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Ich sagte voila! und schrieb am 28.9. 2019 um 16:04:12 Uhr über

Verwelken-Sie-Farbton-von-Latten

...Schneller Ruhm, schnelles Geld, großes Glück.

Manchmal lief es tatsächlich so, in den sechziger oder siebziger Jahren, doch wahrscheinlich hätte niemand darauf gewettet, dass ausgerechnet ein Mängelexemplar wieA Whiter Shade of Palees auf diese Weise schafft. Die Lyrics ergeben doch überhaupt keinen Sinn! Der Name der Gruppe peinliches Falschlatein! Das Video das dümmste aller Zeiten, wenn nicht das zweite Video womöglich noch dümmer wäre. Der Misserfolg schien garantiert.

Stattdessen: Ein Wunder. Gleich der erste Ton lässt die Mängel hinter sich, man könnte auch sagen: macht sie zu Vorzügen, da sie irgendwie und unerklärbar zu dem Orgelklang passen, der langsam und in ungescheutem Pathos himmelwärts steigt. Die Melodie folgt BachsAir auf der G-Saiteund schlängelt sich als Ohrwurm von maximalem Wiedererkennungswert ins Hirn, noch ehe der Sänger zum ersten Mal den Mund auftut. Ganz klar: Die Instrumentierung machts. Und Johann Sebastian. Und der Text, jawohl.

Wahrscheinlich gab es bis 1967 kaum einen Song, dessen Verse größere Rätsel aufgaben und ausführlicher diskutiert wurden. Immer neue Auslegungen bevölkern das Netz bis heute, fast alle behaupten, dass eine Liebesgeschichte erzählt werde und dass die Schlüsselwörter dies oder jenes bedeuten und sich zu einer Geschichte verbinden. Dabei liegt doch das Verstörende gerade darin, dassA Whiter Shade of Palekeine Geschichte erzählt.

In einem Interview mit dem Musikmagazin „Uncutsagt der Songwriter Keith Reid:

I was trying to conjure a mood… With the ceiling flying away and the room humming harder, I wanted to paint an image of a scene. I wasnt trying to be mysterious with those images, I was trying to be evocative. I suppose it seems like a decadent scene Im describing. But I was too young to have experienced any decadence, then. I might have been smoking when I conceived it, but not when I wrote. It was influenced by books, not drugs.“

Wie immer man den Wahrheitsgehalt der beiden letzten Sätze einschätzt, insgesamt trifft diese Selbstdeutung den Kern. Der Song beschwört eine Atmosphäre, keine Handlung, bietet vage Bilder, kein Ziel, wirkt weniger geheimnisvoll als evozierend und anregend, jeder Vers ein Stimulans. Der Gesamteindruck ist sehr wohldekadent“; die Begründung des Autors, er sei damals zu jung gewesen, um Dekadenz erfahren zu haben, trägt nicht. Ein bisschen Lektüre von Alice in Wonderland (Rad schlagen! Playing cards!) plus Oscar Wilde (Drinks! Waiter! Society-Rahmen!) inspiriert und tut es auch. Und kleideten sich die Pop-Prinzen in jenemSummer of Lovenicht wie zierliche Rokoko-Décadents? Das „Sergeant Pepper“-Cover, zwei Wochen nachA Whiter Shade of Paleveröffentlicht, zeigt es vortrefflich, ebenso Procol Harums kindliches Video.

Von Bild zu Bild, von Szene zu Szene vermittelt die erste Strophe das Gefühl einer sachten Elevation, bis die Decke wegfliegt. Statt der erwarteten himmlischen Offenbarung materialisiert sich dann allerdings bloß der Kellner mit den Durstlöschern auf dem Tablett. In der zweiten Strophe dominieren die keuschen Priesterinnen der Vesta, und da sie unterwegs zur Küste sind und „vestal“ fast wie „vessel“ klingt, beginnt ein hehres Meer zu wogen. Der Müller hingegen, der mal wieder eine Geschichte erzählt, ist Chaucers sehr unkeuschen Erzählungen entsprungen. In den letzten Zeilen wird das Sehen mit dem Nicht-Sehen gleichgesetzt: ein passend benebelnder Schlusspunkt. Alle Bilder sind offen, das Ganze ein typischer Pop-Verschnitt von Anspielungen und Zitatfetzen, ähnlich wie Dylans „Desolation Row“, erschienen 1965.

Keith Reid war 21, als er Anfang 1967 vier Strophen plus Chorus schrieb, den Komponisten und Sänger Gary Brooker traf und den Keyboard-Spieler Matthew Fisher, der an der Hammond-Orgel für den entscheidenden Klang sorgte. David Knights (Bass) und Ray Royer (Gitarre) kamen dazu, als Sessiondrummer wurde Bill Eyden vom Produzenten Denny Cordell engagiert. Für ihre neue Band Procol Harum sollte es die erste Single werden, aufgenommen in einem für drei Stunden gemieteten Studio, wo zwei Takes entstanden, abgemischt in Mono – aus heutiger Sicht kommen einem die Tränen. Von den vier Strophen wurden zwei gestrichen, und zu dieser Entscheidung kann man der Gruppeoder dem Produzenten? – nur gratulieren. Auf dem schmalen Grat zwischen Sinn und Unsinn, Logik und Beliebigkeit ist schwer zu balancieren, und wird der Song zu lang, gedeiht die Pflanze Überdruss. „A Whiter Shade of Paleschafft die perfekte Harmonie der Teile und bezaubert und verwirrt immer noch. What does it mean?, fragten und fragen die Hörer. Just a mood, sagt Keith Reid. Relax and enjoy.

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FAZ heute



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