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Pferdschaf, am 24.10. 2018 um 14:54:34 Uhr
Wunderland

So gehen in stillem, nie endenden Zug die kleinen braunen Menschen dahin, einige Männer bevorzugen die hässliche, doch bequeme Samtmütze in Form eines Fez. Die Strohdächer ihrer Behausungen erinnerten mich immer an schlecht gekämmte Kinderköpfe. Scharen kleiner brauner Kinder, nackt oder mit einem spärlichen Hemdchen bekleidet- wie Fliegen kamen sie von allen Seiten auf mich zu. Noch genügt der nach europäischen Begriffen geringe Lohn, um alle zu ernähren. Java, der Kern Holländisch-Indiens, das ein Meisterstück unserer Kolonisation ist, ist zum Sorgenkind Indiens geworden, infolge der ungeheuren Bevölkerungszunahme. Die Weissen - es leben ihrer
200.000 inmitten der 42 Millionen brauner Menschen- gehen so gut wie nie zu Fuss. Rikschas sind in den holländischen Kolonien schon seit langem von den Weissen abgeschafft. Der Weisse eilt in seinem Auto über die schönen breiten Strassen, er ist sportlich veranlagt, so lenkt er seinen Wagen selbst. Doch nur wenige verzichten in diesem heissen Klima auf die Bequemlichkeit sich einen Chauffeur zu halten, den man zum Reinigen und Pflegen des Wagens doch nötig hat. Drei Jahrhunderte Kolonisationsarbeit haben Holländer und Javaner zu einer vortrefflich organisierten Gemeinschaft gemacht. Ein Holländer, der eben erst nach Indien herausgekommen ist, lernt von seinen erfahrenen Landsleuten, wie er mit den Bedienten und Arbeitern umzugehen hat, wie er sie behandeln muss, und wie er sie nicht behandeln darf. Die unzähligen Djongos (Bedienten) des Hotel warteten ruhig, bis die Holländer nach dem Tanz atemlos in ihre Stühle sanken und aufs neue Whisky- und Sodas und Gefrorenes begehren würden. Nicht weniger als die Freude meiner Landsleute, fesselte mich die Art, wie die Eingeborenen darauf reagierten: bewegungslose Ruhe lag auf all diesen dunklen Gesichtern, in denen sich kein Muskel verzog. Denn wie sollte ein Eingeborener, dessen grösster Genuss darin besteht, in völliger Ruhe auf einem kühlen Fleckchen zu hocken und still vor sich hinzustarren, wie sollte ein solcher Eingeborener den weissen Mann begreifen, der ohne dazu genötigt zu sein, in der heissesten Stunde eines Feiertages sich in Schweiss hineinarbeitete und tanzte ? Vierzehn Tage später wohnte ich in Bali einer grossen Leichenverbrennung bei, ich war halb angeekelt. Jeder Holländer hat Dienstboten genug, die die weissen Herrenanzüge und die einfachen hellen Damenkleider waschen und plätten, so dass immer genügend Vorrat da ist, um sich- nötigenfalls viermal am Tag- umzuziehen. Auf Sumatra haben heutzutage fast alle grossen Unternehmen ein eigenes Krankenhaus. Die europäischen Frauen können dort entbinden und werden samt dem Säugling verpflegt, bis sie wieder kräftig genug sind, in ihr Heim, in die Wildnis zurückzukehren. Und täglich um sechs Uhr wurde mir in den Hotels, wo ich übernachtete, oder bei Freunden, wo ich zu Gaste war, vom eingeborenen Diener die Tasse Tee oder Kaffee gebracht, mit der jeder Holländer in Indien den Tag beginnt. Und auf einmal geschieht etwas Merkwürdiges: wie auf ein Zeichen hin werfen die Kleinen ihre schmutzigen Hosen und Hemden weg und die ganze Bande rennt jauchzend ins Wasser. Sie bitten uns Kupfermünzen ins Wasser zu werfen, nach denen sie dann mit unglaublicher Geschwindigkeit hinabtauchen, schnell wie die Ratten schwimmend. Ach, warum vergönnt das Christentum, das doch die Kinder liebt, den indischen Kindern nicht, so herumzulaufen, wie Gott sie geschaffen hat ? Eine Tabakpflanze braucht 55 Tage, um sich voll zu entwickeln. Auf der Plantage, die ich besuche, sind die glänzendgrünen Blätter gerade eingeerntet. Die kleinen Pflanzen werden behütet, verzärtelt und beschirmt wie Millionärskinder. Jeder auf der Plantage, der erste Direktor wie der jüngste Angestellte, hat während dieser 55 Tage in Hochspannung gelebt. Denn bald, bei den Versteigerungen in Amsterdam, wo die amerikanischen, deutschen und französischen Fachleute das Sumatra-Deckblatt kaufen, wird alles entdeckt wie mit Argusaugen, selbst der kleinste Fehler in Farbe und Beschaffenheit!


Textstellen aus »Erlebtes und Erschautes aus Niederländisch-Indien« von Jo van Ammers-Küller, holländische Schriftstellerin, Reisebericht aus dem Jahr 1938


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