Plattentalk mit Yadgar, Folge 3: Zara-Thustra - Psychopoly
Am 22. Dezember 1983 kaufte ich mir das neue Album »Psychopoly« von Zara-Thustra, diesmal in Erwartung meines Weihnachtsgeschenks, jenes legendären Ghettoblasters Sharp GF-7300, schon als Cassette. Erst mit »Psychopoly« wurde ich wirklich zum definitiven Zara-Thustra-Fan - nachdem ich im Spätsommer 1983 bereits zwei Titel daraus, nämlich »Halali« und »Es fiel ein Traum« (letzters damals anmoderiert als »das Kunstlied«), im Kinder/Jugend-Nachmittagsprogramm des ZDF hören konnte.
Im damaligen Interview erklärten Zara-Thustra ihren Bandnamen mit ihrer nicht weiter spezifizierten »Botschaft«, die sie überbringen wollten - der reale Zarathustra (wobei jetzt weiterhin nicht klar war, ob der altiranische oder der von Nietzsche gemeint war) habe ja ebenfalls eine Botschaft gehabt...
Über »Psychopoly« kann man vorweg sagen, dass die Produktion erheblich ausgewogener klingt als auf »Eiskalt«; außerdem hat sich jetzt nach dem definitiven Ende der Neuen Deutschen Welle die Neoromantik, der »Wagnerpop« endgültig gegen die NDW-Anwandlungen durchgesetzt.
Und es beginnt auch gleich denkbar monumental: mit »Ad libitum«. Langes Pauken-Crescendo, bombastisches Kirchenorgel-Intro, kontrastiert mit synthetischen Bläsern, das dann mit Schlagzeug wiederholt wird... Nach den ersten zwei Strophen wird in der Bridge das Intro aufgegriffen (»sie zünden Feuer, der Himmel erscheint fahl« - hier wieder die gleichermaßen zara-thustrische wie zarathustrische Feuer-Symbolik!), gefolgt von (natürlich) einem Waldhorn-Solo, noch einmal der Refrain, schließlich ein grandioses Finale, dröhnende verminderte Orgelakkorde, dazu die Synth-Bläser... schon bei ersten Hören war ich völlig hin und weg, ein fantastischer Auftakt für ein vielversprechendes Album - und, soviel kann ich schon sagen, das Versprechen wird nicht enttäuscht!
Es versteht sich fast von selbst, dass auch die 2015 endlich auf CD erschienene »Best of«-Compilation von Zara-Thustra mit »Ad libitum« beginnt... und auch in mein damaliges Heimorgel-Repertoire an der GEM Wizard 327 L ist es eingegangen (vielleicht sollte ich es mal bei Gelegenheit mit der Technics SX-G5 (Endlich Oberklasse! 49er Manuale! Achtchörig!) und selbst programmiertem Schlagzeug aus dem Yamaha SY-55 neu einspielen... wie komme ich preiswert an ein Achtspur-Mischpult?)
Es folgt eine ausgesprochen romantische (verminderte Akkorde!) Ballade, »Dornröschen« - zurückhaltendes Schlagzeug, statt des Waldhorns hört man im Mittelteil eine jazzige Orgel, die in diesem Fall durchaus eine echte Hammond sein dürfte. »Dornröschen« hatte sogar etwas Airplay auf WDR 2, irgendwann im Januar oder Februar 1984 hatte ich es freitagabends einmal gehört.
1987, bereits im Übergang zwischen Zara-Thustra und Zara, gab es noch eine englische Version namens »Sleeping Beauty« auf der B-Seite der Maxi-Single »Head Over Heels«. Auch von »Dornröschen« gibt es eine Teenie-Yadgar-Highmorgel-Version von 1984...
Als dritter Titel dann »Psychopoly«, Titelstück und weiterer Höhepunkt des Albums... es beginnt mit ganz allmählich einsetzenden wirbelnden Sequenzer-Streichern, zu denen ich eine mächtige Bassfigur gesellt, die schließlich in einem Wagnerschen (oder Weberschen? Romantik-Experten sind gefragt!) Bombast-Auftakt mündet. Die sodann folgenden beiden Strophen sind vergleichsweise poppig arrangiert, Clemens Weindorfs Waldhorn akzentuiert mit kurzen Ornamenten, der Refrain (»Psychopoly, Psychopoly... Würfel fallen im Seelenspiel« - das Cover des Albums mit den beiden Kartenspielern im Vordergrund und den in ockerfarbenem Dämmerlicht versunkenen orientalischen Palästen bezieht sich auf diesen Text, vergleiche auch »Auf gold'nen Kuppeln stand/Ein Lied so wohlbekannt« am Ende der zweiten Strophe) wirkt fast schlagerhaft - möglicherweise spekulierte man hier auf eine Hit-Single, tatsächlich ausgekoppelt wurde aber dann »Halali« (mit »Dornröschen« auf der B-Seite). Der Refrain endet jeweils mit einer markanten Waldhornfigur mit unvermeidlichem verminderten Akkord, später gibt es einen Instrumentalteil, wo sich Waldhorn und Synthesizer sozusagen im Wechselgesang befinden. Das Ende wird durch eine gedehnte Variante der eben erwähnten Refrain-Endfigur markiert, die in die langsam verklingenden Sequenzer-Streicher vom Anfang mündet.
Der letzte Titel der A-Seite, »Massa Massa« fällt sowohl textlich als auch musikalisch völlig aus dem Rahmen des bislang von Zara-Thustra Bekannten: mit seinem durchlaufend-monotonen, fast hypnotischen Rhythmus (hier kam bezeichnenderweise als siebter Musiker der marokkanische Perkussionist Said Benimas hinzu) eindeutig afrikanischen Charakter, ebenso der düstere, nahezu rap-artige Sprechgesang, der nicht nur von »Bwana! Bwana!«, sondern auch von »Götzenbildern überm Sofa«, »Göttern in jedem Blatt« und sogar von »Marihuana!« erzählt. Zara-Thustra goes Weltmusik? Gut möglich... aber nichtsdestotrotz kommt sogar hier das Waldhorn ausgiebig zum Einsatz, und zwar sowohl als flankierende Figur zum Refrain wie auch mit einem kanonartigen Solo (Mehrspurtechnik machts möglich!), kontrastierend mit dem vom Saxophon gespielten Hauptthema. An das Hornsolo schließt sich eine wahre Schlagwerk-Orgie an, wo die nunmehr drei (!) Schlagzeuger zeigen, was sie können, bevor »Massa Massa« mit der dritten Strophe und nochmaligem Refrain zum Abschluss kommt.
Die B-Seite beginnt mit dem bereits erwähnten »Halali«; nach dem einleitenden Hornsignal setzt ein treibender Rhythmus ein, der das Stück zügig voranbringt, nach der ersten Doppelstrophe plus Refrain dann ein durch mehrere Tonarten wanderndes Hornsolo, das nach der letzten Strophe zum hymnisch-getragenen Ausklang variiert wird - in letzter Zeit ist die These aufgekommen, dass die (ja in der selben Stadt wie Zara-Thustra beheimatete) Münchener Freiheit bei der Orchesterfassung von »Solang man Träume noch leben kann« von eben diesem Halali-Schluss inspiriert worden sei (Zara-Thustra: Best Of Zara-Thustra (Review/Kritik) - Album-Rezension (Von NDW bis Prog und wieder zurück))... abwegig ist dies keineswegs, allerdings kann ich über etwaige Musiker- oder Produzentenbekanntschaften zwischen der Münchener Freiheit und Zara-Thustra zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts sagen.
Es folgt »Des Königs Geleit«, eine instrumentale Collage aus Orchester-Schlagwerk, Synthesizerklängen und Glockenspiel.
Dann »Es fiel ein Traum«, das eingangs erwähnte »Kunstlied«: zu sparsamer Klavierbegleitung lässt Berthold Weindorf wie bereits auf »Eiskalt« in »Halali« zwei Strophen lang seine klassisch geschulte Tenorstimme erklingen, so dass Assoziationen mit etwa Franz Schubert nicht gerade weit hergeholt sind. Es folgt dann allerdings ein wahrer Saxophon- und Synthesizer-Höhenflug (unter Verwendung der Gesangsmelodie), mit dem Zara-Thustra beweisen, dass sie auch ganz ohne Waldhorn (dieses schweigt nämlich in »Es fiel ein Traum« durchgehend) hochromantisch klingen können.
Das nächste Stück, »Simsalabim« erscheint mir als einziges auf »Psychopoly« eher entbehrlich, es plätschert nämlich reichlich unscheinbar und mainstream-poppig dahin, auf grandiose Instrumentalparts wartet man vergebens. Auch wenn 1983 das Thema Neue Deutsche Welle endgültig abgefrühstückt war: etwaige Restbestände von NDW-Ästhetik verbergen sich auf »Psychopoly« am ehesten hier... aber was heißt das schon angesichts von »Ad libitum«, »Psychopoly« oder »Halali«?
Schließlich »Stille«. Hermann Weindorf verarbeitete hier textlich den unerwarteten Tod seiner Ehefrau während der Produktion von "Psychopoly, entsprechend zurückhaltend und getragen beginnt das Stück, steigert sich aber dann von Strophe zu Strophe bis zu einer Hymne mit (Kirchen-)Orgelbegleitung, bis es dann mit Synthesizerflächen und improvisierendem Saxophon ausklingt.
Alles in allem: ein beeindruckendes Album, vielleicht sogar DAS Zara-Thustra-Album schlechthin... aber da gab es ja auch noch »Ritter der neuen Zeit« von 1985! Dies wird allerdings erst in fernerer Zukunft Thema im Plattentalk sein...
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