Die Hölle.
(Abfassungszeit ca. 1300–1310 od. 1314.)
_____
Erster Gesang.[1]
Eingang: Der Wald. Die Thiere. Virgil.
1
Auf halbem Weg des Menschenlebens fand
Ich mich in einen finstern Wald verschlagen,
Weil ich vom graden Weg mich abgewandt.
4
Wie schwer ist’s doch, von diesem Wald zu sagen,
Wie wild, rauh, dicht er war, voll Angst und Noth;
Schon der Gedank’ erneuert noch mein Zagen.
[6]
7
Nur wenig bitterer ist selbst der Tod;
Doch um vom Heil, das ich drin fand, zu kunden,
Sag’ ich, was sonst sich dort den Blicken bot.
10
[7] Nicht weiß ich, wie ich mich hineingewunden,
So war ich ganz vom tiefem Schlaf berückt,
Zur Zeit, da mir der wahre Weg entschwunden.
[8]
13
Doch bis zum Fuß des Hügels vorgerückt,[2]
Dort, wo die Grenze war von jenem Thale,
Das mir mit schwerer Furcht das Herz gedrückt,
16
Schaut’ ich empor, und sah, den Rücken male
Ihm der Planet, der uns auf jeder Bahn
Gerad zum Ziele führt mit feinem Strahle.
19
Da fingen Angst und Furcht zu schwinden an,
Die mir des Herzens Blut erstarren machten,
In jener Nacht, da Grausen mich umfahn.
22
Und so wie athemlos, nach Angst und Schmachten,[3]
Schiffbrüchige, noch von der Fluth durchnäßt,
Vom Strande starr der Wogen Grimm betrachten,
25
So kehrt’ auch ich, noch schwer das Herz gepreßt,
Mich jetzt zurück, nach jenem Passe sehend,
Der Keinen lebend sonst aus sich entläßt.
28
Den Leib gestärkt durch Ruhe, weiter gehend,
Wählt’ ich bergan den Weg zur Wildniß mir,
Fest immer auf dem tiefern Fuße stehend.
31
Sieh, beim Beginn des steilen Weges, schier
Bedeckt mit buntgeflecktem Fell die Glieder,[4]
Gewandt und sehr behend ein Pantherthier.
34
Nicht wich’s von meinem Angesichte wieder,
Und also hemmt’ es meinen weitern Lauf,
Daß ich mich öfters wandt’ in’s Thal hernieder.
37
Am Morgen war’s, die Sonne stieg herauf,[5]
Von jenen Sternen, so wie einst umgeben,
Als Gottes Lieb’ aus ödem Nichts herauf
40
[9] Die schöne Welt berief zu Sein und Leben;
So ward durch jenes Thier mit buntem Haar
Anlaß zur Sorge doch mir nicht gegeben,
43
Zu solcher Stund’, im süßen, jungen Jahr –
Wenn Grund zur Furcht mir alsbald nicht erregte[6]
Nunmehr ein Löwe, den ich ward gewahr!
46
Es schien, daß er sich gegen mich bewegte,
Erhobnen Haupt’s und mit des Hungers Wuth,
So daß er Zittern selbst der Luft erregte.
49
Auch eine Wölfin, welche jede Glut [7]
Der Gier durch Magerkeit mir schien zu zeigen,
Die schon auf Viele schweren Jammer lud.
52
Vor dieser mußte so mein Muth sich neigen,
Aus Furcht, die bei dem Anblick mich durchbebt,
Daß mir die Hoffnung schwand, zur Höh’ zu steigen.
55
Wie der, der eifrig zu gewinnen strebt,
Wenn zum Verlieren nun die Zeit gekommen,
In Kümmerniß und tiefem Bangen lebt:
58
So machte dieses Unthier mich beklommen;
Von ihm gedrängt, mußt’ ich mich rückwärts ziehn,
Dorthin, wo nimmer noch die Sonn entglommen.
[10]
61
Indessen ich zur Tiefe stürzt’ im Fliehn,
Da zeigte meinem Blicke dort sich Einer,[8]
Der durch zu langes Schweigen heiser schien.
64
„„Wer du auch seist,““ so rief ich, als ich seiner
Gewahrt in großer Wüste, „„nenn’ ich dich
Mensch oder Schatten, – o erbarm dich meiner!““
67
Und jener sprach: „Nicht bin, doch Mensch war ich;
Lombarden waren die, so mich erzeugten,
Und beide priesen Mantuaner sich.
70
Spät, als die Römer sich dem Julius beugten,[9]
Sah ich das Licht, sah des Augustus Thron,
Zur Zeit der Götter, jener Trugerzeugten.
73
Ich war Poet und sang Anchises Sohn,
Der Troja floh, besiegt durch Feindestücke,
Als, einst so stolz, in Staub sank Ilion.
76
[11] Und du – du kehrst zu solchem Gram zurücke?
Was bleibt die freud’ge Höhe nicht dein Ziel,
Die Anfang ist und Grund zum vollen Glücke?“
79
„„So bist du,““ rief ich, „„bist du der Virgil,
Der Quell, dem reich der Rede Strom entflossen?““
Ich sprach’s mit Scham, die meine Stirn befiel.
82
„„O Ehr’ und Licht der andern Kunstgenossen,[10]
Vergilt jetzt große Lieb’ und langen Fleiß,
Die meinem Forschen dein Gedicht erschlossen.
85
Mein Meister, Vorbild! dir gebührt der Preis,
Den ich durch schönen Stil davongetragen,[11]
Denn dir entnahm ich, was ich kann und weiß.
88
Sieh dieses Thier, o sieh mich’s rückwärts jagen,
Berühmter Weiser, sei vor ihm mein Hort,
Es macht mir zitternd Puls’ und Adern schlagen.““
91
„Du mußt auf einem andern Wege fort,“[12]
Sprach er zu mir, den ganz der Schmerz bezwungen,
„Willst du entfliehn aus diesem wilden Ort.
94
Denn dieses Thier, das dich mit Graun durchdrungen,
Läßt Keinen ziehn auf seines Weges Spur,
Hemmt Jeden, bis es endlich ihn verschlungen.
97
Es ist von böser, tückischer Natur,
Und nimmer fühlt’s die wilde Gier ermatten,
Ja jeder Fraß schärft seinen Hunger nur.
100
Mit vielen Thieren sieht man es sich gatten,[13]
Bis daß die edle Dogge kommt, die kühn[14]
Es würgt und hinstürzt in die ew’gen Schatten.
[12]
103
Nicht wird nach Land und Erz ihr Hunger glühn,
Doch wird sie nie an Lieb’ und Weisheit darben;
Inmitten Feltr’ und Feltro wird sie blühn,
106
Zu Welschlands Heil, deß Ruhm und Glück verdarben,
Obwohl vordem Camilla für dies Land,[15]
Euryalus, Turnus und Nisus starben.
109
Nicht wird sie ruhn, bis sie dies Thier verbannt;
Sie wird es wieder in die Hölle senken,
Von wo’s der erste Neid heraufgesandt. –[16]
112
Du folg’ jetzt mir zu deinem Heil – mein Denken[17]
Und Urtheil ist’s – ich will dein Führer sein
Und dich durch ew’gen Ort von hinnen lenken.
115
Dort wirst du hören der Verzweiflung Schrei’n, (Hölle)
Wirst alte Geister schau’n, die brünstig flehen
Um zweiten Tod in ihrer langen Pein;
118
Wirst Jene dann im Feu’r zufrieden sehen (Fegfeuer),
Weil sie verhoffen, zu dem sel’gen Chor, (Paradies)
Sei’s wann es immer sei, noch einzugehen.
121
Und willst du auch zu diesem dann empor,[18]
Würd’ger als ich, wird eine Seel’ erscheinen,
Die geht, schied ich, als Führerin dir vor.
124
[13] Denn Jener, der dort oben herrscht, läßt Keinen (Gott)
Eingehn, von mir geführt, vor seinen Thron,
Weil ich mich nicht verbunden mit den Seinen.
127
Allwärts gebeut er; doch er trägt die Kron’
Nur dort; dort ragen seines Sitzes Zinnen –
O selig, wen er wählt, daß er dort wohn’!
130
„„Laß, Dichter,““ rief ich, „„dich mein Flehn gewinnen!
Bei jenem Gotte, den du nicht erkannt,
Um Schlimmem hier und Schlimmerm zu entrinnen,
133
Bring’ an die Orte mich, die du genannt,[19]
Und laß mich bald Sanct Petri Pforte sehen,
Und Jene, wie du sprachst, zur Qual verbannt.““
136
Er ging; ich säumte nicht, ihm nachzugehen.
_______________
Zweiter Gesang.
Einleitung: Beatrix. Lucia.
1
Der Tag verging, das Dunkel brach herein,[20]
Und Nacht entzog die Wesen auf der Erden
All’ ihren Müh’n, da rüstet’ ich allein
4
Mich zu dem harten Krieg und den Beschwerden
Des Wegs und Mitleids, und jetzt soll ihr Bild
Gemalt aus sicherer Erinn’rung werden.
7
O Mus’, o hoher Geist, jetzt helft mir mild!
Erinn’rung, die du schriebst, was ich gesehen,
Hier wird sich’s zeigen, ob dein Adel gilt!
[14]
10
„„Jetzt, Dichter,““ fing ich an, „„bevor wir gehen,
Erwäge meine Kraft und Tüchtigkeit!
Kann sie die große Reise wohl bestehen?
13
Du sagst, daß Silvius’ Vater in der Zeit,[21]
Im Körper noch, und noch ein sterblich Wesen
Sei eingedrungen zur Unsterblichkeit.
16
Doch da, der stets des Bösen Feind gewesen,
In seinen Empyre’n zum Stifter ihn
Der Mutter Roma und des Reichs erlesen,
19
Kann Jeder, dem Vernunft ihr Licht verliehn,
Beim hocherhabnen Zweck es wohl ergründen,
Daß er nicht unwerth solcher Huld erschien.
22
Denn Rom und Reich, um Wahres zu verkünden,
Gestiftet wurden sie, die heil’ge Stadt
Zum Sitz für Petri Folger zu begründen.
25
Durch diesen Gang, den du besangest, hat
Er Kunde deß, wodurch er siegt’, empfangen
Und Grund gelegt zur heil’gen Herrscherstatt.
28
Ist das erwählte Rüstzeug hingegangen,
So stärkt’ es in dem Glauben dann die Welt,
In dem der Weg des Heiles angefangen.
31
Doch ich? warum? wer hat mir’s freigestellt?[22]
Ich, Paul nicht noch Aeneas, dessen Schwäche
Nicht ich, noch Jemand dessen würdig hält.
34
[15] Wenn ich dorthin zu kommen mich erfreche,
So fürcht’ ich, daß mein Kommen thöricht sei.
Du Weiser, weißt es besser, als ich spreche.““
37
Und wie, wer will und nicht will, mancherlei
Erwägt und prüft, und fühlt im bangen Schwanken,
Mit dem, was er begonnen, sei’s vorbei;
40
So ich – das was ich leicht und ohne Wanken
Begonnen hatte, gab ich wieder auf,
Entmuthigt von den wechselnden Gedanken.
43
„Verstand ich dich,“ so sprach der Schatten drauf,
„So fühlst du Angst und Schrecken sich erneuen
Und Feigheit nur hemmt deinen weitern Lauf.
46
Das Beste macht sie oft den Mann bereuen,
Daß er zurücke springt von hoher That,
Gleich Rossen, die vor Truggebilden scheuen.
49
Doch hindre sie dich nicht am weitern Pfad,
Drum höre jetzt, was ich zuerst vernommen,
Da mir’s um dich im Herzen wehe tat.
52
Mich, nicht in Höll’ und Himmel aufgenommen,[23]
Rief eine Frau, so selig und so schön,[24]
Daß ihr Geheiß mir werth war und willkommen,
55
Mit Augen, gleich dem Licht an Himmelshöhn,
Begann sie gegen mich gelind und leise,
Und jeder Laut war englisches Getön:
[16]
58
O Geist, geboren einst zu Mantuas Preise,
Deß Ruhm gedauert hat und dauern wird,
So lang die Sterne ziehn in ihrem Kreise,
61
Mein Freund, doch nicht der Freund des Glückes, irrt
In Wildniß dort, weil Wahn im Weg’ ihn störte,
So daß er sich gewandt, von Furcht verwirrt.
64
Schon irrte, fürcht’ ich, also der Bethörte,
Daß ich zu spät zum Schutz mich aufgerafft,
Nach dem, was ich von ihm im Himmel hörte.
67
Du geh; es sei durch deiner Rede Kraft,
Durch das, was sonst ihm Noth, sein Leid geendet;
So sei ihm Hilf’ und Ruhe mir verschafft.
70
Beatrix bin ich, die ich dich gesendet;
Mich trieb die Lieb’ und spricht aus meinem Wort.
Vom Ort komm ich, wohin mein Wunsch sich wendet.
73
Und steh’ ich erst vor meinem König dort,
So werd’ ich oft dich loben und ihm preisen. –
Sie sprach’s und schwieg und ich begann sofort:
76
Herrin der Tugend, Lehrerin der Weisen,[25]
Durch die die Menschheit überraget weit
Was lebt in jenes Himmels kleinern Kreisen!
79
So freudig bin ich dir zum Dienst bereit,
Daß, wär’ vollbracht auch jetzt schon dein Begehren,
Zu spät mir’s schiene! G’nug ward mit Bescheid!
82
Doch wolle jetzt vom Grunde mich belehren,[26]
Weshalb du stiegst zum Mittelpunkt, vom Licht,
Zu welchem du dich sehnst, zurückzukehren.
85
[17] Willst du es denn so tief ergründen, spricht
Die Hohe darauf, so will ich’s kürzlich sagen.
Ich fürchte mich vor diesem Dunkel nicht.
88
Vor solchem Uebel ziemt sich wohl zu zagen,
Das mächtig ist und leicht uns Schaden thut,
Vor solchem nicht, bei welchem nichts zu wagen.
91
Gott schuf mich so, daß ich in seiner Hut
Den Nöthen, die euch drücken, bin entrissen
Und nicht ergreift mich dieses Brandes Glut.
94
Ein edles Weib dort, von den Hindernissen
Des Manns erweicht, zu dem ich dich gesandt,
Sie hat des Höchsten strengen Spruch zerrissen.
97
Sie flehte zu Lucien hingewandt:
Dein Treuer braucht dich jetzt im harten Streite,
Darum empfehl’ ich ihn in deine Hand.
100
Lucia, die sich ganz dem Mitleid weihte,
Bewegte sich zum Orte, wo ich war,
In Ruhe sitzend an der Rahel Seite.
103
Sie sprach: Beatrix, Gottes Preis fürwahr!
Hilfst du ihm nicht, ihm, der aus großer Liebe
Für dich entrann aus der gemeinen Schaar?
106
Als ob dein Ohr taub seinen Klagen bliebe,
Als sähest du ihn nicht im Wirbel dort,
Bedroht, mehr als ob Meeressturm ihn triebe?
[18]
109
Nicht eilt so schnell auf Erden Einer fort,
Den Gier nach Glück und Furcht vor Leid bethören,
Wie ich herabgeeilt bei solchem Wort,
112
Von meinem Sitz in jenen sel’gen Chören,
Vertrau’nd auf deiner würd’gen Rede Macht,
Die Ruhm dir bringt und Allen, die sie hören. –
115
Als nun Beatrix solches vorgebracht,
Da wandte sie die Augenstern’ in Zähren,
Und dies hat mich nur schneller hergebracht.
118
So komm’ ich denn daher auf ihr Begehren,
Das Unthier von dir scheuchend, dem’s gelang,
Den kurzen Weg des schönen Bergs zu wehren.
121
Was also ist dir? warum weilst du bang?
Was herbergst du die Feigheit im Gemüthe?
Was weicht dein Mut, dein kühner Thatendrang,
124
Da sich drei heil’ge Himmelsfrau’n voll Güte
Für dich bemüh’n, und dir mein Mund verspricht,
Daß ihre Sorge dich so treu behüte.“
127
Gleichwie die Blum’ im ersten Sonnenlicht,
Beim nächt’gen Reif gesunken und verschlossen,
Den Stiel erhebt und ihren Kelch entflicht;
130
So hob die Kraft, erst schmachtend und verdrossen,
In meinem Herzen sich zu gutem Muth,
Und ich begann frohsinnig und entschlossen:
133
„„O wie ist sie, die für mich sorgte, gut!
Wie freundlich bist auch du, der den Befehlen
Der Herrlichen so schnell Genüge thut!
136
Mein Sehnen glüht – nicht wird die Kraft mir fehlen[27]
Bei deinem Wort – schon fühl’ ich, nicht mehr bang,
Vom ersten Vorsatz wieder mich beseelen.
139
Drum auf, in Beiden ist ein gleicher Drang,
Herr, Führer, Meister, auf zum großen Wege!““
Ich sprach’s zu ihm, und folgend seinem Gang,
142
Schritt ich daher auf waldig rauhem Stege.
_______________
[19]
Dritter Gesang.
Höllenthor. Vorhölle. Die Memmen. Cölestin V. Charon.
1
Durch mich geht’s ein zur Stadt der ew’gen Qualen,[28]
Durch mich geht’s ein zum wehevollen Schlund,
Durch mich geht’s ein zu der Verdammniß Thalen.
4
Gerechtigkeit war der Bewegungsgrund
Deß, der mich schuf; mich gründend, that er offen
Allmacht, Allweisheit, erste Liebe kund.
7
Nicht ward vor mir Geschaffnes angetroffen,
Als Ewiges; und ewig daur’ auch ich.
Ihr, die ihr eingeht, laßt hier jedes Hoffen.
10
Die Inschrift zeigt in dunkler Farbe sich
Geschrieben dort am Gipfel einer Pforte,
Drum ich: „„Hart, Meister, ist ihr Sinn für mich.““
13
Er, als Erfahrner, sprach dann diese Worte:
„Hier sei jedweder Argwohn weggebannt,
Und jede Zagheit sterb’ an diesem Orte.
16
Wir sind zur Stelle, die ich dir genannt.
Hier wirst du jene Jammervollen schauen,
Für die das Heil des wahren Lichtes schwand.“[29]
19
Er faßte meine Hand, daher Vertrauen
Durch sein Gesicht voll Muth auch ich gewann.
Drauf führt’ er mich in das geheime Grauen.[30]
22
Dort hob Geächz’, Geschrei und Klagen an,
Laut durch die sternenlose Luft ertönend,
So daß ich selber weinte, da’s begann.
25
Verschied’ne Sprachen, Worte, gräßlich dröhnend,
Faustschläge, Klänge heiseren Geschreis,
Die Wuth, aufkreischend, und der Schmerz erstöhnend –
[20]
28
Dies Alles wogte tosend stets, als sei’s
Sandwirbel, von den Stürmen umgeschwungen,
Durch dieser ewig schwarzen Lüfte Kreis.
31
Und ich, im Ungewissen und von Schau’r durchdrungen,
Sprach: „„Meister, welch Geschrei, das sich erhebt?
Wer ist doch hier von Qualen so bezwungen?
34
Und Er: „Der Klang, der durch die Lüfte bebt,[31]
Kommt von dem Jammervolk, geweiht dem Spotte,
Das ohne Schimpf und ohne Lob gelebt.
37
Sie sind gemischt mit jener schlechten Rotte
Von Engeln, die für sich nur blieb im Strauß,
Nicht Meuterer und treu nicht ihrem Gotte.
40
Die Himmel trieben sie als Mißzier aus,
Und da durch sie der Sünder Stolz erstünde,
Nimmt sie nicht ein der tiefen Hölle Graus.“
43
Ich drauf: „„Was füllt ihr Wehlaut diese Gründe?
Was ist das Leiden, das so hart sie drückt?““
Und Er: „Vernimm, was ich dir kurz verkünde.
46
Des Todes Hoffnung ist dem Volk entrückt,
Im blinden Leben, trüb und immer trüber,
Scheint ihrem Neid jed’ andres Loos beglückt.
49
Sie kamen lautlos aus der Welt herüber,
Von Recht und Gnade werden sie verschmäht.
Doch still von ihnen – schau und geh’ vorüber.“
52
Ich schaute hin und sah, im Kreis geweht,
Ein Fähnlein ziehn, so eilig umgeschwungen,
Daß sich’s zum Ruhn, so schien mir’s, nie versteht.
55
[21] In langer Reihe folgten ihm, gezwungen,
So viele Leute, daß ich kaum geglaubt,
Daß je der Tod so vieles Volk verschlungen.
58
Und hier erblickt’ ich manch bekanntes Haupt,
Auch Jenes Schatten, der aus Angst und Zagen[32]
Sich den Verzicht, den großen, feig erlaubt.
61
Ich war sogleich gewiß, auch hört’ ich sagen,
Dies sei der Schlechten jämmerliche Schaar,
Die Gott und seinen Feinden mißbehagen.
64
Dies Jammervolk, das niemals lebend war,
War nackend und von Flieg’ und Wesp’ umflogen,
Und ward gestachelt viel und immerdar.
67
Thränen und Blut aus ihren Wunden zogen
In Streifen durch das Antlitz bis zum Grund,
Wo ekle Würmer draus sich Nahrung sogen.
70
Drauf, als ich weiter blickt’ im düstern Schlund,
Erblickt’ ich Leut’ an einem Stromgestade,
Und sprach: „„Jetzt thu’, ich bitte, Herr, mir kund,
73
Von welcher Art sind die, die so gerade,[33]
Wie ich beim düstern Dämmerlicht ersehn,
So eilig weiter ziehn auf ihrem Pfade?““
76
Und Er darauf: „Dir wird genug geschehn
Am Acheron – dort wird sich Alles zeigen,
Wenn wir am traur’gen Ufer stille stehn.“
79
Da zwang mich Scham, die Augen tief zu neigen,
Aus Furcht, daß ihm mein Fragen lästig sei,
Und ich gebot mir bis zum Strome Schweigen.
[22]
82
Und sieh, es kam ein Mann zu Schiff herbei,
Ein Greis, bedeckt mit schneeig weißen Haaren.
„Weh euch, Verworfne!“ tönte sein Geschrei.
85
„Nicht hofft, den Himmel jemals zu gewahren.
Ich komm’, euch jenseits hin an das Gestad,
In ew’ge Nacht, in Hitz’ und Frost zu fahren.
88
Und du, lebend’ge Seele, die genaht,
Mußt dich von diesen, die gestorben, trennen!“ –
Dann, da er sah, daß ich nicht rückwärts trat:
91
„Hier kann ich dir den Uebergang nicht gönnen,[34]
Für dich geziemen andre Wege sich,
Ein leichtrer Kahn nur wird dich tragen können.“[35]
94
Virgil drauf: „Charon, nicht erboße dich.
Dort, wo der Wille Macht ist, ward’s verhangen; (bei Gott)
Dies sei genug, nicht weiter frage mich.“
97
Hierauf ließ ruhen die bewollten Wangen
Des fahlen Sumpfs erzürnter Steuermann,
Deß Augen Flammenräder rings umschlangen.
100
Da hob graunvolles Zähneklappen an,
Und es entfärbten sich die Tiefgebeugten,
Seit Charon jenen grausen Spruch begann.
103
[23] Sie fluchten Gott, und denen, die sie zeugten,
Dem menschlichen Geschlecht, dem Vaterland,
Dem ersten Licht, den Brüsten, die sie säugten.
106
Dann drängten sie zusammen sich am Strand,
Dem schrecklichen, zu welchem Alle kommen,
Die Gott nicht scheu’n, und laut Geheul entstand.
109
Charon, mit Augen, die wie Kohlen glommen,
Winkt ihnen, und schlug mit dem Ruder los,
Wenn einer sich zum Warten Zeit genommen.
112
Gleich wie im Herbste bei des Nordwinds Stoß
Ein Blatt zum andern fällt, bis daß sie alle
Der Baum erstattet hat dem Erdenschoß;
115
So stürzen, hergewinkt, in jähem Falle
Sich Adams schlechte Sprossen in den Kahn,
Wie angelockte Vögel in die Falle.
118
Durch schwarze Fluten geht des Nachens Bahn,
Und eh sie noch das Ufer dort erreichen,
Drängt hier schon eine neue Schaar heran.
121
„Mein Sohn,“ sprach mild der Meister, „die erbleichen
In Gottes Zorne, werden alle hier
Am Strand vereint aus allen Erdenreichen.
124
Man scheint zur Ueberfahrt sehr eilig dir,
Doch die Gerechtigkeit treibt diese Leute[36]
Und wandelt ihre bange Furcht in Gier.
127
Kein guter Geist macht diese Fahrt; und dräute[37]
[24]
Dir Charon, weil du hier dich eingestellt,
So kannst du wissen, was sein Wort bedeute.“ –
130
Hier wankte so mit Macht das dunkle Feld,
Daß mich noch jetzt Schweißtropfen überthauen,
So oft dies Schreckensbild mich überfällt.
133
Ein Windstoß fuhr aus den bethränten Auen,[38]
Er blitzt ein rothes Licht, das jeden Sinn
Bewältigte mit ungeheurem Grauen,
136
Und wie vom Schlaf befallen, stürzt’ ich hin –
_______________
Vierter Gesang.
I. Abtheilung. I. Kreis. Ungetaufte; Erzväter; Dichter, Helden, Philosophen der Heidenzeit.
1
Mir brach den Schlaf im Haupt ein Donnerkrachen
So schwer, daß ich zusammenfuhr dabei,
Wie Einer, den Gewalt zwingt, zu erwachen.
4
Ich warf umher das Auge wach und frei,
Emporgerichtet spähend, daß ich sähe
Und unterschied’, an welchem Ort ich sei.
7
So fand ich mich am Thalrand, in der Nähe[39]
Des qualenvollen Abgrunds, dessen Kluft
Zum Donnerhall vereint unendlich Wehe.
10
[25] Tief war er, dunkel, nebelhaft die Luft,
Drum wollte nichts sich klar dem Blicke zeigen,
Den ich geheftet an den Grund der Gruft,
13
„Laß uns zur blinden Welt hinuntersteigen,
Ich bin der Erste, du der Zweite dann.“
So sprach Virgil, um drauf erblaßt zu schweigen.
16
Ich, sehend, wie die Bläss’ ihn überrann,
Sprach: „„Scheust du selber dich, wie kann ich’s wagen,
Der Trost im Zweifel nur durch dich gewann?““
19
Und er zu mir: “Des tiefen Abgrunds Plagen
Entfärben mir durch Mitleid das Gesicht,
Und nicht, so wie du meinst, durch feiges Zagen.
22
Fort, zaudern läßt des Weges Läng’ uns nicht.“
So ging er fort und rief zum ersten Kreise
Mich auch hinein, der jene Kluft umflicht.
25
Mir schien, nach meinem Ohr, des Klanges Weise,
[26]
Der durch die Luft hier bebt im ewigen Thal,[40]
Nicht Klaggeschrei, nur Seufzer dumpf und leise.
28
Und dieses kam vom Leiden ohne Qual
Der Kinder, Männer und der Frau’n, in Schaaren,
Die viele waren und von großer Zahl.
31
Da sprach der Meister: „Willst du nicht erfahren:
Zu welchen Geistern du gekommen bist?
Bevor wir fortgehn, will ich offenbaren,
34
Daß sie nicht sündigten; doch gnügend mißt
Nicht ihr Verdienst, da sie der Tauf’ entbehrten,
Die Pfort’ und Eingang deines Glaubens ist.
37
Und lebten sie vor Christo auch, so ehrten
Sie doch den Höchsten nicht, wie sich’s gebührt;[41]
Und diese Geister nenn’ ich selbst Gefährten.
40
Nur dies, nichts Andres hat uns hergeführt.[42]
Daß wir in Sehnsucht ohne Hoffnung leben,
Ward uns Verlornen nur als Straf’ erkürt.“
43
Groß war mein Schmerz, als er dies kund gegeben,
Denn Leute großen Werthes zeigten sich,
Die unentschieden hier im Vorhof schweben.
46
Und ich begann: „„Mein Herr und Meister, sprich,[43]
(Ich wollte mich in jenem Glauben stärken,
Vor dessen Licht des Irrthums Nacht entwich,)
49
[27] Kam Keiner je durch Kraft von eignen Werken,
Durch fremd Verdienst von hier zur Seligkeit?““ –
Er schien des Worts versteckten Sinn zu merken,
52
Und sprach: „Ich war noch neu in diesem Leid,
Da ist ein Mächtiger hereingedrungen.
Bekrönt mit Siegesglanz und Herrlichkeit.
55
Der hat des Urahns Geist der Höll’ entrungen,
Auch Abel’s, Noah’s; und auch Moses hat,
Der Gott gehorcht, mit ihm sich aufgeschwungen.
58
Abram und David folgten seinem Pfad,
Jakob, sein Vater, seine Söhne schieden,
Und Rahel auch, für die so viel er that.
61
Sie und viel’ Andre führt er ein zum Frieden,
Und wissen sollst du nun: Vor diesem war
Erlösung keinem Menschengeist beschieden.“
64
Obwohl er sprach, ging’s vorwärts immerdar,
So daß wir unterdeß den Wald durchdrangen,
Den Wald, mein’ ich, der dichten Geisterschaar.
67
Nicht weit von oben waren wir gegangen,[44]
Als ich ein Feu’r in lichten Flammen sah,
Die dort im halben Kreis die Nacht bezwangen.[45]
70
Zwar waren wir dem Ort nicht völlig nah,
Doch einen Kreis von ehrenhaften Leuten,
Die diesen Platz besetzt, erkannt’ ich da.
73
„„Du, deß sich Wissenschaft und Kunst erfreuten,
Beliebe, wer sie sind, und was sie ehrt
Und von den Andern trennt, mir anzudeuten.““
76
Ich sprach’s, und Er: „Für hochgepries’nen Werth,
Der oben wiederklingt in deinem Leben,
Ward ihnen hier vom Himmel Huld gewährt.“
79.
Da hört’ ich eine Stimme sich erheben:
Der hohe Dichter, auf, jetzt zum Empfang![46]
Sein Schatten kehrt, der jüngst sich fortbegeben.
[28]
82
Sobald die Stimme, die dies sprach, verklang,
Sah ich heran vier große Geister schreiten,
Im Angesicht nicht fröhlich und nicht bang.
85
Da sprach der gute Meister mir zur Seiten:
„Sieh diesen, in der Hand das Schwert, voran
Den Andern gehn, um sie als Fürst zu leiten.
88
Du siehst Homer, den Dichterkönig, nahn;
Ovid der Dritt’, als letzter kommt Lukan.
Ihm folgt Horaz, berühmt durch Spott dort oben.
91
Im Namen, den die eine Stimm’ erhoben,[47]
Kommt mit mir selber Jeder überein,
Drum ehren sie mich, und dies ist zu loben.“
94
So war die schöne Schul’ hier im Verein
Des hohen Herrn der höchsten Sangesweise,
Der ob den Andern fliegt, ein Aar, allein.
97
Ein Weilchen sprachen sie im trauten Kreise,
Doch als sie grüßend sich zu mir gekehrt,
Da lächelte Virgil zu solchem Preise.
100
Allein noch höher ward ich dort geehrt,
Indem sie mich in ihrer Schaar empfingen,
Als Sechsten, solchen Geisterbundes werth.
103
Inzwischen wir bis zu dem Lichte gingen,
Sprechend, wovon ich schicklich schweigen muß,
Wie man dort schicklich sprach von solchen Dingen.
106
Bald kamen wir an eines Schlosses Fuß,[48]
Von siebenfacher hoher Mau’r umfangen,
Und rings beschützt von einem schönen Fluß.
109
Als wir mit trocknem Fuße durchgegangen,[49]
Ging’s weiter dann durch sieben Thore fort,
Und eine Wiese sah ich grünend prangen.
112
[29] Wir fanden Leute strengen Blickes dort,
Mit großer Würd’ in Ansehn, Gang und Mienen
Und wenig sprechend, doch mit sanftem Wort.
115
Und wir ersahn dort seitwärts nah bei ihnen
Frei eine Höh’ im hellen Lichte glühn,
Vor welcher Alle klar vor uns erschienen.
118
Dort gegenüber auf dem sammtnen Grün
Sah ich die großen, ewig Denkenswerthen,
Die heut mir noch in stolzer Seele blühn.
121
Elektren sah ich dort mit viel Gefährten,
Aeneas, Hektorn hatt’ ich bald erkannt,
Cäsarn, den mit dem Adlerblick bewehrten.
124
Camillen und Penthesileen fand
Ich dort; zur andern Seite auch Latinen,
Der bei Lavinien, seiner Tochter, stand.
127
Ich sah den Brutus, der verjagt Tarquinen,
Lucrezien, Julien, Marzien, und, allein
Bei Seite sitzend, sah ich Saladinen.
130
Dann, höher blickend, sah im hellen Schein
Ich auch den Meister derer, welche wissen,[50]
Der von den Seinen schien umringt zu sein,
133
Sie all’ ihn hoch zu ehren sehr beflissen;
Den Plato ihm zunächst und Sokrates,
Die dort den Sitz vor Andern an sich rissen.
136
Den Anaxagoras, Diogenes,
Den Demokrit, deß Welt der Zufall machte,
Den Zeno, Heraklid, Empedokles;
139
Ihn, der ans Licht der Pflanzen Kräfte brachte,
[30]
Den Dioskorides, den Orpheus dann,
Den Seneca, der Schmerz und Lust verlachte.
142
Auch Ptolemäus kam, Euklid heran,
Tullius (Cicero), Averrhoes, der, seinen Weisen
Erklärend, selbst der Weisheit Ruhm gewann.
145
Doch nicht vermag ich Jeden hier zu preisen,[51]
Denn also drängt des Stoffes Größe mich,
Daß ihren Dienst mir kaum die Wort’ erweisen.
148
Um zwei verminderte die Sechszahl sich;
Mich führt’ auf anderm Weg mein weiser Leiter
Dahin, wo Stille lautem Tosen wich,
151
Und dorthin, wo nichts leuchtet, schritt ich weiter.
_______________
Fünfter Gesang.
II. Abtheilung. II. Kreis. Sünden der Liebe. Minos; Semiramis, Paris; Franziska und Paolo.
1
So ging’s hinab vom ersten Kreis zum zweiten,
Der kleinern Raum, doch größres Weh umringt,[52]
Das antreibt, Klag und Winseln zu verbreiten.[53]
4
Graus steht dort Minos, fletscht die Zähn’ und bringt[54]
Die Schuld ans Licht, wie tief sie sich verhehle,
Urtheilt, schickt fort, je wie er sich umschlingt.
7
Ich sage, wenn die schlechtgeborne Seele
Ihm vorkommt, beichtet sie der Sünden Last;
Und jener Kenner aller Menschenfehle
10
[31] Sieht, welcher Ort des Abgrunds für sie paßt,
Und schickt sie so viel Grad hinab zur Hölle,
Als oft er sich mit seinem Schweif umfaßt.
13
Von vielem Volk ist stets besetzt die Schwelle
Und nach und nach kommt Jeder zum Gericht,
Spricht, hört und eilt zu der bestimmten Stelle.
16
„Du, der du kommst zur Schmerzenswohnung,“ spricht
Minos zu mir, sobald er mich ersehen,
Ablassend von der Uebung großer Pflicht,
19
„Schau’, wem du traust! leicht ist’s hineinzugehen,
Und weit das Thor – nicht täusche dich dein Drang!“
Mein Führer drauf: „Wozu dies Schrei’n und Schmähen?
22
Nicht hindre den von Gott gebotnen Gang,
Dort will man’s, wo das Können gleich dem Wollen.
Nicht mehr gefragt, denn unser Weg ist lang.“
25
Bald hört’ ich nun, wie Jammertön’ erschollen,
Denn ich gelangte nieder zum Gefild
Zur Klag und dem Geheul der Unglücksvollen.
28
Hier schweigt das Licht; der dunkle Raum erbrüllt, [55]
So wie die See, wenn Stürme sich erhoben,
Und ihre Fläche wüthend überschwillt.
31
Der Höllenwindsbraut unaufhörlich Toben[56]
Reißt wirbelnd die gequälten Geister fort
Und dreht sie um nach unten und nach oben.
34
Da hört man Wehgeheul und Klagewort,
Wenn sie sich nah’n des Abgrunds Felsenküsten,
Und Flüch’ und Lästerungen schallen dort.
[32]
37
Daß Fleisches-Sünder dies erdulden müßten,
Vernahm ich, die, verlockt vom Sinnentrug,
Einst unterwarfen die Vernunft den Lüsten.
40
So wie zur Winterszeit mit irrem Flug[57]
Ein dichtgedrängter breiter Troß von Staaren,
So sah ich hier im Sturm der Sünder Zug
43
Hierhin und dort, hinauf, hinunter fahren,
Gestärkt von keiner Hoffnung, mindres Leid,
Geschweige jemals Ruhe zu erfahren.
46
Wie Kraniche, zum Streifen lang gereiht,
In hoher Luft die Klagelieder krächzen,
So sah ich von des Sturms Gewaltsamkeit
49
Die Schatten hergeweht mit bangem Aechzen.
„„Wer sind die, Meister, welche her und hin
Der Sturmwind treibt, und die nach Ruhe lechzen?““
52
So ich – und Er: „Des Zuges Führerin,
Von welchem du gewünscht Bericht zu hören,
War vieler Zungen große Kaiserin.
55
Sie ließ von Wollust also sich bethören,
Daß sie für das Gelüst Gesetz’ erfand.[58]
Daß Schimpf und Schand’ an ihr die Macht verlören.
58
Sie ist Semiramis, wie allbekannt,
Nachfolgerin des Ninus, ihres Gatten,
Die einst geherrscht hat in des Sultans Land.
61
Dann sie, die, ungetreu Sichäus Schatten,
Aus Liebe selber sich geweiht dem Tod,
Sieh dann Kleopatra im Flug ermatten.“
64
Auch Helena, die Ursach’ großer Noth,
Im Sturme sah ich den Achill sich heben,
Der Allem Trotz, nur nicht der Liebe, bot.
67
[33] Den Paris sah ich dort, den Tristan schweben,
Und tausend Andre zeigt’ und nannt’ er dann,
Die Liebe fortgejagt aus unserm Leben.
70
Lang’ hört’ ich den Bericht des Lehrers an,
Von diesen Rittern und den Frau’n der Alten,
Voll Mitleid und voll Angst, bis ich begann:
73
„„Mit diesen Zwei’n, die sich zusammen halten,
Die, wie es scheint, so leicht im Sturme sind
Möcht’ ich, o Dichter, gern mich unterhalten.““
76
Und er darauf: „Gib Achtung, wenn der Wind
Sie näher führt, dann bei der Liebe flehe,
Die Beide führt, da kommen sie geschwind.“
79
Kaum waren sie geweht in unsre Nähe,
Als ich begann: „„Gequälte Geister, weilt,
Wenn’s niemand wehrt, und sagt uns euer Wehe.““[59]
82
Gleich wie ein Taubenpaar die Lüfte theilt,
Wenn’s mit weit ausgespreizten steten Schwingen
Zum süßen Nest herab voll Sehnsucht eilt;
85
So sah ich Dido’s Schwarm sie sich entringen,
Bewegt vom Ruf der heißen Ungeduld,
Und durch den Sturm zu uns sich niederschwingen.
88
„Du, der du uns besuchst voll Güt’ und Huld[60]
In purpurschwarzer Nacht, uns, die die Erde
[34]
Vordem mit Blut getüncht durch ihre Schuld,
91
Gern bäten wir, daß Fried’ und Ruh’ dir werde,
Wär’ uns der Fürst des Weltenalls geneigt,
Denn dich erbarmet unsres Weh’s Beschwerde.
94
Wie ihr zur Red’ und Hören Lust bezeigt,
So reden wir, so leihn wir euch die Ohren,
Wenn nur, wie eben jetzt, der Sturmwind schweigt.
97
Ich ward am Meerstrand in der Stadt geboren,[61]
Wo seinen Lauf der Po zur Ruhe lenkt,
Bald mit dem Flußgefolg im Meer verloren.
100
Die Liebe, die in edles Herz sich senkt,
Fing diesen durch den Leib, den Liebreiz schmückte,
Der mir geraubt ward, wie’s noch jetzt mich kränkt.
103
Die Liebe, die Geliebte stets berückte,
Ergriff für diesen mich mit solchem Brand,
Daß, wie du siehst, kein Leid ihn unterdrückte.
106
Die Liebe hat uns in ein Grab gesandt –
Kaina harret deß, der uns erschlagen.“[62]
Der Schatten sprach’s, uns kläglich zugewandt.
109
Vernehmend der bedrängten Seelen Klagen
Neigt’ ich mein Angesicht und stand gebückt.
„Was denkst du?“ hört’ ich drauf den Dichter fragen.
112
„„Weh,““ sprach ich, „„welche Glut, die sie durchzückt,
Welch süßes Sinnen, liebliches Begehren
Hat sie in dieses Qualenland entrückt?““
115
Drauf säumt’ ich nicht zu Jener mich zu kehren,
„„Franziska,““ so begann ich jetzt, „„dein Leid
Drängt mir ins Auge fromme Mitleidszähren.
118
Doch sage mir: In süßer Seufzer Zeit,
Wodurch und wie verrieth die Lieb’ euch Beiden,
Den schüchtern leisen Wunsch der Zärtlichkeit?““
121
Und Sie zu mir: „Wer fühlt wohl größres Leiden,
Als der, dem schöner Zeiten Bild erscheint
Im Mißgeschick? Dein Lehrer mag’s entscheiden.[63]
124
[35] Doch da dein Wunsch so warm und eifrig scheint,
Zu wissen, was hervor die Liebe brachte,
So will ich’s thun, wie wer da spricht und weint.
127
Wir lasen einst, weil’s Beiden Kurzweil machte,[64]
Von Lancelot, wie ihn die Lieb’ umschlang.
Wir waren einsam, ferne vom Verdachte.
130
Das Buch regt’ in uns auf des Herzens Drang,
Trieb unsre Blick’ und macht’ uns oft erblassen,
Doch eine Stelle war’s, die uns bezwang.
133
Als wir von dem ersehnten Lächeln lasen,
Auf das den Mund gedrückt der Buhle hehr,
Da naht’ Er, der mich nimmer wird verlassen,
136
Da küßte zitternd meinen Mund auch Er. –
Ein Kuppler war das Buch, und der’s verfaßte – [65]
An jenem Tage lasen wir nicht mehr.
139
Der eine Schatten sprach’s, der andre faßte
Sich kaum vor Weinen, und mir schwand der Sinn
Vor Mitleid, daß ich wie im Tod erblaßte,
142
Und wie ein Leichnam hinfällt, fiel ich hin.
_______________
Sechster Gesang.
III. Kreis. Die Schlemmer. Cerberus. Ciacco weissagt.
1
Bei Rückkehr der Erinn’rung, die sich schloß[66]
Vor Mitleid um die Zwei, das so mich quälte,
Daß das Bewußtsein mir vor Schmerz zerfloß,
[36]
4
Erblickt’ ich neue Qualen und Gequälte
Rings um mich her, ob den, ob jenen Pfad,
Zum Geh’n und Schau’n sich Fuß und Auge wählte.
7
Dies war der dritte Kreis, den ich betrat,[67]
In ew’gem, kaltem, maledeitem Regen
Von gleicher Art und Regel früh und spat.
10
Schnee, dichter Hagel, dunkle Fluten pflegen
Die Nacht dort zu durchziehn in wildem Guß;
Stark qualmt die Erde, die’s empfängt, entgegen.
13
Ein Unthier, wild und seltsam, Cerberus,[68]
Bellt, wie ein böser Hund, aus dreien Kehlen
Jedweden an, der dort hinunter muß.
16
Schwarz, feucht der Bart, die Augen rothe Höhlen,
Mit weitem Bauch, die Tatzen scharf beklaut,
Viertheilt, zerkratzt und schindet er die Seelen.
19
Sie heulen, wie die Hund’, im Regen laut,
Und sie verschaffen sich durch öft’res Drehen
Auf einer Seite mindstens trockne Haut.
22
Der große Höllenwurm, der uns ersehen,
Riß auf die Rachen, zeigt’ uns ihr Gebiß,
Und ließ kein Glied am Leibe stille stehen.
25
Virgil streckt’ aus die offnen Händ’ und riß
Erd’ aus dem Grund, die in die gier’gen Rachen
Er alsogleich mit vollen Fäusten schmiß.
28
Wie’s pflegt ein keifig böser Hund zu machen,
Deß Bellen schweigt, wenn er den Fraß erbeißt,
Der g’nügend war, die Wuth ihm anzufachen,
31
[37] So jetzt mit schmutz’gen Schlünden jener Geist,
Der so durchdröhnt die armen Leidensmatten,
Daß jeder hochbeglückt die Taubheit preist.
34
Wir gingen über die gequälten Schatten,
Indem wir auf ihr Nichts, das Körper schien,[69]
Im tiefen Schlamm gestellt die Sohlen hatten.
37
Sie lagen allesammt am Boden hin,
Nur Einen sahn wir sich zum Sitzen heben,
Wie er uns dort erblickt’ im Weiterziehn.
40
Er sprach: „Der du zur Hölle dich begeben,
Erkenne mich, dafern dir’s möglich ist;
Du lebtest, eh’ ich aufgehört zu leben.“
43
Und ich zu ihm: „„Die Qual, in der du bist,
Entzieht vielleicht dich meinem Angedenken;
Mir scheint, ich sahe dich zu keiner Frist.
46
Wer bist du? sprich, was konnte dich versenken
In eine Qual, die, gibt’s auch größre Pein,
Nicht widriger kann sein, noch ärger kränken.““
49
„In eurer Stadt,“ so sprach er, „die allein
Der Neid erfüllt, und bis zum Ueberfließen,
Genoß ich einst des Tages heitern Schein.
52
Ich bin’s, den Ciacco eure Bürger hießen;[70]
[38]
Zur Qual für schnöde Schuld des Gaumens muß,
Du siehst’s, auf mich sich ew’ger Regen gießen.
55
Und mich allein nicht züchtigt dieser Guß.
Nein, alle diese leiden gleiche Plagen
Für gleiche Schuld.“ – So seiner Rede Schluß.
58
Und ich: „„Mich haben, Ciacco, deine Klagen,
Zum Mitleid und zu Thränen fast gerührt.
Allein, wenn du es weißt, so magst du sagen,
61
Wohin noch unsrer Stadt Parteiung führt?[71]
Ob wer gerecht ist? was in diesen Zeiten
In ihr die Glut der wilden Zwietracht schürt?““
64
Und Er darauf zu mir: „Nach langem Streiten[72]
Kommt’s dort zu Blut, dann treibt die Waldpartei
Die andre fort mit vielen Grausamkeiten.
67
Doch in drei Sonnen ist’s mit ihr vorbei,
Neu günstig sind der andern die Gestirne,
Durch Eines Mannes Macht und Heuchelei.
70
Hoch hebt sie dann auf lange Zeit die Stirne
Und drückt den Feind, ob auch, zur Wuth empört,
Er sich beklag’ und schäm’ und sich erzürne.
73
Zwei sind gerecht dort, aber nicht gehört.[73]
Neid, Geiz und Hochmuth – diese drei sind Gluten,
In deren Brand sich jedes Herz zerstört.
76
[39] Als hier des Schatten Jammertöne ruhten,
Sprach ich zu ihm: „„Noch weiteren Bericht
Erlaube mir, dir bittend anzumuthen.
79
Tegghiajo, Farinata, treu der Pflicht,
Arrigo, Rusticucci, Mosca – sage! –
Und Andre, nur auf wackres Thun erpicht,
82
Wo sind sie? welches ist ihr Loos? Ich trage
Verlangen, hier ihr Schicksal zu erspähn,
Ob’s Himmelswonne sei, ob Höllenplage?““
85
Und Er: „Sie stürzte mancherlei Vergehn
Zu schwärzern Seelen nach den tiefern Gründen.
Steigst du so tief, so wirst du alle sehn –
88
Kehrst du zur süßen Welt aus diesen Schlünden,
Bring’ ins Gedächtniß dann der Menschen mich.
Mehr sag’ ich nicht, mehr darf ich nicht verkünden.“
91
Scheel ward sein grades Aug’ und wandte sich
Nach mir; dann sank er mit dem Haupte nieder,
So daß er ganz den andern Blinden glich.[74]
94
Drauf sprach mein Führer: „Nie erwacht er wieder,
Bis er vor englischer Posaun’ ergraust,[75]
Und der Gewalt, dem Sündervolk zuwider.
97
Zum Grab kehrt Jeder, wo sein Körper haust,
Wird neu mit Fleisch und mit Gestalt umgeben
Und hört, was ewig wiederhallend braust.“ –
100
Indem langsamen Schritt’s wir weiter streben,
Durch’s wüst’ Gemisch von Schatten und von Flut.
Besprachen wir, doch kurz, das künft’ge Leben.
103
Drum ich: „„Mein Meister, wird der Qualen Wuth[76]
[40]
Sich nach dem großen Urtheilsspruch vermehren?
Vermindert sich, bleibt sich nur gleich die Glut?““
106
Und Er: „Gedenk’ an deines Weisen Lehren (Aristoteles):
Je mehr ein Ding vollkommen ist, je mehr
Wird sich’s im Glücke freun, im Schmerz verzehren.
109
Und kann gleich der Verdammten zahllos Heer
Vollkommenheit, die wahre, nie erringen,
So harrt es doch in jener Zeit auf mehr.“
112
Wir fuhren fort, im Kreise vorzudringen,
Mehr sprechend, als zu sagen gut erscheint,
Bis hin zum Platz, wo Stufen niedergingen,
115
Und fanden Plutus dort, den großen Feind.
_______________
Siebenter Gesang.
Plutus. IV. Kreis. Lastenwälzende Geizige und Verschwender.
V. Kreis. Jähzornige im Styx.
1
Aleph, Pape Satan, Pape Satan![77]
Erhob nun Plutus seine rauhe Stimme.
Und er, der alles wohl verstand, begann:
4
„Getrost, nicht fürchte dich vor seinem Grimme,
Durch alle seine Macht wird’s nicht verwehrt,
Daß ich mit dir den Felsen niederklimme.“
7
Und dann, zu dem geschwollnen Mund gekehrt,
Rief er: „Wolf, schweige, du Vermaledeiter!
Von deiner Wuth sei in dir selbst verzehrt!
10
Wir gehn nicht ohne Grund zur Tiefe weiter,
Dort will man’s, dort, wo einst des Stolzes Schmach
Gezüchtigt Michael, der Himmelsstreiter.“
13
Gleichwie die Segel, wenn der Mast zerbrach,
Erst aufgebläht, zum Knäuel niederrollen,
So fiel das Unthier, als er’s drohend sprach.
16
[41] So ging’s zum vierten Kreis im schmerzenvollen[78]
Unsel’gen Schacht, der alle Schuld umfängt,
Von welcher je im Weltall Kund’ erschollen.
19
Gerechter Gott! Wer häuft, weß Walten drängt:
So neue Müh’n zusammen, solche Plagen!
O blinde Schuld, die hier den Lohn empfängt!
22
Wie der Charybdis Wogen sich zerschlagen,[79]
Zum Gegenstoß gewälzt von Süd und Nord,
So muß sich hier das Volk im Wirbel jagen.
25
Noch nirgend war die Schaar so groß, wie dort.
Laut heulend kamen sie von beiden Enden,
Und wälzten Lasten mit den Brüsten fort.
28
Und stießen sich, um sich beim Prall zu wenden,
Und dann zurück im Bogenlauf zu ziehn,
Und schrien sich zu: Was kargen? – Was verschwenden?
31
So durch den Kreis, in dem kein Lichtstrahl schien,
[42]
Ging’s beiderseits dann nach der andern Seite,
Indem sie beid’ ihr schändlich Schmähwort schrien.
34
Dann wandte Jeder sich zum neuen Streite,
Sobald er seines Zirkels Hälft’ umkreist;
Und ich, der ich den Armen Mitleid weihte,
37
Sprach: „„Treuer Meister; weise meinem Geist:
Wer ist dies Volk? die, links hier, scheinen Pfaffen!
Ist’s Jeder, der uns eine Glatze weist?““
40
Und Er: „Dies sind die Blinden, Geistes-Schlaffen.
Sie wußten in der Welt zum Geben nie,
Und nie zum Sparen sich ein Maß zu schaffen.
43
Und dies erhellt’ aus dem, was Jeder schrie,
Wenn sie im Kreis gelangt zu den zwei Orten,
Wo trennt der Gegensatz des Lasters sie.
46
Die mit den Glatzen waren Pfaffen dorten:
Auch giebt’s hier manchen Papst und Cardinal,
Der einst dem Geiz aufthat des Herzens Pforten.
49
Drauf sprach ich: „„Meister, kenn’ in dieser Zahl[80]
Ich Keinen, der im Schmutz so eitlen Strebens
Sich hier erworben hat die ew’ge Qual?““
52
Und Er zu mir: „Dein Suchen ist vergebens,
Unkenntlich macht sie ihr verdientes Loos,
Die Lichtentfremdung ihres schmutz’gen Lebens.
55
So kommen stets zum Stoß und Gegenstoß,
Bis sie erstehn – die mit verschnittnen Haaren,
Die mit geschlossner Faust – dem Grabes-Schooß.
58
Versetzt hat sie schlecht Geben und schlecht Sparen
Von jener heitern Welt in diesen Zwist;
Nicht sag’ ich welchen, denn du kannst’s gewahren.
61
Sieh hier, mein Sohn, welch eitles Ding es ist
Um jenes Gut Fortunens, das die Leute
Zum Kampfe reizt und zu Gewalt und List.
64
[43] Gieb diesen Müden alles Gold zur Beute,
Das jemals war und ist auf eurer Welt,
Und keine Stunde Ruh giebt’s ihnen heute.“
67
Und ich: „„Mein Meister, sprich, wenn dir’s gefällt,
Wer ist Fortuna doch, die, wie ich hörte,
In ihren Klau’n der Erde Güter hält?““
70
Und er zu mir: „O Arme, Trugbethörte!
Unwissende, zum Schlimmsten stets geneigt!
O daß mein Spruch jetzt deinen Wahn zerstörte!
73
Er, dessen Weisheit Alles übersteigt,[81]
Erschuf die Himmel und gab ihnen Leitung,
Daß jeder Theil sich jedem leuchtend zeigt,
76
Durch seines Lichts gleichmäßige Verbreitung.
So gab er schaffend auch die Dienerin
Dem Erdenglanz zur Führung und Begleitung.
79
Von Volk zu Volk, von Blut zu Blute hin,
Bringt sie das eitle Gut, das nirgends dauert,
Und kümmert nicht sich um der Menschen Sinn.
82
Dies Volk befiehlt, ein andres dient und trauert,
Wie jene Führerin das Urtheil spricht,
Die, wie die Schlang’ im Gras, verborgen lauert.
85
Nichts gegen sie hilft eurer Weisheit Licht.
Sie sorgt, erkennt, vollzieht in ihrem Reiche,
Und weicht darin den andern Göttern nicht.
88
Nie haben Stillstand ihre Wechselstreiche;
So macht sie, von Nothwendigkeit gejagt,
Aus Reichen Arme, dann aus Armen Reiche.
91
Sie ist’s, die ihr an’s Kreuz oft wüthend schlagt,
Von der ihr oft, wenn ihr, anstatt zu schmollen,
Sie loben solltet, fälschlich Böses sagt.
94
Doch sie, die Sel’ge, hört nicht euer Grollen;
[44]
In andrer Erstgeschaffnen Seligkeit
Läßt sie, nichts achtend, ihre Sphäre rollen. –
97
Doch eilig weiter jetzt zu größerm Leid!
Die Stern’, aufsteigend, als ich fortgeschritten,[82]
Gehn abwärts jetzt, und unser Weg ist weit.“
100
Am andern Rand ward nun der Kreis durchschnitten,[83]
An einem Quell, der siedend dort entspringt,
Deß Wellen fort durch einen Graben glitten.
103
Schwärzer als Eisen seine Flut, sie bringt,
Wenn man ihr folgt, hinab zu rauhen Wegen,
Durch die man mit Beschwerde niederdringt.
106
Dann qualmt ein Sumpf, mit Namen Styx, entgegen,
Dort, wo der traur’ge Fluß vom Laufe ruht,
Am Fuß des gräulichen Gestads gelegen.
109
Dort stand ich nun und sah nach jener Flut
Und sah im Sumpfe Leute, koth’ge, nackte,
Zugleich des Jammers Bilder und der Wuth.
112
Man schlug sich nicht mit Fäusten nur, man hackte
Mit Haupt und Brust und Füßen auf sich ein,
Indem man wild sich mit den Zähnen packte.
115
Mein Meister sprach: „Sohn, sieh in dieser Pein
Die Seelen derer, so der Zorn bezwungen.
Auch unter’m Wasser müssen viele sein;
118
Und wenn ein Seufzer ihnen sich entrungen
Dann steigen Blasen auf von ihrer Noth,
[45] Drum sieh von Kreisen diese Flut durchschwungen.
121
Und immer rufen sie, versenkt im Koth:
Wir waren elend einst im Sonnenschimmer,
Das Herz voll Feu’r und Tücke bis zum Tod,
124
Und jetzt im Schlamm’ noch plagen wir uns immer.
Dies Lied klingt gurgelnd vor aus ihrem Schlund,
Stets schluckend, enden sie die Worte nimmer.
127
So gingen, zwischen Pfuhl und festem Grund,
Wir an dem schmutz’gen Teich in weitem Bogen,
Den Blick gewandt zum Volk mit Schlamm im Mund,
130
Bis wir zu eines Thurmes Fuß gezogen.
_______________
Achter Gesang.
Ueberfahrt. Filippo Argenti. Zum VI. Kreis. Kampf um den Eingang zur Stadt Dis.
1
Lang’ eh wir noch, so fahr’ ich fort zu sagen,[84]
Dem Fuß des hohen Thurms uns konnten nahn,[85]
War unser Blick zur Zinn emporgeschlagen,
4
Weil wir zwei Flämmchen dort entzünden sahn,
Als Rücksignal ein andres, so entlegen,
Daß es das Auge kaum noch konnt’ erfahn.
7
Da kehrt’ ich meinem Weisen mich entgegen:
„„Was ist dies? welch ein Zeichen wohl bezweckt
Das dritte Feu’r? Wer sind sie, die’s erregen?““
10
Und Er zu mir: „Sieh hin, dein Aug’ entdeckt.
Was unsrer harrt, dort auf den schmutz’gen Wogen,
Wenn dir’s der Qualm des Sumpfes nicht versteckt.“
[46]
13
Und schnell, wie ich den leichten Pfeil vom Bogen
Je fortgeschnellt durch hohe Lüfte sah,
Kam durch das Moor ein kleiner Kahn gezogen.
16
Bald war er uns am grauen Strande nah,
Obwohl von einem Rudrer nur gefahren,
Der schrie: „Verruchte Seele, bist du da?“[86]
19
„Phlegias, Phlegias, du magst dein Schreien sparen,“[87]
So sprach mein Herr, „umsonst ist’s angestimmt;
Wir sind nur dein, so lang wir überfahren.“
22
Wie wer von einem großen Trug vernimmt,
Den man ihm angethan zu Schmach und Schaden,
So zeigte Phlegias wild sich und ergrimmt.
25
Mein Führer stieg ins Schiff von den Gestaden.
Und zu sich setzen hieß er mich sodann,
Und als ich drin war, schien es erst beladen.[88]
28
Sobald wir beid’ uns eingesetzt, begann
Des Nachens Fahrt und furchte tiefre Zeilen,
Als er mit andrer Bürde furchen kann.
31
Indessen wir die todte Moorflut theilen,
Kommt Einer, kothbedeckt, vor mich, und spricht.
„Wer heißt dich vor der Zeit herniedereilen?“
34
„„Ich komme,““ sprach ich, „„aber bleibe nicht.
Doch wer bist du, so widrig und abscheulich?““ –
„Ein Heulender, dies sagt dir dein Gesicht.“
37
Und ich zu ihm: „„mit Heulen, unerfreulich,
[47] Verfluchter Geist, verbleib’ an diesem Ort!
Ich kenne dich, ob auch besudelt gräulich.““
40
Die Hände nun voll Gier legt’ er an Bord,
Und mit Gewalt mußt’ ihn mein Herr verjagen,
Der sprach: „Zu andern Hunden, weiche fort!“
43
Drauf hielt er seinen Arm um mich geschlagen,
Und küßte mich und sprach: „Erzürnter Geist,[89]
Beglückt die Mutter, welche dich getragen!
46
Stolz war im Leben dieser – Niemand preis’t
Von ihm nur einen guten Zug auf Erden,
Daher er hier sich noch in Wuth zerreißt.
49
Viel Fürsten gibt’s, die dort sich stolz geberden,
Die, Schmach nur hinterlassend, wie die Sau’n
Im Schlamme hier auf ewig wühlen werden.“
52
Und ich: „„Begierig wär’ ich wohl, zu schau’n,
Wie er in diesem Schlamm versinken müßte,
Eh’ wir verlassen diesen See voll Grau’n.““
55
Und er zu mir: „Bevor sich noch die Küste
Dir sehen läßt, erfreut dich der Genuß,
Befriedigung gebühret dem Gelüste.“
58
Bald sah ich, wie zu Qual ihm und Verdruß
Die Kothigen mit ihm beschäftigt waren.
Drob ich Gott loben noch und danken muß.
61
Frisch auf, Philipp Argenti! schrien die Schaaren;[90]
Dann sah ich, selbst sich beißend, auf sich los
Den tollen Geist des Florentiners fahren.
64
Und dies erzähl’ ich nur von seinem Loos.
Ich ließ ihn dort, und hört’ ein Schmerzens-Brüllen,
Und macht’, um vorzuschau’n, die Augen groß.
[48]
67
„Bald wird sich, Sohn, dir jene Stadt enthüllen,"
So sprach mein guter Meister, „Dis genannt,
Die schaarenweis’ unsel’ge Bürger füllen.“
70
Und ich: „„Mein Meister, deutlich schon erkannt
Hab’ ich im Thale jener Stadt Moscheen,[91]
Glutroth, als ragten sie aus lichtem Brand.““
73
Drauf sprach mein Führer: „Ew’ge Flammen wehen
In ihrem Innern, drum im rothen Schein
Sind sie in diesem Höllengrund zu sehen.“
76
Bald fuhren wir in tiefe Gräben ein,
Den Zugang sperrend zu dem grausen Orte;
Die Mauer schien von Eisen mir zu sein.
79
Dann aber hörten wir des Steurers Worte
Nachdem vorher wir auf dem Pfuhle weit
Umhergekreuzt: „Steigt aus, hier ist die Pforte.“[92]
82
Wohl tausend standen auf dem Thor bereit,
Vom Himmel hergestürzt. Es schrien die Frechen
„Wer wagt’s, noch lebend, voll Verwegenheit
85
In’s tiefe Reich der Todten einzubrechen?“
[49] Mein Meister aber ihnen winkend lud
Sie klüglich ein, ihn erst geheim zu sprechen.
88
Da legte sich ein wenig ihre Wuth.
Sie sprachen: „Komm allein, laß gehn den Thoren,
Der hier hereindrang mit so keckem Muth.
91
Find’ er den Weg, den sich sein Wahn erkoren,[93]
Allein zurück! – erprob’ er doch, wie Er
Sich durch die Nacht führt, wenn er dich verloren!“
94
Und nun bedenk’, o Leser, wie so schwer
Mich der Verdammten Rede niederdrückte,
Denn ich verzweifelt’ an der Wiederkehr.
97
„„Mein theurer Führer, du, durch den mir’s glückte,
Daß ich gerettet ward schon siebenmal,[94]
Deß Schutz mich drohender Gefahr entrückte,
100
Verlaß mich““, sprach ich, „„nicht in dieser Qual,
Und darf ich auch nicht weiter vorwärts dringen,
So komm mit mir zurück durch’s dunkle Thal.““
103
Und Er, befehligt, mich hierher zu bringen,
Sprach: „Fürchte nichts; erlaubt hat unsern Gang
Er, dem nichts wehrt, drum wird er wohl gelingen.
106
Hier harre mein, und ist die Seele bang,
So magst du sie mit guter Hoffnung speisen,
Denn nicht verlass’ ich dich in solchem Drang.“
109
So ging er. – Ich, getrennt von meinem Weisen,
Dem süßen Vater, fühlte Ja und Nein[95]
Beim Zweifelkampf in meinem Haupte kreisen.
112
Nicht hört’ ich, was sein Antrag mochte sein,
Allein er blieb bei jenem Volk nicht lange,
Denn Alle rannten in die Stadt hinein,
115
Und schlugen ihm das Thor im wilden Drange
Vorm Antlitz zu, und sperrten ihn heraus.
Da kehrt’ er sich zu mir mit schwerem Gange,
118
Den Blick gesenkt, die Stirn’ verstört und kraus,
[50]
Ließ er in Seufzern diese Worte hören:
„Wer schließt mich von der Stadt der Schmerzen aus?“
121
Und dann zu mir: „Nicht mög’ es dich verstören,
Wenn du mich zürnen siehst – ich siege doch,
Wie keck sie auch dort drinnen sich empören.
124
Schon früher stieg ihr kecker Muth so hoch,
An einem Thor, nicht so geheim gelegen,[96]
Und ohne Schloß und Riegel heute noch,
127
Am Thor, von dem die schwarze Schrift entgegen
Dem Wandrer droht, – doch diesseits schon von dort
Kommt, ohne Leitung, auf den dunkeln Wegen
130
Ein Andrer her und öffnet uns den Ort.“
_______________
Neunter Gesang.
Die Engelserscheinung. Eintritt in die Stadt Dis, den VI. Kreis der Gottesläugner und Ketzer in glühenden Särgen.
1
Weil ich vor Angst und banger Furcht erblich,
Als ich den Herrn sah sich zurückbewegen,
Verschloß Virgil die eigne Furcht in sich.
4
Aufmerksam stand er dort, wie Horcher pflegen,
Denn, weit zu schaun, war ihm die Dunkelheit
Der schwarzen Luft und Nebelqualm entgegen.
7
Er sprach: „Wir siegen doch in diesem Streit –[97]
Wenn nicht – doch hab’ ich nicht sein Wort vernommen?
Er säumt fürwahr doch gar zu lange Zeit.“
10
Ich sah es deutlich ein, zurückgenommen
[51] Sei durch der Rede Folge der Beginn,
Da beide mir verschieden vorgekommen.
13
Drum lauscht’ ich sorgenvoll und zagend hin,
Denn ich erklärte mir vielleicht noch schlimmer,
Als er es war, des halben Wortes Sinn.
16
„„Kommt wohl ein Geist in diese Tiefe nimmer
Vom ersten Grad, wo nichts zur Qual gereicht,
Als daß erstorben jeder Hoffnungs-Schimmer?““
19
So fragt’ ich ihn, und jener sprach: „Nicht leicht
Geschieht’s, daß auf dem Weg, den wir durchliefen,
Ein andrer meines Grads dies Land erreicht.
22
Wahr ist’s, daß ich vordem in diesen Tiefen[98]
Durch der Erichtho Zauberei’n erschien,
Die oft den Geist zum Leib zurückberiefen.
25
Kaum war mein Fleisch des Geistes baar, als ihn
Die Zauberin beschwor in diese Mauer,
Um eine Seel’ aus Judas Kreis zu ziehn.[99]
28
Dort ist die tiefste Nacht, der bängste Schauer,
Am fernsten von des Himmels ew’gem Licht.
Ich weiß den Weg – drum scheuche Furcht und Trauer.
31
Der Sumpf hier, welcher Stank verhaucht, umflicht
Die qualenvolle Stadt, durch deren Pforten
Man ohne Zorn die Bahn sich nimmer bricht.“
34
Mehr sprach er, doch mich zog von seinen Worten
Der hohe Thurm und bannte mit Gewalt
Den Blick aus Feuer auf dem Gipfel dorten.
37
Drei Höllenfurien sah ich dort alsbald,
Die blutbefleckt, grad’ aufgerichtet stunden,
Und Weibern gleich an Haltung und Gestalt,
40
Mit grünen Hydern statt des Gurts umbunden,
Mit kleinern Schlangen aber, wie mit Haar,
Und Ottern rings die grausen Schläf umwunden.
43
Und Jener, dem bekannt ihr Anblick war,
Der Sclavinnen der Fürstin ew’ger Plagen, (Hekate)
Sprach: „Die Erinnyen nimm’, die wilden, wahr.
[52]
46
Zur linken Seite sieh Megären ragen,
Inmitten ist Tisiphone zu schau’n,
Und rechts Alecto in Geheul und Klagen.“
49
Die Brust zerriß sich jede mit den Klau’n,
Und sie zerschlugen sich mit solchem Brüllen,
Daß ich mich an den Dichter drängt’ aus Grau’n.
52
„Medusa’s Haupt! auf, laßt es uns enthüllen,“
Sie riefen’s, niederbückend, allzugleich
„Was wir versäumt an Theseus zu erfüllen.“[100]
55
„Wende dich um, die Augen schließe gleich!
Wenn sie bei Gorgo’s Anblick offen ständen,
Du kehrtest nimmer in des Tages Reich!“
58
Er sprach’s und eilte, selbst mich umzuwenden
Verließ sich auch auf meine Hände nicht,
Und schloß die Augen mir mit seinen Händen.
61
Ihr, die erhellt gesunden Geistes Licht[101],
Bemerkt die Lehre, die, vom Schlei’r umzogen,
In sich verbirgt dies seltsame Gedicht.
64
Schon kam’s inmitten jener trüben Wogen
Mit Dröhnen eines Donners voll von Graus,
Erschütternd beide Ufer, hergezogen!
67
Nicht anders war’s, als wie des Sturm’s Gebraus –
Wenn Glut mit Kühlung ringt sich auszugleichen –
Den Wald zerpeitscht, die Aeste reißt heraus,
70
[53] Sie hinwirft und die Blüten raubt den Zweigen,
Und wälzt sich stolz in Staubeswirbeln vor,
Daß Hirt’ und Heerden schreckensvoll entweichen.
73
Die Augen löst er mir. „Jetzt schau empor,
Dorthin, wo du den schärfsten Rauch entquellen
Dem Schaume siehst auf diesem alten Moor.
76
Wie Frösche, sich zerstreuend, durch die Wellen
Vor ihrem Feind, der Wasserschlange, fliehn,
Bis sie am Strand in Schaaren sich gesellen,
79
So sah ich schnell, als Einer dort erschien,
Das Thor von den zerstörten Seelen leeren,
Und ihn mit trocknem Fuß den Styx durchziehn.
82
Er schien den Qualm vom Antlitz abzuwehren,
Vor sich bewegend seine linke Hand,
Und dieser Dunst nur schien ihn zu beschweren.
85
Ich sah’s, er sei vom Himmel hergesandt.
Zum Meister kehrt’ ich mich, doch auf ein Zeichen,
Neigt’ ich mich schweigend, Jenem zugewandt.
88
Mir schien er einem Zornigen zu gleichen.
Er kam zum Thore, das sein Stab erschloß,
Und ohne Widerstreben sah ich’s weichen.
91
„O ihr verachteter, vestoßner Troß!“
Begann er an dem Thor, dem schreckenvollen,
„Woher die Frechheit, die hier überfloß?
[54]
94
Was seid ihr wiederspenstig jenem Wollen,
Das nimmerhin sein Ziel verfehlen kann?
Wird Er die Qual, wie oft, euch mehren sollen?
97
Was kämpft ihr gegen das Verhängniß an,
Obwohl eu’r Cerberus, ihr mögt’s bedenken,
Mit kahlem Kinn und Halse nur entrann?“
100
Dann sah ich ihn zurück die Schritte lenken.
Uns sagt’ er nichts, und achtlos ging er fort,
Als müss’ er ernst auf andere Sorgen denken,
103
Als die um kleine Ding’ am nächsten Ort.
Worauf wir beide nach der Festung schritten,
Nun völlig sicher durch das heil’ge Wort.
106
Auch ward der Eingang uns nicht mehr bestritten;
Und, ich, des Wunsches voll mich umzusehn
Nach dieser Stadt Verhältniß, Art und Sitten,
109
Ließ, drinnen kaum, das Aug’ im Kreise gehn,
Und rechts und links war weites Feld zu schauen,
Von Martern voll und ungeheuren Weh’n.
112
Gleichwie wo sich der Rhone Wogen stauen,
Bei Arles, und bei Pola dort am Meer,
Das Welschland schließt, und netzt der Grenze Gauen,
115
Grabhügel sind im Lande rings umher,
Wo auf unebnem Grunde Todte modern;
So hier, doch schreckte dieser Anblick mehr;
118
Denn zwischen Gräbern sieht man Flammen lodern,[102]
Und alle sind so durch und durch entflammt,
Daß Künste keine mehr vom Eisen fodern.[103]
121
[55] Halb offen ihre Deckel allesammt,
Und draus erklingen solche Klagetöne,
Daß man erkennt, wer drinnen, sei verdammt.
124
„„Wer, Meister,““ fragt’ ich, „„sind die Unglückssöhne,
Die, hier begraben, sonder Ruh noch Rast
Vernehmen lassen solch’ ein Schmerzgestöhne?““
127
Und Er: „Hauptketzer hält der Ort umfaßt,
Und die den Sekten angehangen haben,
In größrer Zahl als du gerechnet hast.
130
Denn Gleiche sind zu Gleichen hier begraben,
Und mehr und minder glüht jedwedes Maal.“
Er sprach’s, worauf wir rechtshin uns begaben,
133
Fortschreitend zwischen hoher Mau’r und Qual.
_______________
Zehnter Gesang.
VI. Kreis, Fortsetzung. — Farinata, Cavalcante, Friedrich II.
1
Fort ging nun, hier die Mauer, dort die Pein,
Auf still verborgnem Pfad der edle Weise,
Er mir voraus und ich ihm hinterdrein.
4
„„Der du mich führst durch die verruchten Kreise,““
Sprach ich, „„ich wünsche, daß, wenn dir’s gefällt,
[56]
Dein Wort auch ferner hier mich unterweise.
7
Darf man die sehn, die jedes Grab enthält?
Die Deckel, offen schon, sind nicht dawider,
Auch ist zur Wache Niemand aufgestellt.““
10
„Jedweder Deckel sinkt geschlossen nieder,“
Sprach Er, „wenn sie gekehrt von Josaphat,[104]
Mitbringend ihre dort gelassnen Glieder.
13
Wiss’, Epicurus liegt an dieser Statt,
Sammt seinen Jüngern, die vom Tode lehren,
Daß er so Seel’ als Leib vernichtet hat.
16
Befriedigung soll also dem Begehren,[105]
Daß du entdecktest, dies Begräbniß hier,
So wie dem Wunsch, den du verschwiegst, gewähren.“
19
Und ich: „„Mein Herz verberg’ ich nimmer dir,[106]
Nur redet’ ich in bündig kurzem Worte,
Und nicht nur jetzt empfahlst du solches mir.““
22
„Toscaner, du, der lebend durch die Pforte
Der Feuerstadt, so ehrbar sprechend, drang,
Verweil’, ich bitte dich, an diesem Orte.
25
O, ich erkenn’ an deiner Sprache Klang,
Du seist dem edlen Vaterland entsprungen,
Dem ich, ihm nur zu lästig, auch entsprang.“
28
Urplötzlich war dies einem Sarg entklungen,
Drum trat ich etwas näher meinem Hort,
Denn wieder war mein Herz von Furcht durchdrungen.
31
„Was thust du? Wende dich!“ rief er sofort,
[57] „Sieh grad’ empor den Farinata ragen,[107]
Vom Gürtel bis zum Haupte sieh ihn dort!“
34
Ich, auf sein Angesicht den Blick geschlagen,
Sah, wie er hoch mit Brust und Stirne stand,
Als lach’ er nur der Höll’ und ihrer Plagen.
37
Mein Führer, der mich schnell an muth’ger Hand
Durch Gräberreih’n bis zu ihm hin genommen,
Sprach: „Was er fragt, das mach’ ihm klar bekannt.“
40
Er sah mich, als ich bis zum Grab gekommen,
Ein wenig an. „Wer deine Väter? sprich!“
So fragt’ er mich und schien von Zorn entglommen.
43
Gern fügt’ ich dem Befehl des Meisters mich,
Ihm alles unverstellt zu offenbaren,
Da hoben etwas seine Brauen sich.
46
Er sprach darauf: „Furchtbare Gegner waren
Sie meinen Ahnen, mir und meinem Theil,
Und zweimal drum vertrieb ich sie in Schaaren.[108]
49
„„Wenn auch vertrieben, kehrten sie in Eil,““
Sprach ich, „„zweimal zurück von ihrem Fliehen
Doch nicht den Euren war die Kunst zum Heil.““[109]
52
Hier hob’ das Haupt aus seines Grabes Glühen
Ein andrer Schatten plötzlich bis zum Kinn,[110]
Empor sich raffend, schien es, auf den Knieen.
[58]
55
Er blickt’ um mich nach beiden Seiten hin,
Als woll’ er sehn, ob Jemand mich begleite,
Doch floh der Irrthum bald aus seinem Sinn,
58
Und weinend sprach er dann: „Wenn dein Geleite
Des Geistes Hoheit ist durch diese Nacht,
Wo ist mein Sohn? warum nicht dir zur Seite?“ –
61
„„Nicht eigner Geist hat mich hierher gebracht.[111]
Der dort harr’, führte mich ins Land der Klagen,
Dein Guido hatte sein vielleicht nicht Acht.““
64
So ich – beim Wort und bei der Art der Plagen
Könnt’ ich wohl seines Namens sicher sein,
Und drum ihm auch so sicher Antwort sagen.
67
Schnell richtet’ er sich auf mit lautem Schrei’n:[112]
„Er hatte, sagst du? ist er nicht am Leben.
Saugt nicht sein Auge mehr den süßen Schein?“
70
Und da ich nun, statt Antwort ihm zu geben,
Noch zauderte, so fiel er rücklings hin,
Um fürder sich nicht wieder zu erheben.
73
Doch jener Andre mit dem stolzen Sinn,
Der mich gerufen, blieb auf seiner Stätte,
Starr, ungebeugt und trotzig wie vorhin.
76
Dann, neu verknüpfend seiner Rede Kette:
„Ward jene Kunst zu Theil den Meinen nicht?
[59] Dies martert mehr mich noch als dieses Bette.
79
Doch wird nicht funfzigmal sich das Gesicht[113]
Der Herrin dieses Dunkels neu entzünden,
So wirst du fühlen dieser Kunst Gewicht.
82
Sprich, willst du je zurück aus diesen Gründen,[114]
Wie gegen mein Geschlecht mag solche Wuth
Das Volk in jeglichem Gesetz verkünden?“
85
Ich sprach: „„Das große Morden ist’s, das Blut,
Das rothgefärbt der Arbia klare Wogen,
Das eu’r Geschlecht mit solchem Fluch belud.““
88
Er seufzt’ und schüttelte das Haupt: „Vollzogen
Hab’ ich allein nicht diese blut’ge That,
Und Alle hat uns trift’ger Grund bewogen.
91
Doch ich allein war’s, der dem grausen Rath:
Es müsse bis zum Grund Florenz verschwinden,
Mit offnem Angesicht entgegentrat.“
94
„„Soll euer Same jemals Ruhe finden,““
So sprach ich bittend, „„löst die Schlingen hier,
Die noch, mein Urtheil hemmend, mich umwinden.
97
Versteh’ ich recht, so scheint es wohl, daß ihr
Erkennen mögt, was künft’ge Zeiten bringen,
Doch mit der Gegenwart scheint’s anders mir.““
100
Er sprach: „Uns trägt der Blick nach fernen Dingen,
Wie’s öfters wohl der schwachen Sehkraft geht,[115]
Denn soweit läßt der höchste Herr uns dringen.
[60]
103
Doch naht sich und erscheint, was wir erspäht,
Weg ist das Wissen, und nur durch Berichte
Erfahren wir, wie’s jetzt auf Erden steht.
106
Darum begreifst du: einst beim Weltgerichte,
Wenn sich der Zukunft Thor auf ewig schließt,
Ganz wird dann unser Willen sein zu nichte.“
109
Drauf ich: „„Wie jetzt mein Fehler mich verdrießt![116]
O sagt dem Hingesunknen, Trostentblößten,
Daß noch sein Sohn das heitre Licht genießt.
112
Und war ich vorhin säumig, ihn zu trösten,
So sagt ihm, daß ich Raum dem Irrthum gab,
Den eben jetzt mir eure Worte lösten.““
115
Hier rief mein Meister schon mich wieder ab,
Drum bat ich schnell den Geist, mir zu erzählen,
Wer noch verborgen sei in seinem Grab.
118
Er sprach: „Hier liegen mehr als tausend Seelen,
Der Kardinal, der zweite Friederich,[117]
Und Andre, die’s nicht Noth thut, aufzuzählen.“
121
Und er versank, ich aber kehrte mich
Zum alten Dichter, jene Red’ erwägend,
Die einer Unglücks-Prophezeiung glich.[118]
124
Er aber ging und sprach, sich vorbewegend,
Zu mir gewandt: „Was bist du so verstört?“
Ich that’s ihm kund, die Angst im Herzen hegend.
127
„Behalte, was du Widriges gehört,“
Sprach mit erhobnem Finger jener Weise,
„Und merk’ jetzt auf, daß dich kein Trug bethört.
130
[61] Bist du dereinst in Ihrem Strahlenkreise,
Die mit dem schönen Auge Alles sieht,
Dann deutet sie dir deine Lebensreise.“
133
Nun ging es links ins höllische Gebiet,
Um von der Mau’r der Mitte zuzuschreiten,
Wo sich der Pfad nach einem Thale zieht,
136
Von dem Gestank und Qualm sich weit verbreiten.
Dante Alighieri / Die Komödie, oder auch die Göttliche Komödie
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