Die Weigerung des Richters auf Probe Wattenberg, im Gericht grundsätzlich Anzug und Kravatte zu tragen, war nicht das einzige, mit dem Wattenberg unangenehm im Verwaltungsgericht aufgefallen war. So erklärte er alsbald seinem Kammervorsitzenden unverblühmt, in dem Kellerloch - er hatte wirklich wörtlich »Kellerloch« zu seinem Dienstzimmer gesagt - könne er nicht ernsthaft juristisch arbeiten, würde also - ausser an den Terminstagen - grundsätzlich zuhause arbeiten wollen, und hatte sich ausdrücklich auf seine richterliche Unabhängigkeit berufen. Es hatte sich eine Reihe von Besprechungen angeschlossen: mit dem Kammervorsitzenden, in den Kammerberatungen, mit dem Vizepräsidenten, dem Vorsitzenden des Richterrates und des Personalrates. Man hielt Wattenberg eindringlich entgegen, daß man zwar keine förmliche Anordnung treffen wolle, es jedoch für einen geordneten Geschäftsgang höchst förderlich sei, wenn auch der Richter auf Probe Wattenberg an Werktagen grundsätzlich an der Gerichtsstelle erreichbar wäre, etwa für die recht häufigen Eilfälle in den zahllosen Asylverfahren, die das Verwaltungsgericht seinerzeit zu bewältigen hatte. Sein nach der Geschäftsordnung vorgesehener Stellvertreter würde dadurch unverhältnismässig stark belastet werden. Wattenberg erklärte sich daraufhin schriftlich bereit, bei der nächsten turnusmässigen Festlegung der internen Verteilung in der Kammer zugunsten dieses Kollegen ein beliebiges Mehr an einzelnen Verfahren zu übernehmen. Der Kammervorsitzende hielt dagegen, daß es unmöglich sei, dies hinreichend genau zu quantifizieren, und der nach der Geschäftsordnung zur Stellvertretung von Wattenberg verpflichtete Kammerkollege Wattenbergs behandelte diesen sodann mit schneidender Eisigkeit, der sich die Kammerkollegen nach und nach anzuschließen begannen. Wattenberg unterdessen fuhr fort, die Berge von Akten aus seinem Kellerbüro an den Terminstagen zu Dienstschluß in einer Reihe von Aktenkoffern mit Rollen, die Wattenberg selbst angeschafft hatte, in den Kofferraum seines Golf-Diesel zu verladen und aus diesem am darauffolgenden Terminstag wieder ins Gerichtsgebäude zu schleppen. Die Mengen waren erstaunlich - nötigten sogar dem Kammervorsitzenden Wattenbergs einen gewissen Respekt ab: nach kaum einen halben Jahr waren die Aktenberge aus dem Kellerbüro Wattenbergs hinweggeschmolzen gewesen. Bei jeder Kammerberatung entfiel immer mehr und mehr Zeit auf die Vorträge von Wattenbergs Entscheidungsvorschlägen, gegen die die Kritik seiner Kammerkollegen auch immer leiser wurde. Wattenberg war ein tüchtiger Jurist - das mußte man ihm lassen. Er fiel auch dadurch positiv auf, daß er wiederholt in den Verhandlungen durch Vergleichsvorschläge auf sich aufmerksam machte, die recht häufig von den Parteien sogar akzeptiert wurden. Das tat Wattenberg nicht nur in den Fällen, die ihm als »Berichterstatter« zugeordnet waren, sondern auch dann, wenn ihm die Akten vor dem Verhandlungstermin völlig unbekannt waren. Dadurch ersparte Wattenberg immer wieder einigen seiner Kollegen die Abfassung der entsprechenden Urteile. Das mußte man ihm zugute halten.
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