Wer durch die Atacama–Wüste zwischen Chile und Peru fährt, wird über hunderte von Kilometern, teils über steile Serpentinen, teils in monotoner Geradeausfahrt geleitet nichts sehen als eine unendliche Steinwüste, einige Säulen– und Kandelaberkakteen, ginsterartige Überlebenskünstler und vielleicht gelegentlich das eine oder andere Lama an den wenigen grundwassergespeisten Oasen. Aber auch etwas anderes wird der aufmerksame Reisende auf seiner Fahrt beobachten, und das ist die Fülle an PET–Flaschen, vielleicht mag der Werkstoff anders heißen, einfacher geartet sein, dieses manische Recyclingsystem wie bei uns gibt es in den Ländern nicht, es gibt zuviele Arme, die den Müll auf eigene Rechnung sortieren. In der sengenden Hitze also, entlang des Straßenrandes, der oft genug zum Schreck für den Reisenden nur unzureichend gegen vielhundertmetrige Abbrüche gesichert ist, liegen diese durchsichtigen Flaschen in den verschiedensten Stadien der Verwitterung. Und mindestens jede zehnte ist mit einer gelblichen Flüssigkeit gefüllt, die den Betrachter nicht zum Irrtum verleiten möge, in der Atacama würde hauptsächlich Apfelsaft getrunken. Es handelt sich natürlich um Urin, von den Fernfahrern im Hochland während der oftmals aberwitzigen Abfahren in die allzeit gehorteten Flaschen gegeben, oder während der Auffahrt auf 4000 Meter, wenn jeder Stillstand des Motors mit mühevollster Wiederanfahrt verbunden ist. Sie pullern also in die Flasche (wir können davon ausgehen, daß es in den meisten Fällen eine kritische Menge von mindestens 500 ml ist) und werfen sie hinaus in die Hitze. Was geschieht? Über die Tage und Wochen nimmt der Urin unterschiedliche Färbungen an. Wird von hell- zu honiggelb, zu einem satten Orange und ab dem Punkt hängt viel von der Dichtigkeit des Flaschenverschlusses und bakteriellen Fährnissen ab. Ist die Flasche nämlich einerseits porös genug, um die noch so geringe Zufuhr von Luft zu gewährleisten, jedoch dicht genug, um dem Flüssigkeitsaustritt zu wehren, so nimmt der Odel über die Wochen und Monate eine Färbung an, die vom schmutzigen rot bis ins tiefste Schwarz eine Vielzahl von Schattierungen aufweisen kann. Oft jedoch steigt, gerade bei den Temperaturschwankungen in der Atacama, die von -25° C in der Nacht zu 45°C und mehr im baumlosen Mittagsschatten reichen können, der Druck in den Plastikurinalen beträchtlich an, ungesund geblähte Flaschen am Straßenrand geben hiervon beredtes Zeugnis. Und wer sich abseits der Straße, irgendwann gegen elf Uhr morgens, wenn die Sonne ihren endgültigen Siegeszug für den Tag vorbereitet, zwischen die hellgrauen Steintrümmer setzt und eine Weile lauscht, wird von überall aus weittragender Ferne das dumpfe Bersten von PET–Flaschen vernehmen.
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