Deutschland und die irakischen Massenvernichtungswaffen
Florian Rötzer 18.02.2003
Seit kurzem mehren sich Berichte über deutsche Verwicklungen, mangelnde
Risikoaufklärung durch die Regierung oder jetzt die Lieferung von
Natriumcyanid an Nordkorea
Möglicherweise kommt die Haltung der deutschen Regierung in Bezug auf den
Irak-Konflikt durch einige kürzlich bekannt gewordene Informationen unter Druck -
oder zumindest Verdacht. Da ist die von der FAZ aufgebauschte Meldung über das von
der Bundesregierung verharmloste Risiko eines Anschlags mit Pockenviren aus dem
Irak. Da sind die vom CSU-Kanal Report München gesendeten Informationen über den
Verkauf von mobilen Labors an den Irak in den 80er Jahren. Und da sind aus
US-Geheimdiensten stammende Informationen, dass Nordkorea mehrere Tonnen
Natriumcyanid von Deutschland importiert habe, das man auch zur Herstellung des
Nervengases Sarin verwenden könne.
Auffällig ist es schon, dass diese Informationen schnell aufeinander just zur Zeit in die
Öffentlichkeit gelangen, als mit der deutsch-französischen Initiative die amerikanische
Position an Rückhalt verlor und nun auch die EU wieder zu einer gemeinsamen
Kompromissposition gefunden hat. Ließe sich nachweisen, dass Deutschland irgendwie über
die bereits bekannten Informationen hinaus in die Herstellung von Massenvernichtungswaffen
im Irak verwickelt sei, dann könnte man der Regierung eher Interessen unterstellen, die ihrem
Einspruch gegen einen Krieg zugrunde liegen könnten.. Dass Firmen aus vielen Ländern, auch
aus den USA und Großbritannien, den Irak noch bis in die 90er Jahre hinein mit Techniken
und Materialien für sein Rüstungsprogramm beliefert haben ( Saddam Hussein und die
Bundestagsdrucksache AZ V B4-296-92-VS), ist freilich ebenso lange bekannt wie die
Tatsache dokumentiert ist, dass gerade aus der USA Ende der 80er Jahre noch Materialien in
den Irak kamen, die zur Herstellung chemischer und biologischer Waffen dienen können,
beispielsweise Kulturen von Anthrax- und Pesterregern ( Der Irak, die USA und die
Massenvernichtungswaffen).
Es wird zwar kaum jemand ernsthaft glauben, dass die rot-grüne Regierung aktiv das
Hussein-Regime unterstützten will, aber für leicht beeindruckbare Zeitgenossen, die
Medienberichte nicht hinterfragen, könnte doch dieser Eindruck entstehen, dass es hier etwas
zu verbergen geben könne. Was die angebliche Vertuschung der Gefahr durch Anschläge mit
Pockenviren aus dem Irak betrifft ( Die Pocken am Frühstückstisch), so kann man davon
ausgehen, dass es keine wirklichen Kenntnisse über einen Besitz von Pockenviren im Irak gibt
(deswegen lässt sich dies natürlich aber auch nicht ausschließen). Auch der BND hat
bestätigt, keine solchen Kenntnisse zu besitzen. Bekannt ist schon lange, dass man im Irak mit
Kamelpocken experimentiert hat, allerdings gibt es vermutlich nicht die Möglichkeit, diese so
zu verändern, dass sie sich wie Menschenpocken verhalten, erklärte Reinhard Kurth, der
Präsident des Robert-Koch-Instituts. Kurth geht überdies von keinem erhöhten Risiko aus:
"Wir beim Robert-Koch-Institut gehen - ebenso wie der Bundesinnenminister - von einem
sehr, sehr geringen Restrisiko aus. Wir haben keine neuen Erkenntnisse, die anzeigen
würden, dass sich die Pockengefahr in der letzten Zeit erhöht hätte."
Vor kurzem hatten erst auch britische Wissenschaftler davor gewarnt, die Wirkung von
Bio-Waffen zu übertreiben. Die Folge der dadurch ausgelösten Hysterie sei vermutlich größer
als ein Einsatz von biologischen Waffen. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass
Pocken sich nicht so schnell ausbreiten und Millionen von Menschen infizieren können, wie
dies in manchen Bedrohungsszenarien geschildert werde. Auch die Folgen von Anschlägen
mit chemischen Kampfstoffen wie Sarin würden weitaus übertrieben dargestellt.
Was die von Hans Branscheidt gegenüber Report München berichtete Lieferung der mobilen
Labors aus Deutschland an den Irak betrifft, so dürfte dies zwar, falls sich das bestätigen
sollte und falls diese tatsächlich für die Herstellung von biologischen Waffen verwendet
wurden/werden, für die US-Regierung erfreulich sein, die seit langem auf deren Existenz
hingewiesen hat. Sie wären dann offenbar nicht nur den Waffeninspektoren entgangen, sondern
mit ihrem heimlichen Betrieb hätte der Irak eine schwerwiegende Verletzung der
UN-Resolution begangen. Branscheidt, der bei Medico International arbeitet und seit
längerem für eine militärische Befreiung des Irak eintritt, sprach davon, dass Ende der 80er
Jahre mindestens acht dieser mobilen Labors an den Irak geliefert worden seien. Das habe er
einem Bericht der Bundesregierung an das Parlament aus dem Jahre 1991 entnommen. Warum
er aber nicht konkreter werden könne, bleibt vorerst sein Geheimnis.
Ob die Labors, die von nach Report München von einem Zeugen auch gesehen worden seien,
tatsächlich zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen dienten, ist erst einmal
Behauptung. Überdies habe, so Report München, "ein irakischer Geschäftsmann, der sich zur
Zeit in Dubai aufhält», gesagt, «dass die Komponenten für die mobilen Labors aus
Deutschland, Amerika, Schweden und der Schweiz stammen. Alle Exporte, so der
Report-Informant, 'seien von den jeweiligen Regierungen genehmigt worden'. Das geht dann
nicht nur die deutsche Regierung an, vor allem aber betrifft es die ehemalige Kohl-Regierung,
die dazu Stellung nehmen sollte und könnte.
Neu sind die Informationen von Brandtscheidt allerdings nicht. Er hatte die Waffengeschäfte
des Iraks mit vielen Ländern und vor allem Deutschland etwa in einem Artikel letztes Jahr
aufgelistet. Und dort war auch bereits die Rede von den mobilen Labors:
Dass von Pestiziden nur deklaratorisch die Rede war, ergibt sich aus der Tatsache einer
bezeichnenden Lieferung von »Kolb / Pilot Plant« nach Bagdad: Exportiert nach Samarra
wurde "eine Gaskammer, in der auch die Wirkung von chemischen Kampfstoffen an Hunden
und Katzen überprüft werden kann" (STERN, 10.12. 1987). In derselben Ausgabe des
»STERN« wird auch eine besonders brisante Lieferung erwähnt: "Rhein-Bayern lieferte an
die 'Karl Kolb' - und die wiederum an den Irak - 'acht mobile toxikologische Labors'":
Chemielabors in sandfarbenen Magirus-LKWs mit Klimaanlagen. Während das
Unternehmen sie als »normale chemische Labors« bezeichnete, charakterisierte sie der
C-Waffen Experte Adolf-Henning Frucht wie folgt: "Dieses Gerät ist hervorragend geeignet,
um taktische Gemische von verschiedenen chemischen Kampfstoffen bestimmen zu können"
(STERN, 29/1988).
Hier hatte Brandtscheidt die Informationen allerdings vorwiegend aus dem Stern. Der zitierte
Experte sprach allerdings nicht davon, dass in diesen Labors chemische und biologische
Waffen hergestellt werden können, sondern dass sie - auch dies ist militärisch wichtig - zur
Analyse von chemischen Kampfstoffen dienen. Von biologischen Waffen ist hier noch nicht
die Rede. US-Außenminister Powell sagte in seiner Rede vor der UN, dass die
Geheimdienste die Informationen über die mobilen Labors zur Herstellung von biologischen
Waffen von Überläufern hätten.
Deutsche Hilfe für chemische Waffenproduktion in Nordkorea?
Heute berichtete aber zudem die Washington Times unter dem Titel "Schiffe bringen Waffen
in und aus dem Land" von Erkenntnissen der US-Geheimdienste, dass der nordkoreanische
Frachter Sosan, der im Dezember von spanischen und amerikanischen Schiffen gestoppt
worden war und 15 offenbar gut versteckte Scud-Raketen für den Jemen an Bord hatte,
anschließend nach Deutschland gefahren sei und dort einige Tonnen an Natriumcyanid geladen
habe. Am Donnerstag sei es schließlich damit zur nordkoreanischen Hafenstadt Nampo
zurückgekehrt. Natriumcyanid sei ein dual-use-Material und könne zur Herstellung vieler
Dinge wie Pestizide oder Plastik verwendet werden, aber es sei auch notwendig zur
Produktion des Nervengases Sarin.
Zunächst hatte man in den USA unterstellt, der Frachter Sosan liefere die Scud-Raketen an den
Irak ( Nordkorea will den Irak-Konflikt ausbeuten). Doch dann hatte Jemen sich über die
Beschlagnahme beschwert und die Raketen verlangt. Die US-Regierung musste beigeben, da
sie auf den Jemen angewiesen ist. Doch seitdem hat sich der Nordkorea-Konflikt weiter
zugespitzt, nachdem das Regime zunächst eine stillgelegte Wiederaufbereitungsanlage, mit der
sich waffenfähiges Plutonium herstellen lässt, wieder aufgenommen wurde und seitdem das
Regime immer aggressiver gegenüber der US-Regierung auftritt. Die würde das Problem
zwar lieber dem UN-Sicherheitsrat anheimgeben, kann sich aber dem Konflikt nicht entziehen,
der die amerikanische Irak-Politik empfindlich stört. Die US-Regierung überlegt neue
Sanktionen, vor allem um die Proliferation von Massenvernichtungswaffen zu unterbinden.
Nordkorea verfügt nicht nur über chemische und biologische Waffen, sondern wahrscheinlich
auch über Langstreckenraketen. Es wäre auch imstande, Nuklearwaffen herzustellen.
Die Lieferung von Natriumcyanid an Nordkorea stellt möglicherweise eine Verletzung der
freiwilligen Exportbeschränkungen der sogenannten Australischen Gruppe dar, der auch
Deutschland beigetreten ist. Die Beitrittsländer verpflichten sich, auf einer Liste aufgeführte
Techniken und Substanzen, die zur Herstellung von biologischen und chemischen Waffen
benutzt werden können, durch Ausfuhrgenehmigungsregeln zu kontrollieren, so dass sie nicht
in die falschen Hände gelangen sollen. Tatsächlich wird hier »Sodium Cyanide« aufgeführt,
allerdings mit der Kennzeichnung »non listed«.
Kommentare:
Naja (Sir Thor, 19.2.2003 3:41)
um es mit deinen eigenen Worten zu nennen (Shining Shadow, 18.2.2003 23:22)
ein paar Tage kann das hoffentlich noch warten (irgendeinDAU, 18.2.2003 22:43)
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last modified: 18.02.2003
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