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ruecker42 schrieb am 29.11. 2007 um 05:31:13 Uhr über

Vibraphon

Erst mal braucht man ein altes Hallenbad, ein stillgelegtes möglichst, und ovalen Grundriß sollte es schon haben. Das Schwimmbecken ist selbstverständlich leer und irgendwo auf der Galerie steht dann das Vibraphon. Natürlich nicht einfach so, am nächsten Tag ist schließlich Aufführung und folglich sind da noch eine ganze Menge anderer Instrumente, aber es ist jetzt der Abend davor, die Generalprobe ist vorbei und dreissig Filmprojektoren sind justiert, die Tonanlage ist abgeglichen, der Pyrotechniker weiß nun auch, wo er seine Brandpaste am effektvollsten anbringt und alle haben sich zur Ruhe im Nebenbau in Ihre Schlafsäcke gerollt. Nur man selbst kann nicht schlafen und streicht durch diese unwirkliche Szenerie da in Potsdam, November 1995, der Film wird gerade hundert Jahre alt und irgendwo unter dem Dach klappert eine lose Luke im Wind. Also setzt man sich irgendwann auf die Galerie, schaltet einen Scheinwerfer ein und starrt lange den tanzenden Staubteilchen im Lichtkegel nach. Mehr so in Gedanken fühlt man plötzlich mit dem Fuß ein Pedal, tritt drauf (warum nicht), merkt, daß das Pedal zu einem Vibraphon gehört, nimmt nach einiger Zeit einen Schlegel aus dieser Ledertasche und haut mal drauf, einfach so...

Der Ton steht wie eine gläserne Säule mitten im Raum.

Das reißt einen schon aus seinen Gedanken, es kommt nicht so ein schlappes 'Plöng' wie man es halb erwartet hat, es entsteht ein Kristall, der ganz langsam unter die Decke schwebt und sich dort spurenlos auflöst.

Weil das eben Geschehene eine so unerhörte Erfahrung ist, packt einen die Neugier, man nimmt den zweiten Schlegel und probiert, nun schon mit Bedacht, zwei Töne hintereinander (Quinte, was sonst...), den Fuß immer auf dem Pedal.

Der Klang füllt das langsam zerfallende Gemäuer mit seinem Glanz und bald klöppelt man sich durch den ganze Quintenzirkel, eine ungeheuerliche Macht treibt einen und man kann die Schlegel nicht mehr ruhen lassen, schon kommen andere Intervalle und der Rhythmus dazu und es ist ein Rausch, der Körper wiegt sich und die Hände und der Fuß am Pedal arbeiten von alleine, man kann die Augen schliessen, um einen herum ist nur Klang, es wird heiß ...

Dann weiß man irgendwann, daß man nicht mehr alleine auf der Empore ist. In solcher Verfassung müssen die Augen nicht geöffnet werden um das mitzubekommen, aber für Andere ist dieser Moment nicht gemacht, also nimmt man den Fuß vom Pedal, läßt die Schlegel ruhen und öffnete schließlich die Augen:

Im schmalen Kreis des Scheinwerferlichts steht eine Frau auf dem Boden des Schwimmbeckens, eine von den Schauspielerinnen aus der Truppe, geblendet blickt sie nach oben, obwohl sie mehr als 15 Meter von mir weg ist, sehe ich die Frage in ihrem Gesicht und bevor sie ein Wort sagen kann, bin ich weg, einer von den Beleuchtern, der sie wohl schon länger mit dem Scheinwerfer verfolgt hat, als sie da unten tanzte, schaut mich ebenfalls fragend an, aber es gibt nichts zu sagen.

Am nächsten Tag wird kein Wort darüber verloren, man wirft mir nur ein zwei Blicke zu. Am Abend der Aufführung klingt das Vibraphon wie in eine Wolldecke verpackt, dumpf und scheppernd - aber da habe ich auch kein Ohr für die Musik, sondern einen exakt bemessenen Zeitplan und 5 Projektoren zu bedienen. Es werden andere Momente kommen.




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