Wattenberg kritzelte ein paar Worte auf einen Zettel, und schob ihn dem neben ihm sitzenden Vorsitzenden zu. Dieser hob die Augenbrauen, verkündete eine Unterbrechung der Sitzung, und raunte Wattenberg zu, ihm in sein Dienstzimmer zu folgen. Der Rest des Gerichts wartete im Beratungszimmer. Der Vorsitzende bot Wattenberg einen Stuhl an, setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Er sprach zunächst nichts, und sah Wattenberg an. Unverständnis, Ablehnung und eine gewisse Ratlosigkeit sprachen aus dem Blick des älteren Richters. Auch Wattenberg sagte nichts. Die beiden Richter sahen sich schweigend an. Dann ergriff der Vorsitzende streng das Wort: »Herr Kollege Wattenberg ! Über Ihr ... äh ... Privatleben steht mir natürlich kein Urteil zu. Es wäre aber schön gewesen, wenn Sie etwas früher hätten Mitteilen können, daß sie mit dem Kläger ... äh ... eine sexuelle Beziehung unterhalten, meinen Sie nicht ?« Wattenberg spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht strömte. »Das ging leider nicht. Ich ... äh ... kannte den Namen von dem jungen Mann nicht.« Das Gesicht des Vorsitzenden krümmte sich zu einem Fragezeichen. »Wie bitte?« Wattenberg bemühte sich um eine feste Haltung. Er habe eben nur einem Sex mit dem Kläger gehabt, keine Beziehung. Der Vorsitzende fand keine Worte, und sah mit versteinertem Gesichtsausdruck zum Fenster hinaus. »Es ist halt so.« sagte Wattenberg etwas halblaut. Ob er das wirklich richtig verstanden habe, bohrte der Vorsitzende nun nach: Wattenberg habe - als Richter ! - mit einem Ausländer »Verkehr gehabt« (so nannte es der Vorsitzende wörtlich) ohne auch nur dessen Namen zu kennen ? Wattenberg nickte. Wie man sich das denn wohl vorzustellen habe ? Wattenberg erklärte, sich darüber nicht auslassen zu wollen. Die Tatsache an sich genüge ja wohl für seine Befangenheit. Das konnte der Vorsitzende nicht bestreiten. »Sie werden eine dienstliche Erklärung abgeben müssen - in der Sitzung ! In aller Öffentlichkeit !« Wattenberg nickte. Das werde nicht ohne Folgen bleiben können, versetzte der Vorsitzende. »Und warum?« Wattenberg stellte sich dumm. Weil man von einem Richter wohl erwarten könne, daß er nicht mit jemanden ins Bett gehen würde, ohne noch nicht einmal seinen Namen zu kennen ! Ein Richter sei auch ausserdienstlich verpflichtet, sich der Würde seines Amtes entsprechend zu verhalten ! Wattenberg wollte wissen, wieso es die Würde eines Richters verlange, seine Sexpartner vor dem Sex nach ihrem Namen zu fragen. Da schlug der Vorsitzende mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch. »Also ... das ist doch ...« Wieder fand der Vorsitzende keine Worte mehr.
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