Einundzwanzigster Gesang.
VIII. Kreis 5. Bulge. Bestechliche im weiteren Sinn.
1
So ging’s von Brück’ auf Brück’, in manchem Wort,[258]
Das ich zu sagen nicht für nöthig halte;
Und oben, an des Bogens höchstem Ort,
4
Verweilten wir ob einer neuen Spalte,
[117] Und hörten draus den eitlen Laut der Qual,
Und sahn, wie unten tiefes Dunkel walte.
7
Gleich wie man in Venedigs Arsenal
Das Pech im Winter sieht aufsiedend wogen,
Womit das lecke Schiff, das manches Mal
10
Bereits bei Sturmgetos das Meer durchzogen,
Kalfatert wird – da stopft nun der in Eil’
Mit Werg die Löcher aus am Seitenbogen,
13
Der klopft am Vorder-, der am Hintertheil,
Der ist bemüht, die Segel auszuflicken,
Der bessert Ruder aus, der dreht ein Seil;
16
So ist ein See von Pech dort zu erblicken,
Das kocht durch Gottes Kunst und nicht durch Glut,
Deß Dünste sich am Strand zum Leim verdicken.
19
Ich sah den See, doch nichts in seiner Flut,
Die jetzt sich senkt’, und jetzt sich wieder blähte,
Als Blasen, ausgehaucht vom regen Sud.
22
Indeß ich scharfen Blicks hinunterspähte,
Zog mich, indem er rief: „Hab’ Acht! Hab’ Acht!“
Mein Meister zu sich hin von meiner Stätte.
[118]
25
Da wandt’ ich mich, gleich Einem, den mit Macht
Es zieht, das was er fliehen soll, zu sehen,
Und der, da jähe Furcht ihn schaudern macht,
28
Doch, noch im Schau’n, nicht zögert fortzugehen.
Und sieh, ein rabenschwarzer Teufel sprang
Uns hinterdrein auf jenen Felsenhöhen.
31
Ach, wie sein Ansehn mich mit Graus durchdrang,
Wie wild er schien, wie froh in Andrer Schaden!
Gespreizt die Schwingen, leicht und schnell den Gang,
34
Kam er, die Schultern hoch gespitzt, beladen
Rittlings mit einem armen Sünder schwer,
Und mit den Krallen packt’ er seine Waden.
37
„Von Lucca bring’ ich einen Rathsherrn her,“[259]
Schrie er, „auf, taucht ihn unter, Grimmetatzen![260]
Gleich kehr’ ich um und hole andre mehr,
40
Denn jene Stadt ist voll davon zum Platzen;
Gauner sind Alle dort, nur nicht Bontur,[261]
Und machen Ja aus Nein für blanke Batzen.“
43
Hinunter warf er dann den Sünder nur,
Und rannte gleich zurück in solcher Eile,
Wie je der Hofhund nach dem Diebe fuhr.
46
Der Sünder sank, doch hob sich sonder Weile,
Da schrien die Teufel unten: „Fort mit dir,
Hier dient kein Heil’genbild zu deinem Heile.[262]
49
Ganz anders, als im Serchio, schwimmt man hier.[263]
Und sollen dich nicht unsre Haken packen,
So bleib’ im Peche nur, sonst fassen wir.“
52
[119] Gleich stießen sie mit hundert scharfen Zacken,
Und schrien: „Dein Tänzchen mache hier versteckt.
Such’ unten Einem etwas abzuzwacken.“
55
Nicht anders macht’s ein Koch, wenn er entdeckt,
Das Fleisch im Kessel komm’ emporgeschwommen,
Und schnell es mit dem Haken untersteckt.
58
Virgil sprach: „Geh, eh’ sie dich wahrgenommen,[264]
Und ducke dich bei jener Felsenbank;
Durch diese wirst du ein’gen Schirm bekommen.
61
Mir ist das Ding nicht fremd, drum bleibe frank
Von jeder Furcht, was man mir auch erzeige,
Denn früher war ich schon in solchem Zank.“[265]
64
Dann ging er jenseits auf dem Felsensteige,
Und wie er hingelangt zum sechsten Strand,
That’s Noth ihm, daß er sichre Stirne zeige.
67
Denn wie, in Sturm und Wuth hervorgerannt,
Die Haushund’ auf den armen Bettler fallen,
Wenn er am Haus, laut flehend, stille stand;
70
So stürzten Jen’ aus dunkeln Felsenhallen,
Und streckten All’ auf ihn die Haken hin,
Er aber schrie: „Zurück jetzt mit euch Allen,
73
Mich anzuhaken habt ihr wohl im Sinn?
Doch tret’ erst Einer vor, um mich zu sprechen,
Und dann bedenkt, ob ich zu packen bin.“
76
„Geh vor denn, Stachelschwanz!“ So schrien die Frechen,
Und Einer kam – die Andern blieben stehn –
Und fragte, „wie er wag’, hier einzubrechen?“
79
„Wie“, sprach mein Meister, „würdest du mich sehn,
Wie würd’ ich wagen, je hier einzudringen,
Bin ich auch sicher, euch zu widerstehn,
82
Wenn’s Gott und Schicksal also nicht verhingen?
Drum laß mich zieh’n, der Himmel will, ich soll
[120]
Als Führer Einen durch die Hölle bringen.“
85
Der Haken fiel, da dieses Wort erscholl,[266]
Ihm aus der Hand, so hatt’ ihn Furcht durchschauert.
„Gesellen,“ rief er aus, „laßt euren Groll!“
88
„Du, der dort zwischen Felsenstücken kauert,“
Rief nun mein Meister, „eile zu mir her,
Da jetzt kein Feind mehr auf dem Wege lauert.“
91
Und vorwärts trat ich und kam schnell daher,
Doch sah ich vorwärts auch die Teufel fahren,
Als gelte nichts die Uebereinkunft mehr;
94
Und war voll Schrecken, wie Caprona’s Schaaren,
Die, dem Vertrag zum Trotz, dem Tode nah,[267]
Als sie die Festung übergeben, waren.
97
Fest drängt’ ich mich an meinen Führer da,
Und hielt den Blick gespannt auf ihre Mienen,
Aus denen ich nichts Gutes mir ersah.
100
Und diese Rede hört’ ich zwischen ihnen:
„Den Haken ihm ins Kreuz? Was meinst du? sprich!“
Der Andre: „Ja, du magst ihn nur bedienen!“
103
Doch jener Geist, der mit dem Meister sich
Besprochen, wandte schleunig sich zurücke,
Und rief: „Still, Raufbold, ruhig halte dich.“
106
Und dann zu uns: „Auf diesem Felsenstücke[268]
[121] Kommt ihr nicht weiter, denn im tiefen Grund
Liegt längst zertrümmert schon die sechste Brücke.
109
Und wollt ihr fort, geht oben, längs dem Schlund,
Dann seht ihr vorwärts einen Felsen ragen,
Und kommt darauf bis zu dem nächsten Rund.
112
Denn gestern, um euch Alles anzusagen,
War’s grad zwölfhundert sechs und sechszig Jahr,
Seit jenen Weg ein Erdenstoß zerschlagen.
115
Dorthin entsend’ ich ein’ge meiner Schaar,
Um Sündern, die sich lüften, nachzuspüren;
Mit ihnen geht, und fürchtet nicht Gefahr.
118
Auf, ihr Gesellen, jetzt, euch frisch zu rühren!
Eistreter, Senkflug, Bluthund, kommt heran,
Du, Sträubebart, sollst alle Zehen führen.[269]
121
Auf Drachenblut, Kratzkrall’ und Eberzahn,
Scharfhaker, und auch du, Grimmroth der Tolle,
Und Fledermaus, schickt euch zum Wandern an.
124
Schaut, wer etwa im Pech auftauchen wolle,
Doch wißt, daß dieses Paar in Sicherheit
Bis zu der nächsten Brücke reisen solle.“
127
„„Ach, guter Meister,““ rief ich, „„welch’ Geleit?
Ich, meinerseits, ich will es gern entbehren,
Und bin mit dir allein zu gehn bereit.
[122]
130
Sieh nur, wie sie vor Grimm im Innern gähren,
Wie sie die Zähne fletschen und mit Drohn
Nach uns die tief gezognen Brauen kehren.““
133
Und er zu mir: „Nicht fürchte dich, mein Sohn,
Laß sie nur fletschen ganz nach Gutbedünken,
Sie thun dies nur zu der Verdammten Hohn.“
136
Sie schwenkten dann sich auf den Damm zur Linken,
Nachdem vorher die Zunge Jeder wies,
Hervorgestreckt, dem Hauptmann zuzuwinken,
139
Der mit dem hintern Mund zum Abmarsch blies.
_______________
Zweiundzwanzigster Gesang.
Fortsetzung. Die Teufelshetze.[270]
1
Oft sah ich Reiter aus dem Lager ziehn,
Die Mustrung rücken, in die Feinde brechen,
Auch wohl sich schwenken und zurückefliehn,
4
Von Streifpartei’n sah ich in euren Flächen,[271]
Ihr Aretiner, einst euch hart bedrohn;
Sah Festturnier’ und große Lanzenstechen;
7
Trommeten hört’ ich, Trommeln, Glockenton,
Sah Rauch und Feuer auch als Kriegeszeichen,
Und fremd’ und heimische Signale schon;
10
Doch nimmer hieß ein Tonwerkzeug, dergleichen
Ich hier gehört, das Volk zu Roß und Fuß,
Zu Land und Meer, noch vorgehn oder weichen.
13
Mit zehen Teufeln ging ich voll Verdruß,
Doch wußt’ ich, daß man Säufer in den Schenken,
Und Beter in den Kirchen suchen muß.
16
[123] Auch war zum Pfuhl gewandt mein ganzes Denken,
Um ganz des Orts Bewandtniß zu erspähn,
Und welche Leut’ in diese Glut versänken.
19
Wie die Delphine, die vor Sturmes-Wehn[272]
Mit den gebognen Rücken oft verkünden,
Zeit sei’s, sich mit den Schiffen vorzusehn;
22
So, um Erleichterung der Qual zu finden,
Taucht’ oft ein Sünder-Rücken auf und schwand
Im Peche dann so schnell, wie Blitze schwinden.
25
Und wie die Frösch’ an eines Grabens Rand
Mit Beinen, Bauch und Brust im Wasser stecken,
Die Schnauzen nur nach außen hingewandt;
28
So, sah man Jen’ hervor die Mäuler strecken,
Allein, wenn sie den Sträubebart erschaut,
Sich schleunig in dem heißen Pech verstecken.
31
Ich sah, und jetzt noch schaudert mir die Haut,
Nur Einen harren, wie, wenn all’ entsprangen.
Ein einz’ler Frosch noch aus dem Pfuhle schaut.
34
Kratzkralle, der am weitsten vorgegangen,
Schlug ihm den Haken ins bepichte Haar,
Und zog ihn auf, Fischottern gleich, gefangen.
37
Ich wußte schon, wie Jedes Name war
Seit ihrer Wahl, und daß mir nichts entfalle,[273]
Nahm ich der Namen dann im Sprechen wahr.
40
„Frisch, Grimmroth, mit den scharfen Klauen falle
Auf diesen Wicht und zieh ihm ab das Fell.“
So schrien zusammen die Verfluchten alle.
43
Und ich: „„Mein Meister, o erforsche schnell,
Wer hier in seiner Feinde Hand gerathe?
Wer ist wohl der unselige Gesell?““
46
Worauf mein Führer seiner Seite nahte,
Ihn fragend: wer er sei? wo sein Geschlecht?
„Ich bin gebürtig aus Navarra’s Staate.[274]
[124]
49
Die Mutter gab mich einem Herrn zum Knecht,
Weil sie von einem Prasser mich empfangen,
Der all sein Gut und auch sich selbst verzecht.
52
Dann in des Königs Thibaut Dienst gegangen,
Des guten, trieb ich dorten Gaunerei:
Dem Lohn im Pfuhl hier bin ich nicht entgangen.“
55
Und Eberzahn, aus dessen Munde zwei
Hauzähne ragten, wie aus Schweinefratzen,
Bewies ihm jetzt, wie scharf der eine sei.
58
Die Maus war in den Krallen arger Katzen,
Doch Sträubebart umarmt’ ihn fest und dicht,
Und rief: „Ich halt’ ihn, fort mit euren Tatzen.“
61
Und zu dem Meister kehrt’ er das Gesicht:
„Willst du, bevor die Andern ihn zerreißen,
Noch etwas fragen, wohl, so zaudre nicht.“
64
Mein Führer: „Sprich, wie andere Sünder heißen
Dort unterm Pech? Sind auch Lateiner da?“[275]
Und jener sprach: „ja! noch eben unterm heißen
67
Pech dort war Einer jenes Lands mir nah!
O wär’ ich noch, wie er, vom Sud umgeben,
Da ich dort nichts von Klau’n und Haken sah!“
70
„Wir haben’s schon zu lange zugegeben!“
Scharfhaker schrie’s, und hakt’ auf ihn hinein,
Auch blieb ein Stück vom Arm am Haken kleben.
73
Schon zielte Drachenblut ihm nach dem Bein,[276]
Allein der Hauptmann blickt’ auf seine Schaaren
Im Kreis herum und schien ergrimmt zu sein.
76
Da wandte sich, sobald sie stille waren,
Mein Herr zu ihm, der auf sein wundes Glied
Herniedersah, um mehr noch zu erfahren.
79
[125] „Wer ist’s, von dem dein Mißgeschick dich schied,
Als du dich nach der Oberfläch’ erhoben?“ –
„Der von Gallura ist’s, der Mönch Gomit.[277]
82
Im Trug bestand er all’ und jede Proben,
Des Herrschers Feinde hielt er im Verließ,
Und that mit ihnen, was sie alle loben.
85
Geld nahm er, wie er selber sagt, und ließ
Sie sachte ziehn, Er, der in Amt und Ehren
Sonst auch als Schelm nicht klein, nein groß, sich wies;
88
Viel pflegt’ mit ihm Herr Zanche zu verkehren[278]
Von Logodor – sie schwatzen immerfort,
Als ob sie jetzt noch in Sardinien wären.
91
Ach, seht, wie fletscht die Zähne Jener dort!
Gern spräch’ ich mehr, doch würd’ ich mehr geschändet.
Er droht ja wüthend schon bei jedem Wort.“
94
Doch Sträubebart, zu Fledermaus gewendet,
Des Auge grimmig glotzte, schalt ihn sehr:
„Verdammter Vogel, fort! dein Lied geendet!“
97
„Willst du,“ begann der bange Wicht nunmehr,[279]
„Willst du Toscaner und Lombarden sehen?
Ich schaffe sie dir nach Belieben her,
100
Wenn nur die Grimmetatzen ferne stehen,
Und deren Rache sie nicht zittern macht.
Und ich, ich will nicht von der Stelle gehen,
[126]
103
Und locke doch dir leicht statt Eines acht,
Sobald ich pfeife, wie wir immer pflegen,
Um anzudeuten, daß kein Teufel wacht.“
106
Da streckt’ ihm Bluthund seine Schnauz’ entgegen,
Und schrie kopfschüttelnd: „Hört die Büberei!
Er will ins Pech, sobald wir uns bewegen.“
109
Allein der Sünder, reich an Schelmerei,
Sprach: „Wahrlich, bübisch wär’ ich wohl zu nennen,
Trüg’ zu der Meinen Mißgeschick ich bei.“
112
Da hielt sich Senkeflug nicht mehr gleich Jenen;
Im Widerspruch mit Allen hub er an:
„Spring nur hinab! Ich werd’ nicht nach dir rennen,
115
Nein, überm Pech, hasch ich im Flug dich dann!
Laßt Platz uns hinter diesem Damme nehmen,[280]
Zu sehn, ob mehr als wir der Eine kann.“
118
Jetzt werdet ihr ein neues Spiel vernehmen.
Die Blicke wandten sie und sehr bereit
War, der der Schlimmste schien, sich zu bequemen.
121
Doch wohl ersah der Gauner seine Zeit,
Stemmt’ ein die Füß’, und war mit einem Satze
Von dem, was sie ihm zugedacht, befreit.
124
Dort standen Alle mit verblüffter Fratze.
Und Jener, der die Schuld des Fehlers trug,
Flog nach und schrie: „Du bist in meiner Tatze!“
127
Umsonst! die Furcht war schneller als der Flug.
Das Pech verbarg bereits den Gauner wieder,
Und rückwärts nahm der Teufel seinen Zug.
130
So taucht die Ente vor dem Falken nieder,
Und dieser hebt, ergrimmt und matt, vom Teich
[127] Zur Luft empor das sträubende Gefieder.
133
Eistreter kam, wie jener sank, sogleich
Im schnellsten Fluge durch die Luft geschossen
Und fiel, erboßt von diesem Narrenstreich,
136
Mit seinen scharfen Klau’n auf den Genossen,
Und beide hielten überm Pech voll Wuth
In wilder Balgerei sich fest umschlossen.
139
Doch braucht’ auch Jener seine Krallen gut,
Und beide stürzten bald zu den Bepichten,
Die sie bewachten, in die heiße Flut.
142
Der Hitze ward es leicht, den Kampf zu schlichten,
Doch ganz bepicht das rasche Flügelpaar,
Vermochten sie es nicht, sich aufzurichten.
145
Und Sträubebart, der sehr betreten war,
Ließ vier der Seinen rasch zu Hilfe fliegen,
Die äußerst schnell mit ihren Haken zwar
148
Auf sein Geheiß zum Peche niederstiegen,
Wo Jeder den Gesott’nen Hilfe bot,
Doch sahn wir sie fest in der Rinde liegen,[281]
151
Und ließen sie in dieser großen Noth.
_______________
Dreiundzwanzigster Gesang.[282]
VIII. Kreis. 6. Bulge. Heuchler in glänzenden Bleimänteln. Kaiphas. Hannas u. A.
1
Wir gingen einsam, schweigend, unbegleitet,
Ich hinterdrein, der Meister mir voraus,
Wie auf dem Weg ein Minorite schreitet.
4
Mir mußte wohl der Teufel wilder Strauß
Aesopens Fabel ins Gedächtniß bringen,
Worin er spricht vom Frosch und von der Maus.[283]
[128]
7
Denn wer Beginn und Schluß von beiden Dingen
Mit reiflicher Erwägung wohl verglich,
Dem konnte Jetzt und Itzt nicht gleicher klingen.
10
Und wie aus einem der Gedanken sich
Der zweit’ entspinnt, so mußt’ ich weiter denken,
Und doppelt faßte Furcht und Schrecken mich.
13
Ich dachte so: Die sind in ihren Ränken
Durch uns gestört, beschädigt und geneckt,
Und müssen drob sich ärgern und sich kränken.
16
Wenn dies zur Bosheit noch den Zorn erweckt,
So werden sie uns nach im Fluge brausen,
Wie wild ein Hund sich nach dem Hasen streckt.
19
Schon fühlt’ ich mir das Haar gesträubt vor Grausen,
Und rückwärts lauschend, rief ich: „„Meister, flieh!
Verbirg uns wo in diesen Felsenklausen;
22
Die Grimmetatzen kommen schon; o sieh,
Sie kommen schon mit einem ganzen Heere!
Als ob sie da schon wären, hör’ ich sie!““
25
Und er zu mir: „Wenn ich ein Spiegel wäre,
Kaum faßt’ ich doch dein äußres Bild so klar,
Als ich dein inneres mir leicht erkläre.
28
Jetzt aber nimmst du auch mein Innres wahr,
Und kommst mir selber schon mit dem entgegen,
Was für uns Beid’ in mir beschlossen war.
31
Und ist der Abhang rechts nur so gelegen,
Daß man zum nächsten Schlund hinunter kann,
So sollen sie umsonst die Flügel regen.“
34
Kaum sprach er’s, als die Teufelsjagd begann,
Und mit gespreizter Schwing’, um uns zu fangen,
Kam, nicht gar fern, der wilde Zug heran.
37
Mein Führer eilte nun, mich zu umfangen,
Der Mutter gleich, die aufwacht beim Getos,
Und nahe sieht die Flammen aufgegangen,
40
[129] Ihr Kind erfaßt, und, nur um dessen Loos
Bekümmert, nicht um ihr’s, enteilt ins Weite
Entkleidet noch und bis aufs Hemde bloß.
43
Daß er herab am harten Felsen gleite,[284]
Streckt’ er sich rücklings an den steilen Hang,
Der jene Bulge sperrt von einer Seite.
46
Nie hat ein Mühlbach sich mit schnellerm Drang
Aufs Mühlenrad durch seine Rinn’ ergossen,
Als jetzt mein Meister, vor Verfolgung bang,
49
Von jenem Felsenhang herabgeschossen,
Mich mit sich nehmend, an die Brust gepreßt,
Und fest umstrickt, als Kind, nicht als Genossen.
52
Kaum stand sein Fuß am Rand der Tiefe fest,
So hörten wir sie über jenem Grunde.
Doch er blieb ohne Furcht; denn nimmer läßt
55
Die ew’ge Vorsicht, die im fünften Runde
Als Diener ihrer Macht sie eingesetzt,
Sie wieder vor aus diesem schmalen Schlunde.
58
Getünchte Leute sahn wir unten jetzt[285]
Im Kreise ziehn mit langsam schweren Tritten,
Matt und erschöpft, von Thränen ganz benetzt.
61
Verhüllt die Augen von Kapuzen, schritten
Sie träg dahin in Kutten, gleich der Tracht
Der Mönch’ im Kloster Clügny zugeschnitten;[286]
[130]
64
Gold außen, blendend durch des Glanzes Pracht,
Von innen Blei, schwer, daß von Stroh erscheinen,
Die Friedrich für den Hochverrath erdacht.[287]
67
O Mantel, lastend unter ew’gen Peinen!
Mit ihnen links uns wendend gingen mit[288]
Wir, horchend auf ihr jammervolles Weinen.[289]
70
Doch so erschwert war durch die Last ihr Tritt,
Daß neben uns, so oft wir vorwärts traten,
Ein neuer Sünder durch das Dunkel schritt.
73
Ich sprach: „„O sieh dich um! ist wohl durch Thaten
Und Namen mir von diesen wer bekannt?
Und sage mir’s, sobald wir Einem nahten!““
76
Und Einer, der Toscanisch wohl verstand,
Rief hinter uns: „O bleibt ein wenig stehen,
Ihr, die ihr rennt durch dieses dunkle Land.
79
Was du verlangst, kann wohl durch mich geschehen!“
Da wandte sich mein Herr und sprach: „Halt’ an,
Und suche langsam, wie er selbst, zu gehen.“
82
Ich stand und sah nun Zwei, die, um zu nahn,
Sich sehr anstrengten und sich weidlich plagten,
Gehemmt von schwerer Last und enger Bahn,
85
Dann, angelangt, mit keinem Worte fragten,
Vielmehr nach mir den scheelen Blick gedreht,
Sich unter sich besprechend, dieses sagten:
88
„Der lebt, wie ihr am Zug des Odems seht,[290]
Und welcher Freibrief dient zu ihrem Schilde,
Daß der und jener ohne Bleirock geht?“
91
Zu mir dann: „Tusker, der du zu der Gilde
Der Heuchler kommst, zu ihrem trüben Leid,
Wer bist du? sag’ es uns mit Huld und Milde.“
94
Und ich: „„Mich hat die Stadt voll Herrlichkeit
[131] Am Arnostrand geboren und erzogen,
Und diesen Körper trug ich jederzeit.
97
Doch wer seid ihr, von deren Wang’ in Wogen
Ein Thränenstrom so schmerzlich niederrinnt?
Und was hat euch solch’ Uebel zugezogen?““
100
Und Einer sprach: „Die gelben Kutten sind
Von Blei, so schwer, daß ihr Gewicht der Wage,[291]
Die’s trägt, ein heulend Knarren abgewinnt.
103
Lustbrüder waren wir von gleichem Schlage,[292]
Ich Catalano, Loderingo Er,
Von deiner Stadt erwählt an einem Tage,
106
So wie man einen Einzigen vorher,
Als Friedenswahrer wählt’ – und wie wir waren
Zeigt beim Gardingo noch sich rings umher.“
109
Und ich begann: „„Das Leid, das ihr erfahren –““[293]
Doch schwieg und mußt’ an dreien Pfählen dort
Gekreuzigt Einen auf dem Grund gewahren.
112
Als er mich sah, verrenkt’ er sich sofort,
Und haucht in seinen Bart mit lautem Stöhnen,
Und Bruder Catalan sprach dieses Wort:
115
„Der Angepfählte, dessen Klagen tönen,
[132]
Gab einst den Pharisäern diesen Rath:[294]
Mög’ Eines Tod fürs Volk den Zorn versöhnen!
118
Nun liegt er, nackt und quer auf unserm Pfad,
Und fühlen muß er, wenn wir drüber wallen,
Wie viel Gewicht von uns ein Jeder hat.
121
So wird sein Schwäher auch gestraft, mit Allen
Vom Pharisäer-Rath, durch den so viel
Der schlimmen Saat für Juda’s Volk gefallen.“
124
Und, wie ich sah, so staunte selbst Virgil,[295]
Daß der, gestreckt am Kreuz an diesem Orte
So schmählich lag im ewigen Exil.
127
Zum Bruder richtet’ er dann diese Worte:
„Sagt, wenn ihr dürft, ist rechts die Straße frei,
Und ist wohl eine Schlucht dort, die als Pforte
130
Zu brauchen ist zum Ausgang für uns Zwei,
Ohn’ einen von den Teufeln erst zu bannen,
Daß er zum Weitergehn uns Führer sei?“
133
Und Jener drauf: „Ihr geht nicht weit von dannen,
So seht ihr einen Stein vom großen Rund
Als Steg sich über alle Thäler spannen.
136
Er ist nur eingestürzt ob diesem Schlund,[296]
Allein ihr könnt die Trümmer leicht ersteigen,[297]
Denn, schief sich lagernd, stehn sie aus dem Grund.“
139
Ich sah den Herrn das Haupt ein wenig neigen,
Drauf sprach er: „Mußte doch der Teufel hier[298]
[133] Sich wiederum in schlechtem Rathschlag zeigen.“
142
Und Jener: „In Bologna merkt’ ich’s mir,
Der Teufel sei ein Lügner stets, ein dreister,
Ja, aller Lügen Vater für und für.“
145
Nun ging davon mit großem Schritt mein Meister
Und schien ein wenig zornig und erboßt,
Und ich verließ die bleibeschwerten Geister,
148
Und folgete der theuren Spur getrost.
_______________
Vierundzwanzigster Gesang.
VIII. Kreis.[WS 8] 7. Bulge. Diebe als Schlangen. Fuccio.
1
In jenem Theil vom jugendlichen Jahre,[299]
Wo Nacht den halben Tag nur deckt und mild
Im Wassermann erglänzen Phöbus Haare,
4
Malt oft der Reif, wenn Nebel das Gefild
Am Abend deckt, bei scharfen Morgenlüften
Vom Bruder Schnee ein schnell verwischtes Bild.
[134]
7
Wenn dann der Hirt, der Futter von den Triften
Gar nöthig braucht, aufsteht und jeden Ort
Schneeweiß erblickt, dann schlägt er sich die Hüften,
10
Und kehrt zum Haus, beklagt sich hier und dort,
Und weiß nicht, was zu thun vor großem Leide –
Doch frische Hoffnung faßt er dann sofort,
13
Denn schon erscheint die Welt in anderm Kleide;
Schnell kommt er nun mit seinem Stab herbei
Und treibt die muntern Schäflein auf die Weide.
16
So staunt’ ich, daß mein Meister zornig sei,
Daß ungewohnter Mißmuth ihn bedrücke;
So schnell auch kam zum Schmerz die Arzenei.
19
Denn kaum gelangt zu der verfallnen Brücke,
Kehrt ihm die Huld, mit der er zu mir trat
Am Fuß des Bergs, aufs Angesicht zurücke.[300]
22
Die Arme breitet’ er, nachdem er Rath[301]
Mit sich gepflogen, wohl den Schutt betrachtend,
Und dann erfaßt’ er mich mit rascher That.
25
Und wie ein Mann, der wohl auf Alles achtend,
Im Voran scharf erwägt, was er vermag,
Hob er mich auf ein Felsenstück, beachtend,
28
Daß nahe dort ein andrer Zacken lag,
Und sprach: Anklammre dich, doch wahrgenommen
Sei durch Versuch erst, ob’s dich tragen mag.
31
Kein Kuttenträger wär’ hinaufgekommen,
Da wir, ich fortgeschoben, Er so leicht,
Mit Mühe nur von Block zu Blocke klommen.
34
Auch hätt’ ich nimmermehr, und er vielleicht,
Wenn niedrer nicht, als jenseits diesem Grunde
Das Ufer war, des Dammes Höh’ erreicht,
37
Doch weil sich Uebelsäcken nach dem Munde[302]
Des tiefen Brunnens hin allmälig neigt,
So liegt’s von selbst im Bau von jedem Runde,
40
Daß hier der Damm sich senkt, dort höher steigt.
[135] Am Ende kamen wir bis zu der Spitze,
Wo sich der Felsentrümmer letzte zeigt.
43
Mir glühte Wang’ und Blut in solcher Hitze,
Daß ich, sobald ich mich hinaufgerafft,
Mich keuchend niederließ auf einem Sitze.
46
Mein Meister sprach: „Jetzt ziemt dir frische Kraft,
Denn nimmer kommt der Ruhm dem zugeflogen,
Der unter Flaum auf weichem Pfühl erschlafft;
49
Und wer durch’s Leben ruhmlos hingezogen,[303]
Der läßt nur so viel Spur in dieser Welt,
Wie in den Lüften Rauch, Schaum in den Wogen.
52
Drum auf! wenn Mattigkeit dich hier befällt,
Wird sie der Geist, wird jeden Feind besiegen,
Wenn ihn der schwere Leib nicht niederhält.
55
Erklimmen mußt du noch weit längre Stiegen;[304]
Nicht gnügt’s, von hier gerettet fortzuziehn;
Verstehe mich, so wirst du nie erliegen!“ –
58
Da stand ich auf; mehr, als ich’s fühlte, schien[305]
Mein Odem frei, die Brust der Bürd’ enthoben,
Auch rief ich: Fort, denn ich bin stark und kühn!
61
Wir gingen fort – der Fels war rauh, verschoben,[306]
Von Höckern voll und schwierig zu begehn,
Bei weitem steiler auch, als weiter oben.
64
Um frisch zu scheinen, sprach ich laut im Gehn,
Bis eine Stimm’ aus jenem Grund erschollen,
Verworren, wild und schwierig zu verstehn.
[136]
67
Nicht weiß ich, was die Stimme sagen wollen,
Obwohl ich auf des Bogens Höhe stand,
Doch schien, der sprach, zu zürnen und zu grollen.
70
Ich stand, das Angesicht zum Grund gewandt,
Doch drang kein Menschenblick in seine Schauer,
Drum sprach ich: „„Meister, komm zum nächsten Strand,[307]
73
Und führe mich hinab von dieser Mauer.
Hier hör’ ich zwar, doch ich verstehe nicht,
Und, sehend, unterscheid’ ich nichts genauer.““
76
„Die That“, sprach er mit freundlichem Gesicht,
„Sei Antwort dir, weil sich’s geziemt, mit Schweigen
Zu thun, was der verständ’gen Bitt’ entspricht.“
79
Wir eilten, bei der Brück’ hinabzusteigen,
Da, wo sie auf dem achten Damme ruht,[308]
Und hier begann die Tiefe sich zu zeigen.
82
Ich sah in Knäueln grause Schlangenbrut,
Und denk’ ich heut’ der ekeln, mannigfachen
Scheusale noch, so starrt vor Grau’n mein Blut.
85
[137] Nicht mag sich’s Libyen mehr zum Ruhme machen,
Daß es Blindschleichen, Nattern, Ottern hegt
Und Vipernbrut und gift’ge Wasserdrachen;
88
Und ganz Aethiopien solche Pest nicht trägt,[309]
Noch tönt am ganzen Strand ein solch’ Gezische,
An den die Flut des rothen Meeres schlägt.
91
Und unter diesem gräulichen Gemische
Lief eine nackte, schreckensvolle Schaar,
Nicht hoffend, daß sie je von dort entwische.[310]
94
Rücklings band die Händ’ ein Schlangenpaar,
Das Schwanz und Haupt durch Kreuz und Nieren steckte
Und vorn zu einem Knäul verschlungen war.
97
Da stürzt’ auf Einen, den ich dort entdeckte,
Ein Ungeheu’r, das ihm den Hals durchstach
Und aus dem Nacken vor die Zunge streckte.
100
Und eh’ man Amen sagt und O und Ach,
Sah ich, wie er, entzündet und in Flammen,
Auch schon als Staub in sich zusammenbrach.
103
Und wie die Glieder kaum in Nichts verschwammen,
So fügte sich, gesammelt, alsobald
Der Staub zur vorigen Gestalt zusammen.
106
So stirbt der Phönix fünf Jahrhundert’ alt,
(Die großen Weisen sagen’s), sich bekleidend
Mit neuerzeugter Jugend und Gestalt,
109
Sich nicht von Kräutern noch von Körnern weidend,
Von Weihrauchthränen und von Balsam nur,
Im Sterbebett aus Nard’ und Myrrhe scheidend.[311]
112
Und gleichwie der, der ohne Lebensspur
[138]
Zu Boden sank, vielleicht vom Krampf gebunden,
Vielleicht auch, weil in ihn ein Dämon fuhr,
115
Sich umschaut, wenn er sich emporgewunden,
Und um sich schauend stöhnt, verwirrt, entsetzt
Von großer Todesangst, die er empfunden;
118
So war der aufgestandne Sünder jetzt. –
O möge keiner Gottes Rach’ entzünden,
Der solche Streich’ in seinem Zorn versetzt!
121
Gebeten, seinen Namen zu verkünden,
Entgegnet’ er: „Ich bin seit Kurzem hier,
Von Tuscien hergestürzt nach diesen Schlünden,
124
Ich lebte nicht als Mensch, ich lebt’ als Thier,
Ich, Bastard Fucci, den man Vieh benannte.[312]
Und würd’ge Höhle war Pistoja mir.“
127
Ich sprach, indem ich mich zum Meister wandte:
„„Er weicht uns aus – doch frag’ ihn: weshalb kam
Er hierher, da er stets von Mordlust brannte?““
130
Aufrichtig ward er, als er dies vernahm,
Und Geist und Angesicht mir zugewendet,
Begann er nun, gedrückt von trüber Scham:
133
„Mehr schmerzt mich’s, daß dein Schicksal dich gesendet,
Um mich in diesem Jammerstand zu schau’n,
Als daß ich oben meinen Lauf geendet.
136
Doch was du fragtest, muß ich dir vertrau’n:
Daß ich im Heiligthum zu stehlen wagte,
Hat mich herabgestürzt in tiefres Grau’n,
139
Drob litten manche fälschlich Angeklagte. –
Daß du mich sahst, soll wenig dich erfreu’n,
Kommst du je fort von hier, wo’s nimmer tagte.
142
Drum hör’, um jetzt dein Hiersein zu bereu’n:
[139] Pistoja wird die Schwarzen erst verjagen,[313]
Und dann Florenz so Volk als Sitt’ erneu’n.[314]
145
Aus Nebeln, die auf Magra’s Thale lagen,
Zieht Mars den schweren Wetterdunst heraus,
Und Stürme tosen dann und Blitze schlagen
148
Auf dem Picener Feld im wilden Strauß,
Daß sich zerstreut die Nebel plötzlich senken,
Und alle Weißen fliehn in Angst und Graus.
151
Dies aber sagt’ ich dir, um dich zu kränken.“
_______________
Fünfundzwanzigster Gesang.
VIII. Kreis[WS 10] 7. Bulge. Fortsetzung: Die Verwandlung.
1
Er sprach’s und hob die Händ’ empor mit Spott,
Ließ beide Daumen durch die Finger ragen,[315]
Und rief dann aus: „Nimm’s hin, dies gilt dir, Gott!“
4
Seitdem seh’ ich die Schlangen mit Behagen,[316]
Weil gleich um seinen Hals sich eine wand,
Als sagte sie: Du sollst nichts weiter sagen.
7
Die zweite schlang sich um die Arm’ und band
Sie vorn, sich selbst umwickelnd, so zusammen,
Daß er nicht Raum damit zu zucken fand.
10
„Was übergibst du dich nicht selbst den Flammen,
[140]
Pistoja, du, und tilgst dich in der Glut?
Sind Frevler Alle doch, die dir entstammen!“
13
Nie fand ich so verruchten Uebermuth.
Selbst Kapaneus gottlästerndes Erfrechen[317]
Erhob sich nicht zu dieses Diebes Wuth.
16
Er floh von dannen, ohn’ ein Wort zu sprechen,
Und ein Centaur kam rennend, pfeilgeschwind,
Und schrie voll Wuth: „Wo find’ ich diesen Frechen?“
19
Nicht glaub’ ich, daß so viel der Schlangen sind
An Tusciens Strand, als ihm am Kreuze hingen,
Bis wo die menschliche Gestalt beginnt.
22
Ein Drache hielt mit ausgespreizten Schwingen
Sich an den Schultern fest und spie mit Macht
Glut auf uns Alle, die vorübergingen.
25
Da sprach mein Meister: „Kakus ist’s, hab’ Acht![318]
Er ist es, der so oft zu blut’gen Teichen
Die Auen unterm Aventin gemacht.
28
Er geht nicht einen Weg mit Seinesgleichen,
Weil er als Dieb den schlauen Trug vollführt,
Mit jener großen Heerde zu entweichen.
31
Dafür ward ihm der Lohn, der ihm gebührt,
Weil Herkuls Keul’ ihn traf mit hundert Schlägen,[319]
Von welchen er vielleicht nicht zehn gespürt.“
34
Enteilt war Kakus schon, und uns entgegen
Her kamen Drei an jenem tiefen Ort,
Doch konnt’ uns erst ihr laut Geschrei bewegen
37
Auf sie hinab zu schau’n: „Wer seid ihr dort?“
Drum blieben wir in der Erzählung stehen,
[141] Und horchten hin nach dieser Schatten Wort.
40
Von ihnen hatt’ ich Keinen je gesehen,
Da rief den Andern einer dieser Drei,
Und nannt’ ihn, wie’s durch Zufall oft geschehen.
43
„Wo bleibst du, Cianfa?“ rief er, „komm herbei!“[320]
Drum legt’ ich auf die Lippen meinen Finger,
Damit mein Führer horch’ und stille sei.
46
Meinst du jetzt, Leser, daß ich Hinterbringer
Von eitlen Fabeln sei, so staun’ ich nicht!
Ich sah’s, doch ist mein Zweifel kaum geringer.
49
Von vornher warf sich, wie ich das Gesicht[321]
Auf sie gekehrt, schnell eine von den Schlangen[322]
Mit drei Paar Füßen her und packt’ ihn dicht.
52
Der Bauch ward von dem mittlern Paar umfangen,
Indeß das vordre Paar die Arm’ umfing,
Dann schlug sie ihre Zähn’ in beide Wangen.
55
Wie an den Lenden drauf das hintre hing,
Schlug sie den Schwanz durch zwischen beiden Beinen
Und drückt’ ihn hinten an als engen Ring.
58
Kein Epheu kann dem Baum sich so vereinen,
Wie dieses Ungethüm sich wunderbar
Die Glieder ihm umrollte mit den seinen.
61
Zusammen klebte plötzlich dann dies Paar,
Wie warmes Wachs, die Farben so vermengend,
Daß keins von beiden mehr dasselbe war,
64
Gleichwie die Flammen, ein Papier versengend,
Bevor es brennt, mit Braun es überzieh’n,
Noch eh’ es schwarz wird, schon das Weiß verdrängend.
[142]
67
Die andern Beiden, ihn betrachtend, schrien:
„Weh dir, Agnel, du bist nicht Zwei, nicht Einer!
Doch sieh, dir ist ein andres Bild verliehn!“
70
Schon war vereint der Schlange Kopf und seiner,
Aus zwei Gestalten sah man ein’ entstehn,
Vermischt, verwirrt, doch gleich von Beiden keiner.
73
Vier Streifen bildeten der Arme zween,
Und Bauch und Brust und Beine sammt den Lenden,
Sie wurden Glieder, wie man nie gesehn.
76
Es schien, als ob die vor’gen ganz verschwänden.
Nicht Zwei, nicht Einer schien’s, und ganz entstellt
Sah ich das Bild sich langsam abwärts wenden.
79
Gleichwie die Eidechs öfters, wenn die Welt,[323]
Der Hundstern sticht, blitzschnell von Dorn zu Dorne,
Von Zaun zu Zaun quer durch die Straße schnellt,
82
So fuhr jetzt eine Schlang’ im wilden Zorne
Schnell den zwei Andern nach dem Wanste hin,
Bläulich und schwarz, gleich einem Pfefferkorne.
85
Und durch den Theil, der bei des Seins Beginn
Uns Nahrung zuführt, bohrte sie den Einen,
Dann fiel sie ausgestreckt vor ihm dahin.
88
An sah er starr sie, mit geschloss’nen Beinen,
Stillschweigend, gähnend, und er mußte mir
Wie schläfrig oder fieberhaft erscheinen.
91
Nach ihm hin sah die Schlang’ und er nach ihr,
Sie rauchen aus dem Maul, er aus der Wunde –
Es kreuzte sich der Dampf von dort und hier.
94
Still schweige jetzt Lucan mit seiner Kunde[324]
[143] Vom Unglück des Sabell und vom Nasid,
Und horchend häng’ er nur an meinem Munde.
97
Von Arethus’ und Kadmus schweig’ Ovid,
Denn wenn er ihn zum Drachen umgedichtet,
Und sie zum Quell, so neid’ ich nicht sein Lied;
100
Nie hat er von zwei Wesen uns berichtet,
Die umgetauscht Gestalt und Stoff und Sein,
Indem sie starr auf sich den Blick gerichtet.
103
Gleich ging die Wandlung fort in jenen Zwei’n.
Zur Gabel spaltete den Schwanz die Schlange,
Und dem Gestochnen klebte Bein an Bein.
106
Sie wuchsen an einander, und nicht lange
Hatt’ es gewährt, als auch die Fuge schwand
Verdrängt vom völligen Zusammenhange.
109
Der Lenden Form, die dort entwich, entstand
Am Gabelschweif; und ihre Haut erweichen;
Sah ich, die seine ringsum hart gespannt.
112
Ihm sah die Arm’ ich in die Schultern weichen,
Der Schlange kurze Vorderfüße dann,
Wie jene schwanden, weiter vorwärts reichen.
115
Wie drauf zu jedem Gliede, das der Mann,
Zu bergen pflegt die hintern sich verbanden,
So fing sich seins in zwei zu theilen an.
118
Und unterm Rauch, der beide deckt’, entstanden
Ganz neue Farben, sproßten Haare vor,
Und zeigten hier sich, wo sie dort verschwanden.
121
Er sank dahin, sie raffte sich empor,
Die Köpfe sahn sich an mit grimmen Blicken,
Dann trat in diesem jenes Form hervor:
124
An dem, der stand, schien er sich breit zu drücken,[325]
Auch sah man von dem Fleisch, das rückwärts drang,
Die Ohren seitwärts aus den Wangen rücken.
127
Aus dem, was vorn zurückeblieb, entsprang,
Wie solchem Antlitz sich’s gebührt, erhoben,
Ein Lippenpaar; die Nas’ auch zog sich lang.
[144]
130
An dem, der dort lag, trieb die Schnauz’ nach oben,[326]
Auch wurden nach der Schneckenhörner Brauch
Die Ohren in den Kopf zurück geschoben.
133
Die Zung’, erst ganz, zur Rede schnell, ward auch
Nunmehr getheilt, und ganz ward die getheilte
Im Mund des Andern, und es schwand der Rauch.
136
Der Geist, jetzt Schlange, zischte laut und eilte
Durch’s Thal davon – der Andre spuckt’ ihr nach,
Indem er noch, sie schmähend, dort verweilte.
139
Dann kehrt’ er ihr den Rücken zu und sprach:
„So schlüpfe Buoso nun durch diese Gründe,
Statt meiner, auf dem Bauch in Qual und Schmach.“
142
So mischt’ im siebenten der Lasterschlünde
Sich Bild und Bild, drum werde mir’s verziehn,
Wenn ich so Neues etwas breit verkünde,
145
Doch ob mir gleich der Blick geblendet schien,
Und kaum mein Geist vom Staunen sich ermannte,
Doch bargen jene sich nicht so im Fliehn,
148
Daß ich den Puccio nicht gar wohl erkannte,
Der einzig von den Drei’n, erst hier vereint,
Sich unverwandelt jetzt von dannen wandte.
151
Der Andre war’s, um den Gaville weint.[327]
_______________
Sechsundzwanzigster Gesang.
VIII. Kreis. 8. Bulge. Schlechte Rathgeber. Ulysses u. A.
1
Freu’ dich Florenz! Du bist so hoch und groß,[328]
Daß du die Flügel regst ob Land und Meere
Und selbst dein Nam’ erklingt im Höllenschooß!
4
[145] Fünf deiner Bürger fand ich, und verzehre
Mich drob vor Schamglut, bei den Dieben hier –
Und dir auch dient es nicht zu größrer Ehre!
7
Doch zeigt’ ein Morgentraum die Wahrheit mir,[329]
So wirst du großes Unglück bald empfinden,
Und Prato selbst, dein Nachbar, gönnt es dir.
10
Käm’s jetzt, man würd’ es nicht zur Unzeit finden;[330]
Und, da’s geschehn muß, möcht’ es jetzt doch sein!
Denn, älter, werd’ ich’s schwerer nur verwinden.
13
Wir stiegen nun auf zackigem Gestein,[331]
Das uns als Trepp’ herabgeführt, zurücke,
Mein Herr voraus und ich ihm hinterdrein.
16
Durch Trümmer ging und rauhe Felsenstücke
Der öde Weg und nöthig war die Hand,
Damit der Fuß aufklimmend weiter rücke.
19
Tief schmerzte mich, was nun mein Auge fand;
Und jetzt noch fass’ ich, wenn ich dran gedenke,[332]
[146]
Des Geistes Zaum zu festerm Widerstand,
22
Damit ich nicht den Lauf vom Rechten lenke,
Nicht, was zu meinem Wohl mein Stern bezweckt,
Was höhre Huld, verderbend, selbst mich kränke. –
[Denn:]
25
So viel der Bau’r, am Hügel hingestreckt,[333]
Zur Zeit, da Er, deß Blick die Erde lichtet,
Sein Antlitz uns am wenigsten versteckt,
28
Wenn sich die Fliege vor der Schnacke flüchtet,
Johanneswürmchen sieht im Thal entlang,
Wo er mit Hipp und Pflug sein Thun verrichtet;
31
So viele Flammen sah den tiefen Gang
Des achten Thals mein Auge jetzt verklären,
Sobald ich dort war, wo’s zur Tiefe drang.
34
Wie der, der sich gerächt durch wilde Bären,[334]
Elias Wagen sah von dannen zieh’n,
Als das Gespann aufstieg zu Himmels-Sphären,
37
Umonst ihm mit dem Auge folgt’ und ihn
Gestaltlos nur als ferne Flamm’ erkannte,
Die wie ein leichtes Abendwölkchen schien:
40
So war’s, als wandelnd hier manch Flämmchen brannte,
Und keines doch, das seinen Raub mir wies,
Ob jegliches gleich einem Geist entwandte.
43
So vorgebeugt zum Grunde sah ich dies,[335]
Daß ich, hielt’ ich nicht fest an einem Blocke,
Zur Tiefe fuhr, ohn’ daß ich nur mich stieß.
46
Virgil, der sah, wie mich der Anblick locke,
Sprach nun: „Jedwedes Feu’r birgt einen Geist,
Und das, worin er brennt, dient ihm zum Rocke.“
49
[147] Drauf ich: „„Die Kunde, die du mir verleihst,[336]
Macht mich gewiß; schon glaubt’ ich’s zu erkennen,
Und fragen wollt’ ich schon, wie Jener heißt,
52
Deß Flamm’ ich seh in zwei sich oben trennen,
Als säh’ ich in des Scheiterhaufens Glut
Eteokles und seinen Bruder brennen.““[337]
55
Und er: „Sie dämpft Ulysseus Uebermuth
Und Diomeds. Sie laufen hier zusammen.
In ihrer Qual, wie einst in ihrer Wuth.
58
Um’s Trugroß klagen sie in diesen Flammen,[338]
Und um das Thor, das Ausgang Jenen bot,
Der Heldenschaar, von der die Römer stammen.
61
Die List beweinen sie, durch die, schon todt,
[148]
Noch Deidamia den Achill beklagte,[339]
Auch das Palladiums Raub rächt ihre Noth.“
64
„„Vermögen sie noch hier zu sprechen,““ sagte
Ich drauf zum Meister, „„o dann bitt’ ich dich
Viel tausendmal, da ich sie gern befragte,
67
Laß mich, bis die getheilte Flamme sich
Zu uns hierher bewegt, ein wenig weilen.
Sieh, hin zu ihr zieht die Begierde mich.““
70
„Der Bitte,“ sprach er, „muß ich Lob ertheilen,
Wie sie verdient; sie sei darum gewährt,
Doch laß die Sprechlust nicht dich übereilen.
73
Laß mir das Wort; ich weiß, was du begehrt.
Spröd blieben sie gewiß bei deinem Worte,[340]
Denn Griechen sind sie, stolz auf ihren Werth.“
76
Als nun die Flamme nah war unserm Orte,
Da hört’ ich diese Red’, als Ort und Zeit
Er für geeignet hielt, von meinem Horte:
79
„Ihr, die ihr zwei in einer Flamme seid,
Wenn ich euch jemals Grund gab, mich zu lieben,
Da ich dem Ruhm der Helden mich geweiht,
82
Und in der Welt das hohe Lied geschrieben,
So weilt bei mir und sag’ Ulyß mir an,
Wo auf der Irrfahrt sein Gebein geblieben.“
85
Der alten Flamme größres Horn begann
Zu flackern erst und murmelnd sich zu regen,
Als wäre sie vom Wind gefaßt, und dann
88
Rasch hin und her die Spitze zu bewegen,
Gleich einer Zung’, und deutlich tönt’ und klar
Dann aus der Flamm’ uns dieses Wort entgegen:
91
[149] „Als ich von Circen schied, die mich ein Jahr[341]
Und länger bei Gaëta festgehalten,[342]
Eh’s so benannt noch von Aeneas war,
94
Da ließ ich nicht das Mitleid für den alten[343]
Gebeugten Vater, nicht die Gattin Huld,
Noch Vaterzärtlichkeit im Herzen walten.
97
Nicht tilgten sie in mir die Ungeduld,
Die Welt zu sehn und Alles zu erkunden,
Was drin der Mensch besitzt an Werth und Schuld.
100
Drum warf ich mich, kaum meiner Haft entbunden,
In einem einz’gen Schiff ins offne Meer,
Sammt einem Häuflein, das ich treu erfunden.
103
Nach Spanien führt’ und Libyen hin und her
Ich meine wackre Schaar, als kühner Leiter,
Und jedem Eiland jenes Meers umher.
106
Alt war ich schon und schwer, auch die Begleiter,
Da war mein Schiff am engen Schlunde dort,[344]
Wo Herkuls Säulenpaar gebeut: Nicht weiter!
109
Als hinter uns nun rechts Sevilla’s Bord,
Und linker Hand die Zinnen Ceuta’s waren,
Sprach ich zu den Gefährten dieses Wort:
112
O Brüder, die durch tausend von Gefahren
Ihr hier im Westen kühn euch eingestellt,
Verwendet jetzt, um Neues zu erfahren,
115
Weil Seele noch und Leib zusammenhält,
Den kurzen Rest von eurem Erdenleben
Der Sonne nach zur unbewohnten Welt![345]
[150]
118
Bedenkt, wozu dies Dasein euch gegeben!
Nicht um dem Viehe gleich zu brüten, nein,
Um Wissenschaft und Tugend zu erstreben.
121
Den Meinen schien dies Wort ein Sporn zu sein,
Hätt’ ich gewollt, nicht konnt’ ich mehr sie zwingen,
Und rastlos ging’s ins weite Meer hinein.
124
Und morgenwärts gewandt das Steuer, gingen[346]
Wir, tollen Flugs, dann immer linker Hand,
Und unsrer Eil’ verliehn die Ruder Schwingen.
127
Schon wurden jetzt vom Blick der Nacht erkannt[347]
Des andren Poles Stern’ und unsre klommen
Kaum übers Meer noch an des Himmels Rand,
130
Schon fünfmal war entzündet und verglommen
Des Mondes Licht, seit wir, dem Glück vertraut,
Durch den verhängnisvollen Paß geschwommen,
133
Als uns ein Berg erschien, von Dunst umgraut
Vor weiter Fern’, und schien so hoch zu ragen,
Wie ich noch keinen auf der Erd’ erschaut.
136
Erst jubeln ließ er uns, dann bang verzagen,
Denn einen Wirbelwind’ fühlt’ ich entstehn
[151] Vom neuen Land, und unsern Vorbord schlagen;
139
Er macht’ uns dreimal mit den Fluten drehn,
Dann, als der hintre Theil emporgeschossen,
Nach höh’rem Spruch, den vordern untergehn,
142
Bis über uns die Wogen sich verschlossen.“
_______________
Siebenundzwanzigster Gesang.
VIII. Kreis. 8. Bulge. Fortsetzung. Guido von Montefeltro. Strafrede wider das Papstthum.
1
Schon aufrecht stand und still der Flamme Haupt,
Und sie entfernte sich in tiefem Schweigen,
Nachdem der süße Dichter ihr’s erlaubt.[348]
4
Wir sahn nach ihr sich eine zweite zeigen,
Und ein verwirrt Gestöhn’ das ihr entquoll,
Macht’ unsern Blick zu ihrer Spitze steigen.
7
Gleichwie Siciliens Stier – der jammervoll[349]
Erstmals von seines Bildners Schrei’n erbrüllte
(Und so war’s Recht!) – von dessen Stimm’ erscholl,
[152]
10
Den er in seinem ehr’nen Bauch verhüllte,
Und so von eignem Schmerze schien durchbohrt,
Er, den nur Menschenangstruf bang erfüllte:
13
So schien zuerst das wehevolle Wort,
Eh’ es sich Weg und Ausgang hatt’ errungen,
Wie knisterndes Getön der Flamme dort.
16
Doch, als zur Spitze es emporgedrungen,
Und die Bewegungen der Zunge, sich
Mittheilend ihr, sie hin und her geschwungen,
19
Erklang dies Wort: „O du, an welchen ich[350]
Mich wende, der du mit lombard’schem Klange
Gesprochen: geh’ jetzt, ich entlasse dich! –
22
Obwohl ich etwas spät hierher gelange,
Doch weil’ und gib auf meine Fragen Acht,
Denn sieh, ich weile trotz der Gluten Drange.
25
Bist du zur Reif’ in diesen finstern Schacht
Erst jetzt vom süßen Latier-Land geschieden,
Von dem ich meine Schuld hierher gebracht,
28
So sprich: Hat Krieg Romagna oder Frieden?
Denn da das schöne Land auch mich erzeugt,
So kümmert mich sein Schicksal noch hienieden.“
31
Ich stand aufmerksam niederwärts gebeugt,
Da stieß Virgil mich leis’ und sagte: „Rede,
Ein Latier ist er, wie sein Wort bezeugt.“
34
Worauf ich, schon bereit zur Gegenrede,
Ihn also sonder Zögerung beschied:
„„O Seele, hier verborgen, sonder Fehde
37
War nimmer deines Vaterlands Gebiet,
Weil stets im Kampf der Zwingherrn Herzen wüthen;
Doch offenbar war keine, da ich schied.[351]
40
[153] Ravenna ist, wie’s war; dort pflegt zu brüten,[352]
So wie seit Jahren schon, Polenta’s Aar,
Deß Flügel unter sich auch Cervia hüten.
43
Die Stadt, die fest in langer Probe war,[353]
Wo jüngst ein Frankenhauf’ im Blut gelegen,
Beugt sich dem grünen Leu’n nun ganz und gar.
46
Verucchio’s alt und neuer Bluthund hegen[354]
Die Tück’ noch, die Montagna’s Tod erlauscht,
Und hauen noch die Zähn’ ein, wo sie pflegen.
49
Die Stadt, dran Lamon und Santerno rauscht,[355]
Läßt sich vom Leu’n im weißen Neste leiten,
Der die Partei mit jedem Mond vertauscht.
52
Sie, welchen Savio’s Flut benetzt die Seiten,[356]
Lebt zwischen Sclaverei und freiem Stand,
Wie zwischen dem Gebirg und ebnen Weiten.
55
Jetzt bitt’ ich, mach’ uns, wer du bist, bekannt;
Daß der Vergessenheit dein Nam’ enttauche,
[154]
So sei nicht härter, als ich andre fand.““
58
Da grunzt’ und braust es in der Flamme Bauche,
Wie Feuer braust; sie regte hin und her
Das spitze Haupt und gab dann diese Hauche:
61
„Spräch’ ich zu Einem, dessen Wiederkehr
Nach jener Welt ich jemals möglich glaubte,
So regte nie sich diese Flamme mehr.
64
Doch da dies Keinem je die Höll’ erlaubte,
So sag’ ich ohne Furcht vor Schand’ und Schmach,
Was mich hierher stieß und des Heils beraubte.
67
Ich war erst Kriegesmann und Mönch hernach,[357]
Um mich vom Fall durch Buß’ emporzurichten;
Gewiß geschah auch, was ich mir versprach.
70
Allein der Erzpfaff – mög’ ihn Gott vernichten –[358]
Er hat mich neu den Sündern beigesellt;
Wie und warum? das will ich jetzt berichten.
73
Als ich noch oben lebt’ in eurer Welt,
Da ward ich nimmer mit dem Leu’n verglichen,
Doch öfters wohl dem Fuchse gleichgestellt.
76
In allen Ränken und geheimen Schlichen
War ich geschickt, in ihrer Uebung schlau,
Und drum berühmt in allen Himmelsstrichen.
79
[155] Doch als die Zeit kam, da des Haares Grau
Uns dringend mahnt, das hohe Meer zu scheuen,
Und einzuziehn das Segel und das Tau,
82
Da mußt’ ich, was mir erst gefiel, bereuen,
Ward Mönch und that nun Buß’ am heil’gen Ort,
Ach, und noch konnt’ ich mich des Heils erfreuen!
85
Allein der neuen Pharisäer Hort –[359]
Im Krieg, mit Juden nicht und Türkenschaaren,
Vielmehr am Lateran und nahe dort,
88
(Weil alle seine Feinde Christen waren,
Die nicht bei Acri mitgesiegt, und nicht
Des Sultans Land als Schacherer befahren!) –
91
Nicht achtet’ er an sich die höchste Pflicht,
Und nicht den Strick, der meinen Leib umfangen,
Der Jeden mager macht, den er umflicht.
94
Wie Constantin Sylvestern angegangen,[360]
Ihm Hülf’ und Rath beim Aussatz zu verleihn,
So sollt’ ich jetzt als Arzt auf sein Verlangen
97
Vom Fieber seines Hochmuths ihn befrein.
Im Anfang wollt’ ich mich der Antwort schämen,
Denn eines Trunknen schien sein Wort zu sein.
100
Da sprach er: darfst nicht sorgen, noch dich grämen,
Ablaß ertheil’ ich dir, mich lehre du:
Wie fang ich’s an, Preneste wegzunehmen?
103
Du weißt, den Himmel schließ’ ich auf und zu,
Denn beide Schlüssel sind mir übergeben,
Die Cölestin vertauscht um träge Ruh.[361]
106
Nicht war so trift’gem Grund zu widerstreben,
Und da nun Schweigen mir das Schlimmste schien,
So sprach ich endlich: Vater, da du eben
109
Die Sünde, die ich thun soll, mir verziehn,
[156]
So wisse: Viel versprechen, wenig halten,[362]
Dadurch wird deinem Stuhl der Sieg verliehn. –
112
Sanct Franz wollt’, wie ich starb, sein Amt verwalten,
Mich heimzuführen; doch ein Teufel kam,
Und sprach: Halt’ ein, denn den muß ich erhalten.
115
Er kommt mit mir hinab zu ew’gem Gram,
Weil ich, seitdem er jenen Trug gerathen,
Ihn bei dem Schopf als meine Beute nahm.
118
Wer Ablaß will, bereu’ erst seine Thaten.
Doch wer bereut und Böses will, der muß
Wohl mit sich selbst in Widerspruch gerathen.
121
Ach! wie ich zuckt’ in Schrecken und Verdruß,
Als er mich faßt’ und, mich von dannen reißend,
Sprach: Meintest du, ich sei kein Logicus?
124
Zu Minos trug er mich, der, sich umkreisend[363]
Den harten Rücken, bei dem achten Mal
Ausrief, sich in den Schweif vor Ingrimm beißend:
127
Der wird der Flamme Raub im achten Thal!
Und also ward ich von dem Schlund verschlungen,
Und geh’ im Feuerkleid zu ew’ger Qual.“
130
Hier endet’ er, und als das Wort verklungen,
Da ging sogleich die Flamme jammernd fort,
Das Horn gedreht und hin und hergeschwungen.
133
Und weiter ging ich nun mit meinem Hort
Zur nächsten Brück’ auf rauhen Felsenpfaden,
[157] Und sah im Grund, den Lohn empfangend, dort
136
Die, Zwiespalt stiftend, sich mit Schuld beladen.
_______________
Achtundzwanzigster Gesang.
VIII. Kreis. 9. Bulge. Zwietrachtstifter, selbst zerfetzt. Muhamed u. A. Bertrand de Born.
1
Wer könnte je, auch mit dem frei’sten Wort,
Das Blut, das ich hier sah, die Wunden sagen,
Erzählt’ er auch die Kunde fort und fort.
4
Jedwede Zunge muß den Dienst versagen,
Da Sprach’ und Geist zu eng und schwach erscheint,
So Schreckliches zu fassen und zu tragen.
7
Und wären all’ die Tausende vereint,[364]
Die, in Apulien’s Schicksalsau’n erschlagen
Von Römerhand, den eignen Tod beweint;
10
Auch die, die im Karthagerkrieg erlagen,
Wo man so große Beut’ an Ringen fand,
Wie Livius schreibt, der Wahrheit pflegt zu sagen;
13
Auch das Volk, das so harte Schläg’ empfand,
Weil’s gegen Robert Guiscard ausgezogen;
Auch das, deß Knochen modern dort im Land
16
Bei Ceperan, wo Pugliens Schaar gelogen;
Auch das von Tagliacozzo, wo Alard,
Der Greis, durch List die Waffen aufgewogen;
[158]
19
Und zeigte der, wie er zerfetzt fort ward,
Der, wie verstümmelt: nicht wär’s zu vergleichen
Mit dieses neunten Schlundes Weis’ und Art.[365]
22
Ein Faß, von welchem Reif’ und Dauben weichen,
Ist nicht durchlöchert, wie hier Einer ging.
Durchhau’n vom Kinn bis zu Gesäß und Weichen,
25
Dem zwischen beiden Beinen abwärts hing[366]
Das Eingeweide, bis wo sich die Speise
Wandelt in Koth, und offen das Geschling.
28
Ich schaut’ ihn an und er mich gleicher Weise,
Dann riß er mit der Hand die Brust sich auf,
Und sprach zu mir: „Sieh, wie ich mich zerreiße.
31
Sieh hier das Ziel von Mahoms Lebenslauf![367]
Vor mir geht Ali, das Gesicht gespalten
Vom Kinn bis zu dem Scheitelhaar hinauf.
34
Sieh Alle, die, da sie auf Erden wallten,
Dort Aergerniß und Trennung ausgesät,
Zerfetzt hier unten ihren Lohn erhalten.
37
Ein wilder Teufel, der dort hinten steht,
Er ist’s, der Jeglichen zerreißt und schändet
[159] Mit scharfem Schwert, der dort vorübergeht,
40
Wenn wir den wehevollen Kreis vollendet;
Denn jede Wunde heilt, wie weit sie klafft,
Eh’ unser Lauf zu ihm zurück sich wendet.
43
Doch wer bist du, der dort hernieder gafft?
Weilst du noch zögernd über diesen Schlünden,
Wohin Geständniß dich und Urtheil schafft?“
46
„Er ist nicht todt, noch hergeführt von Sünden,“
So sprach mein Meister drauf zu Mahoms Pein,
„Doch soll er, was die Höll’ umfaßt, ergründen,
49
Und ich, der todt bin, soll sein Führer sein.
Drum führ’ ich ihn hinab von Rund’ zu Runde,
Und Glauben kannst du meinem Wort verleihn.“
52
Jetzt blieben hundert wohl im tiefen Grunde,
Nach mir hinblickend, still verwundert stehn,
Vergessend ihre Qual bei dieser Kunde.
55
„Du wirst vielleicht die Sonn’ in Kurzem sehn,
Dann sage dem Dolcin, er soll mit Speisen,[368]
Eh’ ihn der Schnee belagert, sich versehn,
58
Wenn er nicht Lust hat, bald mir nachzureisen.
Allein vollbringt er, was ich rieth, so muß
Novara’s Heer ihn lang’ umsonst umkreisen.“
61
Zum Weitergehn erhoben einen Fuß,
Rief dieses Wort mir zu des Mahom Seele,
Und setzt’ ihn hin und ging dann voll Verdruß.
64
Dann sah ich Einen mit durchbohrter Kehle,
Die Nase bis zum Auge hin zerhau’n,
Und wohl bemerkt’ ich, daß ein Ohr ihm fehle.
67
Und staunend sah auf mich dies Bild voll Grau’n,
[160]
Und öffnete zuerst des Schlundes Röhre,
Von außen roth und blutig anzuschau’n.
70
„Du, nicht verdammt für Sünden, wie ich höre,
Den ich bereits im Latier-Lande sah,
Wenn ich durch Aehnlichkeit mich nicht bethöre,
73
Kommst du den schönen Ebnen wieder nah,[369]
Die von Vercell nach Marcabo sich neigen,
So denk’ an Pier von Medicina da.[370]
76
Du magst den Besten Fano’s nicht verschweigen,[371]
Dem Guid’ und Angiolell, daß, wenn nicht irrt
Mein Geist, dem sich der Zukunft Bilder zeigen,
79
Nah bei Cattolica, schlau angekirrt,
Vom schändlichsten der Wütheriche verrathen,
Das edle Paar ersäuft im Meere wird.
82
Noch nimmer hat Neptun so schnöde Thaten
Von Cypern bis Majorka hin geschaut,
Von Griechenschaaren nicht, noch von Piraten.
85
Der Bub’, auf einem Aug’ von Nacht umgraut,
Jetzt Herr des Stadt, von welchem mein Geselle
Hier neben wünscht, nie hätt’ er sie erschaut,
88
Ruft sie als Freund und gibt dann so Befehle,
Daß sie nicht brauchen fürder sich zu scheu’n,
Wie wild der Wind auch von Focara schwelle.“[372]
91
Drauf ich: „„Soll dein Gedächtniß sich erneu’n,
So magst du dich zu sagen nicht entbrechen,
[161] Wer muß den Anblick jenes Land’s bereu’n?““
94
Da griff er, um den Mund ihm aufzubrechen,
Nach eines Andern Kiefer hin und schrie:
„Sieh her, der ist’s, allein er kann nicht sprechen,
97
Er, der, verbannt, einst Cäsarn Muth verlieh,[373]
Und alle seine Zweifel scheucht’, ihm sagend:
Dem Kampfbereiten fromme Zögern nie.“
100
O wie jetzt Curio ganz verblüfft und zagend,
Die Zunge tief am Schlund verschnitten, stand,
Die Zung’, einst kühn und eilig Alles wagend –
103
Und abgeschnitten die und jene Hand,
Stand Einer, in die Nacht die Stümpf’ erhoben,
Das Antlitz blutbespritzt mir zugewandt,
106
Und rief: „Denkt man des Mosca noch dort oben?[374]
Ich bin’s, der meine Hand zum Morde bot,
Ob deß jetzt Tuscien die Partei’n durchtoben.“
109
„„Der Grund auch war zu deines Stammes Tod!““
Setzt’ ich hinzu – und, häufend Grau’n auf Grauen,
Zog er davon in höchster Angst und Noth.
112
Ich aber blieb, die Andern anzuschauen,
Und was ich sah, so furchtbar und so neu,
Nicht wagt’ ich’s unverbürgt euch zu vertrauen,
115
Fühlt’ ich nicht mein Gewissen rein und treu,
Dies gute feste Schild, den sichern Leiter,
Und so mein Herz befreit von Furcht und Scheu:
118
Ich sah – noch ist dies Schreckbild mein Begleiter –
Ein Rumpf ging ohne Haupt mit jener Schaar
Von Unglücksel’gen in der Tiefe weiter.
121
Er hielt das abgeschnittne Haupt beim Haar,
[162]
Und ließ es von der Hand als Leuchte hangen
Und seufzte tief, wie er uns nahe war.
124
So kam er Eins in Zwei’n dahergegangen,
Und leuchtet’ als Laterne sich mit sich –
Wie’s möglich, weiß nur der, der’s so verhangen.
127
Nachdem er bis zum Fuß der Brücke schlich,
Hob er, um näher mir ein Wort zu sagen,
Den Arm zusammt dem Haupte gegen mich,
130
Und sprach: „Hier sieh die schrecklichste der Plagen!
Du, der du athmend in der Höll’ erscheinst,
Sprich, ist wohl eine schwerer zu ertragen?
133
Jetzt horch, wenn du von mir zu künden meinst:
Beltram von Bornio bin ich, und Johannen,[375]
Dem König, gab ich bösen Rathschlag einst,
136
Darob dann Sohn und Vater Krieg begannen,
Wie zwischen David einst und Absalon,
Durch Ahitophel Fehden sich entspannen.
139
Mein Hirn nun muß ich zum gerechten Lohn
Getrennt von seinem Quell im Rumpfe sehen,
Weil ich getrennt den Vater und den Sohn,
142
Und so, wie ich gethan, ist mir geschehen.“
_______________
Neunundzwanzigster Gesang.
VIII. Kreis. 10. Bulge. Fälscher. Alchymisten.
1
Das viele Volk und die verschiednen Wunden,
Sie hatten so die Augen mir berauscht,
[163] Daß sie vom Schau’n mir ganz voll Zähren stunden.
4
Da sprach Virgil: „Was willst du noch? Was lauscht
Und starrt dein Auge so nach diesen Gründen,
Wo’s Gräuelbild um Gräuelbild vertauscht?
7
Nicht also thatst du in den andern Schlünden.
An zweiundzwanzig Miglien kreist dies Thal,[376]
Drum kannst du hier nicht Jegliches ergründen.
10
Schon unter unserm Fuß glänzt Lunens Strahl,[377]
Und wenig dürfen wir uns nur verweilen,
Denn noch zu sehn ist viel’ und große Qual.“
13
Ich sprach: „„Erlaubtest du, dir mitzutheilen,
Welch’ einen Grund ich hatt’, hinabzuspähn,
So würdest du wohl minder mich beeilen.““
16
Er ging, und ich ihm nach und gab im Gehn
Dem Meister von dem Grund des Forschens Kunde,
Und sprach: „„Wohl hab’ ich scharf hinabgesehn,
19
Denn eine Seele wohnt in diesem Schlunde
Von meinem Stamm, und sicher ist an ihr
Bestraft die Schuld durch manche schwere Wunde.““
22
Mein Meister sprach darauf: „Nicht mache dir
Noch länger Sorg’ um diesen Anverwandten;
An Andres denk’, er aber bleibe hier.
25
Ich sah ihn bei der Brücke den Bekannten
Dich zeigen, und dir mit dem Finger drohn
[164]
Und hörte, wie sie ihn del Bello nannten.[378]
28
Doch du bemerktest eben nichts davon,
Weil auf dem Beltram deine Blicke weilten;
Als dieser ging, war jener schon entflohn.“
31
„„Weil Rach’ und Schwert des Feindes ihn ereilten,““[379]
Sprach ich, „„und Keiner seinen Tod gerächt,
Von allen denen, so die Kränkung theilten,
34
Zürnt er auf mich und zürnt auf sein Geschlecht,
Und ging drum, ohne mich zu sprechen, weiter,
Und darin, glaub’ ich, hat der Arme Recht.““
37
Nun folgt’ ich hin zum Felsen meinem Leiter,[380]
Von wo man überblickt’ den nächsten Schlund,
Wär’ irgend nur von Licht die Tiefe heiter.
40
Von seiner Höh’ ward unserm Auge kund
Der letzte Klaus’ des Kreises Uebelsäcken,[381]
Und deren Ordensbrüder tief im Grund,
43
Und gleich den Pfeilen drangen, mir zum Schrecken,
Gespitzt durch Mitleid, Jammertön’ heraus,
[165] Und zwangen mich, die Ohren zu bedecken.
46
Wär’ aller Schmerz aus jedem Krankenhaus
Zur Zeit, da wild die Sommergluten flammen,
Und Valdichiana’s und Sardiniens Graus[382]
49
Und Seuch’ und Pest in einem Schlund beisammen:
Nicht ärger wär’s als hier, wo fauler Duft
Und Stank vom Eiter in den Lüften schwammen.
52
Wir stiegen auf den Rand der letzten Kluft[383]
Vom langen Felsen niederwärts zur Linken,
Und deutlicher erschien der Schooß der Gruft.
55
In diesem Grund läßt nach des Höchsten Winken
Die nimmer irrende Gerechtigkeit
Zur wohlverdienten Qual die Fälscher sinken.
58
Nicht in Aegina ist vor alter Zeit
Des Volkes Anblick trauriger gewesen,
Das krank darniedersank, dem Tod geweiht,
61
– Bis zu dem kleinsten Wurm jedwedes Wesen –
Durch tückisch böse Luft, worauf im Land,
Wie wir für sicher in den Dichtern lesen,
64
Ein neues Volk aus Aemsenbrut entstand:
Als hier zu sehn war, wie sich schwach und siechend
Das Geistervolk in manchem Haufen wand.
67
Die Einen auf der Andern Rücken liegend,
[166]
Die auf dem Bauch, und die von einem Ort
Zum andern hin auf allen Vieren kriechend.
70
Wir gingen Schritt um Schritt und schweigend fort,
Sahn Kranke dort, unfähig aufzustehen,
Und horchten auf ihr kläglich Jammerwort.
73
Sich gegenseitig stützend, saßen zween,[384]
Wie in der Küche Pfann’ an Pfanne lehnt,
Mit Grind gefleckt vom Kopf bis zu den Zehen.
76
Gleichwie ein Stallknecht, der nach Schlaf sich sehnt
Und bald sein Tagwerk hofft vollbracht zu haben,
Die Striegel eiligst führt, und öfters gähnt;
79
So sah ich sie sich mit den Nägeln schaben
Und hier und dort sich kratzen und geschwind,
So gut es ging, ihr wüthend Jücken laben.
82
Und schnell war unter ihren Klau’n der Grind
Wie Schuppen von den Barschen abgegangen,
Die unter’m Messer schneller Köche sind.
85
„Du, vor deß Fingern jetzt die Schuppen sprangen,“[385]
Begann Virgil zu Einem von den Zwei’n,
„Und der du sie auch oft gebrauchst wie Zangen,
88
Sprich, fanden sich auch hier Lateiner ein,
Und mögen dich zu kratzen und zu krauen,
Dafür dir ewig scharf die Nägel sein.“
91
„Lateiner kannst du in uns beiden schauen,“
[167] Erwidert Einer drauf, von Qual durchbebt,
„Doch wer du bist, magst du mir erst vertrauen.“
94
Mein Führer sprach: „Von Fels zu Felsen strebt
Mein Fuß hinab in diesen Finsternissen;
Die Höll’ zeig’ ich diesem, der da lebt.“
97
Da schien das Band, das Beide hielt, zerrissen;[386]
Und Jeder, dem’s der Rückhall kund gethan,
War zitternd nur mich anzuschau’n beflissen.
100
Dicht drängte sich an mich mein Meister an,
Und sprach: „Du magst sie nach Belieben fragen!“
Und ich, da Er es so gewollt, begann:
103
„„Soll dein Gedächtniß noch in späten Tagen
Auf unsrer Welt und in der Menschen Geist
Erhalten sein, so magst du jetzo sagen,
106
Wie du dich nennst und deine Heimath heißt?
Und, trotz der ekeln Qual, nimm dich zusammen,
Daß du in deinen Reden offen seist.““
109
„Mich zeugt’ Arezzo, und den Tod in Flammen[387]
Verschafft’ einst Albero von Siena mir,
Doch andrer Grund hieß Minos mich verdammen.
112
Wahr ist’s, ich sagt’ im Scherz: In’s Luftrevier,
Verstünd’ ich mich im Fluge hinzuschwingen.
Er, klein an Witz, und groß an Neubegier,
115
Bat mich, ihm diese Kenntniß beizubringen.
Und nur weil er durch mich kein Dädal ward,
Befahl sein Vater dann, mich umzubringen.
118
Doch Minos, dem sich Alles offenbart,
Hat, weil ich mich der Alchymie ergeben,
Im letzten Schlund der zehen mich verwahrt.“
121
Zum Dichter sagt’ ich: „„Sprich, ob man im Leben
So eitles Volk, wie die Sanesen fand?
[168]
Selbst die Franzosen sind ja nichts daneben.““
124
Der andre Grind’ge, welcher mich verstand,
Rief: „Mag nur Stricca ausgenommen bleiben,[388]
Der all’ sein Gut so klüglich angewandt;
127
Und Niccol’, dem die Ehre zuzuschreiben,
Daß er zuerst die Braten wohl gewürzt,
Dort, wo dergleichen Lehren wohl bekleiben;
130
Und jener Klub, der wohl die Zeit gekürzt,[389]
In dem Caccia d’Ascian sammt seinem Witze
Auch Wald und Weinberg durch den Schlund gestürzt.
133
Doch willst du wissen, wer dir half, so spitze[390]
Den Blick auf mich, und stelle dich dahin,
Gerade gegenüber meinem Sitze;
136
Dann wirst du sehn, daß ich Capocchio bin.[391]
Metall verfälscht’ ich, daß ich Gold erschaffe,
Und, sah ich recht, so ist dir’s noch im Sinn,
139
Ich war von der Natur ein guter Affe.“
_______________
Dreißigster Gesang.
Fortsetzung. Personen-Fälscher. Falschmünzer. Lügner. Meister Adam. Sinon.
1
Zur Zeit, da Juno’s Herz in Zorn gerathen[392]
Ob Semele’s, in Zorn auf Thebens Blut,
[169] Wie sie so manches Mal gezeigt durch Thaten,
4
Ergriff den Athamas so tolle Wuth,
Daß er, als auf sein Weib der Blick gefallen,
Das jeden Arm mit einem Sohn belud,
7
Den wilden Ruf des Wahnsinns ließ erschallen:
„Die Löwin sammt den Jungen sei gefaßt!“
Dann streckt’ er aus die mitleidlosen Krallen;
10
Und wie er einen, den Learch, mit Hast
Gepackt, geschwenkt und am Gestein zerschlagen,
Ertränkte sie sich mit der zweiten Last.
13
Und als das Glück, das Alles kühn zu wagen,
Die stolzen Troer trieb, sein Rad gewandt,
So daß zusammen Reich und Fürst erlagen,
16
Und Hekuba, gefangen und verbannt,[393]
Geopfert die Polyxena erblickte,
Und sie ihr Mißgeschick an Thraciens Strand
19
Zum Leichnam ihres Polydorus schickte:
Da bellte sie, wahnsinnig, wie ein Hund,
Weil Schmerz den Geist verkehrt’ und ganz bestrickte.
22
Doch nichts in Theben ward noch Troja kund
Von einer Wuth, die Vieh und Menschen packte,
Wie ich hier sah in diesem zehnten Schlund.[394]
[170]
25
Ein Paar von Geistern, todtenfahle, nackte,
Brach vor, so wie aus seinem Stall das Schwein,
Indem’s auf Alles mit den Zähnen hackte.
28
Der schlug sie in den Hals Capocchio’s ein,
Und schleppt’ ihn fort, und nicht gar sanft gerieben
Ward ihm dabei der Bauch am harten Stein.
31
Der Aretiner, der voll Angst geblieben,
Sprach: „Schicchi ist’s, der tolle Poltergeist,[395]
Der solch ein wüthend Spiel schon oft getrieben.“
34
„„Wie du geschützt vor Jenes Zähnen seist,““
Entgegnet’ ich, „„so sprich, eh’ er entronnen,
Wer dieser Schatten ist, und wie er heißt.““
37
„Die Myrrha ist’s, die schnöden Trug ersonnen,“[396]
Erwiedert’ er, „die mehr als sich gebührt,
Vor alter Zeit den Vater liebgewonnen,
40
Und die mit ihm das Werk der Lust vollführt,
Weil sie die fremde Form sich angedichtet;
Wie Jener, der Capocchio dort entführt,
43
Weil Simon ihn durch’s beste Roß verpflichtet,
Als falscher Buoso sich ins Bett gelegt
Und so für ihn ein Testament errichtet.“
46
Als nun die Tollen sich vorbeibewegt,
Ließ ich mein Auge durch die Tiefe streichen,
Und sah, was sonst der Schlund an Sündern hegt.
49
[171] Der Eine war der Laute zu vergleichen,[397]
Hätt’ ihm ein Schnitt die Gabel weggeschafft,
Die jeder Mensch hat abwärts von den Weichen.
52
Die Wassersucht, durch schlecht verkochten Saft
Ein Glied abmagernd und das andre blähend,
Die hart den Bauch macht, das Gesicht erschlafft,
55
Hielt ihm die beiden Lippen offenstehend,
Die nach dem Kinn, und die emporgekehrt,
Und dem Schwindsücht’gen gleich, vor Durst vergehend.
58
„Ihr, die ihr schmerzlos geht und unversehrt,
Wie? weiß ich nicht in diesen Schmerzens-Thalen,“
Er sprach’s, „o schaut und merkt und seid belehrt
61
Von Meister Adams schreckenvollen Qualen.
Kein Tröpflein, ach, stillt hier des Durstes Glühn;
Dort konnt’ ich, was ich nur gewünscht, bezahlen.
64
Die muntern Bächlein, die vom Hügelgrün
Des Casentin zum Arno niederrollen,[398]
Und kühl und lind des Bettes Rand besprühn,
67
Ach, daß sie mir sich ewig zeigen sollen,
Und nicht umsonst – mehr, als die Wassersucht,
Entflammt dies Bild den Durst des Jammervollen!
70
So nützt Gerechtigkeit, die mich verflucht,
Noch selbst den Ort, wo ich in Schuld verfallen,
Um zu vermehren meiner Seufzer Flucht.
[172]
73
Dort liegt Romena, wo ich mit Metallen
Geringern Werths verfälscht das gute Geld,
Weshalb ich dort der Flamm’ anheimgefallen.
76
Doch wäre Guido nur mir beigesellt,[399]
Und Jeder, der zum Laster mich verführte,
Ich gäbe drum den schönsten Quell der Welt.[400]
79
Zwar, wenn der Tolle Wahrheit sagt, so spürte
Er jüngst den Einen auf in dieser Nacht.
Doch da dies Uebel meine Glieder schnürte,
82
Was hilft es mir? Hätt’ ich nur so viel Macht,
Um im Jahrhundert einen Zoll zu schreiten,
Ich hätte schon mich auf den Weg gemacht,
85
Ihn suchend durch dies Thal nach allen Seiten,
Mag’s in der Rund’ auch sich eilf Miglien ziehn,[401]
Und minder nicht als eine halbe breiten.
88
Bei diesen Krüppeln hier bin ich durch ihn,
Denn er hat mich verführt, daß ich den Gulden
An schlechterm Zusatz drei Karat verliehn.“
91
Und ich: „„Was mochten jene Zwei verschulden,
Die, dampfend, wie im Frost die nasse Hand
Fest an dir liegend, ihre Straf erdulden?““
94
Er sprach: „Sie liegen fest, wie ich sie fand,
Als ich hierher geschneit nach Minos Winken,
Und werden ewiglich nicht umgewandt.
97
Die ist das Weib des Potiphar; zur Linken[402]
Liegt Sinon mir, berühmt durch Troja’s Roß.
Im faulen Fieber liegen sie und stinken –“
100
Und dieser Letzte, den’s vielleicht verdroß,[403]
[173] Daß Meister Adams Wort ihn so verhöhnte,
Gab auf den harten Wanst ihm einen Stoß,
103
Daß dieser gleich der besten Trommel tönte.
Doch in das Angesicht des Andern warf
Herr Adam die gleich harte Faust und stöhnte:
106
„Ob ich mich gleich nicht fortbewegen darf,
Doch ist mein Arm noch, wie du eben spürtest,
Noch frei und flink zu solcherlei Bedarf.“
109
„Als du zum Feuer gingst,“ rief Sinon, „rührtest
Du nicht den Arm schnell, wie er eben war,
Doch schneller, da du einst den Stempel führtest.“
112
Der Wassersücht’ge: „Darin sprichst du wahr,
Doch stelltest du in Troja kein Exempel
Von einem so wahrhaft’gen Zeugniß dar.“
115
„Fälscht’ ich das Wort, so fälschtest du den Stempel.
Hier bin ich doch für einen Fehler nur,
Du aber dientest stets in Satans Tempel.“
118
So Sinon. „Denk’ an’s Roß, du Schelm!“ so fuhr
Ihn Jener an mit dem geschwollnen Bauche,
„Qual sei dir, daß es alle Welt erfuhr.“
121
„Und dir sei Qual“, der Grieche rief, „die Jauche,
Die stets zum Bollwerk blähet deinen Wanst,
Und Durst, der deine Zung’ in Flammen tauche!“
124
Der Münzer: „Der du stets auf Lügen sannst,
Dein Maul zerreiße dir für solch Erfrechen!
Wenn du mich dürstend, schwellend sehen kannst,
127
Mög’ dich die Hitze quälen, Kopfweh stechen.
Spräch’ Einer kurz: Sauf’ aus den ganzen Bach!
Du würdest dessen wohl dich nicht entbrechen.“
130
Ich horchte stumm, was Der und Jener sprach,
Da rief Virgil: „Nun, wirst du endlich kommen?
Zu lange sah’ ich schon der Neugier nach.“
133
Als ich des Meisters Wort voll Zorn vernommen,
Wandt’ ich voll Scham zu ihm das Angesicht,
Und fühle jetzt noch mich von Scham entglommen.
[174]
136
Wie man im schreckenvollen Traumgesicht
Zu wünschen pflegt, daß man nur träumen möge,
Und das, was ist, ersehnt, als wär’ es nicht;
139
So bangt’ ich, daß mir Scham das Wort entzöge;[404]
Entschuld’gen wollt’ ich mich – Entschuld’gung kam,
Indem ich glaubte, daß ich’s nicht vermöge.
142
Es sprach mein guter Meister: „Mindre Scham
Wäscht größern Fehler ab, als du begangen;
Darum entlaste dich von jedem Gram;
145
Doch wenn wir je zu solchem Streit gelangen,
So denke stets, daß ich dir nahe bin,
Und bleibe nicht daran voll Neugier hangen,
148
Denn drauf zu horchen, zeigt gemeinen Sinn.“
Dante Alighieri / Die Komödie, oder auch die Göttliche Komödie
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