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JaJa, am 9.9. 2005 um 16:42:46 Uhr
Wüste

Er steht am Fenster. Ist es die plötzliche Klarheit, die ihn in seinem Mittagsschlaf hochgeschreckt hat? Als Bürgermeister eines kleinen Ortes am Rande der Wüste ist er Realist, durch die Dürre der vergangenen drei Jahre es noch mehr geworden. Der Ort wird nicht zu halten sein, wenn nicht etwas geschieht, der letzte Brunnen gibt nicht mehr lange ausreichend Wasser. Es stimmt nichts und paßt alles zusammen. Langsam schiebt er den Vorhang ein wenig zur Seiteder Fremde sitzt dort wie seit drei Tagen, im Schatten der grellen Sonne unter dem Vordach der Dorfkneipe mit dem durch den ständig schmirgelnden Sand schon fast seiner Schrift beraubten Schild mit der sinnigen Aufschrift »Quelle«.

Seine Gedanken wandern zurück, einen Moment in die fernere Vergangenheit, als der Ort noch blühte, ein Scherzbold zur allgemeinen Belustigung die beiden Wegweiser an der am Ort vorbeiführenden Straße um zwei weitere ergänzte, von denen einer auf den Ort wies und der entgegengesetzte in Richtung Wüste. Da der Ort No Desert hieß, war für die entgegengesetzte Richtung Desert als Ortsbezeichnung den meisten zu wenig, so hatte sich der Ort auf »NN« für Nobody Nothing geeinigt und sich darunter ein weiterer heimlich mit »00« verewigt, doch es hatte auch warnende Stimmen gegeben, die darauf hinwiesen, dass das Schild sich nur um 180° drehen müsse, um dann mit dieser Inschrift auf den Ort zu weisen.

16 Jahre ist er jetzt Bürgermeister, wohl die längste Zeit es gewesen. Drei Jahre hat es schon nicht mehr geregnet, keiner kann sich an ähnliches erinnern, doch auch keiner an sowas wie diesen Fremden. Er kam genau aus der Richtung, in die das Schild mit »NN« wie »00« wies, wie aus dem nichts. Kinder hatten ihn zuerst ausgemacht als winzigen, sich vergrößernden Punkt, der alle auf die Hauptstraße laufen ließ, da aus dieser Richtung noch nie was außer Sand gekommen war und jetzt ein Fremder mit einem großen Tornister, der schon alle Metamorphosen von Deutung der Ortsbewohner hinter sich hatte, bevor es endgültig feststand, was er nun war. Doch auch diese Geschichte der Endgültigkeit beschäftigte die Bewohner nun besonders intensiv seit drei Tagen, sowieso in ihre Hauptüberlegungen passend, da der erste Satz des Fremden, eine nicht genau feststellbare Frage, der war: er suche den Dürremacher - und als ein Bewohner vorwitzig entgegnete, der sei schon vor Jahren vorbeigezogen und das mit der Frage an den Fremden kombinierte, wer er sei, bekam er zur Antwort: der Regenmacher.

Der Blick des Bürgermeisters erfaßt den Fremden und jäh schießt ihm durch den Kopf, wie er ihn so dasitzen sieht »Symbol des Untergangs«, um sofort diese Unsinnigkeit zu verscheuchen, da es nur ein Fremder auf der Suche nach dem Dürremacher ist, der sich selbst Regenmacher nennt und seit drei Tagen dort hockt, wo er ihn sehen kann, alles, was er trinkt und isst, sofort und honorig bezahlt, und als größtes Rätsel für die Bewohner diesen riesengroßen Tornister hat, von dem keiner weiß, was er soll, über den die wildesten Gerüchte kursieren, da der Fremde so exakt aus der Wüste kam, aus genau der Richtung, aus der niemand kommen kann und dazu nichts weiter erklärte, so dass der Tornister zwangsläufig als Erklärung herhalten mußte.

Nichts stimmt, doch vieles paßt zusammen. Die Gedanken des Bürgermeisters wandern die drei Tage, die der Fremde hier ist, wieder ab, die Erinnerung steigt hoch, wie die Kinder den Fremden umringen und im Refrain kommt »Regenmacher ist ein Lacher« und nur die Augen des Fremden mit ihrer Mischung von Lächeln wie wollendem Wissen alle dirigieren und seine Hände wie seinen Körper dabei ruhen lassen.

Nichts stimmt, doch vieles paßt zusammen. Was fehlt? Unruhe, dieser Moment vor endgültiger Klarheit, mischt sich in die Gedanken, den Blick des Bürgermeisterseine Wind- und Sandwalze kündigt sich an, nimmt den Blick, es wird dunkler, der Wind heult, donnerndes Krachen, Blitze, die ersten Regentropfen, es beginnt zu schütten, vorübergehende Klarheitder Fremde sitzt ungerührt von den tobenden Elementen an seinem Platz, wird diffus durch die Regenwand.

Er heißt nicht Regenmacher, er ist esalles, was noch im Bürgermeister rumort hat, ist wie weggespülter weiß, doch jetzt drängen sich die aufsteigenden Fragen, wollen Antwortwas ist geschehen, wie ist es möglich? Der Bürgermeister setzt sich in Bewegung.

Pitschnass mit klaren Augen, nicht nur durch den Regen, das Wasser glänzenden Gesichtern stehen alle des Ortes, die es zur »Quelle« getrieben hat, in gebührendem Abstand zum Fremden, als trennte sie eine unsichtbare Wand und schauen zu, was er macht. Seinen Tornister hat er geöffnet und eine Flut von Stangen und Stoff nimmt langsam Form an, wird zu einem Boot, während Fluten von Wasser von oben kommen. Zwei schaufelartige Gebilde werden zu einem Paddel. Der Bürgermeister hat noch nie eines gesehen und weiß doch, was es ist und mehr, da ein Blick auf die wogenden Wassermassen der Hauptstraße ihm offenbart, was das alles bedeutet.

Schweigend besteigt der Fremde sein Boot und treibt es mit immer schnelleren Paddelschlägen in genau die Richtung, aus der er vor drei Tagen gekommen ist. Nur für Momente sind die Schaufeln des Paddels zu sehenjede hat einen Buchstaben, eine »D«, eine »R«, ein greller, besonders heller Blitz läßt für einen Moment auf dem Rücken des Regenschutzes »NN« aufleuchten, manche behaupten, es sei »00« gewesen, andere verweisen darauf, es sei nur der Gedanke an das vor Jahren von einem Scherzbold zusätzlich in das Schild eingravierte gewesen, ohne dass einer beantworten kann, was nun genau zusätzlich zu bedeuten habe ...·



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