hamburger Psychiatrieprofessor Hans-Jürgen Horn aber kam, nach bloßem Aktenstudium, zum gegenteiligen Ergebnis. Konsequenz: Die Staatsanwaltschaft Münster stellt in diesen Tagen das Verfahren ein.

Rudorf hatte kurz vor dem Selbstmord zwei Schecks ausgestellt, einen über 6000, den anderen über 3000 Mark. Empfänger, nach Aktenlage: Atrott.

»Pro Woche«, schätzt Kommissar Hudalla, habe Atrott »mindestens drei Sprechstunden abgehalten, bei denen Zyankali verkauft worden ist« - monatliche Einnahmen demnach: 36 000 Mark.

Dem Sterbeverein selbst, dem längst die Gemeinnützigkeit aberkannt worden ist, geht es trotz hoher Mitgliederzahl (Juli 1992: 57 796) finanziell ausgesprochen schlecht. Bei einer Sitzung im letzten November mußte Atrott eingestehen, daß das Bilanzjahr 1992 »mit einem Verlust von ca. 200 bis 300 TDM schließen« werde.

Atrott fühlte sich verpflichtet, die DGHS »1993 unbedingt wieder in die schwarzen Zahlen zu führen« (Protokoll). Das wird er nun wohl nicht mehr schaffen.




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