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voice recorder schrieb am 23.1. 2003 um 03:40:20 Uhr über

Zuschauer

Arena conta Zumbi: einerseits eine Fabel, andererseits Zitate aus dem brasilianischen Tagesgeschehen, aus Reden amtierender Politiker, musikalisch verdeutlicht. Wie beurteilt Boal Zumbi? »Mit >Zumbi@ zerstörten wir das alte Theater mit all seinen Regeln, Vorschriften und Rezepten. Wir konnten die Konventionen nicht mehr akzeptieren. Wir nahmen uns auf dem Theater die gleiche Freiheit wie der Negersklave Zumbi in der politischen Praxis. Wir wollten eine in ständiger Veränderung befindliche Realität zeigen. Und dies konnten wir nicht mit festgefahrenen, unveränderten StilmittelnWichtig war für Boal die größtmögliche Annäherung an den Zuschauer, von dem er gleichzeitig kritische Distanz gegenüber dem Geschehen erwartete

- das alte
Problem von Einfühlung und Reflexion. Boal versuchte es zu lösen durch die Einführung eines »jokers«. Er steht den Zuschauern näher als den Personen im Stück, er soll Zeitgenosse und Nachbar sein. Er kann die Handlung unterbrechen, Szenen wiederholen, das Publikum nach seiner Meinung befragen. Zumbi bewegt sich ständig auf zwei Ebenen: Fabel und Analyse. Die Zuschauer sollten sich mit den Figuren identifizieren, aber sie gleichzeitig begreifen und von ihnen abstrahieren. Alle Schauspieler spielten alle Figuren. Die Rollen wurden für jede Szene neu verteilt. jeder Schauspieler konnte in jede Figur schlüpfen. »Im jokersystem wird die Mauer zwischen Protagonist und Chor niedergerissen. Alle sollen zugleich Chor und Protagonist seinDie Kluft zwischen Schauspielern und Zuschauern war damit aber noch nicht aufgehoben.
Die »Übereignung des Theaters an den Zuschauer«, wie Boal es nennt, das »Theater der Unterdrückten«, beginnt mit den ersten Techniken des »Zeitungstheaters«, die Boal und sein Nücleo I Ende der sechziger Jahre entwickelt und die nichts mit der Theatralisierung von Zeitungsmeldungen im amerikanischen Living Newspaper gemein haben. Vielmehr lernen die Zuschauer, Zeitung gegen den Strich, zwischen den Zeilen zu lesen und szenisch darzustellen. Wie das im einzelnen gemacht wird, beschreibt Boal in dem vorliegenden Buch, das die wichtigsten Techniken und Erfahrungen des »Theaters der Unterdrückten« wiedergibt: »Zeitungstheater«, »Statuentheater«, »Forumtheater-, »Unsichtbares Theater«. Zwar benennt Boal eine besondere Technik »Widerstand gegen Unterdrückung« (»quebra da repressäo«), die mit dem Selbstbehauptungstraining entfernt verwandt

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ist, Widerstand gegen Unterdrückung schließen jedoch alle seine Techniken ein: sowohl gegen die Unterdrückung, die man sich selbst zufügt, als auch gegen die Unterdrückung durch andere, Menschen und Institutionen, intellektuell, körperlich und emo-
tional.
Nach dem zweiten Staatsstreich am i3. Dezember i968, als oppositionelle Gruppen aus dem Untergrund den bewaffneten Kampf gegen die repressive brasilianische Regierung aufnahmen,
z. B. ausländische Diplomaten entführten, den Bot-

wie I970
schafter der Bundesrepublik Deutschland, von Holleben, um politische Gefangene freizupressen, ergriff die Regierung Gegenrnaßnahmen. Es genügte nun, wie im Fall eines Bauern, als einziger im Dorf lesen und schreiben zu können, um wegen subversiver Tätigkeit verhaftet zu werden. Künstler waren von vornherein suspekt; viele verließen freiwillig das Land, Boal blieb. Mit den Techniken des »Zeitungstheaters« machte er.die Zuschauer zu Produzenten ihres eigenen Theaters, was weniger eine Taktik wider die Zensurbehörde war, in deren Kartei nur »klassische Theaterformen« geführt wurden, als vielmehr eine notwendige Antwort auf die immer härteren Repressionen und Sanktionen. Ein Theater, das dem Zuschauer das Wort erteilte, war wirkungsvoller in seinem emanzipatorischen Ansatz als alle konventionellen Theaterformen, von denen Boal nach i968 imrner mehr abrückte.
Das »Zeitungstheater« ist die einzige Form des »Theaters der Unterdrückten«, die Boal in Brasilien selbst entwickelt hat. Am 17- März 197 I von der brasilianischen Geheimpolizei verschleppt und gefoltert, aufgrund von internationalen Protesten nach drei Monaten wieder auf freien Fuß gesetzt, verließ er noch 'in selben Jahr das Land. In seinem ersten Exil, Buenos Altes, beendete er sein in der Haft begonnenes Theaterstück Torquernada, ein Stück über die moderne brasilianische Inquisition. Es wurde I972 in Kuba mit dem Prernio Casa de las Am@ricas ausgezeichnet. In Argentinien, wo Boal bis 1976 lebte, entwickelte er dann das »Unsichtbare Theater«, während eines längeren Aufenthalts in Peru, für ein Alphabetisierungsprojekt, 1973 das »Statuentheater« und das »Forumtheater". Im »Forumtheater« erblickt Boal die höchste Stufe des Zuschauertheaters als Zukunftsprobe. In einem Interview mit einer französischen Zeitung sagte er dazu: »Auf das Forumtheater kann nur die Aktion selbst folgen

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